Tanja Wittig

Wenn es regnete

Wenn es regnete


‚Die Welt war so klar, so rein, wenn sie gewaschen wird von Gottes Tränen. Dann umspült uns ein Hauch Frieden, etwas Unbekanntes liegt in der Luft. Denn wenn es regnete, dann veränderte sich etwas.’

Unsichtbar und durchscheinend, wie Kristall. So war das Wasser, welches die Glasscheibe herunter tropfte, Bahnen voller Nässe zog und einfach nicht zum Stillstand kam. Jeder Laut war plötzlich unheimlich hell, scheinbar von einem Engel gesungen und so lieblich klingend und freudig erregt. Fast glaubte ich, es würde tatsächlich einer auf meiner Schulter sitzen und mir leicht ins Ohr flüstern. Wie der Regen, der auf die Erde nieder prasselte. So leise, dass ich jeden Ton um mich herum noch hören konnte, jeden Einzelnen.

‚Schmerz...’

Zart und seicht... Die großen, schweren Tropfen schlugen sanft auf den Asphalt, trommelten sacht und gleichmäßig immer schöner werdende Töne. Ja, wahrlich wunderschön, einzigartig schön.
Ich starrte mit einem benebelten Lächeln hinaus, wusste, das ich sicherlich etwas benommen wirkte. Der Regen entführte mich, riss mich mit sich in eine Zwischenwelt... Dem Traum so nahe, der Realität so fern. Gefangen genommen von all dieser Schönheit, die sich vor mir offenbarte. Eine dunkle, glitzernde Sillouette stand dort und blinzelnd sah ich zu ihr. Groß, scheinbar dunkelhaarig.... Meine Finger wanderten zu der erkalteten Scheibe, strichen kurz darüber. Schlieren entstanden, doch es störte mich nicht. Ich setzte meinen Weg unbeirrt fort, wusste selbst nicht, weshalb ich es tat.
Glas trennte uns. Kaltes Glas, welches so leblos war, wie er... Seine Bekleidung war bereits durchweicht vom vielen Regen, sein Shirt klebte an seiner Haut. Wasser tropfte unnachgiebig von seinen Fingerspitzen herab. Ich öffnete beeindruckt den Mund, starrte ihn einfach nur an... Durchbohrte ihn mit meinen Blicken.

‚Komm in meine Arme! Lass dich wärmen! Ich möchte nicht, dass du frierst. Ich kann diesen Anblick nicht ertragen, weiß nicht, ob dies Tränen oder einfaches Regenwasser in deinem Gesicht ist...’

Langsam löste ich mich aus meiner bestehenden Starre, wandte den Blick von ihm ab. Meine Beine trugen mich rasch aus den Raum heraus, Richtung Flur. Ich war wie im Delirium, konnte kaum klar denken. Vor meinem geistigem Auge war nur er... Er und der Regen, in dem er stand. So allein... und das nur wegen mir... Ich musste zu ihm! Er durfte nicht allein sein, nicht im Regen. Niemand durfte das... Nein, nicht so lange er mich noch hatte...

‚Aber vielleicht nicht mehr wollte?’


Ich wollte ihn in meine Arme ziehen, wollte für ihn da sein. Auch wenn es regnete... Meine Hand riss die Tür auf und eilig, fast schwebend, stürmte ich hinaus.
Sofort verschwamm meine Sicht, der Regen verschleierte meine Augen. Wie, wenn man durch ein schmutziges Glas blickte. Es erschien unwirklich, fast träumerisch gemalt von einem verliebten Künstler. Der Hang zur Dramatik... Er lag offen, war fast beängstigend groß. Augenblicklich begann ich zu frieren, mein Körper zitterte in gleichmäßig beständig bleibenden Abständen. Die Kälte hielt Einkehr... Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper, spürte das eisige Nass an meinen Schläfen herab laufen. Mein Haar war durchweicht, lag schwer auf meinem Kopf.
Mit überlegten Schritten ging ich auf ihn zu. Jeder Meter, der die Entfernung von mir zu ihm verringerte, erhöhte auch meine extreme Angst. Würde er mich von sich stoßen? Würde er mich anschreien, mich verletzen, da ich ihm jetzt erst zu Hilfe kam?

‚Es regnet noch immer. Eisig kalte Tropfen fallen auf dich und mich...’  

Vor ihm blieb ich stehen. Unglaublich eisige Kälte durchzog unsere Distanz, entfernte ihn noch etwas mehr von mir. Mein Atem ging immer schneller, fast stolpernd. Ich wollte so viel sagen, so viel tun, richtig machen, was ich falsch getan hatte... Doch ich konnte nicht.
Seine Augen fanden ihren Weg, musterten mich ausdruckslos und lautlos glitten mir salzige Tränen die Wangen herab.

‚Es tut mir so Leid, dir solchen Schmerz beschert zu haben! All dieses Leid, das du durch mich erleben musstest... Es war meine Schuld und es tut mir so Leid. So unsagbar Leid...’

Meine Lippen konnten meine Gedanken nicht in Worte formen. Ich war innerlich nicht fähig dazu, erstarrte zu einer Art Salzsäule und konnte mich nicht bewegen. Wut auf mich selbst machte sich in mir breit. Ich hob den Kopf...
Und plötzlich, als ich die wässrigen Augen von ihm erblickte, hielt ich inne. Ich wusste nun, was zu tun war... Rasch die letzten paar, uns voneinander trennenden Meter nehmend, ging ich auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme. Ich presste seinen zitternden Körper an mich, so fest es nur irgend möglich war. Nichts weiter geschah, nur existierte plötzlich diese unglaubliche Nähe.
Doch er... er erwiderte meine Umarmung nicht... Sein Körper war eisig kalt, er bebte förmlich.

‚Noch immer dieser Regen...’


Wir waren durchnässt bis auf die Haut. Tränen vermischten sich mit Gottes Wasser... „Ich liebe dich.“ Erleichterung und Angst durchflossen mich gleichstark, praktisch einen Kampf ausübend. Er hasste mich... tief im Inneren wusste ich es. Wie hätte es auch anders sein können? Wie nur? Ich hatte ihn verletzt, nur ich... Weinend vergrub ich mein tränenverschmiertes Gesicht in seinem nassem Shirt.
„Es tut mir Leid! Es tut mir so Leid, ich liebe dich!“ Ich war kurz davor, verrückt zu werden und drohte zusammen zu brechen. Meine Knie wurden weich, ich verlor vor Verzweiflung fast all meine Sinne. Ich war gefangen in dieser aussichtslosen Situation. Und ich war selbst daran Schuld.
Ich hatte ihn verloren... Ich war allein. Er liebte mich nicht mehr.

‚Aber ich liebe dich doch...’


Schon sank ich in mich zusammen und schien auf dem Boden zu landen. Nichts hielt mich mehr bei ihm, rein gar nichts. Er hasste mich! Er hasste mich... Seine Augen sagten alles, sprühten mir förmlich alle Verachtung entgegen, die es gab. Und die Tränen liefen wie der Regen über mein Gesicht.
Da umfassten mich plötzlich zwei starke Arme und im ersten Moment war ich verwirrt. Er hielt mich... Seine Arme halfen mir auf. Ich sah in sein wunderschönes, engelsgleiches Gesicht. Mit einem Male hielt die Zeit an.

‚Alles war so anders, wenn es regnete...’


Und nun wusste ich, das alles gut werden würde. Einfach alles. Denn es hatte geregnet und nun war wieder neues Leben da... neue, entfachte Liebe.
„Ich liebe dich!“

~*Ende*~

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.02.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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