Klaus Eylmann

Pizza & Cola

Rod Davis sah auf die Uhr und gab den Männern ein Zeichen, dann blickte er auf die Wohnungstür, auf die 2112. Seine Leute standen daneben, griffen zu den Helmen und klappten die Nachtsichtgeräte vors Auge, langten nach ihren Betäubungsgewehren. Sie wussten, gleich würden in dem fünfzigstöckigen Wohnhaus die Lichter ausgehen.
“Jetzt!” rief Davis und trat die Tür ein. Die Kegel der Helmleuchten erfassten eine Frau an der Wand gegenüber. Stöhnen. Das Licht streifte eine Couch. Es klackte, die Lichtkegel schwenkten zurück, als die Frau sich von der Wand löste und auf die Männer zuging. Plötzlich ging das Licht in der Wohnung wieder an, und sie hatten freie Sicht auf ein mit Pizzakartons und leeren Colaflaschen zugemülltes Zimmer.
“Bleiben Sie stehen!,” Davis legte an. Die Frau kam näher, es knackte, als die Pappe der Kartons unter ihren Füssen nachgab. Davis drückte ab. Die Frau ging weiter. Davis griff nach seiner Pistole und schoss. Das Stahlmantelgeschoss legte ihr Innerstes frei, aus dem stinkender Qualm hervordrang.
“Was sagt man denn dazu?” Angewidert blickte Davis auf den Roboter, der auf dem Boden lag, und ihn in seiner schrillen Aufmachung an einen weiblichen Replikanten des über hundert Jahre alten Kultfilmes ‘Bladerunner’ erinnerte. Das grellgeschminkte Gesicht, hellblaue Augen leblos gegen die Decke gerichtet, die wirr abstehenden roten Haare, der schlanke Körper im hellgrauen Overall liessen kein Mitgefühl aufkommen. Seine Glieder zuckten, es glimmte und knisterte in dem Gewirr von Drähten, das aus der Einschussöffnung hervorquoll.
Drähte. Davis schüttelte den Kopf.
“Sie wollte sich gerade an der Steckdose aufladen. Dieses Uraltmodell hat den Saft aus dem ganzen Mietshaus abgezogen.
Miller,” wandte sich Davis an einen seiner Männer. “Schaffen Sie den Roboter ins Kybernetische Institut. Sie sollen seine Speicher durchsuchen.”
Erneut vernahmen sie Stöhnen und sahen zur Couch. Jetzt fiel ihnen der alte Mann auf. Er versuchte sich aufzurichten und sank ächzend auf die Liege zurück.
“Ruft nen Krankenwagen!” rief Davis und sah, wie der Mann die Lippen bewegte.
Er beugte sich zu ihm hinab.
“Marisa, wo ist Marisa?”

Davis wartete, bis der Arzt der Notaufnahme aus dem Untersuchungsraum kam.
“Übel dran, der Mann. Mehrere gebrochene Rippen, Pneumothorax und Alzheimer. Der Arme ist schwachsinnig.”
Der Arzt blickte bekümmert. “Ich werde es melden müssen. Der Mann wurde uns nicht rechtzeitig zur Therapie übergeben. Hier wurde ein Verbrechen an der Gesellschaft begangen. Wir hätten ihm helfen können. Jetzt hat das Tau-Gen die Mikrotubuli seiner Gehirnzellen beschädigt.”
Er blieb einen Augenblick stehen und blickte Davis fragend an.
“Sie wissen, unser Gehirn arbeitet wie ein Quantencomputer. Mikrotubuli sind
am Aufbau des Zellskeletts beteiligt. Darüber hinaus verhalten sie sich wie quantenelektrodynamische Hohlräume. Sie gelten aus aussichtsreiche….”
“Nun ist es gut, Doktor,” unterbrach ihn Davis. “Ich nehme mich der Sache an.”

Miller kam mit einer alten Frau auf Davis Schreibtisch zu.
“Die Dame möchte mit Ihnen sprechen, Boss. Sie meint, sie kenne den Mann aus dem Alzheimer-Fall.”
“Bitte nehmen Sie Platz und legen Ihre Hand auf den Scanner,” bat Davis freundlich. Er blickte auf den Bildschirm.
“Nun, Frau Marisa Brown, - Marisa, ein schöner Name -, kennen Sie den Mann?
Wir konnten ihn nicht identifizieren.”
“Als ich sein Bild im Fernsehen sah, wurde die Erinnerung wieder lebendig. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, aber es ist Jim Semmler. Wir waren miteinander verlobt.”
Das Gesicht der Frau rötete sich etwas, und es schien, als bräche für einen Moment der Abglanz ihrer Jugend durch die alte Hülle.
“Wir liebten uns, hatten vor zu heiraten. Dann der obligatorische Pre-Hochzeitstest. Er hatte ein deformiertes Tau-Protein, und ich verliess ihn.”
Die Frau schluckte und blickte zu Boden.
“Wenn ich damals gewusst hätte, dass später einmal Hilfe möglich gewesen wäre… Ich glaube, Jim hat nie wieder eine Frau angesehen. Ich weiss nur, irgendwann, viele Jahre später, kaufte er sich von seinem letzten Geld einen gebrauchten, weiblichen Roboter.”

Als Davis und Miller im Kybernetischen Institut eintrafen, erwartete sie Doktor Freeman in seinem Labor.
“Sie werden es nicht glauben, meine Herren. Dieses alte Modell…”, Freemann zeigte kopfschüttelnd auf den Roboter, der auf dem Untersuchungstisch lag, “Semmler hat ihm den Namen Marisa gegeben, den Namen seiner ehemaligen Verlobten, aber sehen Sie selbst.” Er bedeutete Davis und Miller, Platz zu nehmen und stellte sich hinter einen Projektor.
“Sie sehen einige Highlights aus Marisas Speicherinhalt.”
Auf der Leinwand erschienen die freundlichen Verkäuferinnen von Pizza Hut. Eine von ihnen schob einen grossen Pizzakarton sowie eine Zweiliter Colaflasche über den Tresen.
Dann sahen sie einen Mann auf einem Sofa, der eine Pizza ass. Es war Jim Semmler. Sein Brustkorb war bandagiert.
“Highlights.” Davis zog müde die Augenbraue hoch. “Früher muss das Leben interessanter gewesen sein. Was meinen Sie? Was ist mit Semmlers Brustkorb? Jetzt hat er wieder ein paar gebrochene Rippen.”
“Marisas defektes Programm. Wenn sie sich liebten, ging sie sofort in Passion Mode 3. Eins und zwei funktionierten nicht.” Freeman schaltete den Projektor aus und setzte sich zu ihnen.
“Im Grunde führten sie ein ereignisloses Leben, abgesehen davon, dass sich die beiden alle drei Wochen eine neue Wohnung suchen mussten, da der Roboter zu viel Energie verbrauchte, und Semmler sich durch die Heftigkeit ihrer Liebesattacken regelmässig ein paar Rippen brach. Das zum Leben notwendige Geld beschaffte sie durch Fälschen von Kreditkarten.”
“Ich verstehe nicht,” meinte Miller, “wieso hat Semmler sich nicht von ihr getrennt?”
Freeman stand auf, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Tageslicht fiel in das Labor. Das Licht der Sonne spiegelte sich in den gläsernen Schränken und wurde auf die ruhende Gestalt des Roboters gelenkt.
“Hat er ja. Er lief davon. Doch da setzte sein Gedächtnis schon aus, er irrte durch die Strassen. Bevor noch jemand auf ihn aufmerksam geworden war, hatte Marisa ihn schon wieder in die Wohnung zurückgeholt. Danach war es ihm unmöglich, diese allein zu verlassen. Was für eine Ironie! Marisa wollte nicht, dass er zu Schaden käme und hat damit unterbunden, dass ihm geholfen werden konnte.”
Davis und Miller erhoben sich ebenfalls.
“Jetzt haben wir ein Problem.” Davis ging auf und ab. “Wenn seine Verletzungen geheilt sind, muss er das Krankenhaus verlassen. Was machen wir dann mit ihm?”
“Wir sollten ihm seine letzten Jahre so angenehm wie möglich gestalten. Er ist auf seine Marisa fixiert und der Roboter auf ihn. Den werde ich reparieren, ein Eco-Energiesystem einbauen, Passion Mode eins und zwei wieder herstellen. Und Sie, Davis, sorgen dafür, dass Marisa eine gültige Kreditkarte erhält. Das weitere ergibt sich.”

Sein Hund bellte, als Davis ihn ein paar Monate später spazierenführte. Duft von heisser Salami zog in seine Nase, während eine hochgewachsene, schlanke, in einem hellgrauen Overall gekleidete Person mit einem Pizzakarton und einer Flasche Cola an ihm vorbei ging. Davis hielt an, blickte ihr nach, sah die wirr abstehenden roten Haare, lächelte und ging weiter.










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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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