Germaine Adelt

Rubinrot

 
        Es war einfach perfekt. Das Kerzenlicht spiegelte sich im Rubinrot des Spätburgunders. Das Steak medium gebraten, so wie sie es mochte, die Prinzessbohnen vielleicht ein klein wenig zu durch. Das Einzige was fehlte, war jemand, der diesen Genuss mit ihr teilte. Aber sie war allein, wie so oft in letzter Zeit.
        Sie hatte sich daran gewöhnt das Haus nicht mehr verlassen zu können. Das Herz machte dies nicht mit. Zwar hatten die Ärzte nichts gefunden, aber schließlich spürte sie, wie es sich bei der kleinsten Anstrengung überschlug und so konnte sie es nicht riskieren nach draußen zu gehen.
         Das Telefon klingelte und stöhnend legte sie das Besteck ab.
        „Nicht jetzt.“, murmelte sie und trank einen Schluck Wein um dann doch aufzustehen und den Hörer abzunehmen.
        Es war Bracher, der sie um einen Rat beim Niesnutzbrauchrecht bat. Geduldig teilte sie ihm ihre Ansichten mit und freute sich insgeheim darüber, dass er ihre Hilfe brauchte.
        Früher hatte er sie öfter besucht, wohl eher um zu sehen wie es ihr ging. Als ihr Chef war er daran interessiert sie bald wieder in der Kanzlei zu sehen. Irgendwann hatten sie sich heftig darüber gestritten ob sie uneinsichtig sei oder nicht. Seither telefonierte sie nur noch miteinander.
        Sie war darauf bedacht, dass Gespräch kurz zu halten. Immerhin wartete das Steak auf sie. Als sie schon wieder am Tisch saß und an dem köstlichen Wein nippte fiel ihr ein, dass es ein Grundsatzurteil gegeben hatte. Da sie nicht sicher war, ob Bracher davon wusste stand sie erneut auf und ging zum Telefon. Die Wählscheibe brauchte ihre Zeit um zurückzudrehen und mit einem Lächeln musste sie daran denken, wie dies Bracher bei seinen Besuchen schier aus der Fassung brachte, wenn er mal telefonieren musste.
 
        „Ob wir noch lange warten müssen?“ fragte Griebel und sah missmutig auf die Uhr. Den Feierabend und das Kino mit Madlen  konnte er vergessen.
       „Beim Amtsarzt kann es dauern.“ sagte Winter.
       „Ich denk das ist eine Zwangsräumung.“
        „Die Zwangsräumung kommt danach.“ erklärte Winter und deutete auf dem alten Passat des Gerichtsvollziehers, der gerade in die Straße einbog.
        „Na toll“, brummte Griebel, „das kann dauern.“
        „Ach, keine Sorge. Schuhmann klebt nur seinen Kuckuck drauf. Geräumt wird morgen. Wir sind nur für die Zwangseinweisung da.“
        „Scheint keiner zu Hause zu sein.“ in Griebel keimte Hoffnung. „Alles dunkel und verlassen.“
        „Kein Wunder, wie auch. Da geht schon lange nichts mehr. Telefon, Strom, alles seit Wochen abgestellt.“
        „Wie alt diesmal?“ Griebel hatte einfach keine Lust auf eine halb verweste Leiche, so wie letzten Monat, als sie die alte Dame bei der Zwangsräumung tot im Flur fanden.
        „Keine vierzig.“
        „Was?!“
        „Ja regelrecht unfassbar. Alles war super. Anwältin, erfolgreich, schnuckelig anzusehen. Ich bin ihr öfter begegnet. Dann wird sie im Gerichtsgebäude von so einem Irren angeschossen und nichts geht mehr. Sie hat wohl seitdem sie aus dem Krankenhaus kam, die Wohnung nicht mehr verlassen. Na ja und das geht ja dann schnell. Job weg, Freunde weg, Geld irgendwann alle …“
        Griebel sah noch einmal auf das Einsatzprotokoll.
        „Was denn, die Steinfeld? Die Geiselnahme vor vier Jahren?“
        Winter nickte nur.
        „Frenzel hat mir von dem Einsatz erzählt, der Täter hatte sich mit ihr noch Stunden verschanzt. Die ist doch fast verblutet … und sie hat seit vier Jahren das Haus nicht verlassen?“
         Winter nickte wieder: „So wird erzählt.“
        „Und wer kauft für sie ein, macht Besorgungen?“
        „Internet, geht heute alles online. Lieferservice inklusive.“
        „Ja aber ohne Geld? Was sagt denn das Sozialamt dazu?“
        „Nichts?“
        „Wie nichts?“
        „Dort ist sie gar nicht gemeldet. Sie verweigert alles, vegetiert wohl nur noch vor sich hin, jetzt so ohne Strom, ohne alles. Was meinst du warum der Amtsarzt kommt.“ Winter grinste breit. „Da ist er ja unser Dr. Siebert. Na denn.“
 
        Die Wohnung war in einem besseren Zustand als erwartet und auch die Frau war nicht so verwirrt wie befürchtet. Nachdem Siebert sich bei ihr vorgestellt hatte, erschien sie fast erleichtert und redete ohne Unterlass von einem Kardiologen der sie unbedingt untersuchen müsse.
        Griebel sah erneut zur Uhr, der Kinobesuch konnte doch noch stattfinden wenn nicht etwas unvorhergesehenes passierte. Dr. Siebert war mit der Frau schon lange verschwunden und Schuhmann sah auch so aus, als wolle er Feierabend machen. Dann entdeckte Griebel die leeren Katzenfutterdosen in der Küche und raunte Winter zu: „Ich ruf schon mal den Tierschutz an.“
        Gedankenverloren ging er zu dem Telefon, das auf dem Glastisch im Flur stand. Dann erst fiel ihm ein, dass man den Anschluss lange abgestellt hatte und er bezweifelte angesichts der altmodischen Wählscheibe sowieso die Funktionstüchtigkeit dieses Apparates.
        „Vergiss es.“ murmelte Winter. „Um was wetten wir, dass es keine Katze gibt?“
        „Nicht schon wieder!“ Griebel hasste die Tatsache dass sich neuerdings immer öfter verarmte Menschen von Katzenfutter ernährten, da dies am preiswertesten war. Doch Winter sollte Recht behalten.
        Im Wohnzimmer war der Tisch fast festlich gedeckt. Mit Kerzenlicht und richtigem Silberbesteck. Auf dem Teller Zwieback, darauf Katzenfutter. Daneben ein Glas mit einer rubinroten Flüssigkeit.
        „Was ist das?“ fragte Winter besorgt. Sie hatten in ihren Einsätzen schon genug gesehen und waren auf alles gefasst. Griebel schnupperte daran und stöhnte leise:
         „Rote Beete, der Saft davon.“
         „Sicher?“
         „Ganz sicher. Die Büchse gibt es für neunundfünfzig im Sonderangebot.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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