David Lebknecht

Die Feste im Staub

Wulfen hatte seinen Helm wegen der drückenden Hitze des Grenzlandes an einem Riemen an den Satteltaschen seines Hengstes befestigt, an dem schon sein Ranzen hing. Ein Schweißtropfen baumelte an einer seiner Haarlocken vor seinem Auge, doch er war zu erschöpft, um sich diesem anzunehmen. Hinter ihm ritten zwei, vielleicht drei dutzend Bewaffnete her, alle nicht weniger von der Himmelsscheibe gepeinigt, als ihr Kommandeur.

Was für eine Verschwendung, die besten Reiter und Kämpfer ganz Kembrias mühen sich seit Jahren hier in diesem, dem wohl wertlosesten Streifen Land  der ganzen Welt, ab und das nur, um eine verische Grenze zu schützen, ließ der Reiterführer seine Gedanken schweifen. „Wir sollten über deren Felder reiten und uns nehmen, was unser sein könnte, mein Fürst, was meint ihr.“ Sagte ein Leutnant, der während Wulfens Gedankenspiel neben ihn geritten war. „Ihr könnt wohl Gedanken lesen, Leutnant Lakecz, mein Freund.“ Entgegnete dieser. „Es ist kein Geheimnis, wir alle denken so. Sollen die Orken doch nehmen, was sie wollen.“ Gab der Offizier zurück. Wulfen wollte schmunzeln, als eine Staubwolke am Horizont das Gespräch jäh unterbrach und seine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Drei Mann mit mir! Ho!“ bellte Amasov seinem Gefolge zu, und die Reiterschar hielt, bis auf die befohlenen Drei, an. Noch reitend löste der Kembrier den Riemen, der den Helm hielt und setzte ihn sich auf die feuchten Haare. Die Müdigkeit war vergessen und Wulfens Hand packte den Griff seines Schwertes.

 

Die Gruppe elfischer Bogenschützen sah die Menschenritter auf sich zukommen und Alariel, der jüngste unter ihnen, schnalzte unabsichtlich mit der Zunge. Seine Finger glitten an seine Lippen und er leckte diese ab, um an seine Seite, nach seinen Pfeilen zu greifen. Mit ruhigen Bewegungen legte der junge Elf einen der, weiß gefiederten, Pfeile in die Sehne und zog sie kraftvoll zurück. Er richtete sich auf und zielte auf den Hauptmann der Menschen, sein Atem wurde langsamer.

„Freund, oder Feind?“ erklang in der Sprache der Menschen die Frage und Alariel spannte die Sehne seines Bogens noch ein Stück kräftiger und zielte auf das Gesicht seines Gegenübers, der bis auf wenige Schritte an ihn herangeritten war und dann abrupt abgebremst hatte.

Sekunden vergingen, bis eine elfische Frauenstimme erklang. „Ich grüße euch, Menschenfreund.“ Die Reiterin streckte, die Handflächen nach Oben geöffnet, ihre Hand in Richtung Amasovs aus. Sein Blick wanderte von den elfischen Bogenschützen vor ihm nach Rechts auf die elfische Frau. Sie konnte unmöglich älter als zwanzig Jahre alt sein, schätzte er ab und bewunderte ihre grazile Haltung, die edel verzierten Lederschulterstücke und die Tatsache, dass die Hitze weder sie, noch einen einzigen ihrer Begleiter und Begleiterinnen zu stören schien. „Ich grüße die elfischen Verbündeten und begrüßte, sie bedrohten mich nicht.“ Antwortete er salutierend. „Verzeiht.“ Mit einem milden Lächeln wandte sich die Reiterin ab und befahl ihren Leuten, die Bögen zu senken. Der Befehl war mehr lieblicher Gesang, denn der schroffe und zackige Tonfall der menschlichen Armeen, bewunderte Wulfen diese atemberaubend schöne Frau und ihr Volk. Doch da erkannte er, dass einer der Elfen, ein blonder Jüngling immer noch auf ihn zielte. „Reiter verzeiht Alariel, er ist jung und er hat noch keine guten Erfahrungen mit euresgleichen gemacht.“ „Dann wird er sie nun machen, ich bin Major Wulfen Ajturovic Amasov, sagt, was birgt die Ebene hinter euch?“ Die Kriegerin begann zu lächeln und nahm eine entspanntere Haltung ein, „So grüße ich erneut, ich bin Lyasandra, ich bin die Gebieterin dieser Schar. Eine Festung des Feindes liegt vor euch. Wir überlegten, ob wir sie angreifen sollten, doch ich entschied, dass es uns an Kriegsvolk mangelt.“ Die Elfin verneigte sich am Ende ihrer Ausführungen und der Rest der kembrischen Ritter formierte sich hinter seinem Anführer.

 

Wulfen ließ, nach einem kurzen Gespräch mit der Anführerin der Elfen ein Lager errichten und nach Verstärkung schicken. Der Clan der Erak’jol’grat, der Elfenhäuter hatte, von dieser Burg ausgehend, immer wieder schwere Angriffe gegen die Verbündeten unternommen. Nun schien der Hauptteil der Streitkräfte, zumindest wenn Lysandaras Beobachtungen stimmten, ausgeritten zu sein, um an anderer Stelle zu kämpfen. Diese Möglichkeit durften sich weder die Kembrier, noch die Elfen entgehen lassen, denn Zoth’grabal, wie die Feste nun hieß, war ein enormes Hindernis für den Frieden des gesamten Landstriches.

 

Der kembrische Reitmeister saß hoch zu Roß im Sattel und blickte auf die massive Festung aus festem, schwarzen Stein, der die morgentliche Röte einen gespenstischen Umhang angelegt hatte. Himmel und Erde schienen sich in dieser endlosen Wolke, die dieses Ödland bildete zu vermischen zu einem trockenen, einfärbigen Ganzen. Mit Zorn trachtete die Umwelt danach, alles seiner Selbst gleich zu machen, denn der rotbraune Staub, der hier allgegenwärtig war, hatte sich in jede Mauerritze, jeden noch so kleinen Spalt, gefressen und das Schwarz der Mauern war schon jetzt abgerieben und schwach, wie bei einer hundertjährigen Burg. Rund um die richtige Feste war eine lange Holzpalisade in dem, für Orken und ihresgleichen typischen Baustil errichtet worden, um die kleinen Hütten der gewöhnlichen Krieger zu schützen, erst wenn diese durchbrochen würde, könne der Angriff auf die Befestigungsmauer und ihr Herzstück, den Palast, beginnen, soviel war den Angreifern und zwar jedem Einzelnen bewusst. Die einst menschliche Festung hatte bis vor vier Jahren den immer wieder gegen sie anströmenden Horden der blutgierigen Orken tapfer stand gehalten, doch dann hatten sich die verhungernden Verteidiger, dem Wahnsinn nahe, lieber in die Klingen der orkischen Beile, denn die Arme des Hungertodes geworfen.

Die Festung wurde nun von drei Seiten attackiert, verstreute Truppen, hauptsächlich Späher, waren eilig für diesen Angriff aus der ganzen Umgebung versammelt worden. Es mangelte zwar an schwerem Gerät, da die Mauern aber alt, schlecht gewartet und nicht mit voller Besatzung ausgestattet waren, konnte dennoch mit einem Sieg gerechnet werden. Amasov wartete bis seine und die elfischen Schwerfechter das südliche Tor der orkischen Siedlung aufgehackt hatten. Mit lautem, bis zu seiner Stellung hörbarem, Donnern barst ein Pfahl unter einem Axthieb eines seiner Soldaten, andere schlugen sofort auf das Loch ein, Speere und Äxte stachen wild aus der Öffnung heraus und wenige Augenblicke später, nachdem Pfahl um Pfahl den wütenden Hieben der Stürmenden nachgeben musste, hatte sich schon ein Scharmützel im, nun aufgebrochenen, Tor entwickelt.

 

 

Voller Kampfesmut sprengten die entschlossenen Weißgardisten in die Reihen der Verteidiger und brachen auch unverzüglich durch, während die Infantrie sich wieder formierte und in die Bresche vorstieß.

In wildem Galopp vernichteten die Kembrier ihre Feinde, Hieb um Hieb schickte einen Orken nach dem Anderen in die Höllen. Alariel beobachtete dieses Schauspiel von einiger Entfernung und als er sah, wie seine elfischen Brüder und die menschlichen Krieger durch das Tor nachrückten verließ er seine Einheit um ebenfalls in das Dorf zu gelangen. Die anderen Bogenschützen blickten einander verdutzt an und Lyasandra gab ihrem Reittier, einem prachtvoll gerüsteten Löwen mit dunklem Fell und schwarzer Mähne, Befehl zu laufen. Ohne, dass sie es gewollt hätte, fielen auch die anderen Elfenreiter in den Galopp und hielten auf das Tor zu. Alariel hörte die Befehle seiner Anführerin nicht, als er durch das Tor sprang und hinter einer Hütte in Deckung ging. Er blickte zur Seite und sah einen getöteten Ork neben sich liegen. Lange blieb sein Blick auf diesem haften, er betrachtete den geöffneten Mund und die daraus hervortretenden, schiefen Zähne des Toten. Sein Fell war hellbraun und bedeckte den ganzen Leib bis auf die schwarzen Handflächen und Fußsohlen. Gelbe, zu Krallen verwachsene Fingernägel schimmerten ebenso Gelb, wie die Zähne und der sandige Staub, der auf dem der Leichnahm lag. Der Ork trug eine gewöhnliche, schartige Lederrüstung und eine Augenklappe. Sein ganzer Leib wies schon unzählige Wunden auf, manche frisch, manche etwas älter. In der rechten Faust war ein schön gefertigter, menschlicher Kavalleriesäbel, der linken Hand fehlten jedoch alle Finger. Ein erbärmlicher Kerl, dachte der Elf, als er sich aufmachte, weiter durch die Siedlung zu laufen.

 

Fünf, in Weiß gerüstete Krieger hatten sich nach links fallen lassen, um sich zu einem anderen Tor durchzuschlagen, sodass die orkische Pest in ihrem eigenen Lager in der Falle saß, außerdem war in den Baracken bei jenem Tor, den Schätzungen der Kommandierenden zufolge das Waffenlager untergebracht. Wulfen hatte Lakecz dazu bestimmt, dies nach seinen besten Kräften zu erledigen und dieser wollte seinen Freund und Befehlshaber nicht enttäuschen. Mit eilendem Schritt gingen drei Männer voran, während zwei dahinter deren Rücken deckten. Schnell wurde die vereinzelte Gegenwehr erledigt und der Weg zur Waffenkammer war keine große Schwierigkeit. „Es ist ein wenig leicht, was meinst du, Bolgur?“ fragte Lakecz seinen Freund, doch noch bevor dieser die alte Weisheit, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben solle, von sich geben konnte, waren auch schon zwei dutzend Orken aus der Behausung gestürmt. Wild brüllend schwenkten sie Äxte und Speere über ihren Köpfen und griffen ohne zu zögern an. Die Kembrier bildeten augenblicklich eine feste Kampflinie aus fünf Männern. Ein großer Ork mit dunkelgrüner Haut war das erste Opfer jenes Kampfes, als Bolgurs Schwert ihn in einer ruckartigen Bewegung zweimal traf und klaffende Wunden in seine Brust riss. Er taumelte nach hinten und brachte weitere Orken zu Fall, doch das hielt die wütende Schlachtschar dieser Horde nur kurz auf. Eine Faust schlug Bolgur ins Gesicht und Krallen packten sein Gesicht. Ein Finger bohrte sich in sein Auge und seines Feindes Hand grub sich in die blutige Augenhöhle und riß ihn von den Füßen. Die Klinge eines der Gardisten trennte den Arm des Angreifers an der Schulter ab, doch eine handvoll Feinde hatte die entstande Lücke bereits genutzt und die Reihe der Verteidiger gesprengt. Bolgur robbte sich, stark blutend weg, doch der Stiefel eines Orks bremste seine Flucht, sein Bein brach am Knie, der Schmerz war kaum auszuhalten. Lakecz bellte einige Befehle und lieferte sich einen heftigen Kampf mit einem kleinen, rotbraun bepelzten Ork. Der Mensch machte eine Finte nach links, stieß rechts jedoch ins Leere und fühlte einen bösen Schmerz im Oberschenkel. Der Ork hatte ihm dort seinen Säbel hineingestoßen und sich nun, sterbend durch Lakeczs nachfolgenden Hieb, in dessen Stiefel verbissen. Wie von Sinnen schlug der Krieger auf seinen, am Boden liegenden Feind ein, als er im Augenwinkel den Pfeilhagel sah, der auf seine Feinde niederging.

Eine elfische Reiterin, die sich mit ihren Leuten unbemerkt von der Seite der feindlichen Stellung genähert hatte, sah dem Sterben zu. Sie trug einen fein gestalteten Helm aus hellem Leder und packte die Griffe ihrer beiden Säbel fester. Ihr blauschwarzes Haar wehte im Wind aus dem Helm hervor und schenkte ihr ein unnatürlich wildes Aussehen. Ihr Name war Gariere und sie bat ihren Löwen anzugreifen und der mächtige Körper des Tieres warf sich auf die nun panischen Orkkrieger. Insgesamt drei Berittene hatten angegriffen, im Schutze der Bogner hinter ihnen. Garieres Tier riß einen Ork zu Boden, seine Zähne durchbohrten ihm den Nacken. Inzwischen hatten auch die Bogenschützen ihre Klingen gezückt und sich in den Nahkampf gemischt. Mit Eleganz und Todesmut waren ihre Körper die Waffen der Rache und ihre Feinde fielen in Scharen, bis einige wenige die Flucht in Richtung der schützenden Mauer ergriffen. „Das hat gedauert.“ Murrte Lakecz in Richtung seiner Unterstützer. Der Kampf war gewonnen und der Adlige sah sich um: sechsundreißig Tote lagen in ihrem Blut, zwanzig davon waren orkisch.

 

Kurz nachdem Alariel sich aufgerichtet hatte, sah er zwei weitere Orken, die sich ihm von der Seite näherten, sie waren von gewaltigen Wuchs, mit Muskeln bepackt wie Bären und sie trugen nur einfach gearbeitete, bis zu den Knien reichende, Lederhemden und in jeder ihrer Hände schwangen sie eine grobschlächtige Axt. Der kleinere von den Beiden hielt inne und schien seinem Kameraden den Vortritt zu lassen. Alariel war noch niemals im Zweikampf auf die grünhäutigen Orken, Gols genannt, getroffen, doch sein Übermut und seine Sehnsucht nach der erregenden Lebendigkeit eines Kampfes ergriffen Besitz von ihm und er zog sein Jagdmesser aus dem Stiefel, rollte sich nach hinten ab, um dem Leichnam den krummen Säbel zu entwenden und sprang mit katzengleichem Geschick auf das Dach der Hütte hinter ihm. Sein Feind blieb kurz stehen und sah nach oben, dann drohte er mit seiner Faust und schlug mit seiner Axt gegen die hölzerne Wand, welche unter dem mächtigen Hieb barst. Alariel sprang vom linken auf den rechten Fuß, stieß sich dann vom Dach ab und griff aus der Luft an. Sein Messer bohrte sich in die Schulter des Orks und Alariel gelang es, sich nach hinten abgleiten zu lassen und seinem Feind den Rücken aufzureißen. Der Zweite setzte sofort seinen monströsen Körper in Bewegung und hielt auf den Elfen zu. Hinter ihm schrie sein Gegner und Alariel ließ das Messer los und in der Wunde des Grünhäutigen stecken. Dann suchte er sofort sein Heil in der Flucht ... nach vorne! Den Säbel voran rannte er, so schnell seine Beine ihn trugen auf den neuen Angreifer zu, setzte zum Sprung an und rutschte, das rechte Bein gestreckt, an seinem Gegner vorbei und zerschlug mit einem gezielten Hieb das Knie des Golkriegers. Dieser wollte sich wutentbrannt auf seinen Peiniger fallen lassen, kippte jedoch in die andere Richtung. Das mit Glück, denn just in diesem Moment segelte eine der Äxte seines Freundes in Kopfhöhe an ihm vorbei und blieb in der Palisade hinter ihm stecken.

So etwas war Itarkat vom Clan der Seelenfresser, noch nie passiert, er blickte ungläubig auf seinen umgefallenen Gefährten und fühlte die peinigenden Schmerzen in seinem blutigen Rücken. Ja, die Elfen waren schnell, jeder von ihnen, das wusste er, immerhin hatte er schon einige dutzend von ihnen zur Strecke gebracht, doch ein solcher Kampfstil war ihm noch niemals untergekommen. Mit einem Ruck riß er das Messer des Elfen aus seinem Rücken und wankte, vor Schmerzen gruntzend weiter, um zu dem Anderen zu gehen und zu sehen, ob er etwas für ihn tun könne ... und wenn das nur hieß, ihn nicht lebend in die Hände der grausamen Feinde fallen zu lassen. Die Tatsache, dass der Elf wie vom Erdboden verschluckt schien, hätte ihn vielleicht schon früher beunruhigen sollen, vor Allem, da er ein erfahrener Veteran war. Sie schoß ihm erst viel zu spät wieder ein, als nämlich wie aus dem Nichts ein neuer stechender Schmerz seinen Körper durchfuhr. Doch da war es bereits viel zu spät - zu spät Deckung zu suchen, zu spät zu rennen, zu spät sich umzusehen. Vor Allem aber zu spät, etwas gegen den zweiten Pfeil, der sich nicht in den Nacken sondern die Magengrube borte zu tun, oder den Dritten, der seinen Unterarm durchfuhr wie weiche Butter. Die beiden letzten Dinge, die er auf dieser Welt zu tun imstande war, waren zu brüllen und den unausprechlich schmerzhaften Stich in seinem Auge zu spüren, der ihm das Bewusstsein raubte. Er sollte es niemals wieder erlangen.

 

Wulfen, Folran und Alverte hatten sich schon bis zum Tor der Burgmauer durchgekämpft und einen der beiden Wachtürme des Tores besetzt. Folran ließ sich die Wand entlang zu Boden sinken und stöhnte. „Was habt ihr, Fähnrich?“ „Es ist nichts, Major Amasov. Nur eine kleine Wunde am Hals.“ Antwortete der blutbefleckte Blonde. Wulfen betrachtete ihn eingängig, er war recht attraktiv, mit kantigen Gesichtszügen, sehnigen Muskeln und kurzen blonden Locken. Sein Hals blutete heftig, doch es schien wirklich nicht lebensbedrohlich zu sein und Wulfen wies Alverte an, seinen Kameraden zu verbinden. Vorhin, beim Kampf um den Turm war schon Jigan gefallen und Wulfen wollte nicht auch noch den beliebten Balalaikaspieler an den Schnitter verlieren. Er setzte den Helm wieder auf und ging langsam die Treppe nach oben in den Raum, der zum Wehrgang an der Brüstung führte. Er war leer, denn die Besatzung war schon vorhin den Hieben seiner Krieger zum Opfer gefallen, dennoch war Vorsicht geboten. Wulfen öffente die Türe nach draußen, wo zu seinem Entsetzen fünf Orken warteten. Ein schwarzpelziger Ork deutete brüllend auf ihn und schoß mit seinem Bogen nach dem Menschen, der die Türe sofort zuschlug und verriegelte. „Macht schnell und im Anschluss zu mir.“ Befahl der Major der weißen Garde nach unten und suchte Tische und Stühle, um die Türe zu verrammeln. Da fraß sich auch schon eine schwere Axt durch Tür und brach den Riegel entzwei, was Wulfens Plan früh zunichte machte. Der Unbekannte jenseits der Türe zog seine Waffe heraus, um zu einem weiteren Hieb auszuholen, als Wulfen blitzschnell seine Klinge durch den Spalt stieß. Ein erstickendes Gurgeln belohnte die schnelle Reaktion des Menschen, doch weitere Äxte krachten gegen die Türe und verwandelten sie in große Splitter, durch die ein wutschnaubender Gol mit bronzener Axt und einer blutenden Wunde im Bauch schritt. Er funkelte Wulfen zornig an und ließ seine Waffe auf den Mann niedergehen. Amasov sprang über das wacklige Geländer auf die Treppe und wurde von einigen splitternden Holzstücken im Flug getroffen und aus dem Gleichgewicht gebracht. Zwei kleinere Orks, mit Menschenschwertern bewaffnet setzten ihm nach und ein wilder Tanz auf der Treppe entbrannte. Wulfen musste Stufe um Stufe zurückweichen, denn er hatte Mühe die Attacken von zwei Angreifern zu parieren. Endlich blitzte die silberne Klinge Alvertes an Wulfens Schwertarm vorbei und durchstieß den Schädel eines Orks. Auch Folran kam auf die Treppe und die Kembrier, perfekt aufeinander eingespielt, trieben den Feind wieder ins obere Geschoß. Wulfen tötete mit einem geschickten Ausfallschritt seinen Gegenüber, als der kleingewachsene, aber kräftige Alverte neben ihm blutüberströmt zusammenbrach. Einer der Orks hatte seine Keule von Oben auf den Mann sausen lassen und er taumelte nach hinten und fiel. Wulfen und Folran zögerten keinen Augenblick und setzten sofort wieder zum Sturm an. Sie erreichten ihre Ziel mühelos und Folrans Schwert durchstieß den Körper von Alvertes Mörder sechsmal, bis er von ihm abließ. Nur noch Wulfen, sein Begleiter und der verwundete Gol waren noch hier und Wulfen rannte, das Schwert voran auf den Berg von Gegner zu. Dieser zögerte nicht, sondern packte einen Stuhl und schleuderte ihn Wulfens ins Gesicht. Er spürte seine Nase brechen und wurde von der Wucht des Treffers ausgehoben und landete schwer auf dem Hinterkopf. Ein dumpfer Knall raubte ihm fast die Besinnung, Folran schie auf, denn einer der sterbenden Orks hatte ihm einen Dolch in den Unterleib gebohrt. Er stach nach hinten aus, durchtrennte die Kehle des Feindes, doch der Gol, der schon Wulfen zu Fall gebracht hatte streckte ihn mit einem enormen Axthieb nieder. Schwer verwundet sah er noch einmal nach oben und lächelte. Dann riß sein Schwert den Bauch des Riesen vollständig auf, doch auch dessen Waffe traf ihn und trennte mit einem einzigen Hieb seinen Kopf von den Schultern. Der Gol musste Blut husten und sackte zusammen.

„Steh auf.“ Hörte er eine unbekannte Sprache hinter sich und wandte sich um. Der Anführer der Menschen hatte sich wieder aufgerafft und deutete mit seiner Waffe auf ihn. Nun ist der Tag, da ich nach Vash’kad gelange, so soll es ein. Es war ein blutiger Tag und dieses Opfer wird mein größtes werden, dachte der Ork und riß seine Axt wieder hoch. Taumelnd schritt er auf den Menschen zu und schlug auf ihn ein. Vom Schmerz wie in Trance glitt Wulfen, einem Tänzer gleich zur Seite und bohrte seinem Feind das Schwert in die Seite, um es unter Aufbringung all seiner Kraft mit einer Bewegung nach oben wieder herauszureißen. Blut spritzte und der fallende Riese schrie markerschütternd auf. Seine dunkelgrünen Finger und seine schiefen Fingernägel gruben sich in das Holz der Bodendielen und er wollte sich noch einmal umdrehen, als ein weiteres Mal Blut aus seinem Maul hervortrat und ihm schwindlig wurde.

Wulfen atmete tief durch und tastete sein Gesicht ab. Trotz des vielen Blutes und der pochenden Schmerzen war er billig davongekommen, denn es schien wirklich nur die Nase gebrochen zu sein. Vielleicht noch eine kleine Platzwunde an der Stirn, dachte Wulfen bei sich, als ihm Alverte einfiel. Er eilte die Treppe hinunter und fand seinen Begleiter an deren Fuße zusammengekrampft liegen. Sein Puls war noch schwach zu spüren, doch peinigender Schmerz schien ihn zu durchzucken und Wulfen nahm ihm den Helm ab und streichelte seine Stirn. Die braunen Augen des Kriegers sahen seinen Herren an, als neuerlich eine Woge des Schmerzes seinen Körper durchzuckte.

 

Lakecz, Ritter von Ehuinspodr und seine Schar waren auf dem Platz um einen schlecht gegrabenen Brunnen, unweit der Mauern eingekreist und saßen in der Falle. Zuvor hatten sich die sechs Menschen und die beiden Elfinnen mit großer Entschlossenheit einen Weg hierher durchgeschlagen. Nichts hatte auf eine derartige Falle hingedeutet, die Orken hatten wie immer wild um jeden Fingerbreit Boden gekämpft.

„Gut, wir müssen nur durchhalten. In Überzahl sind wir eigentlich hier in dieser Stadt. Bald werden mehr von uns kommen.“ Brüllte einer der Menschen und Lakecz und Gariere blickten einander an, dann sahen sie hinter sich, am Ende der Straße den gefallenen Löwen der Kriegerin liegen. Da brachen auch wieder drei Orks aus dem Ring der Bedränger aus, direkt auf sie zu. Die Elfin leckte sich über die Lippen, sie versuchte ihre Angst zu verbergen und ging geschmeidig in die Knie. Lakecz ließ die Spitze seines Schwertes den Boden berühren, bis die Orks in Reichweite waren. Dann wirbelte er herum und hieb einem von ihnen in die Schulter, auch die Klingen der Elfin zuckten hoch. Eines ihrer Schwerter blieb jedoch nach einigen wenigen Attacken unglücklich im hölzernen Schild eines Orks stecken. Der Ork stieß ihr seinen Speer in den Bauch und die Elfin fiel auf die Knie. Als ob dies ihr Kriegshorn gewesen wäre, setzten sich die Gols und die Orks in Bewegung und drohten die kleine Gruppe durch ihre schiere Zahl und mit ihrer blanken Gewalt zu zerfetzen. Garieres Schwert bohrte sich in das Herz ihres Peinigers, dann stand sie auf, um langsam zurückzuwanken, den Speer immer noch im Bauch. Lakecz sah sie fassungslos an, doch sie lächelte ihn nur mit milden Augen an. „Wir alle sterben einst. Kämpf und lebe, wie ich kämpfe und sterbe.“ Dann riß sie sich die Waffe heraus und fiel wieder auf die Knie. Die weißen Krieger Kembrias schnitten sich mit blankem Stahl einen Weg durch die mörderischen Orks und Gols und die Elfin kam wieder auf die Beine. Sie brach ihre Klinge aus dem Schild und sah sich um. Unwillkürlich musste sie an ihre Heimat denken, weiter südlich. Die Städte waren geschliffen, das Volk erschlagen oder in die Sklaverei verkauft. Die blühenden Ebenen des Reiches Aszred waren verdorrt und alles Leben war Tod und dem fauligen Gestank des Verderbens gewichen. Sie fühlte die erfrischende Klarheit der Bäche, hörte den Gesang der Vögel, schmeckte den kostbaren Nektar der Blüten. Dann fing sie an zu singen und zu rennen. Ihr linkes Schwert fraß sich in den Arm eines hünenhaften Gols, ihr rechtes traf den Schild eines anderen. Sie wirbelte herum, traf mit beiden Waffen einen dritten Feind und sprang hoch in die Luft. Ein furchtbarer Knüppelhieb traf sie im Rücken, ein Schwertstreich am Bein, doch sie hörte nicht auf zu kämpfen. Ein weiterer Ork verlor sein Leben, dann noch einer. Gariere fühlte keinen Schmerz, das Leben war aus ihr entwichen, doch stand und kämpfte sie noch immer.

Der menschliche Kämpfer Lakecz hatte inzwischen seinerseits einen Schild aufgehoben und kämpfte nun gegen zwei krummsäbelschwingende Gols. Seine erste Attacke wurde pariert, seine zweite ging ins Leere. Doch dann ließ einer seiner Gegner seine Seite offen stehen und Lakeczs Schwert traf ihn. Der Säbel des Zweiten traf jedoch seinen Schwertarm und trennte die Hand vom Unterarm, Lakecz schrie auf. Um ihn herum schien alles still. Das tosende Gebrüll des Kampfes war verstummt und nur im Augenwinkel sah er, fast schwebend leicht, wie die vereinigten Truppen der Menschen und Elfen den Widerstand der Invasoren durch ihren Ansturm brachen. Er suchte nach der Elfin, sie lag am Boden, zerschlagen, zerschnitten, blutig.

 

Alariel hatte sich in einer Hütte, nahe der Mauer zurückgezogen und atmete tief durch. Von draußen hörte er die unmelodischen, krächzenden Stimmen der Menschen in ihrer üblen Lautstärke krakeelen und sah nach, was los sei.

Der Anführer der Menschen war gerade dabei, das schmutzige Banner der Orken herabzureißen, während Andere, Menschen und Elfen das Fallgitter des Tores in die Höhe zogen. Der weiße Krieger stand, von staubigem Wind umweht da und hisste nun eine Fahne, die einen schreitenden, goldenen Hirsch auf dunkelrotem Grund zeigte. Er schien sehr erschöpft zu sein, seine Rüstung war verbeult, blutverschmiert und das weiße Rosshaar seines Helmes war blutig und verklebt. Dennoch strahlte er natürlichen Stolz und Stärke aus, während er die Männer unter sich zu einem letzten Angriff auf den Palast der Burg formierte. Alariel verließ sein Versteck, den alten Säbel immer noch in Händen, um sich den Kämpfenden anzuschließen. Inzwischen hatten sich unzählige Orken, Orks und Gols, rund um den Palast versammelt, hölzerne Schilder und bronzene Waffen grimmig erhoben.

 

Die Armee Kembrias und der Elfen stand ihnen im Hof gegenüber, knapp fünfzig Schritte entfernt, als Major Amasovs Stimme erklang. „Es war ein ruhmreicher, ein bluter Tag! Nun wollen wir ihn beenden und uns unseren Platz in der Ewigkeit des Heldentums nehmen! Einst wird über diesen Sieg gesungen werden! Einst wird über diesen Sieg gedichtet werden! Lasst Zorn und Tod auf unsere Feinde herabregnen! Lasst Verderben den Feinden unseres Königs zuteil werden! Lasst uns Hauen und Stechen, bis wir knietief in ihren verdorbenen Leibern stehen! Lasst uns Siegen! Für den Allvater, für den König, für unseren Platz in der Ewigkeit!“

 

Die Hundertschaft beider Seiten prallte aufeinander wie das Meer auf die Küste des kembrischen Südkaps. Die Gischt waren die Säbel, die Äxte, die Prügel und die Schwerter, die Leiber und Schilde der Krieger die ehernen Felsen im unerbittlichen und ewigen Krieg der Gezeiten. Bald floss Blut und tränkte die zertrampelten Blumen wie zum Hohn darin. Die splitternden Waffen und berstenden Schilde wurden Teil des pausenlosen Sandsturmes der lebensfeindlichen Öde, in deren Mitte die Feste Zoth’grabal jene tödliche Begegnung zwischen zwei unerbittlichen Feinden erlebte.

Nach wenigen Minuten war das Schauspiel zu Ende und die siegreichen Angreifer drangen in den Palast ein.

 

Der Mensch Wulfen und der Elf Alariel waren in den Westflügel des verlassenen Palastes gelaufen, von einer Handvoll Elfen, die immer noch auf ihren Reittieren saßen und dem Rest der weißen Garde begleitet. Der Westflügel war ein, über einhundert Meter langer Gang, der am Ende nach links abbog. Alle Sechs Meter, schätzte Wulfen, war an beiden Seiten, links und rechts, je eine Türe, ein absoluter Traum, um jemanden eine Falle zu stellen. Wulfen blickte einen der elfischen Reiter fragend an, der seiner Meinung nach den Rest befehligte. Dieser stieg ab und öffnete eine der Türen. Der Raum schien leer und so eilten zwei Reiter hinein, um sich umzusehen. Wulfen und seine Leute teilten sich auf und so wurde Tür um Tür untersucht, langsam bewegte sich die Truppe nach vorne, bis vom Ende des Ganges Scheppern erklang. Zwei der Elfenreiter setzten sich in Bewegung und hielten auf das Geräusch zu. Eine kleine Gruppe, bis an die Zähne bewaffneter Orken bog um die Ecke und griff ohne Verzögerung an. Die beiden Reiter gaben ihren Löwen den Befehl zum Sprung und die königlichen Tiere kämpften mit beispielloser Disziplin und Gewalt. Das Gesicht eines Orks wurde von dem heranspringenden Tier zerfetzt, ein Anderer verlor ein Stück seiner Schulter durch den Biß des zweiten Löwen. Mit eiskalter Mine und Präzision fällten die Reiter auf dem Rücken der Tiere die Orks wie Schlachtvieh. Inzwischen waren auch schon die restlichen Verbündeten herangedrungen und das Töten und Sterben setzte sich fort. Wulfens Schwert durchbohrte einen schwer gerüsteten Speerträger, der gerade nach einem der Löwen stach, da zogen sich die Besiegten auch schonwieder zurück um die Ecke. Wulfens Einheit hatte keinen einzigen Mann verloren, doch lagen ein halbes dutzend Orks in ihrem Blut da, manche gräßlich von den Klauen und Reißzähnen ihrer Feinde entstellt. Wulfen lief um die Ecke und sah eine schwere, schmale Türe, in die sogar Schießscharten geschlagen worden waren. Er warf sich nach hinten und rollte sich wieder in Deckung. „Mist! Wir sollten sie hier binden und gedeckt mit Schilden zur Türe vorrücken. Beschafft welche, Fähnrich. Ich klettere von außen in diesen Raum und greife von hinten an!“ „Lasst mich dem Menschen folgen.“ Bettelte der Elf Alariel den älteren Reiter an und dieser machte eine gewährende Handbewegung.

 

Wulfen und Alariel stiegen aus dem Fenster in den Hof und schlichen geduckt den Gang außen entlang. Überall im Palast ertönten noch die Schreie kurzer Kämpfe, doch die Schlacht war vorbei und auch der Sieg über die paar Orken, die diesen Raum noch hielten war nur eine Frage der Zeit. Es ging nur noch darum, die Verluste möglichste gering, Wulfens Ziel war bei Null, zu halten. Die beiden Krieger erreichten das Fenster und Wulfen wollte einen schnellen Blick hineinwerfen, als der Elf die Hände beschwörend hob und nach seinem Bogen griff. Er ging tief in die Knie, spannte die Sehne und verließ sich ganz auf seine Instinkte. Er konnte regelrecht durch die feste Mauer sehen und stieß, schnell wie ein Raubfisch nach oben um seinen Pfeil ins Herz eines Gols zu feuern. Sofort geriet der Raum in helle Aufregung und ein säbelschwingender, schwarzpelziger Krieger machte einen Sprung durchs Fenster nach draußen, wo Wulfens Klinge ihn sofort aufschlitzte. Alariels Bogen spuckte noch einen Pfeil in die Schulter eines Feindes, als auch schon die Türe von den Elfen und Weißgardisten aufgebrochen wurde. Wulfen kletterte durch das Fenster nach innen, ein Pfeil segelte noch an seiner Schulter vorbei und fegte einen weiteren Ork zu Boden. In diesem Augenblick begann Wulfens Gesicht wieder zu schmerzen, doch er verdrängte den Gedanken eilends und ließ seine Klinge noch mehr Orkfleisch durchdringen. Alariel war inzwischen auch durch das Fenster gekommen und stand nun Seite an Seite mit dem Menschen einer großen Schar Orks gegenüber. Der brutale Kampf dauerte jedoch nur kurze Zeit, denn obwohl Alariel und Wulfen hoffnungslos unterlegen waren, töteten sie viele Feinde, die von hinten bedrängt schon bald alle aufgegeben hatten. Wulfen riß sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn zu Boden um durchzuatmen. Dann klopfte er Alariel auf die Schulter und wischte sein blutiges Schwert ab.

„Gut, weißer Schwertkämpfer.“ Erklang die Stimme des elfischen Reiters in der Sprache der Menschen und Wulfen nickte ihm zu. Auch Alariel wiederholte die Worte, „Weißer Schwertkämpfer.“ und klopfte Wulfen seinerseits auf die Schulter.

 

Als es Abend wurde, war die Feste ganz und gar in die Hand der Verbündeten gefallen und Wulfen ritt auf Patroille durch die orkische Siedlung. Er hatte sich vorgenommen noch bis zur Dunkelheit wach zu bleiben und dann erst seine wohlverdiente Rast zu genießen. Sein rechter Arm schmerzte höllisch, seine Beine fühlten sich taub an und an sein Gesicht wollte er gar nicht erst denken. Dennoch seine Disziplin und Pflichterfüllung sollte allen wie eine Fackel der Stärke die Dunkelheit erhellen.

Plötzlich erkannte Wulfen eine Gestalt durch die Siedlung schleichen und trieb sein Pferd an, schneller zu werden. Die Gestalt verschwand in einer Hütte aus Elefantenhaut und Wulfen sprang ab, um ihr dorthinein zu folgen. Im Inneren war es düster und leer, die Gestalt war auf der anderen Seite hinausgeschlüpft. Wulfen packte sein Schwert, zerschnitt die Wand und folgte der Gestalt, die eindeutig orkisch war und ein Bündel mit sich trug. „Was für eine Schurkerei planen diese Monster?“ fragte sich Wulfen, als er zusehends aufholte und näher kam. „Ergebt euch! Bleibt stehen!“ keuchte Wulfen. „Sofort!“ befahl er nochmals, doch die Gestalt eilte weiter, bis sie in die Reichweite von Wulfens Schwert kam. Krachend fiel die flüchtige Gestalt um und zerquetschte, was sie in der Hand gehalten hatte. Wulfen stach noch einmal nach, als sich die Gestalt umdrehte und das Bündel losließ, aus dem ein nacktes, pelzbedecktes Orkkind fiel. Es war blutüberströmt und die Hände schienen gebrochen. Wulfens wandte den Blick ab und sah seinem Feind in die Augen, aus denen Tränen floßen. Die feinen Züge, und die goldene Kette ließen in Wulfen eine grausige Vorahnung hochkriechen. Als er die Gestalt, die nur in ein paar Leinen gewickelt dann entblößt daliegen sah, erschauderte er ob der abstoßenden und doch weiblichen Gestalt der orkischen Frau. „Frauen. Kinder. Wir sind die Monster.“ Wulfen fiel auf die Knie und sah in die Augen der Mutter, aus denen nun jedes Leben entwich. Der Major der Weißen Garde, der Eroberer zahlloser Siedlungen und Festen, der Bezwinger der grausamen Horden, beweinte in jener Nacht den Tod einer Orkin und ihrer Tochter, erfüllt von ehrlichem Beileid und tiefer Trauer.

 

Elfen und Menschen schlugen im Palast ihr neues Lager auf. Die Hütten um die Burg wurden abgerissen, eine Zeltstadt von militärischer Präzision, wie es nur die Weiße Garde errichten konnte, wurde errichtet. Wulfen und die anderen Feldherren und Fürsten der Menschen trafen sich in einem provisorischen Kartenraum, um weitere Schritte zu planen, der junge Leutnant Lakecz, so wurde beschlossen, sollte, stellvertretend für andere verkrüppelte Soldaten, geehrt und mit ihnen in die Heimat zurückgeschickt werden. Doch der Kembrier Amasov war schon den ganzen Tag abwesend und in seine eigenen Gedanken und Schmerzen versunken. Zu groß war der Stein, der auf sein Herz drückte, zu groß der Kloß in seinem Hals.

„Sie sind uns so ähnlich, keine Ungeheuer. Kein Feind ist das und kein Krieg ist rechtens. Wie konnte der Hass so von uns Besitz ergreifen, uns das vergessen zu lassen?“ Dieser Satz pochte seit gestern Nacht in seinem Kopf und ließ Wulfen tagelang nicht einschlafen. Er verfolgte ihn, wie die sterbenden Augen der Orkfrau und der Anblick ihres ermordeten Kindes. Jenen Unschuldigen, die von ihm selbst  ermordet worden waren.

 

- ENDE -

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (David Lebknecht).
Der Beitrag wurde von David Lebknecht auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  David Lebknecht als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Lebenstüren von Edeltrud Wisser



Die Autorin lädt Sie ein Türen zu erschließen, und in unterschiedliche Lebensräume hineinzuschlüpfen.

Gehen Sie auf Tuchfühlung mit deren Farben- und Facettenreichtum.

Hier berühren sich Traum und Wirklichkeit, verschmelzen zu poetischen Wortgemälden.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von David Lebknecht

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Ausgebrochenen von David Lebknecht (Fantasy)
Die Zauberblume von Joachim Garcorz (Fantasy)
SigmundF, – ist noch Platz auf deiner Chautsch…1teSitzung von Egbert Schmitt (Absurd)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen