Jessica Bel

Die Zeugin (Kapitel 3)

Gegen kurz vor elf am nächsten Tag erreichte Nick den Sportplatz an dem er mit Anna verabredet war. Sie schien noch nicht da zu sein, er setzte sich also auf eine Bank und zündete sich eine Zigarette an. Immer wieder sah er sich nervös um, wenn ihn jemand von seinen Leuten zusammen mit Anna sehen würde, könnten beide ihr Testament machen. Die Platzwunde über seinem rechten Auge, die er notdürftig mit einem Pflaster versorgt hatte, tat immer noch höllisch weh. Nachdem er aufgeraucht hatte, zog sein Handy aus seiner Hosentasche, es war fünf nach elf immer noch keine Spur von Anna. Er wurde immer ungeduldiger, dass Frauen aber auch nie pünktlich sein konnten. Als er schließlich aufstand um sich nochmals umzusehen tauchte sie schließlich auf. Sie schien ziemlich außer Atem zu sein. „Sorry aber ich hab die U-Bahn verpasst und da ich ja leider nicht über telepatische Fähigkeiten verfüge, könnte ich dir das leider nicht mitteilen.“ „Schon okay.“ Anna sah ihn einen Moment an ohne etwas zu sagen, die Sache schien ziemlich fertig zu machen, so sah es zumindest für sie aus. „Warst du beim Arzt?“ Sie deute auf seine Kopfverletzung. „Wozu? Is alles halb so schlimm, tut nur ein bisschen weh, aber wird schon wieder.“ „Na wenn du meinst.“ Er war ein ziemlicher Sturkopf das stand fest und ihr war klar das sie ihn sowieso nicht davon überzeugen konnte sich mal von einem Arzt durchchecken zu lassen, also versuchte sie es erst gar nicht. „Und hast du dir überlegt wie jetzt weiter gehen soll?“ Sie zog einen Stück Papier aus ihrer Hosentasche, einen Zeitungsartikel. Sie faltete die Seite auseinander und reichte sie Nick. Es war die Titelseite der Tageszeitung dort stand in großes, fetten Buchstaben: „Tot am Güterbahnhof, Jugendlicher durch Schusswaffe getötet“ Nick überflog den Artikel am Ende bat die Polizei darum das sich mögliche Zeugen unbedingt sofort melden sollten. „Scheiße.“ „Das kannst du wohl laut sagen.“ Er lies sich wieder auf der Bank nieder, stütze die Arme auf seine Knie und hielt sich mit den Händen das Gesicht. Anna setzte sich neben ihn und wartete auf eine Reaktion, als dann lange nichts als Schweigen kam, meldete sie sich zu Wort. „Erzählst du mir warum das alles passiert ist?“ Er setzte sich wieder gerade hin und zündete sich eine Zigarette an. Nachdem er einen tiefen Zug genommen hatte kam schließlich die Antwort. „Wenn ich dir das jetzt erzähle, dann steckst du genauso tief in der ganzen Sache drin wie ich.“ „Tu ich das nicht ohnehin schon? Nick ich hab den Mord gesehen und die ganze Nacht nicht geschlafen weil ich immer wieder darüber nachgedacht habe, warum der Typ wohl sterben musste. Also sag mir jetzt bitte was Sache ist.“ Ihre Stimme klang bestimmend und Nick war klar, dass es keinen Sinn hatte ihr mit irgendwelchen Ausreden zu kommen. „Ja okay. Aber du schwörst mir, dass es unser Geheimnis bleibt?“ „Natürlich, versprochen.“ „Pass auf, die Kerle mit denen ich gestern Abend dort war, arbeiten für nen Drogenboss, einen ziemlich brutalen um ehrlich zu sein, genau wie auch.“ Anna sah ihn fassungslos und verwirrt an. „Du bist ein Junkie?“ „Nein man spinnst du lass mich doch erstmal ausreden. Also dieses Drogenboss bekommt regelmäßig Lieferungen von allen möglichen Drogen Koks, Heroin, Speed usw. das Zeug kommt aus Kolumbien und sonst wo her. Na ja auf jeden Fall müssen wir dann zusehen das, die Drogen aus dem Hafen direkt zu seinen ganzen Dealern kommen und dafür abkassieren. Wenn’s gut läuft gibt’s manchmal 500 € am Tag und wenn’s mies läuft schickt er dir seine Schläger auf den Hals.“ Anna sah ihn vollkommen schockiert an. „Warum machst du so was Nick? Nimmst du auch so’n Scheiß?“ Er sah die Enttäuschung in ihren Augen. „Hey ich schwöre dir, dass ich das Zeug nicht anpacke.“ „Warum dann?“ „Ich bin vor 2 Monaten von zu Hause abgehauen, weil ich tierischen Stress hatte, ich wohn bei nem Kumpel und brauch halt Geld, um mir endlich was eigenes zu Suchen. Einer der Typen die da mitmachen geht in meine Klasse und meinte, dass man dort jede Menge Kohle bekommt. Ich dachte mir dann ich mach das dann für ein paar Wochen bis ich genug Geld hab und dann steig ich wieder aus, aber so einfach ist das nicht.“ „Und was war dann gestern  Abend los?“ „Phillip, also der Typ den sie kalt gemacht haben, war erst seit kurzem dabei und natürlich sofort gecheckt was da für miese Geschäfte ablaufen. Das war ihm alles viel zu riskant, und er wollte wieder aussteigen. Der Oberboss meinte also wir sollten ihm ein bisschen Angst machen und dazu bringen dabei zu bleiben. Phillip hat dann angefangen Richie, den Typen mit der Waffe zu provozieren, er meinte er will zu den Bullen gehen und uns alle in den Knast bringen. Na ja und dann is Richie völlig ausgeflippt und hat auf ihn geschossen.“ „Und jetzt was willst du machen? So tun als wenn das alles nicht passiert wäre?“ Er stand auf und kehrte ihr den Rücken. „Nein verdammt, ich weiß nicht was ich machen soll, wenn ich zu den Bullen gehe machen die mich auch kalt, die kennen da nichts.“ Anna stand auf, ging zu ihm und nahm ihn in den Arm. Es dauerte einen Augenblick doch dann erwiderte Nick die Umarmung. Obwohl sie ihn eigentlich kaum kannte, hatte sie plötzlich ziemliche Angst um ihn. Sie standen eine Weile einfach nur so da, Anna fühlte sich in Nicks Gegenwart etwas sicherer, aber sie wusste das sie wenn die Typen erfahren würden, was sie gesehen hatte, in ziemlicher Gefahr war, denn anscheinend kannte diese Leute wirkliche keine Skrupel. Sie löste sich aus der Umarmung und sah Nick mit ernstem Blick an. „Ich hab Angst.“ „Die werden dir nichts tun, sie wissen ja nicht was du gesehen hast.“ „Und was ist mit dir?“ „Tja wir werden sehen.“ Er sah erneut auf die Uhr, mittlerweile war es kurz vor zwölf. Er musste sich mal wieder bei den Jungs sehen lassen. „Ich muss los, sonst denken die noch ich bin bei den Bullen gewesen.“ „Pass auf dich auf.“ „Mach ich versprochen.“ Er wollte sich schon zum gehen umdrehen als Anna noch einen Moment zurück hielt. „Nick?“ Er schaute sie an und sah an ihrem Blick das ziemlich besorgt war. „Kann ich dir anrufen, wenn was ist?“ „Na klar.“ Sie kramte ihr Handy aus ihrer Tasche, und Nick kam einige Schritte auf sie zu. Er speicherte seine Nummer am und lies sich anschließend ihre geben. Dann verabschiedete er sich endgültig und ging. Anna sah ihm noch eine Weile nach bevor sie sich selbst auf den Weg machte. Sie hoffte sehr, dass sie ihn nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
 

 

Die Jungeclique um Mike, Steve, Alex und Richie saß während dessen in ihrem so genannten Hauptquartier, einer alten, runtergekommenen Lagerhalle am Hafen. Seit vielen Jahren stand sie leer und wurde nun von denn Jungs als Treffpunkt genutzt. Das Gebäude war bereits ziemlich eingefallen, sodass ein Außenstehender nie auf die Idee gekommen wäre, dass hier jemand aufhielt. Obwohl es erst Mittag war, machte bereits eine Flasche Wodka die Runde. Plötzlich wurde mit einem lauten Knall die Tür aufgestoßen und ein riesiger Typ mit Türsteher Statur und Lederjacke betrat den Raum. Er war wirklich ein ziemliches Muskelpaket, jemandem wie ihm sollte man lieber nicht allein im Dunkeln begegnen. Auf der rechten Wange hatte er eine ziemlich große Narbe die höchstwahrscheinlich von einem Messer stammte. Die Jungs unterbrachen ihre Zeremonie und sahen ihn alle voller Ehrfurcht mit großen Augen an. Er warf einen Blick auf Richie und verzog sein Gesicht zu einem hinterhältigen Grinsen. „Richie ich denke wir zwei haben etwas Wichtiges zu bereden. Unter vier Augen.“ Er drehte sich um und verließ den Raum, seine Schuhe polterten laut über den Holzfußboden. Richie nahm noch einen letzten großen Schluck aus der Wodkaflasche und folgte ihm dann. Der Typ, der für alle nur Lupo hieß, war im richtigen Leben als Ludger Müller bekannt, er hatte sich in einen der Nebenräume verzogen und wartete dort auf seinen Gesprächspartner. Er hatte sich einem alten Sessel niedergelassen und die Beine übereinander geschlagen, als Richie eintrat. „Schließ bitte die Tür.“ sagte er bestimmend. Richie tat wie ihm befohlen und trat ein paar Schritte näher. „Was gibt’s denn?“ Lupo erhob sich, an seinem Handgelenk rasselten Goldarmbäder, er ging vor einem der dreckigen Fenster auf und ab, das klackern seiner Schuhe machte Richie mächtig nervös. „Ich dachte du würdest mir erklären was los ist.“ sagte er in spöttischem Ton. Er zog eine Zeitung aus seiner Jackeninnentasche und warf sie auf einen kleinen, klapprigen Holztisch der neben dem Sessel stand. „Sie dir das an.“ Richie ging langsam und unsicher auf den Tisch zu, er konnte schon aus etwas Entfernung die Titelseite der Tageszeitung erkennen. Lupo ging zu ihm, packte ihn mit festem Griff im Nacken und schlug ihn mit dem Gesicht auf den Tisch, der daraufhin auseinander brach. Richie merkte wie sich blut in seinem Mund und seiner Nase sammelte und schließlich durch sein Gesicht lief. „Kannst du mir diesen Scheiß vielleicht mal erklären du Vollidiot. Und jetzt komm mir bloß nicht mit irgendeiner dummen Ausrede.“ Sein Tonfall war böse und von Hass erfüllt, man konnte regelrecht sehen, wie die Wut immer mehr in ihm aufstieg. „Also ich … na ja…“ stammelte Richie hervor. Lupo hob die Zeitung aus und las vor: „Tot am Güterbahnhof, Jugendlicher durch Schusswaffe getötet, der 17-jährige Phillip S. und so weiter, und so weiter…“ Richie kniete immer noch vor dem nun kaputten Tisch, Lupo zog ihn mit einem Ruck wieder auf die Beine und verpasste ihm einen heftigen schlag ins Gesicht. Er taumelte etwas zurück und hielt sich mit einer Hand die Wange, die vor Schmerz pochte. „Du solltest ihm Angst einjagen, ihn warnen aber ihn verdammt noch mal nicht umbringen.“ Er war außer sich vor Zorn, trat gegen den alten Sessel, der daraufhin ebenfalls scheppernd in alle Einzelteile zersprang. „Phillip hat mich provoziert, er hat gesagt er geht zu den Bullen.“ „Hör mal zu du kleiner Penner, wenn ich jeden der mich provoziert gleich umlegen würde, hätte diese Stadt nicht mehr viele Einwohner. Wo ist überhaupt Nick?“ Richie war sichtlich eingeschüchtert. „Na ja er hat sich eingemischt und wollte mir meinen Auftritt vermasseln, da hab ich ihm ein paar verpasst.“ Lupo’s Augen glühten geradezu vor Hass und Wut. Er ging auf Richie zu und verpasste im einen Tritt in den Bauch. Dieser krümmte sich vor Schmerz zusammen. „Jetzt pass mal gut auf, du elender Versager hast hier nichts zu melden was ich nicht angeordnet habe ist das klar? Nick gehört zu unseren besten Leuten und ihm wäre bestimmt nicht so ein beschissener Fehler passiert also pass in nächster bloß auf was du tust und wage es ja nicht Nick noch einmal anzufassen sonst vergesse ich mich vielleicht. Ist das in deinem kleinen Spatzenhirn angekommen?“ „Ja schon okay, ich hab’s kapiert.“ stammelte Richie. „Das hoffe ich für dich, reiß dich bloß zusammen.“ Lupo verließ den Raum und Richie bleib allein zurück. Dieser dachte einen Moment nach. So konnte er sich unmöglich vor seinen Leuten sehen lassen. Er stand langsam auf, sein Gesicht und sein Bauch schmerzten immer noch, dann ging er leise über den Flur um keinen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und verschwand.

 

 

Als Nick gegen halb eins bei seiner Clique am Hafen ankam, saßen die Jungs immer noch bei ihrer Flasche Wodka. „Ach sie an dich gibt’s auch noch.“ wurde er von Steve begrüßt. „Klar, aber es kann nicht jeder schon zum Frühstück ne Flasche Wodka platt machen.“ „Lupo war gerade hier, hat ziemlich Stress geschoben. Ich glaub Richie hat ein paar aufs Maul bekommen.“ „Tja ich denk da is er ja wohl auch selbst Schuld dran.“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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