Volker Kalski

Krebs ist Macht Nichts

Krebs ist Macht Nichts         - die etwas andere Art mit schwerer Krankheit umzugehen -
Ich war sehr überrascht, was mein Krebs alles mit mir anstellte. Nie wurde ich so sehr gefordert als in dieser Minute der Diagnosemitteilung am Nikolaustag 1990. Stets pflegte ich ein phlegmatisches Dasein, nichts war mir wirklich wichtig. Doch innerhalb weniger Sekunden erlebte ich einen wundersamen inneren Wandel, erkannte sofort, dass ich ein anderer neuer Mensch wurde und dem Krebs keine Chance ließ meinen Überlebenswillen zu brechen. Natürlich konnte ich nicht ahnen, auf was ich mich einließ in den Krieg ziehen zu wollen, Familie und Beruf zurückließ. Ich hatte IHN im linken Gesicht. „Die Bestrahlung hat Dich ausgetrocknet“, schrie ich IHN an, wie immer leise und innerlich, „die drei Chemozyklen werden Dich drastisch verkleinern, dass mein Kriegskamerad das Loch nicht so groß machen muss! Noch bist Du da, Du gieriges Scheusal“ Teuflisches unverschämtes Lachen antwortete mir aus den Untiefen der Hölle, als schien ER zu sagen: „Ach Du mit Deiner dummen Motivation“ Doch nur mit dieser Eigenmotivation rechnete ich mir Chancen aus. Niemand aus meinem Umfeld hielt es für nötig mir beizustehen, mich in meiner Meinung zu bestätigen. Einmal meinte der einzige hilfreiche Mensch, ein HNO – Onkologe zu mir: „Das linke Auge werden wir nicht retten können!“
„Was seid Ihr doch für arme Pessimisten“, krächzte ich kaum hörbar aus meinen Kissen,
„warum sagen Sie mir denn nicht, dass ich das Rechte behalten kann?“
„An Sie muss man sich gewöhnen, ich tu es gerne.“
Trotzdem bekam ich mal Existenzängste. Nachdem ich gewogen wurde. Mit 85 Kilo auf 184 cm verteilt hielt ich mich stets für eine stattliche Erscheinung. Und nun wog ich noch nicht einmal mehr ein schwaches Zentnerchen. 48 Kilo sind es noch, so dass ich nicht noch dünner werden kann. Es ist bald Herbst, wenn dann mal jemand vergisst, das Fenster zu schließen, wird mich ein laues Lüftchen davon tragen. Ein Lüftchen mit Namen Tod. Tatsächlich verlor ich noch zwei Kilo ungefähr ein Viertel davon war ein bösartiger Klumpen. Doch meine Motivation stimmte und siegte!! Einen Tag vor dem finalen Rettungs-Schnitt nahm ich völlig alleine Abschied von meinem alten Leben um das Neue begrüßen zu können. Mit Ärmchen wie Finger stützte ich meine lächerlichen 47 Kilo am Waschtisch ab, drückte mühsam den Kopf hoch und erblickte im Spiegel eine komische Fratze. Schwierig war es mich mit diesem kranken, völlig fremden Mann zu identifizieren. Trübe Augen sahen einen schmalen Kopf, von dem wirr dünne Haar-Büschel herunter hingen. Junge Falten rissen tiefe Gräben in diesem alten Gesicht. Das erste Mal sah ich IHN. Leicht rot und blau wölbte er sich im oberen Drittel meines linken Gesichtes, umschloss das Auge total. „Machs gut“, grüßte ich mein Spiegelbild. „Machs besser“, grüßte das zurück. Sofort als ich einigermaßen etwas auf der Intensivstation wahrnehmen konnte, wusste ich, dass ich nicht nur überlebte, sondern auch geheilt bin. Mit jeder meiner Zellen fühlte ich dass die Bösen alle weg sind. Bald kam auch der verantwortliche Arzt: „Na Kalski, wie geht es?“ Ich erinnerte mich an meine Vorlieben schwarzen Humors sowie die soeben erworbene Einäugigkeit und antwortete:
„Wenn Sie so was noch einmal mit mir machen, schaue ich Sie nicht mehr an!“
Jedoch - die verpasste Vorbereitung auf Morphium-Entzug holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Fünf Monate nach OP schlief ich nie länger als 20 Minuten an einem Stück. Stets machte ich mich lächerlich, wenn ich im sehr warmen September 1991 in langer Unterwäsche und Wintermantel unterwegs war. Was zusätzlich belastete waren die immer wiederkehrenden Angebote meines Kriegskameraden, mich zu rekonstruieren, also mit eigenem Material aufzubauen. Eigentlich wollte ich das nicht, verschob es immer wieder. Mein dicker Verband im Gesicht wurde immer dünner. Versorgt wurde ich nun im „Städtischen“ bei uns direkt am Wohnort. Einmal fragte mich der sehr schmächtige Dr. Brotter: „Sagen Sie bitte, wir verbinden und verbinden, wie geht das denn weiter? es müsste doch mal konsequent abgedeckt werden.“ Gerade zog er sich die viel zu große Hose hoch, eigentlich hängt er mehr in dem Kittel als dass er ihn trägt und ich war stolz kompetent Auskunft geben zu können. Vielleicht trifft er auch mal jemanden und kann uns vermitteln. „Na ja“, erklärte ich, „das wird rekonstruiert, mit eigenem Beckenknochenmaterial, Fleisch und Haut, aus der Hüfte und so…“ Frei und spontan entschied ich den gedachten Gag auszusprechen: „… und ja, wenn wir fertig sind habe ich mehr Hintern im Gesicht als Sie in der Hose.“ Wegen dieser meinem Defekt gegenüber respektlosen Darstellung suchte der liebe Doktor mit hochrotem Kopf das Weite. Und ich lachte mich schief, weil mir mit diesem Ausspruch voll bewusst wurde, dass ich mich mag, akzeptierte, nach Krebs und mit den exponierten Folgen erst recht. Auch Zeitrente und Scheidung konnten mein Selbstbewusstsein nicht mindern. Mit dieser positiven Einstellung und sozialer Weitsicht gelang mir ein paar Jahre später die Gründung der Selbsthilfe „Tulpe“ für gesichtsversehrte Menschen sowie der berufliche Wiedereinstieg. Was so ein Krebs auch alles anstellen kann, mir hat er einen Weg gezeigt in ein neues und zufrieden stellendes Leben.


Volker Kalski während einer Autorenlesung

Volker Kalski, 53, gibt mit dieser Kurzgeschichte eine kleine Übersicht aus seinem gleichnamigen Buch. Der Autor lebt seit der Krebsdiagnose sehr bewusst und intensiv in Saarbrücken. In zahlreichen Autorenlesungen überzeugte Kalski bereits viele Betroffene und Angehörige mit der eigenen Betroffenheit. Humorvoll gelang es ihm dem Krebs den Schrecken zu nehmen. Volker Kalski, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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