Volker Kalski

Mobbing schleicht

Der Schock saß tief. Sabine und Rolf ließen sich scheiden. Für die gemeinsame zwölfjährige Tochter Lisa Marie war es umso schwerwiegender, weil dieser Lebensabschnitt mit Umzug und Schulwechsel verbunden war.
„Was wird sein in der neuen Schule? Wie werde ich als Fremde aufgenommen? Papa wird nicht mehr jeden Tag ansprechbar sein, eventuelle Probleme zu lösen.“ dachte Lisa Marie traurig an langen Abenden, bevor sie unruhig einschlief. Mutter Sabine wollte sie von ihren Gefühlen nicht sofort berichten, um sie nicht noch mehr zu belasten, gar Vorwürfe zu schüren. Lisa Marie konnte nicht ahnen, dass sie mit dieser Einstellung sehr viel verwundbarer wurde als die meisten ihrer Mitschülerinnen. Wie sollte sie es auch erfahren haben, in ihrem kleinen Leben.  
Lärmend und polternd fühlten sich die meisten Schüler wohl und heimisch, während Lisa Marie schüchtern mit hochgezogenen Schultern bereits an ihrem Platz saß. Insbesondere Markus fiel ihr auf. Es bereitete ihm großen Spaß sehr viel mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, als all die Anderen. Tobend sprang er rücksichtslos über Stühle und Tische, genoss die bewundernden Blicke von Lisa Marie.
 
„Mit dem gibst Du Dich besser nicht ab...“ raunte ihr Sophie zu, die erfahrene Tischnachbarin
„…der ist nicht ganz okay, der spinnt und tut blöd“
der kameradschaftliche weiche Ton der neuen Freundin ließ Gleichbetroffenheit erkennen. Lisa Marie fand Markus trotzdem interessanter in seiner wilden Art, und wusste nicht, dass sie schon verloren hatte. Mit Eintritt von Lehrer Hoffmann kam auch Ruhe ins Klassenzimmer. Während der Pause auf dem Schulhof standen Lisa Marie und Sophie zusammen. Lisa Marie nicht so offen wie Sophie. Das änderte sich schlagartig als Markus, mehr Lisa Marie im Visier, auf beide zukam. Die Hände noch in den Taschen grinste er die Mädchen respektlos an:
„Was verschafft uns denn die Ehre, dass Du zu uns in die Klasse durftest“
fragte Markus Lisa Marie, während er verächtlich den Mundwinkel hob und sie verunsicherte.
Sophie schüttelte energisch mit dem Kopf zu Lisa Marie, als wollte sie sagen:
„Gib ihm bloß keine Antwort, er ist so fies und schrecklich!“
Doch:„Meine Eltern lassen sich scheiden, so sind wir halt umgezogen…“
„Willkommen im Club!“
gab sich Markus großspurig und weltmännisch, lehnte Kaugummi kauend lässig am Zaun.
Schon war es zu spät für Lisa Marie zu bemerken wie ekelhaft er war. Markus dominierte die gesamte Klasse, hatte nun auch Lisa Marie voll im Griff.
 
„Wie war denn Dein erster Schultag?“
fragte Mutter Sabine während sie hastig das Püree neben die Fischstäbchen gab.
„Ganz gut“ log Lisa Marie knapp.
 
Markus` Hauptinteresse galt Lisa Marie. Vor Schulbeginn und in den Pausen wurde er immer lästiger und unverschämter. Versteckt. Andere sollten das nicht mitkriegen. Er wusste dass Lisa Marie mit Scheidung der Eltern empfänglicher war für seine Boshaftigkeiten. Markus war sich seiner zweifelhaften Macht bewusst und freute sich leichte Beute machen zu können.
Entweder schnitt Markus Fratzen, machte lange Nasen oder tänzelte provokativ vor Lisa Marie. Das zu ignorieren fiel ihr sehr schwer, bis sie sich umdrehte, Markus den Rücken zuwandte.
„Nein!“ dachte sie, „weglaufen werde ich vor diesem Scheusal nicht“
da zog er sie auch schon an den blonden Locken und lachte unverschämt.
„Rufen oder schreien werde ich auch nicht, dazu bin ich zu stolz“, machte sich Lisa Marie selbst was vor.
Markus lachte gackernd und hüpfte davon. Niemand registrierte die traurige Ausweglosigkeit von Lisa Marie. Wann hört das endlich auf, dachte sie resignierend. Nie habe ich ihm irgendwas getan. Einmal blieben die Attacken Sophie nicht verborgen:
 
„Was sagen denn Deine Eltern dazu?“ fragte sie Lisa Marie anschließend.
Unsicher und schwach winkte die Gefragte ab:
„Papa ist ja nicht da und meiner Mutter will ich das nicht zumuten.“
„Aber Du musst was tun, sonst wird es immer schlimmer“ zart fasste Sophie Lisa Marie am Arm.
„Das weiß ich auch, aber was kann ich schon tun, die anderen Jungen haben doch auch alle Angst vor dem?“
„Sage es doch mal Lehrer Hoffmann!!“ Sophies Energie tat Lisa Marie gut. Zuversichtlich nickte sie mit dem Kopf. Am nächsten Tag war es wie immer. Markus konnte sich nicht beherrschen, ließ von Lisa Marie nicht ab, diesmal im hohen Treppenhaus der großen Schule  Sie nahm das letzte Quäntchen Mut zusammen, brachte ihre zarten Hände nach vorn und rief:
„Ich sage alles Lehrer Hoffmann, Du blöder Kerl!“
Markus fiel in schallendes Gelächter, hielt sich theatralisch den flachen Bauch und hüpfte davon.
„Vergiss nicht, dass ich Klassenbester bin, Du Kuh“ schrie er zurück.
„Recht hat er“ dachte Lisa Marie und sah Sophies Felle davon schwimmen.
 
„Und, alles klar in der Schule?“
erkundigte sich Sabine Pflicht erfüllend während dem gemeinsamen Mittagessen.
„Nee eigentlich nicht alles“ druckste Lisa Marie verlegen herum.
„Ach, auf einmal nicht mehr, oder wie?“ mit dieser Antwort ihrer Tochter rechnete Sabine nicht und war überfordert.
„So schlimm ist es ja gar nicht“ erwiderte Lisa Marie darüber enttäuscht weshalb ihre Mutter nicht weiter wissen wollte, „was gar nicht so schlimm“ gewesen (?) war.
 
„Na Du blöde Pute, hast Du endlich begriffen, dass Du keine Chance haben wirst?“
fragte Markus verächtlich nachdem er Lisa Marie zwei Mal vor sich her schubste
„Mir kann keiner was, ich bin der King!! Ha, ha“
 
„Nun ja, Lisa Marie, das sind schon besondere Umstände – Scheidung, Umzug, Schulwechsel…“
Spontan saß Lehrer Hoffmann nach dem Unterricht vor Lisa Marie auf dem Tisch, hielt aber die Hände im Schoß.
„… die gesamte Klasse konnte sich auf Markus einstellen, dass Du als Neue es ein wenig schwieriger haben wird, ist ganz normal. Ich bin sicher, Du schaffst das auch, aber nur wenn Du willst. Trotzdem werde ich mal mit Markus reden.“
Lisa Maries Antlitz erhellte sich ein wenig:
„Werden Sie denn mit ihm so reden, wie er mit mir? Dürfen Sie auch schubsen?“
Wortlos lächelnd fuhr Lehrer Hoffmann Lisa Marie durch die blonden Locken.
Sie wusste, dass er es tun wird und machte sich auf Schlimmeres von Markus gefasst.
 
Zwei Tage hatte Lisa Marie RUHE. Doch dann, auf dem Nachhauseweg, sprang plötzlich Markus von einer Treppe eines Hauseingangs, hatte blitzschnell Lisa Maries dünnen Arm gefasst und drehte ihn brutal um, drückte sie mit dem Gesicht der Hauswand zu. Hilflos musste sie sich das gefallen lassen.
„Wirst Du wieder einem Lehrer erzählen, wie blöd DU bist“
zischte Markus am Ohr von Lisa Marie vorbei, während er ihren Arm weiter hochbog.
„Nein!!“ schluchzte Lisa Marie, „wirklich nicht!“
Mit dem Knie versetzte Markus noch einen Tritt in Lisa Maries Po, dass sie ein weiteres Mal aufseufzte. Markus war schon weg, als sie sich langsam umdrehte. Traurig, dass keiner der wenigen Passanten an ihrem schweren Schicksal teilhaben wollte. Unendlich mühsam und schwer waren ihre Tritte.
 
„Mensch Meier, das Essen wird doch kalt“ fauchte Sabine als sie die Tür öffnete,
„Du weißt doch, dass ich nur eine Stunde Pause habe, wo kommst Du denn jetzt erst her??“
„Aus der Schule, kann ich heute Mittag zu Papa?“
wollte Lisa Marie wissen, während sie sich mit dem gebogenen Zeigefinger langsam am Auge vorbei fuhr. „Nein! Du weißt doch, dass er die ganze Woche unterwegs auf Montage ist! Jetzt iss schnell“
 
Zwei elendig lange Jahre musste sich Lisa Marie diese bösen Gemeinheiten gefallen lassen, konnte von nirgends eine Hilfe oder Zuspruch erfahren, wurde schulisch so schlecht, dass sie sogar sitzen blieb.
„Na Gott sei Dank,“
hoffte sie leise, dann wird es bestimmt mit Markus nachlassen.
Es ließ nach, aber erst nach einem weiteren schlimmen Jahr.
 
Lisa Marie brach die Schule ab und fing eine Leere als Friseurin an. Total verschüchtert, deprimiert und demotiviert brachte sie auch die Ausbildung nicht zu Ende, jobbte hier und da…, oder gar nicht. Ohne Perspektive vertrödelte sie ihr Leben, hatte nie ein Freund. Nie konnte sie Möglichkeiten entdecken zu Jemand Vertrauen zu fassen. Ohne Ziele fristete sie ihr klägliches Dasein.
Einmal traf sie Sophie, die zufrieden einen Kinderwagen vor sich her schob.
„Hallo Lisa Marie“ rief sie winkend von der anderen Straßenseite.
„Du hast Dich ganz schön verändert, wie geht’s Dir denn?“ fragte sie, als sich die beiden Frauen gegenüberstanden.
„Ganz gut, ich komm zurecht,“ log Lisa Marie und ging langsam und ziellos weiter.

Sabine heiratete wieder. Lehrer Hoffmann wurde Rektor, setzte die völlig unnötige Einstellung von Schulpsychologen durch, mit der Gewissheit, dass die es auch nicht besser machen werden. Aber schließlich muss man ja das Gewissen beruhigen und bereit gestellte Mittel ausgeben. Markus finanzierte sein Studium zunächst mit Automatenaufbrüchen. Die leisteten noch weniger Widerstand als seine jungen Mitschüler und erfahrene Lehrer. Es folgten Autos und später Geschäfte, bis er 23jährig wegen Inhaftierung das Studium schmiss.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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