Georg Klinkhammer

Lyrik ist tot

Der Gedanke kam mir beim lesen in einem Internetforum für Literatur. Im Nachhinein betrachtet weiß ich heute nicht mehr, was mich damals geritten hatte. Aber ich musste es unbedingt feststellen. Wollte wissen, was an den Antworten der Verlage dran war.

„Sehr geehrter Herr Müller-Lüdenscheidt. Wir bedanken uns für die Einsendung Ihres Manuskriptes, müssen Ihnen jedoch leider mitteilen, dass wir Lyrik schon seit Jahren nicht mehr verlegen. Die Nachfrage ist so klein, dass es wirtschaftlich keinen Sinn macht. Betrachten Sie bitte diesen negativen Bescheid nicht als Wertung Ihrer Texte, doch …“ usw. Die Briefe ähnelten sich alle. Sauber zusammengefügte Textbausteine, die so gesetzt nur einen Sinn ergaben: Du hast Lyrik geschrieben? Vergiss es!

Ich verstand zwar, dass meine Gedichte offensichtlich zu wenig Niveau hatten, aber hier wurde ja verallgemeinert. Alle zeitgenössischen Autoren, von ganz wenigen Größen abgesehen, blitzten bei den Verlagen mit ihrer Lyrik ab. Dabei rechne ich bewusst die Autoren nicht mit, die für die Veröffentlichung bezahlten. Bist Du Kunde, wird natürlich (fast) alles gedruckt.
Gab es sie denn nicht mehr, die Roths oder Buschs, ganz zu schweigen von Goethe, Schiller, Heine und Co.? Ich musste es herausfinden.

Nun wohne ich in einer größeren Stadt mit einer entsprechenden Auswahl an Buchhandlungen. Also nahm ich mir eine der Großen als erstes vor. Dort angekommen versuchte ich mich zunächst zu orientieren. Auf einem Wegweiser fand ich schnell den Begriff Lyrik. 3. Etage stand dort, zusammen mit Märchen, Postkarten und Kalendern. Also nahm ich die Treppe und kam auf Grund meiner fehlenden Kondition etwas außer Atem oben an. Dort sah es ein wenig so aus wie in einem Supermarkt. Die Regale für Hunde- und Katzennahrung (hier Märchen) waren ellenlang, gleiches galt für Toilettenpapier (hier Kalender und Postkarten). Ich ließ mich jedoch nicht beirren und fand schließlich etwas verschämt in einer Ecke ein schmales Regal mit Feinkost (Lyrik).

Die Auswahl war schon recht dünn, was ich zwar nicht ganz verstand, aber die Schreiben der Verlage gleich in einem anderen Licht erscheinen ließ. Tatsächlich, Lyrik Fehlanzeige. Über die Hälfte der Regalfläche füllten zudem die Klassiker. Ich war jedoch auf der Suche nach zeitgenössischen Werken. So begann ich zu zählen und war bei 12 schon fertig. ‘Schande über die Verlage’, dachte ich nur. Wahllos griff ich nach einem schmalen Band in Taschenbuchgröße und Softcover. Es war recht aktuell, erst 2006 erschienen. Mit dem Seitenplatz im knappen A6-Format waren die Layouter recht großzugig umgegangen. Ich zählte 136 Seiten, und auf jeder ein vielleicht vier bis sechs Zeilen langes Gedicht. Vielleicht hatte der Autor die überwiegend weißen Flächen des Papiers für Notizen vorgesehen. Keine Ahnung. Aber schließlich begann ich zu lesen.

‘Wolkengeblätter
ziegenfarbig auf einsamen Lenden
bewacht
bedacht
ohne silberne Erkenntnis’

Hm, die Erkenntnis fehlte mir in der Tat. Noch einmal las ich die Zeilen, ließ den Worten die Chance, sich in mein Großhirn zu brennen. Dort angekommen spürte ich jedoch, das der Löschtrupp hinter der Fontanelle sofort in Aktion trat. Außer etwas Rauch blieb nichts vom Gedicht übrig. Naja, dachte ich, das Nächste ist bestimmt gut. Schließlich ist das Buch ja gedruckt worden. Wahrscheinlich hat der Verfasser seinen Hintern auf dutzenden Lesungen plattgesessen und musste intellektuell anstrengende Fragen beantworten. Und wirklich, das nächste Gedicht war besser. Zumindest fehlten hier nicht die Satzzeichen.

‘Mondige Wärme umspielt uns,
Leiber blass tünchend.
Geruchsvoll,
geschmacksvoll,
zuckersüß-salzige Umschlingung.
Extatische Schreie,
der Nacht geschenkt.

Das war sogar um Vieles besser. Immerhin, nicht nur Satzzeichen, sondern auch Sinn zu erkennen. War zwar in ‘vers libre’ geschrieben und Gedankenlyrik, aber doch. Ja - nicht so übel. Meine Erwartungen wurden allerdings rasch wieder zunichte gemacht. Ab dem dritten Gedicht hatte der Autor wohl schon zuviel dem Roten zugesprochen. Das wurde nichts mehr. Immerhin schaffte ich es noch, nach dem Verlagsnamen zu suchen. Aha, dachte ich’s mir. Ein Dienstleister, dessen ‘Angebot’ ich vor Monaten schnellstens zum Altpapier degradiert hatte.

Doch aufgeben kam nicht in Frage. Gezielt suchte ich nun nach Verlagen, die in der Branche nicht als sogenannte Druckkostenzuschussverlage verschrien waren. Und siehe da, ich fand schließlich einen. Leider hatte das Buch noch keine ISBN, musste also demnach schon etwas älter sein. Anscheinend stimmte es. Die Verleger hatten wohl schon länger die Notbremse gezogen und den Gedankenlyrikern, Impressionisten und Dadaisten der schreibenden Zunft ihr Veto gezeigt. Allenthalben fand sich ein kleines Heftchen mit einer Aphorismensammlung, das war’s dann auch schon. Ich hatte noch die Kraft für den Besuch zweier weiterer Buchhandlungen. Mit gleichem, niederschmetterndem Ergebnis.

Wie ein geprügelter Hund schlich ich aus dem letzten Geschäft. Erst an der frischen Luft fand ich schließlich die Kraft, das Thema einmal von einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Es fielen mir Lesungen ein, die ich besucht hatte. Ich sage Ihnen, geneigte Leser, kaum etwas ist anstrengender, als einem Autor zuzuhören, der Gedankenlyrik vorträgt. Wenn überhaupt, entstehen Bilder und Gedanken bei mir im Kopf erst, wenn ich ein solches Gedicht selbst lese. Und das mehrmals, auch laut. Kenne ich ein Gedicht jedoch noch nicht und höre es nur einmal durch Schwaden von Zigarettenrauch und Bierdunst, dann muss ich passen. Der Sinn, wenn es denn einen gibt, will sich mir Minderbemitteltem einfach nicht erschließen.

Doch halt, einen Sinn hat es immer. Und sei es nur, dass die Autoren solcher Wortsalat-Sammlungen sich einen Scherz mit der sogenannten intellektuellen Oberschicht erlauben. Aber als Autor für diesen Scherz Geld ausgeben? An Verlage, die sich halb tot lachen und auf die Schenkel klopfen? Fragt sich, wer wen verarscht.

 

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