Heinrich Waegner

Vertreterstunde

 
 
Pünktlich um vier Uhr erschienen zwei Herren, rundlich forsch mit flaumig kurzem Haar der eine, noch zehn Jahre jünger der andere, modisch beide.

„Tag, Tschimmer, ich habe meinem Kollegen schon erlaubt, sich zu setzen.“ Tschimmer, der größere von beiden, fegte verächtlich díe offenen Bücher vom Schreibtisch und legte dafür seine grüne Mappe ab. Der Hausherr sprang auf Befehl davon und rapportierte ein Stück Zeitung auf den Tisch. Tschimmer nickte kaum. Er hatte inzwischen das ganze Zimmer voller Einzelteile gestellt, die er einem großen Behälter entnommen hatte. Jetzt riss er den Stecker aus der Wand, wobei die Stehlampe nur durch das beherzte Eingreifen des Hausherrn vor dem Umfallen bewahrt  wurde.

Tschimmer saugte. Er kritisierte den Teppich, dass er zu empfindlich sei. Der Hausherren entschuldigte sich mit dem Hinweis auf sein Einkommen. Tschimmer unterbrach ihn mit dem wissenden Lächeln und leerte nach dreimaligem Hin und Her die Tüte auf der Zeitung. Gründlich schüttelte er sie, wobei seine Linke den Tütenrand eisern aufs Papier presste. Nun zeigte er wohl im Vertrauen auf das  technische Wunder auf ein mikroskopisches Häufchen Staubfusseln. Keiner durfte etwas sagen; der Eindruck schien ihn zu überwältigen. Der Hausherr  hatte offenbar lange genug auf das Häufchen Schmutz, denn der fremde Herr löste sich befriedigt aus seiner starren Haltung und begann, nachdem er die Tüte neu eingelegt hatte, wieder zu saugen. Diesmal etwas länger. Der Hausherr setzte sich, weil er glaubte, dem Vorführer dadurch am deutlichsten seinen Respekt zu zeigen. Doch erschien es ihm bald besser, mit dem herumsausenden Sauggerät mitzuspringen und mit dern Kopf dicht über dem Boden seiner Bewunderung Ausdruck zu verleihen.

Tschimmer schien mit der Reaktion des Schülers zufrieden; jedenfalls sagte er nichts, was das Gcgenteil andeuten könnte. Oder aber war sein Schweigen Verachtung? Musste man dem Vertreter nicht  dankbar sein, dass er sich mit einem unwissenden Kunden abgab?

Staubsauger besaß er natürlich schon. Aber bewies das nicht um so mehr die Engelsgeduld und hilfreiche Anteilnahme dieser Herren?

Nun hatte er in seinem Übereifer Tschimmer tatsächlich bei der Vorführung gestört. Halb beleidigt hielt dieser plötzlich inne. Schuldbewusst sah der Hausherr herauf in die bedeutungsvoll unter den hochgezogenen Brauen auf ihn gerichteten Augen der beiden. Er las keinen direkten Vorwurf in ihnen, nur Ungläubigkeit. Sie schienen seinem guten Willen zu mißtrauen und seinen Eifer für verdächtig zu halten. In dieser unbehaglichen Stellung er stand ja noch immer vor dem Staubsauger mit dem Kopf dicht über dem Boden kam ihm die Idee, nun den gesäuberten Teppich zu begutachten. Er legte sich der Länge nach hin und versuchte, mít seinen Fingerspiten den Teppich zu öffnen, um zu zeigen, dass er verstanden habe, worauf es ankam: Aber es war nicht möglich, bis auf den Grund des Teppichs zu gelangen und den Henen zu zeigen, dass sie erfolgreich die feinsten Staubkörnchen aus der Tiefe hervorgesaugt hatten. Je mehr es ihm misslang, desto eifriger und schneller kratzte er am Teppich, riss dabei schonungslos seine Fingernägel aus ihren Betten und achtete nicht des Blutes, da  nun langsam den Teppich zu färben begann. Die beiden Herren hatten ihm bisher geduldig zugesehen. Tschimmer beugte sich aber jetzt herab und schüttelte den Staubbeutel zum zweiten Mal aus. Diesmal hatte er die Zeitung neben dem Hausherrrn auf den Fußboden ausgebreitet. Dann trat er dem Hausherrn auf die Hand, wie um das lästige Blut zu verdecken oder zu zeigen, dass es nicht auf Finger, sondern auf einen guten Staubsauger ankäme.  Gehorsam drehte der Hausherr sein Gesicht dem Papier zu und drückte seine Fassungslosigkeit über die Staubmenge, die jetzt sicher viermal so groß wie beim ersten Mal war, dadurch aus, dass er langsam sein Gesicht in den weichen und zugleich sandigen Staubball preßte.

Tschimmer erkannte das Interesse an und nahm den Fuß von des Hausherrn Hand. Die Vorführung war beendet und der Kunde schien überzeugt.

Deshalb packten sie ihn, warfen ihn über einen Stuhl und drückten ihm den Kugelschreiber in die wunden Hände, wobei sie ihm die Formulare zuschoben. Der Preis schien keine Rolle zu spielen und wurde gar nicht erwähnt.

Der Hausherr war aber nun besorgt, zu bockig zu erscheinen. Deshalb stellte er die Frage nach der Farbe. Aber die Herren ließen sich nicht mit unnötig ablenken. Der zweite Herr hielt ihm sofort den Mund zu und drückte seinen Kopf nach vorne, um ihn wohl an den Vertrag zu erinnem.

Der Hausherr biss sich auf die Lippen und hätte sich gerne für sein falsches Benehmen entschuldigt. Aber die Herren schienen es ihm nicht nachzutragen; gleichmütig blickten sie auf das Papier.

Die Ruhe, mit der sie dem aufsässigen Benehmen des Hausherrn begegneten, reizte diesen zu noch stärkerem Widerstand.

Einem plötzlichen Verlangen nicht widerstehend sagte er bösartig wie ein Kind, dass er es sich überlegt habe und keinen Staubsauger brauche.

Die Herren blickten sich aber nur kurz an. Auch ließen sie ihn sofort frei. Ohne sich weiter um ihn zu kümmem, begann nun der zweite mit seinem Vortrag. Tschimmer setzte sich und ließe sich von seinem Partner alles genauestens erklären. Sie schienen dieses Spiel sehr zu lieben und lächelten glücklich.

Dazu gehörte wohl auch, dass Tschimmer Fragen stellte. Aber sie redeten gewissermaßen nur in Stichworten, denn sie kannten ja alles auf das Beste. Manchmal blitzten ihre Augen listig hinüber zum Hausherrn, der sich teilnahmslos stellte, jedoch sehr darunter litt, dass man ihn vom Spiel ausschloß. Er hatte es sich zwar bewußt ertrotzt, aber es schmerzte ihn doch, sich so hart bestraft zu sehen. Er hätte jetzt am liebsten ein Bad genommen, so unwohl war ihm in seinen Kleidern. Am ganzen Körper mußt  sich trotz seiner Schweißausbrüche Gänsehaut gebildet haben. Um überhaupt etwas zu tun, schloß er sich ins Badezimmer ein und verband seine Fingerkuppen.

Als er nach längerer Zeit wieder heraustrat, standen die beiden Herren rechts und links bewegungslos an der Badezimmertüre und hatten ihm ihre besorgt fragenden Gesichter zugewandt. Er aber schritt mutig hindurch und begann sich das Gerät selbstständig anzusehen. Die beiden waren lautlos gefolgt und sahen zu, wie er den Staubsauger auseinander nahm. Die etwa zehn größten Teile versuchte er immer weiter zu zerlegen. Bald mußte er mit Schraubenzieher und Hammer die vernieteten Teile sprengen, um auch die einzelnen Drähte besichtigen zu können. Er hatte sich schon immer für elektrische Systeme interessiert und versucht nun den Schaltplan zu ergründen. Da er die wunden Finger kaum benutzen konnte, schnitt er mit der Schere quer durch die Wicklungen des Ankers und konnte so die Richtungen studieren. Ja, er wusste sofort, dass es sich urn einen Wechselstrommotor handeln musste. Um die beiden Vertreter nun auch einmal für die wirklichen Probleme ihrer Ware zu interessieren, deutete er pedantisch auf das Typenschild des Motors und zeigte ihnen durch Kopfnicken, dass die Aufschritt zu recht bestand.

Die Herren waren seinen Ausführungen durchaus interessiert gefolgt. Sie hatten sich nach und nach vor dem Haushern auf die Knie gelassen und lehnten Stirn an Stirn über dem zerlegten Motor. Sie konnten einfach nicht fassen, dass diese feinen Drähte und Metallplatten eine solch ungeheure Saugkraft entwickeln konnten. Ja, sie begriffen jetzt, dass  hier das eigentliche Geheimnis ihres Berufes und ihres Erfolges schlummerte.

Der Hausherr war sehr dankbar, dass man ihm Gelegenheit zum Lemen gab: Er wusste, dass man durch Lehren mehr lemt als der Schüler. Er begriff auch die außerordentliche Freundlichkeit der Vertreter, die sicher weit über ihre Befugnisse gingen und ihre Zeit opferten. Er glaubte, dass  heute seine Bewusstseinsbildung einen riesigen Schritt vorwärts getan habe.

Er hielt vor Bewegung inne, sah lange auf die beiden Männer, die immer noch stumm vor Staunen Stirn an Stirn auf die ausgebreitete elektrische Wunderwelt starrten, und küsste im überwallenden Gefühl des Augenblicks beiden zärtlich die Wangen. Auch ihnen  traten Tränen in die Augen, und alle drei faßten sich an den Händen und blickten mit glänzenden Augen blind vor sich hin.

In diese Andacht splitterte die Wohnungstür mit Gepolter auf und zwei fluchende Mämer drangen herein. Der eine zog die beiden Vertreter blitzschnell an den Ohren zur Tür, wobei er mit geschicktem Angeln der Füße die Ledertasche mit hinausschob. Der andere, ebenso geübt, holte sich das Scheckbuch aus der Schublade und hatte schon, ehe der Hausherr auch nur seine Hilfe hätte anbieten können, im Hinauseilen die Unterschrift getälscht. Ohne sich urnzublicken, warf er noch den Kugelschreiber von draußen nach dem zurückbleibenden Hausherrn.

Über die zwei Kleckse, die sein Atem an die Scheibe blies, drückte dieser seine Nase und sah den Werbeomnibus in den nächsten Stadtteil rasen.


Satire ist eigentlich nicht so ganz zutreffend; es handelt sich eher um einen kafkaesken Stil, der die Wirklichkeit leicht verdreht um etwas klar zu machen, d.h. das Unwirkliche kommt in Gestalt reinster Normalität daher: absurder Verfremdungseffekt. Viel Spaß.Heinrich Waegner, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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