Josef G. Broßmann

Das Nussen

An einem bewölkten Mittag des Jahres 1964 war Josef wieder in den Schulbus gestiegen, der ihn nach Hause brachte. Als Zweitklässler der Mittelschule durfte er nur in der Fahrzeugmitte sitzen. Hinter ihm ließ sich Heiner nieder, ein Mitschülter, der viel stärker und größer war als er.
 
Josef hatte einen Fensterplatz, doch konnte er sich darüber kaum freuen. Der Bus war gerade losgefahren, da begann Heiner über die hohe Sitzlehne hinweg oder seitwärts daran vorbei Josefs Kopf mit Nüssen zu behandeln. Dies sind Faustschläge, bei denen die Knöchel des Mittelfingers oder am Handballens hinter die Fontanelle eines Kopfes schlagen. Stoisch hielt der Getroffene die ersten Hiebe aus. Mehrmals bat der Bub Heiner, doch bitte damit aufzuhören und vernahm nur, wie der ihn auslachte. Da beschwerte er sich bei der Aufsichtsperson im Bus.
 
"Hör' auf damit, Heiner" meinte die Frau nur abwesend. Sie sah nicht einmal hin. Dabei kam sie öfter an den Beiden vorbei, guckte wohl auch auf ihre Seite ohne etwas zu erkennen. Dabei wurde der Schlagtakt der Nüsse noch heftiger. Josef schrie Heiner in seiner Verzweiflung an. Sofort war die Frau da. Ohne lange zu fragen schlug sie Josef ins Gesicht. Dabei schäumte sie etwas von "unverschämten Bengel" und "übles Früchtchen". Dann wandte sie sich im Bus nach vorn. Das Nussen ging weiter.
 
Fieberhaft überlegte Josef nun, wie er seinem Peiniger entkommen könne. Die Nüsse waren jetzt seltener, aber umso härter geworden. Vorneigen half nichts, da es nicht weit genug sein konnte. Da kam Josef ein Gedanke. Er hörte, wenn sich der Angreiferarm nach vorne schob. Im gleichen Augenblick wich er etwas zur Seite, erfaßte ihn und bis kräftig in die Handseite. Gequält schrie Heiner auf.
 
Die Aufsichtsdame war gerade beim Fahrer, doch ebenso rasch wie vorher wieder als Richterin aus eigenen Gnaden zur Stelle. "Bitte!" forderte sie Josef auf, "schauen Sie her! Heiner schlägt mich weiter!" Der Bub zeigte der Frau die wunde, wohl auch nasse Stelle auf seinem Kopf und die Knöchel an Heiners rechter Hand. Der verzog so schmerzhaft sein Gesicht, dass seine Mimik wunderbar die des unschuldig Gequälten darstellte. Die Aufsichtsperson beachtete nicht, wie Josef an Hand und Arm gekommen war. Ihr waren die gezeigten Beweise gleichgültig.
 
"Du bist doch ein ganz unverschämtes, nichtswürdiges Subjekt!" geiferte sie auf Josef ein. "Jetzt hast Du diesem armen Kind auch noch ganz herzlos und brutal wehgetan!" Zu Heiners großen Schmerz entriss sie Josef das Gehaltene, das von selber nach hinten wich. Diesmal potenzierte sich die Strafe. Drei fürchterliche Handflächenschläge platzierten sich in Josefs Gesicht. Schlimmer war es, Heiners hämisches Grinsen zu hören.
 
Inzwischen wurde es für Heiner Zeit zum Aussteigen. Die Nüsse blieben aus. Stumm wartete danach auch Josef, bis die Reihe an ihm war. Draußen noch dröhnte ihm sein Kopf.
 
Jeden Morgen nun, wenn die Aufsichtsfrau die Fahrkarten kontrollierte, sah sie Josef feindselig an. Meist hatte sie auch einen bösen Satz für ihn bereit.

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