Sylvia Knitel

Rot-braunes Haar

 

Es war ein sonniger Tag. Strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. Das Grau wich und machte Platz für die Farben, die den ganzen Winter über so vermisst worden waren. Man spürte förmlich, tief im Inneren, ein Aufatmen. Osteria spielte auf ihrer Harfe, so schön wie nie zuvor. Zarte Keime krochen aus dem Boden und reckten sich dem Himmel entgegen.

Die Menschen wurden offenherziger. Die ersten Biergärten würden nun bald öffnen.

 

Doch etwas kroch aus dem Düsteren hervor, unbemerkt, unerkannt. Lautlos kroch es hervor, Unheil wollte es bringen.


Amy war keine Schriftstellerin, nein, sie schrieb für eine Zeitung. Sie wurde kaum gelesen aber das Geld konnte ein jeder gebrauchen. Es war nicht viel, aber es war eine kleine Finanzspritze.

Sie fuhr wie jeden Tag mit ihrem Drahtesel in die örtliche Redaktion. Sagte ich Redaktion? Es war ein kleines Büro, das sie sich erkämpfen mussten, Amy und ein paar andere, die gerne schrieben.

Sie machten es auch mehr, weil sie es liebten zu schreiben.

Das Büro war chaotisch. Zettel lagen überall herum und das schwarze Brett, an dem die Klebezettel hingen, war auch wieder einmal voll.

Frau von Rosenhain vermisste ihre Katze, Herr Witzel wollte etwas verkaufen.

„Hey Amy, was magst du heute machen? Katze oder eher den Anzeigenteil?“

Amy drehte sich zu Norbert um, der lässig auf dem Stuhl saß und wippte .

„Reiß du nur deine Späße! Für eine neue Ausgabe reicht es noch nicht. Das weißt du genauso gut wie ich.“

Deprimiert drehte sie sich um und setzte sich an den gesponsorten PC. Sie öffnete die E-Mails und ein leeres Dokument. Keine Mails, nicht einmal ein Fax war angekommen. Sie schrieb ein paar Sätze und machte dann Kaffee.

Das, was eigentlich hätte jeder tun können, doch man überließ es ihr. Sie ärgerte sich schon gar nicht mehr darüber. Anfangs schon, wegen Frauen und so, aber nachdem René, ein junger, eher ausgeflippter Typ, einmal Kaffee gemacht hatte, machte Amy ihn doch lieber selbst. Ein Löffel hätte senkrecht drin stehen können. Nein, einen Herzinfarkt wollte sie nicht noch einmal riskieren.

„Norbert? Bleibst du heute hier oder hast du etwas bestimmtes vor?“ fragte Amy und blickte ihn mit ihren großen Rehaugen an.

„Nicht, dass ich wüsste“ entgegnete ihr Norbert mit gleichgültigem Blick.

Er wollte ja schließlich nicht das Amy dachte, er wolle etwas von ihr. Nicht, dass sie unattraktiv gewesen wäre, nein, sie war sehr hübsch. Er hatte vielmehr Angst, sie könnte seine Zuneigung bemerken. So widersinnig es auch war. Er war eben nicht der Typ der mit Frauen umzugehen verstand. Angst war es nicht. Er wusste nicht, wie er sich im Gespräch verhalten sollte oder vielleicht dann bei dem ersten Date.

„Was hast du denn vor?“ fragte er unbeholfen.

„Ich wollte mal durch unser Provinznest fahren und ein paar Fotos machen. Mal sehen, vielleicht schnappe ich ja sogar eine Story auf.“

Von ihm jedoch kam nur ein leises „Ach so“ .

Amy zog sich an und fuhr mit ihrem Fahrrad los. Sie genoss die wärmenden Strahlen die auf ihr zartes Gesicht fielen. Die braun gelockten Haare schimmerten rötlich im Licht. Das kam wohl von tausend verschiedenen Tönungen die man im Laufe der Zeit so ausprobiert.

Als erstes machte sie am See halt. Alte Weiden badeten ihrer Zweige im Wasser. Es war still, nur die Enten ließen sich bei ihren Balzritualen nicht stören.

Sie hatte viel gelesen über dieses kleine Städtchen. All die Sagen und Geschichten waren ihr bestens bekannt. Sie hatte vor, die Bilder mit den Schauplätzen zu verknüpfen und eine Homepage zu erstellen.

Der Ort war zwar bekannt, aber Tourismus gab es kaum. Das Einzige war die neumodische Kurklinik. Zwischen all den alten Häusern ragte sie hervor. Sie wirkte etwas deplatziert und passte eigentlich gar nicht zu dem Rest der Stadt. Es war aber eine Einnahmequelle, brachte Jobs und Menschen hierher.

Bad Bühnerstein konnte man nicht gerade als groß bezeichnen. Der Name hörte sich groß an, aber das war auch schon alles.


Langsam wurde es Abend. Der Himmel erstrahlte in einem zarten rot. Amy, die fürs Erste genügend Fotos geknipst hatte, fuhr nach Hause.

Zu hause angekommen, schmiss sie sich ein Mikrowellenessen rein - was soll man sich auch kochen, alleine. Es ist schon schlimm genug alleine essen zu müssen.

Nebenbei ließ sie sich ein Bad ein. Ein Gerät nach dem anderen wurde eingeschaltet. Der Fernseher zuerst.


Nass vom baden und in einen Morgenmantel gewickelt saß sie vor der Flimmerkiste. Das Mikrowellenessen, dass nur noch lau warm war, hielt sie in Händen. Lautlos stach sie darin herum. So sah ihr Abend für gewöhnlich aus.

Sie kuschelte sich in ihre Decke und schlief seelenruhig auf dem Sofa ein.


Am nächsten Morgen erwachte sie wie üblich mit Genickschmerzen. Die unbequeme Lage auf dem Sofa schenkte ihr immer wieder gerne Unbehagen. Alleine ins Bett?

Keiner schläft wohl gerne in einem großen Bett. Sie fühlte sich dort mehr verloren als wohl. Wie immer frühstückte sie an dem weit geöffnetem Fenster mit herrlicher Aussicht auf das super-tolle Kurhaus.

Sie zog sich an, packte Kamera und alles weitere ein und machte sich auf den Weg.

Norbert war wie immer als erster da. Keine Ahnung warum das so war, aber Amy neckte ihn gerne damit.

„Guten Morgen Norbert. Hast du wieder einmal eine feuchte Wohnung?“ foppte sie ihn und grinste frech.

Alles in allem ein stinknormaler Morgen. Bis zu dem Augenblick als Amy die E-Mails las.

Eine unbekannte Mail war eingegangen. Das Sonderbare daran war, sie hatte keinen Absender.



Ich weiß wer du bist, Amy. Ich weiß wo du wohnst und deinen Anblick kenne ich nur zu gut. Wir werden uns sehen! Du kannst rein gar nichts dagegen machen, Amy!!


Auf bald


gez. Nobody“


Erschrocken wich Amy zurück. Die Angst ließ sie erzittern und jeder Bluttropfen in ihr schien gewichen zu sein. Blass, ohne jede Regung saß sie davor. Ihr Anblick glich einer aus Stein gemeißelten Statue.

Norbert bemerkte, dass mit ihr anscheinend etwas nicht stimmte. Langsam ging er auf sie zu und wollte nach ihr sehen. Als er seine Hand auf ihre Schulter legte, erklang plötzlich ein lauter Schrei aus ihrer Kehle. Sie schnellte hoch und wollte wegrennen, doch Norbert stand im Weg. Sie fiel in seine Arme und brach in Tränen aus. Leicht verstört klopfte er ihr auf den Rücken. Was hätte er wohl sonst tun können. Er fühlte sich unbehaglich dabei.

Seine Blicke fielen auf die kleine Zeile auf dem Bildschirm. Nun verstand er warum sie so reagierte, ein bisschen zumindest. Er wollte sich befreien, aber Amy krallte sich noch fester an ihn. Irritiert sprach er: „Ich verstehe ja, dass du jetzt Angst hast, aber meinst du nicht, dass du etwas überreagierst?“

Böse blickte sie ihn an und ließ auch im gleichen Augenblick los. Das war nun eigentlich genau das, was er wollte, aber warum kam er sich jetzt so mies vor? Er verdrängte das erst einmal um einen klaren Kopf behalten zu können.

„Überreagieren, hm? Das denkst du wirklich? Ich kann daraus entnehmen, dass er weiß wo ich wohne! Wie bitte soll ich jetzt noch ruhig schlafen können? Geschweige denn mich in meiner eigenen Wohnung sicher fühlen. Männer!“

Kleinlaut fragte er nun doch ob er ihr vielleicht einen Tee machen sollte. Sie nickte zustimmend und schluchzte. Er kam mit einem heißen Tee wieder und setzte sich zu ihr. Sie tat ihm doch schon etwas leid, so wie sie weinend dasaß.

Sie redeten lange miteinander. Plötzlich ergab ein Wort das andere. Norbert legte etwas von seiner Scheu ab. Im Gegenteil er begleitete sie sogar nach hause.


Amy hatte aber dennoch Angst. Sie kauerte auf ihrem Sofa , alles war restlos hell erleuchtet. Jedes noch so kleine Geräusch ließ sie aufschrecken. Amy wünschte sich jetzt plötzlich, sie hätte Norbert zum Bleiben überreden können. Sie machte sich immer wieder aufs Neue Mut.

Wer weiß, was das für ein Spinner war, der ihr diese gemeine Mail hatte zukommen lassen. Vielleicht war es ja auch nur ein gemeiner Scherz der Dorfjugend. Jeder hätte in Frage kommen können. Jeder.

So langsam wich dann doch etwas die Angst – zur Not hatte sie ja noch die Handynummer von Norbert.

Es war mittlerweile 6 Uhr früh als die Türklingel Amy aufschrecken ließ. Unsicher blickte sie aus dem Küchenfenster.

„Ich hab frische Brötchen dabei“, erklang es mit bekannter Stimme. Erleichtert und froh öffnete sie Norbert die Tür.


Tage und Wochen schlichen ins Land. Aus Amy und Norbert wurde ein Paar. Keinen Gedanken verschwendete sie mehr an diese ominöse Mail. Viel zu schön waren die Stunden. Junges Glück ist von nichts zu überbieten.

Kein Liebender ließ auch nur einen Schatten Einzug halten in seine neu gewonnene Welt.

Amy setzte ihr Vorhaben fort und hatte auch immer ihre Kamera dabei. Die Homepage hatte sie sich fest in den Kopf gesetzt.


Sie machte gerade wieder einmal Bilder als plötzlich eine dunkle Stimme hinter ihr erklang: „Du siehst, ich habe dich gefunden, Amy. Ich war dir immer auf den Versen, habe dich nie aus meinen Augen gelassen.“

Amy erstarrte. Diese Stimme glich dem Griff einer eisigen Hand nach ihrer Kehle. Sie konnte kaum atmen. Nein, sie wagte es nicht. Dennoch war sie neugierig und statt wegzurennen, drehte sie sich um. Ihrem Verfolger in die Augen blicken, so wie man es in Albträumen tut. Nein, sie rannte nicht weg. .

Dort stand er. Groß, mit schwarzen Haaren. Seine Augen schienen durch sie hindurch zu sehen. Er verströmte eine Art Todeshauch, eisig kalt. Von ihm ging nichts Gutes aus. Sie konnte es beinahe greifen. Doch sie konnte nicht wegrennen. Was war nur mit ihr los? Warum waren die Füße plötzlich wie in Zement gegossen? Sie wollte weg. Jede Faser ihres Geistes wollte es so sehr.

Er kam Schritt für Schritt immer näher. Ihr Herz raste, pochte als wolle es heraus springen.

Er griff in seine Manteltasche. Was wollte er da hervor holen, eine Kanone? Sollte sie vielleicht so sterben?

Doch nun wurde ihr bewusst, dass ihr kleines Geheimnis auf ein Neues gelüftet worden war. Wie oft musste sie es schon verschleiern, es verwischen. Ihre Spuren vernichten. Warum konnte man sie nicht in Ruhe lassen, es auf sich beruhen lassen?


Blitzschnell bewegte sie sich auf ihn zu um ihm ihre Zähne ins Fleisch zu rammen. Jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie es vermisst hatte. Es war warm. Sie genoss jeden einzelnen Tropfen den er hergab. Oh, wie es die Kehle hinunterrann. Ein Glücksgefühl überkam sie. Triumphierend begann sie zu lachen. Nun begann sie den Tatort zu säubern. Es wiedermal zu verstecken, was sie war.


Sie beschwerte die Leiche mit Steinen wie all die anderen vor ihm.

„Ein kaltes, nasses Grab ist genau das Richtige für dich. Sprach sie mit zorniger Stimme. „Für einen Mörder wie dich! Wie viele meiner Art hast du wohl schon auf dem Gewissen gehabt?“

Sie rollte ihn in sein künftiges Zuhause.


Ihre braun gelockten Haare wehten im Frühlingswind. Sie leuchteten etwas rötlich im Licht der untergehenden Sonne.

Viele hätten gemeint, etwas roter als vorher.


Ende

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.02.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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