Peter Dürbaum

Manchmal denke ich an Cordes

 
Manchmal denke ich an Cordes, wie er in seinem Bett liegt, ganz klarer Blick …  
 
Vor ein paar Tagen noch befanden wir uns auf der Intensivstation, angeschlossen an Kabeln und Schläuchen. In der Nacht hatten wir beide Probleme mit dem Einschlafen. Die Nachtschwester war anscheinend von der Putzwut befallen und knallte ständig die Klapptüren an den Schränken. Ab und zu schaute sie nach uns und überprüfte Schläuche und Kabel. Meine spöttische Frage, ob der Möbelwagen für den Umzug schon bestellt sei, verstand sie zuerst nicht. Als der Groschen endlich fiel, nahm sie das ernst - sie reagierte schnippisch: „Ich mache immer so einen Lärm, wenn ich aufräume.“ Cordes konnte sich kaum halten vor Lachen und stöhnte auch sofort auf, er hat starke Schmerzen. Auch ich mußte prusten, obwohl ich mich schlecht fühlte und mir alles wehtat. Mein Körper schmerzte von der großen Herzsonde. Fast eine Stunde lang hatte die Ärztin in meinem Herzen, ich kann schon sagen, herumgestochert, und mir verdammt wehgetan. Ich war bei der Untersuchung so verkrampft, dass ich noch am folgenden Tag meine Rückenmuskeln spürte und meine Leisten stark schmerzten. Außerdem litt ich vermutlich an einer Lungenentzündung, jedenfalls schmerzte mein Brustkasten stark, trotz Morphium. An Schlaf war kaum zu denken. Im Verhältnis zu Cordes aber ging es mir noch gut. Er war vollkommen verkabelt und überall hingen Schläuche aus ihm heraus. Immer wenn er sich im Schlaf drehte, verhedderte er sich aufs Neue. Dann sprang der Alarm an und wir waren beide wieder hellwach. Die Nachtschwester befreite ihn dann und wir schliefen wieder eine Weile. Plözlich schrillte wieder der Alarm – diesmal bei mir, die Infusion war leergelaufen. Dieser weiße Kasten mit den vielen Geräten, Schaltern und Lampen neben unserem Kopfende hatte uns vollkommen im Griff. Ab und zu betastete Cordes seinen aufgequollenen Bauch, das hörte ich am Rascheln seiner Bettdecke. „Ich bin froh, wenn ich hier wieder raus bin“, murmelte er. „Morgen werde ich punktiert. Die wollen wissen, warum mein Bauch nicht dünner wird.“ Zwei Tage und zwei Nächte lag ich zur Beobachtung auf der Intensivstation. Mein Bett wurde nun benötigt und ich mußte zurück auf meine Station. Endlich war wieder in meiner Nische, in der üblicherweise die Betten und die Nachtschränkchen stehen. Ich wollte nicht auf ein Drei-Bett-Zimmer. Man möge mir das Folgende verzeihen, aber alte Männer frieren meist und brauchen anscheinend keine frische Luft. Außerdem stöhnen und schnarchen sie, pupsen, erzählen dummes Zeug und freuen sich auf Fernsehsendungen wie den Musikantenstadl oder Gute Zeiten – Schlechte Zeiten. Wegen der Mädels vielleicht? In der Nische aber hatte ich meine Ruhe, konnte schreiben, zeichnen und meditieren. Ich brauche keinen Fernseher. Schwester Veronika von den Salvatorianerinen besuchte mich fast jeden Tag. Wir lachten oft und viel, bis ihr die Tränen flossen. Sie verulkte mich wegen der Trennwände, die mich vor neugierigen Augen schützen sollten und nannte mich einen Einsiedler. Auch das Pflegepersonal schüttelte zwar ab und zu den Kopf über meinen seltsamen Wunsch, aber es war sehr aufmerksam und hilfsbereit. Sogar den Oberarzt hatte ich davon überzeugen können, daß ich dort besser aufgehoben war. Von meinem Bett aus entdeckte ich Cordes zwei Tage später durch einen Türspalt im Zimmer gegenüber, erstes Bett links. Wahrscheinlich konnte er endlich nach Hause. Ich fühlte mich verdammt elend, aber am Nachmittag raffte ich mich auf und quälte mich mit schmerzenden Gliedern in den Rollstuhl. Ich hatte mir vorgenommen, den Fröhlichen zu mimen. Kurz klopfte ich an der Tür und rollte hinein. Matt hob er einen Becher Cola, als er mich erkannte. „Guck mal, die Ärzte haben gesagt, ich darf alles trinken.“ Bleich war er, seine Stirn glänzte schweißig und sein Bauch wölbte sich unter der Bettdecke. „Na, kommste nach Hause?“ Er schaute mich durchdringend aber liebevoll an: „Machs gut Peter ... ich muß sterben … morgen oder übermorgen“. Das war ein Schlag in den Magen. Ich mußte schlucken und konnte nicht anders, ich streichelte seine schweißnasse Stirn. Er, mit leiser Stimme: „Geh Junge, ich bin müde, ich muß schlafen“. Kurz blickte er auf die Flimmerkiste - nur Bilder - der Ton war ausgeschaltet, und ihm fielen die Augen zu.   In der Nacht hörte ich von meiner Nische aus, wie er seine letzten Atemzüge tat. Die Tür stand einen spaltbreit offen, und ab und zu huschte die Nachtschwester ins Zimmer, um nach ihm zu sehen. Immer wenn sie herauskam, warf ich ihr einen fragenden Blick zu, aber sie schüttelte nur leise den Kopf. Es gab wohl keine Hoffnung mehr. Schwer atmete er ein und lang atmete er aus, die ganze Nacht hindurch. Zwischendurch fiel ich in einen leichten Schlaf, aber daß dort drüben jemand starb den ich kannte, machte mir doch zu schaffen. Mensch, vor zwei Tagen haben wir doch noch zusammen gelacht. Ich versuchte zu meditieren und den Tod als selbstverständlich zu nehmen, aber es gelang mir kaum.   Gegen halb elf vormittags flüsterte der Oberarzt vor dem Krankenzimmer mit einer Frau und einem Mann in Schwarz. Man sah ernst aus und da wusste ich, Cordes war tot.  
 
  wie oft . . .
 
  wie oft habe ich mich alt gefühlt,
 
wie oft habe ich neu begonnen,
 
wie oft hab´ ich geglaubt,
 
die Zeit hat mich vergessen,
 
wie oft hab´ ich mich getäuscht und selbst betrogen
 
nun hab´ ich ihn gesehen,
 
den raffer der zeit,
 
den bruder des todes
 
(Peter Dürbaum, Samstag, 10.12.2005).
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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