Doch nur den wenigen, die alt und wichtig genug waren diesen
Weg zu beschreiten, wurde das Geheimnis offenbart. Die anderen, weniger
wichtigen, wurden wie seit jahrtausendealtem Brauch in kalter Erde verscharrt
und mit Steinen zugedeckt, sodass das Land sich den Körper zurückholen konnte.
Doch Kinran war anders. Er hatte es sich verdient wahrlich
unsterblich zu werden. Deshalb hatten sie ihm auch ein kleines Schiff gebaut,
versehen mit gerade genug Energie und Vorräten, um den Quell zu erreichen. Mehr
war auch nicht nötig, denn danach würde Kinran die Sphäre, in der er bis jetzt
gelebt hatte, verlassen.
Unter den Leuten, die gekommen waren, erblickte Kinran auch
seine beiden Töchter, beides bekannte und verehrte Wissenschaftler, die
vielleicht in einigen Jahrzehnten sein Schicksal teilen würden, und seine Frau.
Einzig um ihr Schicksal besorgt hatte Kinran alle Mittel und Wege genutzt, um
die Ehre in den Quell gehen zu dürfen auch ihr, einer einfachen Hausfrau,
zuteil werden zu lassen. Doch nachdem die Ratsmitglieder sein Geld und die
Rechte auf seine Werke an sich gerissen hatten, hatten sie trotzdem seiner
Bitte nicht nachgegeben.
Dieser einst engelsgleichen und liebenswerten Frau würde
Kinran die einzigen Tränen der Trauer nachweinen bei seiner Reise.
Zum Glück hatte sich keiner dieser verräterischen
Sesselpupser aus dem Rat bei seiner Verabschiedung eingefunden. Kinran,
normalerweise sanft und wohlwollend, war von so einem brodelnden Hass über sie
erfüllt, dass er wohl einen aus der Gilde der Assassinen angeheuert hätte um
diese Würmer zu töten, hätte er die Mittel dazu noch besessen. Doch dieses
Schiff und die einfache Robe des Abschieds war alles, was ihm geblieben war.
Der Reihe nach kamen seine einstigen Begleiter zu ihm,
sprachen die letzten Worte des Wohlwollens und tauschten dann einen Händedruck
mit Kinran aus. Seine Frau und Töchter umarmte der alte, gebrechliche Mann und
küsste sie auf die Wangen. „Wenigstens ihr werdet mir folgen können, wenn die
Zeit gekommen ist“, sagte Kinran zu seinen Töchtern und verabschiedete dann
alle mit einigen wohl vorbereiteten Worten.
Als die dritte Sonne untergegangen war, verließen dann alle
die Startbahn und aus den schattigen Säulen des Hains neben der Wartehalle trat
der Empath der großen Reise.
Kinran hatte die Empathen nie gemocht. Die Macht, in fremde
Geister einzudringen und sie manipulieren zu können, machte dem Dichter Angst
und ließ ihn selbst jetzt noch erschaudern. Als der Empath dann seine langen,
dünnen Finger nach seiner Stirn ausstreckte, wäre er am liebsten zurückgewichen.
Doch die Macht des Geistes lähmte seine Glieder bis der Empath seine Arbeit
beendet hatte. Mit starrem Blick blieb er stehen bis Kinran in dem Schiff
verschwunden war und die Tür verschlossen war.
Automatisch starteten die Triebwerke, um das Schiff zu dem
geheimen Quell der Unsterblichkeit zu fliegen. Rasant begann der Flug durch die
dünnen Wolken.
Ein letzter Blick nach unten zeigte Kinran die weiten,
grünen Haine seiner Heimat. Und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass
da unten auch der Empath mit starrem Blick zu ihm aufsah. Ob dieser Mann, oder
die Frau, wohl von Neid zerfressen war, wie Kinran als junger Dichter?
Das Schiff wurde immer schneller und die Sterne streckten
sich. Erst jetzt lösten sich die Fesseln des mächtigen Geistes endgültig von
Kinran und die Fahrt ins Ungewisse begann.
Beinahe die ganze Energie und Nahrung war verbraucht. Nur
noch ein Kanister mit Wasser war übrig. Doch das Ziel beinahe erreicht.
Plötzlich stoppte das Schiff, die Sterne wurden wieder
normal und das Schiff schwebte in der Schwärze des Weltraums. Aus der großen
Entfernung, das es wahrscheinlich zurückgelegt hatte, würde es wohl nicht mehr
zu sehen sein.
Kinran wartete. War dies der versprochene Quell? Ein Nichts
im Weltraum? Er dachte an seine Familie, die in seiner Heimat warten würde.
Doch irgendwie waren ihre Gesichter verblasst. Und das Aussehen des Planeten.
So sehr er sich auch konzentrierte, Kinran konnte sich nicht erinnern, wo seine
Heimat lag.
Ein blinkendes Licht auf der Konsole riss Kinran aus seinen
schwindenden Erinnerungen. War er vielleicht so alt, dass er die Dinge einfach
vergas?
Ein Schiff kam in Sichtweite. Vielleicht das Schiff, dass
ihn zum Quell bringen würde? In freudiger Erwartung streckte sich Kinran um das
Schiff zu erblicken. Ein gigantischer Würfel im Weltall, mindestens hundert
Meter lang und breit.
Eine Stimme hallte durch die Kabine. „Wir sind die Borg. Sie
werden assimiliert werden. Die Existenz, wie Sie sie kannten, ist vorüber.
Widerstand ist zwecklos.“
Eine Art Tranferstrahl erfasste das Schiff und entzog ihm
jegliche Energie. War das normal, die erste Stufe für den Transport zum Quell
der Unsterblichkeit?
Ein seltsames Geräusch ertönte und Kinran drehte sich um.
Zwei kybernetische Lebensformen waren in der Kapsel erschienen und sahen sich
um. Dann fixierten sie Kinran und packten ihn. „Nicht so grob! Bringen Sie mich
zum Quell der Unsterblichkeit?“
Die Lebensformen antworteten nicht. Sie scannten Kinran und
ließen ihn los. „Minderwertige Lebensform. Eine Assimilation trägt nicht zur
Perfektionierung des Kollektivs bei. Das Objekt muss zerstört werden um eine
Kontaminierung zu verhindern.“
Die kybernetischen Lebensformen verschwanden wieder und der
Strahl löste sich auf.
Ein grelles Licht schnellte aus dem Würfel im Weltall und
zerfetzte die Hülle des Schiffs.