Jens Roscher

Liebe, Erich Honecker & der Balaton

Die unglaubliche, aber wahre Geschichte einer knapp verfehlten Lovestory
 
 
 
Die Verflossene der deutschen Nachkriegsrepubliken besaß eine ganz besondere Jungsdisziplinier- Anstalt namens NVA. Besonders dem Testosteronspiegel der jungen nationalen Volksarmisten wurde mittels künstlicher Heimaturlaubsverknappung Arges angetan. Viele lösten dieses Problem mechanisch, manche poetisch. Ich meinerseits stand durch eine trickreich eingefädelte Waffendienstuntauglichkeit letzteren Sublimierern direkt im Solde. Als Nr.39, der Tauglichkeitskladde des Regimentsquacksalbers geführt, übte ich den auf anderthalb Jahre befristeten Beruf des „Bibliothekars der Nationalen Volksarmee“ aus. So sortierte ich unter anderem täglich die Heldenepen der Schukows, Budjonnys und Konjews streng nach deutscher Karteiordnung. Natürlich war das Bücherwesen den leitenden Verteidigern des Sozialismus in Wahrheit egal und so wurde ich auch zu allerlei Aufgaben herangezogen, die den Genossen Offizieren gerade so durch den stets einsatzbereiten Kopf schossen. Einem dieser Herren erschienen eines Tages die liebevoll in jeden Raum gefügten Honeckerporträts zu angestaubt. „Bibliotheksgefreiter angetreten - Honeckerbilder besorgen!“ schallte es über den Flur und ich wurde flugs mit Rausgehschein und Busticket in die Bezirkshauptstadt ausgestattet. Im Dienstauftrag – alles mußte seine sozialistische Ordnung haben - stand: „Dienstreisegenehmigung zum Zwecke der Beschaffung von Porträtfotografien des Genossen Erster Vorsitzender des ZK der SED und Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker“. Wo ich die Teile her bekäme, sagte mir allerdings keiner. In den Buchhandlungen der großen Stadt erfuhr ich jedenfalls schon mal: „Fehlanzeige“. „Wenn es die überall gäbe, könnte doch der Klassenfeind Schindluder damit treiben“ so die „VEB Buch & Kunst“ Auskunft. Ich solle es doch mal in der Bezirksleitung der amtlichen Staatspartei versuchen. Gesagt getan und es lohnte sich. Neben einer bunten Rolle Politstarposter bestand meine viel wichtigere Beute in der Privatadresse der schönen dunkelhaarige! n Plakat aushändigerin. Das Mädchen fand mich Kerl trotz dieser unsäglichen Ausgehuniform scheinbar recht passabel. Für die nächsten drei in der Kaserne eingesperrten Wochen transportierte die Post fast täglich ein in Briefform gegossenes Konglomerat aus Poesie und Hormonen. Ich steuerte glücklicherweise auf den Jahresurlaub und WIR WAREN VERABREDET: Dresden Hauptbahnhof mit Zielrichtung Balaton – die Liebe lebe!
 In Karl Marx Town, meiner Heimatadresse stieg ich in den bereitstehenden und zügig losbrausenden Reichsbahnzug. Die Räder schnurrten, die Sonne schien und Vorliebesglück mümmelte in mir, während der Schaffner verkündete: „Die letzten beiden Wagen werden in Gera abgehängt“. Ich strotzte vor Unternehmungsgeist und erklärte dem Schaffner erst einmal, daß dieser Zug nach Dresden im Osten der Republik liegend führe und so schlecht Wagen in Gera abgehängt werden könnten, welches sich ja auf Karten nachlesbar mehr in westlicher Himmelsrichtung seinen städtebaulichen Platz gesucht hätte. Der Schaffner lächelte milde und ließ meinen Fahrschein nach Dresden großzügig unentwertet.
 10 Minuten später, auf halber Stecke zwischen Karl Marx Stadt und Gera auf dem Gegenbahnsteig stehend erfuhr ich, das der jetzt neu von mir zu frequentierende Eisenbahnzug 3 Minuten vor Abfahrt des „Balatonexpresses“ in Dresden eintuff- tufft. Himmel – die schöne Posterverantwortliche wartet und eigentlich säße ich mit ihr schon lange vis a vis vom Bahnhof urlaubsdetailsbesprechend im schönsten Cafestübchen. Und einen Fahrschein hatte ich auch noch nicht. Aber unter der Flagge des vierblättrigen Kleeblattes ging es erst mal weiter. Der Zug fuhr pünktlich ein, nette Warteschlangenleute ließen mich am Fahrkartenschalter vor und exakt in letzter Sekunde sprang ich auf den fahrenden Südoststaatenexpress. Wie in den 80er DDR Jahren üblich drängelten sich sonnenhungrige Balatonisten dicht an dicht in den fahrenden Reichsbahnboxen. Unter diesen Umständen und in Anbetracht von ca. 15 durchzukämmenden Waggons beschied ich mich, die Holde beim Aussteigen an einem der drei Balatonbahnhöfe ausfindig zu machen. Ein kräftigender Zugfußbodenschlaf + verliebte Vorfreude bis dahin könnten ja nichts schaden.
 Siofok – keine Angebetete entstieg dem Eisenross. Balatonboglar – weit und breit keine schöne dunkle Dresdnerin zu sehen. Klar doch sie fährt zur Endstation und schaut vorher auch nur aus dem Zug nach ihrem zukünftigen Liebsten. In Fonyod wird die Lokomotive ausgeschaltet und ich mache mich auf die finale Suche. Unter all den bleichen Sachsen wäre sie problemlos erkennbar Aber die Schöne ist und blieb verschollen. Sie hatte mich versetzt. Nach 10 Tagen sehr einsamen Urlaubs unter dem Himmelsdach (Sie hatte das Zelt einpacken wollen!) saß ich kaserniert und sehr verzweifelt wieder zwischen meinen Kriegerschwarten. Bald kam ein Brief. „Wo warst Du netter Mensch?“ Der Urlaub wäre am Anfang sehr traurig gewesen, als sie merkte, daß ich nicht mitgekommen sei. Sei etwa ein Manöver dazwischengekommen? Und dann so ganz allein im fremden Land. Sie habe ein bißchen geweint. Aber ein netter Junge habe sie aufgelesen und es wäre noch ganz lustig geworden am Ende und jetzt wohne er bei ihr, aber ich könne sie mal besuchen, sie würden sich freuen...
 Über einen Satz des Aufnimmerwiedersehensbriefes mußte ich aber dann doch laut und bitterlich lachen: „Du bist doch nicht etwa in Fonyod /Südbalaton gewesen? Ich saß in den zwei Wagen, die in Budapest für die Fahrt an den Nordbalaton abgehängt wurden, dort wollten wir doch hin, oder?“
 Die für einen anderen Ausgang dieser Geschichte notwendige Erfindung des handys datiert leider 10 Jahre später und manchmal fragt meine Frau, warum ich immer noch so eine sozialistische rote Socke sei. Dabei werde ich doch immer nur ein wenig sentimental, wenn im DDR Historienfilm der Erich an der Wand hängt.
 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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