Nicolai Rosemann

Unsterblichkeit

In einer Gesellschaft aus Künstlern, Gelehrten und Wissenschaftlern ist es die größte Angst,  vergessen zu werden, dass seine Taten, Bildnisse und Entdeckungen mit der Zeit vergessen werden. Doch was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Gedanken zu erhalten? Wirklich unsterblich für die Nachwelt zu werden, auf einer Ebene, die die meisten beschränkten Geister gar nicht erfassen können? Würden Sie die Gelegenheit nicht ergreifen und kurz vor Ihrem Tod den Schritt wagen?
 
Kinran stand lächelnd vor seinem kleinen Schiff und verabschiedete sich von seinen Freunden, Gönnern und Verehrern. Als großer Dichter war er lange Zeit über seinen Heimatplaneten gereist, hatte Lesungen gehalten und alles erblickt, was es wert war begutachtet zu werden. In all den Jahren hatte er seinen Planeten jedoch nie verlassen. Nur wenige verwegene Abenteurer wagten diesen Schritt. Die restlichen dieser Rasse waren nicht so an den Sternen interessiert und konzentrierten sich lieber auf die Künste und Wissenschaften. Vor allem die Wissenschaften machten es ihnen möglich einen Blick in die Ferne zu werfen ohne dorthin gehen zu müssen. So hatten die auch den Quell der Unsterblichkeit erblickt und damit endlich eine Möglichkeit gefunden ihre Gedanken zu erhalten. Doch nur den wenigen, die alt und wichtig genug waren diesen Weg zu beschreiten, wurde das Geheimnis offenbart. Die anderen, weniger wichtigen, wurden wie seit jahrtausendealtem Brauch in kalter Erde verscharrt und mit Steinen zugedeckt, sodass das Land sich den Körper zurückholen konnte. Doch Kinran war anders. Er hatte es sich verdient wahrlich unsterblich zu werden. Deshalb hatten sie ihm auch ein kleines Schiff gebaut, versehen mit gerade genug Energie und Vorräten, um den Quell zu erreichen. Mehr war auch nicht nötig, denn danach würde Kinran die Sphäre, in der er bis jetzt gelebt hatte, verlassen. Unter den Leuten, die gekommen waren, erblickte Kinran auch seine beiden Töchter, beides bekannte und verehrte Wissenschaftler, die vielleicht in einigen Jahrzehnten sein Schicksal teilen würden, und seine Frau. Einzig um ihr Schicksal besorgt hatte Kinran alle Mittel und Wege genutzt, um die Ehre in den Quell gehen zu dürfen auch ihr, einer einfachen Hausfrau, zuteil werden zu lassen. Doch nachdem die Ratsmitglieder sein Geld und die Rechte auf seine Werke an sich gerissen hatten, hatten sie trotzdem seiner Bitte nicht nachgegeben. Dieser einst engelsgleichen und liebenswerten Frau würde Kinran die einzigen Tränen der Trauer nachweinen bei seiner Reise. Zum Glück hatte sich keiner dieser verräterischen Sesselpupser aus dem Rat bei seiner Verabschiedung eingefunden. Kinran, normalerweise sanft und wohlwollend, war von so einem brodelnden Hass über sie erfüllt, dass er wohl einen aus der Gilde der Assassinen angeheuert hätte um diese Würmer zu töten, hätte er die Mittel dazu noch besessen. Doch dieses Schiff und die einfache Robe des Abschieds war alles, was ihm geblieben war. Der Reihe nach kamen seine einstigen Begleiter zu ihm, sprachen die letzten Worte des Wohlwollens und tauschten dann einen Händedruck mit Kinran aus. Seine Frau und Töchter umarmte der alte, gebrechliche Mann und küsste sie auf die Wangen. „Wenigstens ihr werdet mir folgen können, wenn die Zeit gekommen ist“, sagte Kinran zu seinen Töchtern und verabschiedete dann alle mit einigen wohl vorbereiteten Worten. Als die dritte Sonne untergegangen war, verließen dann alle die Startbahn und aus den schattigen Säulen des Hains neben der Wartehalle trat der Empath der großen Reise. Kinran hatte die Empathen nie gemocht. Die Macht, in fremde Geister einzudringen und sie manipulieren zu können, machte dem Dichter Angst und ließ ihn selbst jetzt noch erschaudern. Als der Empath dann seine langen, dünnen Finger nach seiner Stirn ausstreckte, wäre er am liebsten zurückgewichen. Doch die Macht des Geistes lähmte seine Glieder bis der Empath seine Arbeit beendet hatte. Mit starrem Blick blieb er stehen bis Kinran in dem Schiff verschwunden war und die Tür verschlossen war. Automatisch starteten die Triebwerke, um das Schiff zu dem geheimen Quell der Unsterblichkeit zu fliegen. Rasant begann der Flug durch die dünnen Wolken. Ein letzter Blick nach unten zeigte Kinran die weiten, grünen Haine seiner Heimat. Und irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass da unten auch der Empath mit starrem Blick zu ihm aufsah. Ob dieser Mann, oder die Frau, wohl von Neid zerfressen war, wie Kinran als junger Dichter? Das Schiff wurde immer schneller und die Sterne streckten sich. Erst jetzt lösten sich die Fesseln des mächtigen Geistes endgültig von Kinran und die Fahrt ins Ungewisse begann.   Beinahe die ganze Energie und Nahrung war verbraucht. Nur noch ein Kanister mit Wasser war übrig. Doch das Ziel beinahe erreicht. Plötzlich stoppte das Schiff, die Sterne wurden wieder normal und das Schiff schwebte in der Schwärze des Weltraums. Aus der großen Entfernung, das es wahrscheinlich zurückgelegt hatte, würde es wohl nicht mehr zu sehen sein. Kinran wartete. War dies der versprochene Quell? Ein Nichts im Weltraum? Er dachte an seine Familie, die in seiner Heimat warten würde. Doch irgendwie waren ihre Gesichter verblasst. Und das Aussehen des Planeten. So sehr er sich auch konzentrierte, Kinran konnte sich nicht erinnern, wo seine Heimat lag. Ein blinkendes Licht auf der Konsole riss Kinran aus seinen schwindenden Erinnerungen. War er vielleicht so alt, dass er die Dinge einfach vergas? Ein Schiff kam in Sichtweite. Vielleicht das Schiff, dass ihn zum Quell bringen würde? In freudiger Erwartung streckte sich Kinran um das Schiff zu erblicken. Ein gigantischer Würfel im Weltall, mindestens hundert Meter lang und breit. Eine Stimme hallte durch die Kabine. „Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Die Existenz, wie Sie sie kannten, ist vorüber. Widerstand ist zwecklos.“ Eine Art Tranferstrahl erfasste das Schiff und entzog ihm jegliche Energie. War das normal, die erste Stufe für den Transport zum Quell der Unsterblichkeit? Ein seltsames Geräusch ertönte und Kinran drehte sich um. Zwei kybernetische Lebensformen waren in der Kapsel erschienen und sahen sich um. Dann fixierten sie Kinran und packten ihn. „Nicht so grob! Bringen Sie mich zum Quell der Unsterblichkeit?“ Die Lebensformen antworteten nicht. Sie scannten Kinran und ließen ihn los. „Minderwertige Lebensform. Eine Assimilation trägt nicht zur Perfektionierung des Kollektivs bei. Das Objekt muss zerstört werden um eine Kontaminierung zu verhindern.“ Die kybernetischen Lebensformen verschwanden wieder und der Strahl löste sich auf. Ein grelles Licht schnellte aus dem Würfel im Weltall und zerfetzte die Hülle des Schiffs.
Kinran war sofort tot, doch ein Gedanke zuckte noch durch sein Gehirn bevor er starb: Ist das Unsterblichkeit?
 
Und was wäre wenn alles eine Lüge ist? Würden Sie es wagen zu hinterfragen? Selbst als nicht minderwertige Existenz, die den Weg beschreiten dürfte?
 

Die Idee hierzu kam mir durch einen kleinen, einfachen Satz den Jeri Ryan (Seven of Nine, VOY) in der dritten Staffel über die Kazon sagt: "Sie waren minderwertig, ihre Assimilation hätte nicht zu unserer Perfektion beigetragen."
Dies ist eine andere Seite der Geschichte. Denn normalerweise wollen die meisten Spezies nicht assimiliert werden. So wäre es wohl um so schlimmer für jemanden als minderwertig angesehen zu werden, obwohl man es nicht ist
Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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