Nicolle Eccarius

Logbuchfragmente

Wieviele Stunden hat eine Nacht, wenn der Tag ganze 24 zur freien Verfügung hat ?
Ich weiß es nicht, denn nächtliche Stunden werden anders gezählt. Rückwärst im Kreis von 25 bis 50 läuft der kleine Zeiger einer Wanduhr Amok im Licht des Mondes. Der große Zeiger einer Taschenuhr quält sich munter müde jede Minute einen halben Schritt zurück, um gleichzeitig in Sieben - Meilen - Stiefel neunund -
dreißig vorwärts zu stolpern. Die digitale Armbanduhr meines Bruders zählt stupide jede Sekunde Gegenwart,
die sogleich in Vergangenheit gewandelt meinem Hirn eine in Vergessenheit geratene Erinnerung beschert.
Die Nacht senkt ihre Schatten gerade ebend über das Land.
Am Horizont küßt der alte Tag den neuen schon zum Gruße.
Er liegt im Sterben und schenkt nun seine letzten Gedanken als Taufensegen seinem nächst jüngeren Bruder, welcher ungeduldig trampelnd ihm seinen Platz bereits streitig macht, um heller und ereignisreicher zu sein.
Ich bin in einem schwarzen Meer auf einer einsamen Insel aus blauen Licht gestrandet. Mein Schift sank vor zwei Gedanken durch silbrige Strahlen tödlich getroffen und treibt nun traumlos auf den Grunde eines Ozean
durch elektronische Impulse komukativ ernährt und verseucht.
Es war ein stolzes Schiff - aus goldenen Absichten gebaut. Der Architekt hieß Freundschaft. Als Pate gab die Liebe ihren Segen. Auch dem launischsten Gott sollte es trotzen können. Die Natur hielt den Atem an und schwieg ganze 4,3 Sekunden als jenes Meisterwerk der Technik seine Segel setze und Kurs auf ferne fremde Ufer nahm.
Doch schon der erste Sturm beschädigte die wertvolle Fracht, die ich im Eichenrumpf geladen hatten. Der zweite - ein Orkan der Windstärke 9 - brach den Mast und stahl mir meine weißen Seidensegel.
So trieb ich treibholzgleich in einem stolzen Schiff 6 tage lang und fraß meine Träume. Ich betrank mich an Hoffung und Glückseligkeit. Ganz blind. Ganz taub. Ganz stumm.
Ich verzehrt alles, was einem Menschen im Leben gegeben werden kann, denn schlimmer als dieser neb´lig sonnige Einsamkeit konnte es nicht kommen. Außerdem gaukelten mir Trugbilder nahende Ufer vor, die mir der augenlose Bootsmann im Krähennest bestätigte.
Doch noch bevor "Land in Sicht !" nur dachten, fegten ihn windige Elfen vom zerborstenen Mast und straften seine Zunge Lügen.
Ich stand fassungslos lachend daneben, denn ein Mann ohne Stimmbänder wurde für sinnloses Sprechen gefoltert.
Der dritte und letzte Sturm brach über die Wolken in tausend wütende Drachen, die Wasser spuckten bis meine Kehle nicht mehr schreien konnte. Wine heulten. Sonnen starben. Die Welt tat sich auf, um mein Kähnchen mit allem darauf zu verschlucken - nur mich spuckte sie wieder aus, denn mein mädchensanfter
Geschmack verursachte ihr faulende Übelkeit.
So sitz´ ich nun im blauen Licht meiner Insel und versuche herauszufinden, ob ich zum Leuchtturm berufen bin ?
Gleichzeitig suche ich die Trümmer meines stolzen Schiffs zusammen und sammle goldene Absichten, die als lästige Insekten mein müdes Haupt umschwirren. Sie schmecken bitter und nach Verzicht. Man kann nicht satt werden. Stribt Hungers im Garten Eden, denn alles hier ist reserviert bis auf die goldenen Absichten, die
jeden Körper, auf Dauer genossen, vergiften.
Die Puzzelteile bauen übrigens kein neues Schiff, denn es nicht die meinen, die der Welt den gierigen Magen füllten. Sie dienen nur für Häuser, Fernsehgeräte und Zivilisation; aber nicht zu historischen Entdeckungen.
Ich vergessen langsam, daß ich loszog, um in Troja mit Rotkäppchen im Schlafzimmer der Kleopatra den verbotenen Apfel zu verspeisen. Auch kann ich mich nicht mehr an Deine Einladung zum Bogen schießen im Elfenbeinturm erinnern.
Aber all das geschah, bevor ich in die salzig kalten Wellen tauchte. All das geschah nachdem ich jauchzend an die friedlich vom Sonnenuntergang beschienene Oberfläche eines süßen Sees stieß. All das geschah und doch ist nichts, so wie es scheint, gewesen.
Er liegt im Sterben. Fast schon ist er ganz atemseelenlos. Sein kleiner Bruder hüpft Jubelreigen tanzend auf seinem Sterbebett und zählt schon jetzt die ersten Sekunden seiner Erbschaft. Die Zeiger sind erneut auf unrealer kreisender Wanderschaft, um in 12 Tagesstunden 1 Minute beieinander zu liegen. Die Digitaluhr vollführt ihre Abzählübungen. Sie schaffen gemeinsam Vergangenheit, die ich verdrängend vergessen kann.
Ich werde morden.
Sieben Gedanken müssen heute Nacht noch sterben. Sie dürfen kein Ende im sinnvollen Schlußstrich finden.

So denn, mein Freund, träum´ süß von dem Versteck, in dem die Mächtig´en Toten tausend und ein Jahr lang ruhen.

Im Ernst, ich möchte wirklich wissen, wie sich Leuchttürme fühlen.
Sie stehen im Dunkeln. Ich sitze im Dunkeln. Sie senden Signale an unbekannte Seeleute. Ich sende Signale an (un)bekannte Internetjunkies. Sie sind allein. Ich bin allein.
Ich würde gern mal mit einigen um ein Feuerchen bei Knüppelkuchen, Tee und Klampferei sein, nur so, um zu verstehen, daß ich allein sonderbar bin.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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In meinen Gedichten, schreibe ich mir meine eigene Realität, meine Träume auch wenn sie oft surreal, meistens abstakt wirken. Schreiben bedingt auch meine Sprache, meine Denkmechanismen mein Gefühl für das Jetzt der Zeit.

Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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