Hardy Schneck

Parole "Heimweh"

                                                 Parole "Heimweh"                                                ---------------------
                                       Aus dem Tagebuch des Hans H. Kurrowski

12.Mai 1945. Der unsägliche Krieg war zu Ende. Tod, unendliches Leid, Not, Hunger, Zerstörung und Elend waren seine Früchte.Mich hatte es am am letzten Kriegstag erwischt.Ich war Bootsmann auf einem Minensucher und am 8.Mai ergaben wir uns mit unserem Boot den Briten in Schilksee bei Kiel. Die Tommies behandelten uns den Umständen entsprechend gut. Unser Leutnant wurde zwar etwas barsch ausgefragt, da er alle kriegswichigen Papiere vernichtet hatte und weil unsere Fla-Waffen durch entfernen der Verschlüsse unbrauchbar waren. Dennoch ging alles recht friedlich vonstatten. Man brachte uns, wir waren 23 Mann, mit einem LKW in ein Gefangenenlager in der Nähe von Neumünster, wo wir am 11. Mai ankamen. Das Lager war sehr primitiv. Es befand sich auf dem Gelände einer ehemaligen Papiermühle. Hier lagen zusammengepfercht etwa 18000 Gefangene, zumeist Marineangehörige. Ein mickriger Maschendrahtzaun verstärkt mit Stacheldraht war das einzige, was das Lager von der Umgebung abtrennte. Hier wuchs in mir schon der Gedanke zur Flucht.Die Landser hatten sich mit Zeltplanen in Erdlöchern einigermaßen eingerichtet. Es regnete, als wir ankamen und das erhöhte noch das Elend dort. Essen gab es vorerst einmal nichts. Wasser aus den Pfützen, oder in Planen aufgefangen. Toiletten, Fehlanzeige. Na was soll's? Hatten wir nicht unsere Gefangenen genau so behandelt?? Insbesondere die Russen und Polen? Was wollten wir uns beklagen.
Heute gab es die erste Verpflegung. Einen Schlag Suppe und ein Stück Kommisbrot, Marineware, also von uns. Dazu bekam ein jeder noch eine kleine Dose Schokolade, die wir mit Heißhunger verschlangen.Jetzt saß ich mit meinem Kameraden Paul Döring auf einem umgestülpten Teerfaß und wir beratschlagten, wie wir wohl am besten von hier 'türmen' konnten. Paul kam von einem kleinen Dorf in der Nähe von Braunschweig und ich aus einem ebenso kleinem Kaff aus dem Westerwald.Und da kam uns Kamerad 'Zufall' zu Hilfe. Paul hatte mit ein paar Kameraden so etwas, wie ein Plumsklo gebaut, wobei uns ein gefundener Spaten gute Dienste tat. Bei der Suche auf dem weitläufigen Terrain nach brauchbarem Baumaterial stieß er auf ein zerbombtes Lagerhäuschen und hier fand er: 2 noch original verpackte Eisenbahn-Monteuranzüge nebst Schuhen und Werkzeugtaschen. Ein Fund, der vielleicht die Heimreise ermöglichte.In der Nacht entledigten wir uns unserer Militärklamotten und zogen die Monteuranzüge an. Sie paßten.Wir hatten schon beim Ankommen im Lager bemerkt, dass zwei Schienenstränge mitten durch das Gelände führten, dies sollte unsere Freiheit werden. Am morgen machten wir uns in der Frühe auf den Weg. Paul nahm den rechten, ich den linken Strang.Hier und da blieben wir stehen und klopften gegen die Schienen oder die Befestigungsschrauben der Schwellen. So erreichten wir das Eingangstor durch welche die Geleise führten. Hier standen zwei sogenanne 'Spanische Reiter', eine Art Sperre, bewacht von zwei Posten, die mit hochgezogenen Schultern und eingehüllt in Ölzeug versuchten, dem Regen zu trotzen. Jetzt hieß es Nerven behalten.Kaltschnäuzig trat Paul auf die Posten zu und deutete an, die Sperre zur Seite zu schieben. Eifrig halfen die Beiden. Das hatte geklappt. Nur ruhig bleiben, dachte ich bei mir, nur nicht auffallen.Und   es ging gut.Als es hell wurde, hatten wir schon ein gutes Stück Weg geschafft. Ab und an erschienen Militärstreifen, die aber keinerlei Interesse an uns hatten. So  erreichten wir schließlich Norderstedt, einen Vorort von Hamburg.Mit Entsetzen starrten wir auf die völlig zerstörte Stadt. Hier stand kein ganzes Gebäude mehr und hier lebten auch kaum noch Menschen. Der dortige ehemalige Bahnhof, ein Trümmerhaufen. Nur die Geleise waren frei von Schutt, denn es fuhren ja schon wieder Züge, alliierte Züge! In einer zerstörten Trafostation übernachteten wir und aßen unsere letzten Vorräte.Wir brauchten Papiere. Unsere Soldbücher etc. hatte man uns ja abgenommen, wir überlegten und kamen  zu dem Schluß, uns als Zwangsarbeiter auszugeben, die wegen Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei, bzw. Gewerkschaft zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden waren. Bei dem Durcheiander, der z.Z. herrschte, müßten wir damit durchkommen. Die Nacht verbrachten wir in dem Trafotürmchen und am morgen machten wir uns wieder an unsere Arbeit.Wir durchquerten ganz Hamburg und langsam wurden wir immer dreister.Die Reichsembleme an Anzug und Mütze hatten wir längst entfernt, vom 'Hakenkreuz' hatten wir die Schnauze voll. Und da kam uns zum 2. mal Kamerad 'Zufall' zu Hilfe.Ich fand in einem umgekippten Bürowaggon der Wehrmacht neben diversen Stempeln und Bürokram einen Satz mit schönen, glänzenden Messingbuchstaben in der Größe von ca. 4 cm. Das war genau das, was wir brauchten. Wir nahmen beide die Buchstaben "US" und nähten uns die auf die linke Brusttasche. Das sah richtig gut aus.Auf einer Schreibmaschine stellten wir uns einen >Zwangsarbeiter Ausweis< her, den wir geschickt mit einem Stempel einer Baubrigade versahen. In Dem Waggon fanden wir auch Marketenderware und Zigaretten.So ausgerüstet ging es weiter und zum dritten mal trafen wir auf unseren Kameraden Z.in Form eines Zuges, der mit leeren Waggons in Richtung Süden fuhr.Wir sprangen auf den letzten Wagen und machten es uns bequem. Paul setzte sich ins Bremserhaus und ich legte mich hin.
Wir fuhren fast 6 Stunden lang, bevor der Zug das erste mal anhielt. Wir lugten vorsichtig und erkannten den Namen der Station:"Lehrte"."Mann, wir sind schon in Hannover, ich muß ab," sagte Paul. Hier trennte sich also unser Weg. Paul hatte natürlich meine Adresse und ich die seine. .Wir verabschiedeten uns scnell, denn der Zug fuhr wieder an. Ein letzter Blick zurück, ein winken und dann stieg ich in das Bremserhäuschen.Und weiter ging es nach Süden. Schließlich erreichte der Zug nach vielen Haltestellen sein vermutliches Ziel,Kassel. Von hier ging es wieder"immer an den Geleisen lang" in Richtung Heimat. Ohne Zwischenfälle gelangte ich nach Siegen und von dort nahm mich ein Lastkraftwagen der Amerikaner mit bis Montabaur.Einem Sergeant, der gut deutsch sprach erzählte ich von meiner 'schrecklichen Zeit als Zwangsarbeiter bei den Nazis, nur weil ich einst der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei angehört hatte. Er zeigte viel Mitgefühl und gab mir zum Abschied einen Beutel mit 'Naturalien' und einen 5 Dollar Schein.Ich kam an einem sonnigen Frühlingstag bei meinem Elternhaus an und die Gesichter meiner Eltern und meiner beiden Schwestern bei meiner Ankunft, werde ich nie vergessen. Paul meldete sich im Spätherbst mit einer Nachricht.Er hatte es auch geschafft.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.03.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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