Der Sonnenaufgang lag schon Stunden zurück, als Nadja sich aus ihrem engen Schlafsack schälte. Sie öffnete die kleine Tür der Holzhütte und lief, nackt wie sie war, zum nur wenige Schritte entfernten See. Sie tauchte ein, in das eiskalte Wasser und vergaß ihren inneren Konflikt, denn ihr Körper weigerte sich zunächst die Kälte zu akzeptieren. Nadja zwang ihn ganz einzutauchen und sich gegen den Schmerz zu wehren. Kraftvoll zog sie ihre Bahnen durch das kristallklare Wasser.
Der See lag in einer Senke, eingekreist von hohen, schneebedeckten Bergen. Eine karge, in ihrer Einsamkeit und Schlichtheit fast unirdisch schönen Landschaft, für die Nadja keinen Zentimeter Platz hatte in ihrer Seele.
Ihr Atem wollte vor Kälte kaum ihren Mund verlassen. Mit kräftigen Stößen blies sie die verbrauchte unnütze Luft hinaus und sog gierig die eisige Bergluft in sich hinein. Als sie aus dem Wasser stieg, umgaben ihren dünnen, kantigen Leib Nebelschwaden. Wie eine geheimnisvolle Fee aus dem Märchen ihrer Mädchentage in einer unbeschwerten Kindheit, ging sie langsam über den unebenen und hartgefrorenen Boden.
Sie betrat wieder die kleine, dunkle Hütte und griff sich ein Handtuch. Mit unwirschen Bewegungen schruppte sie sich die noch vorhandene Nässe von Haut und Haaren. Dann zog sie mit äußerster Sorgfalt ihren grauen Overall an. Mit fast meditativen, langsamen Bewegungen stieg sie erst mit dem linken, dann mit dem rechten Bein hinein. Sanft und in sich gekehrt schlüpfte sie in die Ärmel. Dann hielt sie kurz in der Bewegung inne. Sie schloss die Augen und erlaubte sich für den Bruchteil einer Sekunde, die Wärme des Kleidungsstückes zu genießen. Dann zog sie den Reißverschluss bis zum Kinn hinauf.
In der Hütte war es so kalt wie draußen. Nadja hatte bewusst darauf verzichtet den alten stählernen Ofen zu entfachen. Der Frost klärte ihre Wahrnehmung und ließ es nicht zu, Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden.
Aus einer Thermoskanne goss sie grünen Tee in den Plastikbecher. Sie führte in zum Mund und nach einem Zögern, nahm sie einen kleinen Schluck. Der Tee war noch warm. Nicht mehr heiß, aber eine Wärme die sich wie weicher Honig in ihrem Mund ausbreitete. Schnell schluckte sie ihn hinunter. Sie schüttete den Rest in den Ausguss. Sie hatte einen Auftrag. Denn wollte sie erfüllen. Mußte! Alles hing nur davon ab. Keine Schwäche, keine Wärme, keine Gedanken. So wie bei jedem Auftrag.
Keine Zweifel.
Sie griff nach ihrem Rucksack. Am Abend vorher hatte sie beim Licht ihrer Taschenlampe bereits den Inhalt zusammengestellt, überprüft, selektiert und verpackt. Ein jedes Teil an seinem Platz. Sie hielt in der Bewegung inne. Nein, sie würde nicht hineinsehen!
Keine Zweifel mehr!
Sie verließ die alte Hütte in der Senke und stieg in ihr Auto.
Keine Zeit für Zweifel. Sie hatte einen Tod bringenden Auftrag.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2008.
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