Sebastian Harreus

Reise in die Vergangenheit (Irland)

Es ist kurz nach zwölf Uhr als die 737-500er Serie hart aber herzlich auf der Landebahn aufsetzt, deutsche Birkenstockspiritualreisende die gekommen sind um in Steinkreisen zu tanzen und standing stones zu befühlen holen mich durch ihr Klatschen aus meinen Träumen.

Gedanken an eine peinliche Situation auf Garnish Island vor einem Jahr mit drei schwäbischen Herren in Rautensocken und Sandalen, beigen Hemden, lindgrünen Shorts und gekrönt mit Zitronengelben Batschkäppchen sind schlagartig wieder sehr präsent:
„Däs isch abr handwerklisch ned guat gmacht, bei uns in Augschburg wär’s bessa…“.
Die drei stehen wild gestikulierend vor einem Holzabfalleimer und kritisieren dessen handwerkliche Ausführung.
Ein erneuter Blick herüber zu den Keltenfreaks die bereits die spirituellsten Sehenswürdigkeiten per Rosenquarzpendel über der Ordnance Survey Map ermitteln bestärkt mich endgültig im Entschluss das deutsche Idiom an der Flugzeugtür abzulegen.
Ich raffe eiligst meine drei Sachen zusammen und verlasse den Flieger.
Ich laufe die hundert Meter herüber zum Terminal, der Wind zerzaust mein Haar, über Dublin scheint die Sonne, auf dem Vorfeld spielt eine einzelne kleine Regenwolke mit einem Tankwagen Katz’ und Maus, ich beruhige mich wieder.

Eine Stunde Aufenthalt bevor es weitergeht nach Cork.
Der Tradition folgend gehe ich entspannt am Pub des International Terminals vorbei wo die Touristen in Massen stehen und man auf sein Bier 10 Minuten warten muss und schlendere hinüber in die Domestic Sektion des Airports wo versteckt unter einer Treppe die kleine bistroartige Bar darauf wartet meinen Durst zu löschen.
Die Trinität des irischen Stouts,bestehend aus dem würzigen Guinness aus der Hauptstadt, dem in seiner Konsistenz an Motoröl erinnernden Murphy’s, sowie dem caféaromatisch cremigen Beamish ist nicht erhältlich. Ich fahre Motorrad, es versteht sich daher wohl von selbst welches Elixier dieser Dreifaltigkeit mein Favorit ist. Aber wir sind nunmal in der Hauptstadt, also wird es die weltweit geschätzte Hauptstadtplörre von Arthur Guinness. Wie sagte mein Nachbar Dermot Murphy in Trawlebane immer so schön: „Guinness Irish stout, skull it down and piss it out!“, gefolgt von der generellen Feststellung, dass Smithwick’s (In D-land zumeist als Kilkenny’s bekannt) ganz trivial gesagt nichts weiter sei als „glorified piss“, und man bitte doch beim Bier den Familiennamen ehren solle!
Ich beschließe den negativen Effekt auf mein von West Cork geprägtes Verdauungssystem später durch starkes verdünnen mit Murphy’s abzumildern.

Eine erste gelassene Zufriedenheit stellt sich ein.

Auf dem Weg zu meinem Anschlussflug gehe ich schnell noch am Aufenthaltsraum der Aer Lingus Besatzungen sowie des Flughafenpersonals vorbei wo ich schon vor zwanzig Jahren als Unaccompanied Minor von Clíodhna Mulcahy betreut wurde. Sie arbeitet immer noch hier, ist älter geworden, hat aber wenig von Ihrer rauhen Schönheit sowie Ihrem derben Humor verloren. Wir halten ein Schwätzchen und albern herum, dann muss ich mich auch schon beeilen meinen Flug nicht zu verpassen.
Die 45 Minuten nach Cork vergehen buchstäblich wie im Flug.
In der Ankunftshalle in Cork brennt ein Torffeuer, ich fühle mich zuhause.

Ich nehme den Bus ins Stadtzentrum steige am Parnell Place aus und stelle fest, der West Cork Bus fährt erst in drei Stunden.
Entgegen meiner guten Vorsätze vor einer zweiundhalbstündigen Busfahrt ohne Toilette an Bord nicht zu trinken gehe ich über die Strasse, betrete Mulligan’s Bar, ordere ein Toasted Special mit Coleslaw und Side Salad und vertreibe mit 4 Pints Murphy’s die letzten Überreste des unsäglichen Guinness aus meinem System.
Knapp drei Stunden später verlasse ich nach einem weiteren Pint und mit den allerneusten Ergebnissen und Gerüchten rund um die GAA die Bar und eile zum Bus.
Kurz vor Bandon droht meine Blase zu versagen, ich überzeuge den Busfahrer zu einem fünfminütigen Stop vor dem Plunkett Inn und mit mir stürzen sogleich vier weitere Businsassen in die Bar um sich zu erleichtern. Zwischen Toilette und Bus schädeln wir zu viert noch schnell einen Schooner an der Bar und hechten zurück in den Bus.
Nachdem wir in Bandon die letzte und einzige Verkehrsampel West Corks hinter uns gelassen haben steigt mir kurz vor Ballineen bereits der wohlbekannte „Duft“ der örtlichen Käsefabrik in die Nüstern und die ersten Fuchsienhecken, typische Botschafter dieses Landstriches, grüßen mich freudig wiegend im Wind.
Dunmanway hinter uns lassend durchfahren wir Drimoleague und nach ziemlich exakt zweiundhalbstunden erreichen wir den Square in Bantry und halten vor Barry Murphy’s Bar und dem kleinen Tante Emma Lädchen das seine Daseinsberechtigung einzig und allein aus dem Süßigkeitenkonsum der örtlichen Schülerschaft begründet, die hier auf die Busse Richtung Durrus, Sheep’s Head und Glandart verteilt werden.
Mir wird schlagartig klar, dass auch ich damals in diesem Laden ein gefühltes Vermögen in Maltesers und Skittles investiert habe.

Unter finanziell bedingten Magenschmerzen erlaube ich meinem Mobiltelephon sich bei Meteor einzuroamen und rufe meine Schulfreundin Carla an.
Wieder erwarten ist sie zuhause in Maulikeeve, ihre Eltern sind verreist und sie muss die Schafe versorgen.
Sie verspricht mir ihren Bruder zu schicken der mich oben am Funeral Home bei meiner alten Schule abholen soll.
Ich mache mich auf den Weg, jedoch nicht ohne Vickery’s Inn einen kleinen Besuch abzustatten, hier verbrachten wir gemeinhin unsere mittägliche Schulpause bei selbstgemachten Fritten und hausgemachter Mayonaise, an besonders rebellischen Tagen versteckten wir unsere Schuluniformen auf dem Hof und tranken dort in zivil ein Mittagspint.
Ich stoße die schwere Doppelflügeltür auf, keinerlei Veränderung ist auszumachen, die Möbel aus dunklem Holz mit rotem Plüsch und Leder bezogen stehen unangetastet, an ihrem Platz am Fenster sitzt die alte Dame die jeden Tag gegen Mittag kommt und bis spät in die Nacht Gin und Whiskey trinkt und dabei die Gäste mit dem zungenfertigen herausschnalzenlassens ihres Gebisses unterhält.
Máiréad erkennt mich schon als ich noch leise die Tür schließe und zapft ganz selbstverständlich ein Pint Murphy’s als wäre ich nie weg gewesen.
Wieder einer dieser magischen Momente als würde die Zeit an diesem Ort einen kleinen Umweg nehmen und nur alle zehn bis zwanzig Jahre Veränderungen bringen.

Als ich den Laden verlasse wird mir jedoch klar, dass auch hier die Zeit voranschreitet.
Die Häuser oben in Bishop ziehen sich immer weiter den Hang hinauf, dank „Scrappage Scheme“, „Celtic Tiger“ und inzwischen eingeführtem TÜV sind die alten „Banger“ von den Strassen verschwunden und Autos neuster Baureihen verstopfen die schmalen Straßen Bantrys, aber das alte Gefühl der unaufgeregten Geborgenheit bleibt.

In Maulikeeve schließe ich Carla in die Arme, wir verdrücken beide die kleinen Tränen und während ich das Torffeuer schüre holt sie ein vorsichtig gesagt ziemlich salz- und gewürzarmes Stew aus der Röhre, es ist in diesem Moment das beste Mahl das ich je kosten durfte, und still und leise wünsche ich mir, dass die Zeit diesen Ort auch weiterhin großräumig umfährt, mir diesen Zufluchtsort nicht so bald entreißt.
Nach dem Essen, noch vor dem Whiskey rufe ich Sam an: „Heya Sam bhoy, wax up the auld boards, will ya, and t’morra first thing in the mornin’ we’ll head out to Ballyheigue and check the surf at Banna Strand!“, and hell yes, we did!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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