Annika Albe

Das Selbstbildnis

„ Malen Sie doch mal ein Selbstbildnis“ sagte die junge Frau, bevor sie so schnell verschwand, wie sie gekommen war.
 
Der Rasen war frisch geschnitten und es war Sommer. Der süßliche Geruch der Apfelbaumblüten durchzog die Luft und lud   zum Verweilen ein. Auch ihn, der in diesen Tagen fast immer an den selben Platz kam, um Apfelbäume zu zeichnen, umhüllte dieser wunderbare Geruch. Er schaute auf seinen neunten Apfelbaum und musste lächeln, denn das Vogelpaar, das in den höchsten Ästen  nistete, war proportional zu groß geworden. Diese Angelegenheit würde allerdings die Käufer nicht weiter beeindrucken, denn oft hatte er das Gefühl, sie würden seine Bilder sowieso nur aus Mitleid kaufen.
 
Doch nun war alles anders. Diese junge Frau, die ihn gefragt hatte, ob er nicht mal ein Bild von sich malen könne, hatte ihn stark beeindruckt. Sie schien anders zu sein. Blond war sie  und hatte eine wunderbare Stimme, doch ihre wahre Kontur bildete in seinem Kopf nur eine schemenhafte Gestalt. Er ärgerte sich, dass er sie nicht beachtet, sonder starr den Pinsel auf das Papier gedrückt hatte. Doch so war es immer, Menschen waren nichts für ihn, und so oft es nur ging, versuchte er, ihnen aus dem Weg zu gehen. Als Maler hatte er glücklicherweise die Möglichkeit dazu. Die Natur verschlang ihn und hier hatte er nichts zu  befürchten.  
 
Es dämmerte schon, als er seinen kleinen Malkoffer zusammenpackte und den neunten Apfelbaum unter den Arm klemmte. Dreihundertsechsundvierzig Schritte waren es zu seiner Haustür. Schritte, die erst über Gras, dann Sand und schließlich über abscheulichen Granit und Asphalt führten. Er war froh, als er den muffig riechenden Flur seiner Wohnung betrat und die Tür hinter sich schließen konnte. Die enge Wohnung bildete zwei Zimmer, die Küche und sein Arbeitszimmer. Die dunkle Wandvertäfelung aus Mahagoniholz drückte ihn und aus der Küche war das urtypische Geräusch eines tropfenden Wasserhahnes zu hören. >Den muss ich auch mal reparieren<, dachte er sich und stellte vorsichtig das fertige, aber noch feuchte Bild neben den anderen acht ab. Er betrachtete es eine ganze Weile. Dieser Baum war ihm wirklich sehr gut gelungen und er freute sich, bald sein zehntes Exemplar malen zu können. Er ging in die Küche, drückte in den tropfenden Wasserhahn ein Stück Papier und setzte sich an den noch freien Platz am Küchentisch. Überall verstreut lagen Unmengen von Zeichnungen. Zeichnungen von Blüten, Bäumen und Büschen. Jedes einzelne Blatt liebte er auf seine Weise, waren sie doch gute Freunde geworden. Er trank den restlichen Kaffe, der schon seit dem Morgen hier stand, als er das Haus verlassen hatte, um seinen Baum zu malen. Der Kaffeesatz hatte sich unten abgesetzt und schmeckte scheußlich, als er ihn im Mund hatte. Er schluckte ihn trotzdem und starrte dann hinaus in die Dunkelheit. Seine Fenster brauchten keine Gardinen.
 
Er dachte an die Frau und ihren Wunsch. Sie wollte ein Bild, ein Bild von ihm. Doch wie sollte er es anstellen, hatte er doch noch nie ein Bild von sich gezeichnet. Er stand auf und kramte in den Papierstapeln. Adonis aestivalis und Castanea sativa blinzelten ihn an. Endlich fand er das, wonach er gesucht hatte. Ein leeres Blatt und einen Bleistift. Werde ich es versuchen, dachte er sich und begann den ersten Strich zu malen; doch schon nach dem sechsten oder siebten begann er hilflos, wie ein Kind zu kritzeln. Er knüllte das Papier und warf es wütend in den Papierkorb, stand auf und ging  an die Spüle. Kaltes Wasser brachte ihn wieder zur Besinnung. Er blickte auf und starrte in den  darüber angebrachten Spiegel. Ein Mann glotze ihn blöde und benommen an. Schwarze Haare, blaue Augen , große Ohren und eine viel zu kleinen Nase. Das ist es lachte er da und setzte sich wieder an  den Tisch. Erneut malte er Kringel, Striche, Ovale und Vierecke. Der Zeiger der Küchenuhr rückte immer mehr auf die Zwölf zu , als er seine Zeichnung beendet hatte.
 
Ein Mann mit schwarzen Haaren, blauen Augen, großen Ohren und einer viel zu kleinen Nase betrachtete ihn aus dem Bild. Er freute sich, hatte er doch das geschafft, was er nicht für möglich gehalten hatte. Er ging erneut zur Spüle, um zu sehen, wo noch Verbesserungen gemacht werden mussten. Doch was war das. Der Mann im Spiegel sah nun ganz anders aus. Die Augen waren viel kleiner geworden und dicke blaue Streifen umhüllten sie. Die Haare streckten sich in alle Richtungen aus und von den Ohren war kaum etwas zu sehen. Nur die Nase war gleich geblieben. Dieser Mann im Spiegel glich überhaupt nicht dem Mann auf seinem Blatt. Er ließ erschrocken die Arme sinken, knüllte  die Zeichnung und schmiss sie traurig zu der anderen in den Müll. Sein Kopf wurde immer schwerer und  dicke Tropfen quollen aus seinen Augen. >Ich werde es nie schaffen<, sagte er sich und ließ sich auf den Stuhl niedersinken.
 
Es dämmerte schon, als  er erwachte. Schwarz und alt starrten ihn die Wände der Küche an und der Wasserhahn tropfte im gewohnten Rhythmus. Das Papier lag durchgeweicht im Abfluss und ließ nur vereinzelt Wasser nach unten dringen. Er dachte an die Frau und ihren Wunsch. Er wollte sie vergessen, nahm sich seinen Staffelei und den Malkoffer und verließ den Raum. Unten auf der Straße war alles leer. Die Autos waren von den umherfliegenden Pollen gelb besprenkelt. „Genauso wie meine  Bilder“, murmelte er und kam bald in den Park. Er setzte sich in das nasse Gras, das seine Hose durchnässte. Die Kälte war ihm egal, denn schon hatte er den Pinsel angesetzt, um den größten Baum in der Mitte zu malen. Doch irgendwie schien ihm die Pinselführung schwer zu fallen. Ihm gefiel überhaupt nicht, was er da malte. Immer wieder kehrte sein Gedanke zu der Zeichnung und der Frau zurück. Er war verzweifelt, brauchte er doch das Geld, um seine Wohnung zu zahlen. Und was wurde aus seinen Apfelbäumen. Er versuchte es erneut, wurde aber durch eine Frau gestört, die geradewegs auf ihn zu kam. Es war Sie. Er versuchte aufzuschauen, doch sein Blick entwich ihm. „ Malen sie ein Selbstbildnis?“, wollte die Frau wissen und lächelte. „ Nein“, sagte er nur und wandte sich wieder seinem Bild zu. „Das ist aber schade“, sagte sie und setzte sich neben ihn ins Gras. Er roch ihren Duft, der genauso süßlich wie der der Bäume war. Sie sprachen nicht miteinander. Er malte, sie schwieg. Nach einer Weile allerdings, erhob er sich zögernd und sah zu ihr herab. „ Ich habe es versucht“, sagte er, „aber ich kann mich nicht malen.“
 
„Das habe ich mir gedacht“, sagte sie nur und zupfte an einem Grashalm  „und es ist gut so.“ Sie stand auf , glättete ihren Rock und  strich sich die Haare aus dem Gesicht. „ Nehmen sie diesen Spiegel“, sagte sie dann schmunzelnd. „ Ich schenke ihnen mein Selbstbildnis.“ Zögernd nahm er ihr Geschenk an und blickte hinein. Ein Mann mit schwarzen Haaren, blauen Augen und einer kleinen Nase, sahen ihn verwundert an. „ Ja aber ...“, sagte er. „Ich mag ihre Bilder,“ unterbrach ihn die Frau. „Sie mögen Bäume, nicht wahr?“ „ Ja,“ antwortete er. „Ich heiße übrigens Iris,“ sagte sie weiter und entfernte sich. “Sehen wir uns wieder?“, rief er ihr noch hinterher, doch da war sie schon zwischen den Apfelbaumreihen verschwunden.“ Geknickt blickte er  noch einmal in den Spiegel und sah ... sich.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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