Klaus Eylmann

Der Blasrohr Mord

Eine Kommissar Schneider Geschichte

Schneider riss die Tür auf und rief in die Küche hinein: “Abend Emma,” hängte seine Jacke weg, ging ins Wohnzimmer und fläzte sich auf die Couch.
“Ist was, Heinrich? Du klingst so anders.” Emma steckte ihren Kopf in die Tür und blickte Schneider prüfend an.
“Sieh dir mal meinen Arm an.” Schneider streckte Emma seinen Arm entgegen. “Ich glaube, mich hat etwas gestochen.”
“Lass mal sehen. – Ich tippe auf Mückenstich. Das haben wir gleich.” Emma verschwand in der Küche und kam mit einer Zwiebelscheibe zurück. “Die legst du jetzt für zehn Minuten auf den Mückenstich, dann verschwindet er.
So,” Emma fuhr mit der Hand durch Schneiders Haar. “Ich verschwinde wieder in der Küche, und wenn das Essen fertig ist, rufe ich dich.”
Schneider liess sich zurückfallen und hielt die Zwiebelscheibe auf seinen Arm gepresst. Er blickte auf den ausgeschalteten Fernseher, fühlte sich ausgebrannt. Burnout Syndrom? Er hatte doch nichts auszustehen. Emma war der rettende Hafen, in dem er am Feierabend anlegte. Nur, tagsüber vermisste er den Kick, den Adrenalinschub. In Ermangelung frischer Taten gingen sie im Kommissariat alte ungeklärte Mordfälle durch und durchsuchten sie auf Gemeinsamkeiten.

“Morgen, Udo. Immer noch nichts?”
Sein Mitarbeiter schüttelte den Kopf.
“Nee, nichts Besonderes. Vielleicht sind wir einfach zu gut und es traut sich keiner mehr, ein Kapitalverbrechen zu begehen. Dann könnten wir uns auf die Schulter klopfen. Ich möchte nun auch nicht soweit gehen, selbst eines zu produzieren, nur damit wir was zu tun bekommen.”
“Du meinst, wie manche Feürwehrleute, die erst die Scheune in Brand stecken und sich dann im heldenhaften Löscheinsatz hervortun.”
“Ja, so ähnlich. Nehmen wir uns lieber die ollen Mordfälle vor.”

Nichts hatten sie gefunden. Es fehlt eine Datenbank, die nach den Attributen der Mordfälle sortiert ist. Schneider war frustriert und auf dem Heimweg. Als er mit seinem Wagen um die Ecke bog, sah er das Blaulicht mehrerer Polizeiwagen vor dem Institut für alternative Energien. Er stoppte sein Gefährt und sprang heraus. Der Eingang des Gebäudes war geöffnet. Schneider ging hinein.
“Hören Sie mal, hier können Sie nicht rein.” Ein Polizist stellte sich ihm in den Weg. Schneider zeigte seinen Ausweis.
“Ist Dr. Petersen hier?”
“Schon gut Leute, es ist Kommissar Schneider. Lasst ihn durch.”
Petersen, der im Korridor neben einem Toten kniete, erhob sich und gab Schneider die Hand. “Seltsame Geschichte, Herr Schneider. Der Mann wurde mit einem Giftpfeil getötet. Sieht nach Curare aus.”
“Ist das nicht ein Gift südamerikanischer Indios, mit dem diese Affen erlegen?”
“Stimmt. Curare wird aus Pflanzen gewonnen und zu einer zähen, klebrigen und bitterschmeckenden Flüssigkeit verarbeitet. Pfeile, in diese Tinktur getaucht und mit mit einem Blasrohr auf das Opfer geschossen, führen zu einem grausamen Tod.”
Petersen griff nach einem Plastikbeutel.
“Sehen Sie den Pfeil? Grausam deshalb, weil das Opfer bis zu seinem Erstickungstod miterlebt, wie nach und nach sämtliche Muskeln seines Körpers gelähmt werden.”
Schneider betrachtete das Geschoss.
“Weiss man schon etwas über das Opfer?”
Petersen deutete auf eine Bürotür.
“Dort im Büro befinden sich einige Mitarbeiter dieses Mannes. Ich weiss nur, der Tote heisst Morgenstern und war Leiter des Institutes.”
“Wen habt ihr von der Mordkommission angefordert?”
“Holzmann.”
Schneider griff nach seinem Handy und rief zurück, dass Holzmann nicht zu kommen brauchte.
Petersen sah ihn an.
“Ich bin fertig und gehe jetzt. Die Spurensicherung ist auch schon durch. Einen schönen Abend noch, Herr Schneider.”
Schneider öffnete die Bürotür. Einige Frauen hatten es sich auf den Stühlen bequem gemacht, während zwei Männer auf den Schreibtischen sassen. Laborpersonal? Die Leute trugen weisse Kittel.
“Vielen Dank, dass Sie gewartet haben. Mein Name ist Heinrich Schneider. Als Kommissar der Mordkommission möchte ich Ihnen einige Fragen stellen.”
Einer der Männer erhob sich und gab Schneider die Hand.
“Reimann, Laborleiter. Es ist schrecklich. Wir sind noch vollkommen durcheinander. Was wollen Sie wissen?”
Schneider erfuhr, dass der Tote an der Verbesserung von Brennstoffzellen gearbeitet hatte.
“Wer von Ihnen hat das Knowhow, die Arbeit fortzuführen?”
Einige blickten auf eine blasse junge Frau, die schluchzend in einer Ecke sass.
“Fräulein Morgenstern hat eng mit ihrem Vater zusammengearbeitet. Sie hat die nötigen Kenntnisse und besitzt die Erfahrung, das Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.”
Reimann legte eine Hand auf die Schulter der Frau. “Wir alle sind betroffen über den Tod ihres Vaters.”
Schneider sah zu der jungen Frau hinüber.
“Fräulein Morgenstern. Bitte nehmen Sie mein Beileid entgegen. Ich werde noch einmal zu einem günstigeren Zeitpunkt auf Sie zukommen.”
Schneider drückte Reimann seine Visitenkarte in die Hand und setzte seinen Heimweg fort.

Schneider riss die Tür zur Küche auf.
“Abend Emma, gibst du mir ein Bier?” Er gab seiner Frau einen herzhaften Kuss, hängte seine Jacke weg, ging ins Wohnzimmer, liess sich auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher ein.
“Heinrich, du bist ja richtig aufgeblüht. Was ist denn passiert?” Emma stellte das Bier auf den Couchtisch.
“Wir haben einen Mord.”
“Ist ja schrecklich, ich meine, ist ja toll. Doch komm jetzt in die Küche. Das Essen ist fertig und bring Dein Bier mit.”

“Wie es der Zufall so will, Udo….” Schneider hängte seinen Mantel an den Haken und sah Udo über die Schulter, der ungerührt in der Bildzeitung weiterlas.
“Bist du auf einen frischen Mord gestossen. Guten Morgen, Heinrich und herzlichen Glückwunsch.
Der Blasrohr Mord. So steht das in der Bildzeitung. Bei dieser exotischen Tötungsart sollte sich die Anzahl verdächtiger Personen eigentlich eingrenzen lassen.”
“Dazu müssen wir erst mal ein paar Verdächtige haben, mein Lieber. Ich werde uns im Institut anmelden. Wenn du soweit bist, fahren wir dort hin.”

“Fräulein Morgenstern, Herr Reimann, erzählen Sie uns doch bitte etwas über Brennstoffzellen.”
“Ganz einfach,” erklärte Reimann. “In Brennstoffzellen werden Wasser und Sauerstoff in Wasserdampf umgewandelt. Dabei wird Strom erzeugt.”
“Nun war mein Vater dabei, ein Verfahren zu entwickeln, welches den Wirkungsgrad um ein Hundertfaches erhöhen sollte.” Fräulein Morgenstern beugte sich vor und blickte Schneider und Udo bedeutungsvoll an.
Sie hat sich wieder gefangen, dachte Schneider. Ihre Wangen röteten sich, als sie sah, wie er auf ihren Kittel blickte. Verlegen knöpfte sie ihn vollständig zu.
“Es ist nicht nur ein heftiger Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Brennstoffzellenherstellern entflammt, sondern auch zwischen diesen und der Öl-Industrie, die mittelfristig mit grossen Absatzeinbussen rechnen muss, wenn die Brennstoffzellen so wirtschaftlich sind, dass die Autofirmen sie in ihre Wagen einbauen.”
“Es entstehen keine Schadstoffe. Smog in den Städten wird drastisch reduziert. Ist das nicht herrlich?”
Reimann strahlte. “Und wir sind die Pioniere.”
Schneiders Gesicht verriet keine Bewegung. “Herr Reimann, können Sie mir eine Liste ihrer Mitarbeiter beschaffen und auch die Zeit ihrer Betriebszugehörigkeit auflisten?”
Während Reimann in die Verwaltung ging, blickte die junge Frau sie ängstlich an.
“Herr Schneider, Herr Schmitz, was geschieht nun? Ich habe Angst, dass der Mörder es nun auf mich abgesehen hat, da ich die Einzige bin, die das Projekt meines Vaters fortführen kann.”
“Keine Sorge,” Schneider lächelte ihr beruhigend zu. “Wir werden uns darum kümmern. Tagsüber wird sich ein Polizeibeamter zu Ihrem Schutz im Institut aufhalten. Während der übrigen Zeit werden wir hin und wieder einen Wagen mit Polizisten in Zivil vorbeischicken, die Ihr Haus oder Ihre Wohnung beobachten. Schreiben Sie doch bitte Ihre Adresse auf einen Zettel.”
Schneider gab ihr seine Visitenkarte. “Sollten Sie etwas Verdächtiges bemerken, Fräulein Morgenstern, rufen Sie mich bitte an. Entweder im Kommissariat oder zu Hause.”
Als Reimann ins Büro zurückkehrte, händigte er ihnen die Liste aus. Schneider und Udo fuhren ins Kommissariat zurück.
“Brennstoffzellen,” dachte Udo nach. “Habe schon davon gehört. Ist schon interessant, was es inzwischen an Erzeugern von alternativen Energien gibt: Windmühlenparks, Solarzellen, Gezeitenkraftwerke. Dann die Supraleitfähigkeit.”
“Das ist ja nun was anderes, meine ich.”
Schneider stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab, sie stiegen aus.
“Die vermindert doch nur den Leitungswiderstand bei niedrigen Temperaturen. Wie auch immer, wir sollten uns die Liste vornehmen. Ich werde die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung um Auskunft bitten. Die müssten wissen, wo die Leute sonst noch gearbeitet haben.”

“Heinrich, was macht Dein neür Mordfall?” fragte Emma und setzte sich zu Schneider auf die Couch.
“Wir sind noch nicht weitergekommen. Jemanden mit einem Giftpfeil umzubringen, kommt nicht jeden Tag vor und nun ist die Tochter des Ermordeten in Gefahr.”
Das Telefon klingelte. Emma nahm ab.
“Heinrich, ist für dich. Eine Jessica Morgenstern.”
Emma hörte, wie eine aufgeregte Stimme auf Heinrich einsprach und er am Schluss sagte: “Ich komme sofort zu Ihnen. Machen Sie niemandem auf, bevor ich nicht da bin. Ich klingele: Zwei kurz, drei lang.”
“Siehste, Emma. Das war die Tochter des Ermordeten. Sie hat jemanden um ihr Haus schleichen sehen. Ich fahre sofort hin.”
“Nimm dich in acht und sei vorsichtig, Heinrich. Es wird schon dunkel. Ich fühle mich gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass womöglich jemand mit einem Blasrohr Giftpfeile auf dich schiesst.”
Schneider schnallte sich sein Pistolenholster um
“Keine Angst, Emma. Der weiss ja nicht, dass ich komme. Bis nachher.”

Schneider liess seinen Wagen in einer Seitenstrasse stehen, steckte eine Taschenlampe ein und ging langsam auf das Haus der Morgensterns zu. Er trat nicht ein, sondern schlenderte an dem Haus vorbei, um nicht aufzufallen und blickte wie beiläufig in den Vorgarten. Er sah nichts Ungewöhnliches.
Ein Mann ging an ihm vorbei. Schneider stutzte. In der zunehmenden Dunkelheit hatte er dessen Gesichtszüge nicht genau ausmachen können; doch sah er mit seinen tiefliegenden Augen, seiner Hakennase nicht aus wie ein Indio? Schneider drehte sich um. Der Mann war verschwunden.
Schneider kehrte zum Haus zurück und öffnete die Metalltür zum Vorgarten. Er trat zur Eingangstür und läutete. Jemand schob eine Gardine zur Seite und blickte durch das Fenster.
“Herr Kommissar. Schnell, kommen Sie herein.” Die Frau zog ihn am Ärmel durch die Tür. Wie erschöpft lehnte sie sich an die Wand.
“Draussen schleicht jemand herum! Haben Sie ihn gesehen?” Furchtsam starrte sie ihn an.
“Kommen Sie. Ziehen Sie Ihren Mantel an.”
“Wohin gehen wir?” fragte sie aufgeregt.
“In den Park.”
“Und was ist mit dem Mann?”
“Der tut Ihnen nichts, solange ich bei Ihnen bin. Kommen Sie! Wir gehen.”
Hastig liefen sie durch den Vorgarten auf die Strasse hinaus, gingen schnellen Schrittes die Strasse entlang, die zum Park führte und verschwanden zwischen den Bäumen.
Wie ein Schatten folgte ihnen eine dunkelgekleidete Gestalt. Sie hob sich kaum von den Bäumen ab, deren Deckung sie suchte.

Die Scheibe des Mondes schob sich hinter den Baumwipfeln empor. Die Frau und Schneider gingen jetzt langsamer, schlenderten fast, weiter in den Park hinein.
“Nun sagen Sie mal, Fräulein Morgenstern. Warum hätte jemand Ihren Vater umbringen wollen?”
“Ich weiss es nicht, Herr Kommissar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dafür jemand von der Ölindustrie beauftragt worden war. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass deren Unternehmen sich ebenso wie wir mit der Entwicklung von Brennstoffzellen befassen.”
“Warum? Weil sie damit rechnen, dass diese das Petroleum als Energieerzeuger ablösen werden? “
“Genau.”
“Wenn ich mir nun vorstelle,” meinte Schneider, “dass einige Länder von den Einnahmen aus dem Verkauf von Petroleum abhängen, dann gäbe es für diese doch einen triftigen Grund, den Brennstoffzellen den Garaus zu machen.“
“Ich weiss es nicht.”
Sie lehnte sich an einen Baum. “Es ist mir auch gleich. Ich habe Angst, Herr Kommissar.”
Schneider nahm sie in die Arme, fühlte, wie sich ihr weicher Körper an den seinen presste. Er griff ihr zärtlich unter das Kinn. Der Mond beleuchtete das Gesicht der jungen Frau, hob es von dem umgebenden Dunkel ab, liess es so verwundbar erscheinen und gleichzeitig schien er ihm zu bedeuten, dass sie in diesem Moment nur ihm, Schneider, gehörte, als sie vertrauensvoll zu ihm aufblickte. Sein Mund näherte sich ihren geöffneten Lippen.
Schneider vernahm ein leises Zischen, dann ein Plop. Ein kleiner Pfeil steckte in dem Baum, an dem die Frau lehnte.
Schneider riss die Frau mit sich zu Boden, griff im Fall nach seiner Pistole und schoss aufs Geratewohl in die Büsche hinein.
Ein Stöhnen, ein dumpfes Geräusch waren alles, was sie vernahmen. Schneider holte seine Taschenlampe hervor und sah eine schwarzgekleidete Gestalt am Boden liegen. Sie hielt das Blasrohr noch in der Hand. Schneider griff nach seinem Handy.

“Udo hat mich angerufen. Heinrich, du wirst immer zügelloser. Und das in deinem Alter,” rief Emma aus dem Wohnzimmer heraus, als Schneider in den Flur trat. “Er erzählte mir, du hättest mit einer jungen Frau einen Parkspaziergang gemacht. Einen Parkspaziergang mit Folgen.”

























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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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