Gesa Birkel

Telefon

 

Er legt den Telefonhörer auf.

Mühsam quält er sich wieder aus seinem Bett, in dem er es sich schon gemütlich gemacht hatte. Die Pizza ist fertig und er geht in die Küche, wo ihm der herrliche Duft von überbackenem Käse entgegenfliegt.

S
ie ist nicht zu sehen, die Frau, mit der er dieses Haus bewohnt, bei der er vor wenigen Jahren noch sicher war, sein Leben mit ihr bis ans Ende zu verbringen. Einen heftigen Streit hatten sie heute wieder. Überhaupt stritten sie sich in der letzen Zeit sehr viel und es raubte ihm viel Kraft. Im gemeinsamen Haus verloren sich irgendwann ihre Wege, er hatte es sich im Obergeschoss eingerichtet.

Was war aus der Frau geworden, die er einst so sehr liebte? Was war aus ihnen geworden? Wo und wann verlor sich das Band zwischen ihnen? Sie war noch immer schön. Dunkle, lange Haare umspielten ihren wunderschönen schlanken Körper. Ihre Augen funkelten noch immer feurig und voller Leidenschaft – sie hatte einfach Temperament im Blut, besonders wenn sie wütend war.

„Ich ertrage sie nicht mehr – und sie mich auch nicht", denkt er und holt die Pizza aus dem Backofen. Jeder weiß genau um die Stärken und Schwächen des anderen. Heißt es nicht „Liebe ist, wenn man trotzdem liebt"? Kann er sie „trotzdem" lieben? Irgendwann verstanden sie sich nicht mehr, begannen in verschiedenen Sprachen miteinander zu sprechen. Nein, es ist vorbei, das Gefühl für sie leise gestorben. Jeder lebte wieder sein Leben. 

Die Pfeffer-Salami auf der Pizza ist sehr scharf, macht ihn durstig. Im Vorratsraum direkt neben der Pantry-Küche findet er einen 2004 Rojas. „Perfekt", denkt er, "und genau richtig temperiert." Er lässt ihn kurz atmen, nimmt einen ersten kleinen Schluck und ist zufrieden. Eine gute Wahl!
Gleich wollte er sie noch einmal anrufen. Vorher aber will er jeden Bissen der Pizza und jeden Schluck dieses Rotweins genießen.

Und sie? Ist sie nun die Richtige? Die Frau, mit der er eben kurz telefoniert hatte? Er weiß es nicht. Überhaupt weiß er sehr wenig. Er fand sie damals beim Schreiben einer Endlosgeschichte im Internet, ihr Stil gefiel ihm. Sicher, es waren auch noch viele andere Frauen in dem Forum angemeldet, aber ihr Zögern fesselte ihn. Es dauerte lange, bis er endlich einen anderen Weg als Emails zu ihr gefunden hatte, bis sie ihm die erste SMS schickte. Damals schlug ihm das Herz bis zum Halse.  Mitten an einem heißen Nachmittag im Juli, aus dem Maislabyrinth heraus, simste sie ihm. Endlich hatte er ihre Nummer. Abends würde er sie anrufen, endlich ihre Stimme hören. Schon lange war er nicht mehr so aufgeregt wie zu diesem Zeitpunkt.

Seitdem war viel Zeit vergangen, viel geschehen. Irgendetwas war da, was ihn hielt, als sie sich im August das erste Mal trafen. Einige Wochen später war sie bei ihm. Es entwickelte sich ein neues Band, täglich rief er sie an, seitdem sie damals im Juli das erste Mal miteinander telefoniert hatten. 

„Warum telefoniere ich eigentlich fast täglich mit ihr?" Eine Antwort darauf weiß er nicht. Hört sie ihm zu? Versteht sie ihn? Sicher ist, dass sie viele Dinge vorausfühlen kann und mit ihren Prognosen fast immer richtig liegt. Doch, sie versteht ihn, sehr oft. Sie hört ihm zu, sie bemüht sich. Sie liebt ihn, das weiß er. Sie lässt sich auf ihn ein.

„Liebe ich sie?" Was ist Liebe? Alles, was sie tut, tut sie aus Liebe, mit Liebe. 

„Was will ich?" Er hat keine Antwort.

„Worauf warte ich eigentlich?" Heute weiß er so rein gar nichts mehr. Diese Leere...

Gerade eine Woche ist es her, dass sie sich wiedertrafen, zu Weihnachten, gefühlt wie in einem anderen Leben, auf einem anderen Stern. Der Weg zurück in seine Realität war nicht einfach. Seine Mitbewohnerin machte Stress, weil er die Weihnachtstage nicht zu Haus verbracht hatte, überhaupt bereitete ihm alles hier Stress. 

Es macht ihn krank, sie macht ihn krank, alles macht ihn krank - er ergibt sich tapfer seiner starken Erkältung. „Du sollst dich ausruhen", sagt ihm die Erkältung, „bleib im Bett und sortiere dich." Ach wüsste er doch nur, wo er steht… Reflektion bedeutet Sortierung, Sortierung bedeutet Entscheidung. Aber da ist er dann doch seinem Sternzeichen Waage treu, dass nicht besonders entscheidungsfreudig ist. Im Übrigen gibt er gar nichts auf diesen Quatsch mit den Sternzeichen. „Ich werde warten." Es werden Zeichen kommen, was zu tun ist, das Leben zeigt ihm, wo es ihn haben will – da ist er sich sicher.

Er greift zum Hörer und ruft sie erneut an. Sie hat zuviel Rotwein getrunken, ist schweigsam, verträgt den Alkohol doch eigentlich gar nicht. Sie sieht klar, klarer als sonst. Spricht sie, so sind ihre Sätze so anders als sonst. Oder ist sie heute nur deutlicher? Er will es nicht hören, sich nicht stellen, sich heute auf keine Diskussion einlassen. Es ist alles so schwer, er fühlt sich schwer – und schwach. Was will er von ihr hören? Er weiß es nicht. Das, was er hört, ist es auf jeden Fall nicht. Lässt er sich darauf ein, könnte es kompliziert werden und danach steht ihm der Sinn heute so gar nicht. So schiebt er es auf den verdammten Alkohol. Morgen ist auch noch ein Tag.


Morgen ruft er sie wieder an...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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