Philipp Schumacher

Abgestempelt - Eine kurze Beamtenballade

 
Formular. Stempeln. Das nächste Formular. Stempeln.
Noch ein Formular. Wieder stempeln.
Das nächste Formular war ein rotgerändertes, weshalb Holger darüber einen Vermerk machen musste. Warum, wusste er nicht mehr. Vielleicht hatte er es einmal gewusst, doch anstatt darüber nachzudenken stempelte er. Das letzte Formular. Nur noch einmal stempeln.
Holger starrte das Blatt vor sich an, dann stempelte er es unnötigerweise ein zweites Mal. Er empfand dabei seltsam diebische Freude. Der Stapel, den er sich vorgenommen hatte bis zur Mittagspause zu erledigen, war nun abgearbeitet und abgestempelt. Er sah zur Uhr: 11:34, Mittag.
Zwar verspürte er noch nicht das Bedürfnis eine Pause einzulegen, doch der Stapel war erledigt und halb zwölf war nun mal seine Zeit. Auf dem Flur vor der Bürotür hallten Schritte. Gleich würde Hans-Peter von Zimmer 417 anklopfen und seinen Kopf durch die Tür stecken. Er würde Holger fragen, ob er Lust hätte, mit in die Kantine zu kommen. Holger würde wie immer in den letzten Monaten behaupten er habe noch Einiges zu tun.
Es klopfte. Hans-Peter schaute hinein und sagte seinen Satz. Holger schaute von seinem Formular auf und sagte seinen. Hans-Peter verschwand wieder.

Holger schloss seine Tür von innen ab, nahm seinen kleinen Weltempfänger aus der Aktentasche und schaltete ihn ein. Klassik, in gedämpfter Lautstärke. Die beiden belegten Brötchen, die er sich am Morgen geschmiert hatte, ließ er in der Tasche. Stattdessen zog er einen Wecker hinaus, stellte ihn vor sich auf den Schreibtisch und sah ihm beim Ticken zu. Die Minuten vergingen.

Fast regungslos verharrte er so, bis die Zeiger des Weckers 12:02 anzeigten. Seine offizielle Pause betrug eine halbe Stunde. Er stand auf und ging zum Fenster. Von dort aus konnte er die angrenzenden Bürogebäude mit ihren verspiegelten Fensterscheiben sehen. Mit ihren künstlich angelegten und künstlich aussehenden Blumenbeeten vor den Eingängen.
Er schloss das gekippte Fenster und zog die Jalousie zu. Dann setzte er sich wieder. Aus der Innentasche seines verknitterten Sakkos zog er ein Foto. Es war das gleiche Foto, mit dem er sich vor fast zwanzig Jahren beworben hatte. Hätte er sich die Mühe gemacht das Foto richtig anzusehen, hätte er überrascht festgestellt, wie jung und voller Leben er damals ausgesehen hatte. Er legte es vor sich hin und nahm den Stempel in die Hand. Ein außenstehender Beobachter hätte in der Art wie er sein eigenes Portrait abstempelte keinen Unterschied bemerkt zu der Art wie er seine Formulare stempelte.
Er hielt kurz inne, dann fügte er noch einen Datumsstempel hinzu. Bevor er die Waffe aus seiner Aktentasche nahm, zog er sich noch die Krawatte zurecht und strich sein zerknittertes Sakko glatt.

ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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