Auch
wies er die Hilfe seiner Frau mit einem einzigen seiner berüchtigten Magierblicke
zurück. Alkohol trübte sein Auge nicht glasig, wie bei gewöhnlichen Trinkern,
sondern lies es besonders feurig funkeln, was darüber hinwegtäuschte, dass er
bedeutend schlechter sah. Man vermutete auf ihren tiefen Grund stets abenteuerliche
Geheimnisse. Solche erwarteten ihn jetzt, da er sich auf den Weg machte. Er
begriff sofort, warum so oft von engen Gassen die Rede war. Sagte da nicht einer
im Wilhelm Tell irgendwas was von, durch diese enge Gassen muss man erst kommen,oder
so? Er wusste schon, dass das Zitat anders lautete, aber in seiner Lage fand er
die Änderung nicht nur als künstlerische Freiheit, sondern schlichtweg passender
zur anstehenden Herausforderung. Es lag nicht an seinem Grundberuf Maurer, dass
seine Hände immer wieder prüfend über den Putz der angrenzenden Häuser strichen.
Bei jeder Berührung hörte man einen leisen Fluch von ihm in Richtung Hauswand
und eine gemurmelte entschuldigende Begründung für sich.
Zu
Hause angekommen, starrte ihn die Blumenrabatte, die ihn dunkel an Verdrängtes
erinnerten, wie es ihm schien, höhnischgrinsend an. Aber nicht doch, das war ja
damals kein Sturz in dem Sinne, sondern eher ein Unfall oder Missgeschick. Das
war nämlich so. Als er wieder mal etwas sehr müde nach Hause kam, stellte er
fest, keinen Schlüssel eingesteckt zu haben. Auch nieselte es schon seit langem
ohne Unterlass. Er musste seine Frau rausklingeln und ihr, als sie aus dem
Fenster sah, den Fakt mitteilen. Sie ging den Schlüssel holen und er trat einen
Schritt zurück, um ihn besser fangen zu können. Als sie aus dem Fenster sah,
war er nicht mehr da. Schon wollte sie rufen, als sie ihn in der Blumenrabatte,
einem Käfer gleich auf dem Rücken liegend, entdeckte. Er grummelte nur so etwas
wie, was macht die Mauer hinter mir...seit wann ist denn hier eine Mauer..wer
hat denn...Nein, dieser Erinnerung gab er sich nicht hin, hatte er sie doch
gelöscht aus seinem Leben. Doch der heutige Abend und sein für ihn unbegreiflicher
Zustand, ließen es zu, dass der Anblick dieser Blumenrabatte, die Erinnerung im
Dämmer seines Hirns ein Licht anknipste. Ein kurzes zwar, blitzgleiches, aber
es reichte, um die Bilder von damals erneut zu sehen. Er löste sich davon und schloss
mit etwas mehr Mühe als sonst (Haus, Haustür und das Haustürschloss, alles aus
Luthers Zeiten), mit dem selbstangefertigten Riesenschlüssel, der allemal als
Waffe dienen konnte, auf. Die steile Treppe, fast einer Stiege gleich, trieb
angstvolle Sorgenfalten in das sorgfältig geschminkte Gesicht seiner Frau und
diese sie, ihrem Mann zur Hilfe zu eilen. Welch eine beschämende Beleidigung
seiner Selbständigkeit war sie im Begriff ihm anzutun. Daraufhin wurden er
etwas lauter und er wies an, vorauszugehen, in einem Abstand, der keine
hilfreiche Handlung zuließ. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Jede unregelmäßige
Pause zwischen den einzelnen Stufen lies ihr das Herz stocken und ihr Ohr auf
ein Aufschlagsgeräusch warten. Er war oben, nach einer Ewigkeit , wie es ihr
schien.. Die Küchentür, die Wohnung begann gleich mit der Küche, hatte einen
kleineren Schlüssel. Großzügig überließ er ihr diesmal die Verantwortung, sozusagen
als Wiedergutmachung für seinen barschen Ton auf der Treppe
In
der Küche ging er forsch zum kleinen Waschbecken in der Ecke, einzige Waschmöglichkeit
in ihrer ersten gemeinsamen Wohnung. Um
überhaupt eine zu bekommen, waren das Kinkerlitzchen, die man in Kauf zu
nehmen, gern bereit war.
Er
musste sich doch seine Hände waschen, sie hatten durch seine „Maurertätigkeiten“
an den Wänden etwas gelitten. Ordnung musste sein. Seine Frau, ob seines
Vorhabens in diesem Zustand, hilfreich besorgt, trat wohl etwas unerwartet zu
nah an ihn heran. Er scheute ein wenig und beim Schritt zurück lies er das
Waschbecken nicht los, hatte es noch in Händen, als er einen Meter von der Wand
zum Stehen kam. Seine Frau drehte geistesgegenwärtig den Wasserhahn zu. Ihr
Glück, war sie doch Schuld an dem Desaster. Großzügig erwähnte er dieses nicht,
wischte sie gönnerisch vergebend zur Seite und setzte das Waschbecken wieder
auf die Konsole. Sein Handeln und das Blitzen seiner Augen verboten jegliche
Einmischung ihrerseits. Er stellte einen Eimer unter den offenen Trabs, den er
selber einmal montiert hatte. Bückend wusch er seine Hände, den Füllstand des
Eimers stets im suffwachen Blick und auch seine Frau, von ihr ein Lob
erwartend, wegen seiner Übersicht und seines artistischen Geschicks, waren doch
seine Hände über dem Waschbecken und sein Kopf darunter. Dieses würde er gleich
am nächsten Tag neu montieren. Das hatte es für heute gewesen können, doch Ordnung
musste sein und so goss er den gefüllten Eimer in das Becken.
Als
seine Frau ihm die Füße trocknete, dachte er angestrengt nach und versuchte
verzweifelt zu begreifen. Für einen Außenstehenden wirkte er seltsam abwesend.