Siegmund Natschke

Wohnung mit Internetanschluß

 Die neue Wohnung war sehr schön. Spartanisch eingerichtet - aber schön. Ein Kühlschrank war da, ein Fernseher und das Wichtigste: ein Internetanschluß.

 Jeden Tag verbrachte er eine zweistellige Stundenzahl in online-Foren, las sich die Schicksale anderer Leute durch. Manchmal schrieb er einen Kommentar. Manchmal ? In letzter Zeit schrieb er zu jedem Problemchen seinen Ratschlag. Oder auch nur eine flapsige Bemerkung. Versehen mit einem Smiley. Oder am besten mehreren. Er kannte inzwischen ein halbes Dutzend Smiley-Seiten und es musste immer ausgefallener sein.
 Er hatte sich einen Nickname zugelegt. Einen Spitznamen  fürs Forum also. Hier war er jetzt als “Krümelmonster” bekannt. Ja, echt.
 Morgens nach dem Aufstehen war sein erster Gang der zum Computer. Den ganzen Tag begleiteten ihn seine online-Freunde und -Bekannten. Es war schon witzig, wie man die einzelnen anderen Nicknames im Laufe des Tages kommen und gehen sah. Nachts ging es bis 2, 3 Uhr. Man durfte nicht zu früh aufhören, denn dann konnte man eine Menge verpassen.
Um die einzelnen Themen ging es nicht. Er musste nur präsent sein. Und wenn es nur durch einen lockeren Spruch war. Seine Beitragszahlen schnellten in die Höhe.
Er brauchte gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Er konnte sich eine Pizza kommen lassen. Wenn er was für die Uni tun wollte, konnte er das im Internet. Philosophieren, Probleme besprechen, Politik diskutieren - alles online.
 
Er hatte seine “Clique” im Forum. Mit denen schrieb er sich immer öfter “PNs” - private Nachrichten. Sie hatten einen eigenen Thread , in dem sie sich morgens “Guten Morgen” sagten und nachts “Gute Nacht”. Dazwischen : Reden über Gott und die Welt. Oder herfallen über andere Threads wie die Heuschrecken. Es gab auch so was wie “Krieg” zwischen verschiedenen Clans im Forum. Gegenseitige Beschimpfungen, das Absprechen von Moral oder einfach nur dumme Witze - das war normal. Mitmachen war angesagt. Wer aus der Reihe scherte, der lief Gefahr, aus seinem Clan zu fliegen. Was einer Katastrophe gleichkam.
 
 Er schaute auf die Datumsanzeige rechts unten. Es war schon Sommer ! Was hatte er das letzte halbe Jahr gemacht ? Es hatte einige spannende Themen im Forum gegeben. Einige neue Leute, die jetzt zum festen Stamm dazugehörten. Seine Beitragszahlen waren jetzt vierstellig. Und er hatte sich aus Spaß einen zweiten Nickname zugelegt.
 Seine Vermieter, ein älteres Ehepaar, hatten gestern geklingelt. Sie hätten mit seinen Eltern gesprochen. Sie würden sich jetzt Sorgen machen. Alle - also praktisch ein kollektives Sorgenmachen.
 Hm. Er hatte davon im Forum erzählt. Sie hatten gefragt, wo er solange bleibe. Die Vermieter hatten ihm eine Stunde gekostet ! Er hatte 40 Beiträge verpasst ! Es ging Ruckzuck, wenn man nicht kontinuierlich am Ball blieb, war man abgehängt.
Nach einigen Threads und einem Nickname weiter fing es an  zu schneien. Die “Clan-Mitglieder” hatten ihm frohe Weihnachten gewünscht. Man postete sich virtuelle Weihnachtsmänner oder Geschenkepakete. Bald war Silvester. Ein neues Jahr.
“Frohes Neues Jahr” schrieb er und plötzlich war alles dunkel. Stromausfall - er fluchte innerlich.
 
Er legte sich angezogen  ins Bett. Er hörte von Ferne die Silvesterböller und die Raketen, die abgefeuert wurden.
 
Was sollte er jetzt machen ? Wieviel er verpassen würde !
 
 Es klingelte an der Tür. Er stand auf und öffnete. Seine Vermieter ! Und mit ihnen waren die anderen Hausbewohner gekommen, die er jetzt erst zum ersten Mal sah.  “Frohes Neues Jahr” riefen sie durcheinander. Und er sah in so freundliche Gesichter, dass es ihn fast umhaute. “Komm´ doch mit, wir feiern vorm Haus !”  Er spürte, wie das Leben zu ihm zurückkehrte. Wieviel hatte er doch verpasst !

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.01.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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