Gaby Schumacher

Die gehässige Bandscheibe

Name: Gifty Bolz

Ihre Adresse:
L4/L5 (L steht für Lendenwirbelsäule)
Weibliches Exemplar Mensch, Name: ´Gaby`

Gifty ist frustriert. Sie leidet an schwindendem Selbstbewusstsein, denn im Laufe von 55 Jahren nur etwas drei- bis viermal durchstechenden Erfolg verbucht zu haben, bedeutet für eine ausgewachsene Bandscheibe eine schreckliche Blamage. Jetzt endlich ist ihre große Chance da, denn Gaby hat wieder eine falsche Bewegung gemacht. Aber sowohl Nerven als auch Muskeln bewahren die Ruhe.

„Ihr kläglichen Feiglinge!“, ranzt die Bandscheibe sie an. „Heute herrscht ein Ausnahmezustand. Da haben Körperteile zusammen zu halten. Na, was ist nun mit eurer Solidarität mir gegenüber?“
Die Angeklagten schweigen betreten.

Nach kurzem Nachdenken regt sich bei den Nerven das Mitleid.
„Schließlich ist sie vorgefallen ... „
„ ... und das ist ein äußerst peinlicher Vorfall!“
Darin sind sie sich alle einig.
„W...Was hast du d...denn vor, Gifty?“

„Hört zu: Gaby ist anscheinend nicht so schnell außer Gefecht zu setzen. Wenn ich daran denke, wie selten nur ich in der Vergangenheit die Chance hatte, mich bemerkbar zu machen, krieg` ich noch heute die Wut. Während meines Vorfalls hat sie mich aus meinem Bett befördert und später jedes Mal nur knappe drei Wochen gebraucht, um sich von den Folgen dieser Unverschämtheit wieder zu erholen, während ich noch heute an der falschen Stelle sitze. Das schreit nach Rache. Die mach` ich fertig!“

„Hm, sei lieber vorsichtig!“, mahnen die Muskeln. „Sie bringt es und lässt sich operieren. Dann biste still gelegt - für immer!“
„Irrtum!“, trumpft Gifty auf. „Der Arzt hat gesagt: Operiert wird nicht!“
„Wenn Du meinst ... “, zweifeln die Nerven.

Irgendwie können sie die Bandscheibe ja verstehen und zudem hat sie das mit der Solidarität nachhaltig beeindruckt. Wer lässt sich schon gerne vorwerfen, dass er sich unsolidarisch verhalten würde ...
„Wir haben es uns überlegt. Wir machen mit!“, verkünden sie dann.

Gifty ist hoch zufrieden.
„Und was jetzt?“
„Als Erstes ...“
Die Bandscheibe hat bereits bis ins kleinste Detail alles geplant.
„Zunächst macht sich der Oberfuß bemerkbar. Tanzt Gaby trotzdem noch wie eine Wilde herum, gebt ihr folgenden Befehl an die Muskeln der Wade und des Oberschenkels weiter: ´Ziehen!`. Lässt es sie unbeeindruckt, dann heißt es ´Brennen!` und hilft sogar dies noch nicht, dann ´Brennen, Stechen, Ziehen und dies alles auf einmal auf Stufe Drei!!`. - Ihr werdet sehen: Es wirft sie um!“

„Quatsch!“, melden sich die Nerven zu Wort. „Gaby schluckt notfalls noch ´ne Tablette und macht weiter.“
„Irrtum! Irgendwann gibt sie auf ...“

Am nächsten Morgen verspürt Gaby ein merkwürdiges Gefühl am Fuß.
„Kann man ja mal haben!“, denkt sie und tanzt weiter.
Am Tag darauf zieht es am Knöchel und im Unterschenkel.
„Hach, wie blöd!“
Gaby wandert und tanzt immer noch.
Zwei Tage später brennt und zieht es wie verrückt vom Knöchel über die Wade bis in den Oberschenkel. Gaby versucht es zu ignorieren, nimmt eine Tablette und lässt sich von ihren Aktivitäten nicht abhalten.

Einige Tage später, mittlerweile schmerzt das ganze Bein, schildert Gaby ihrem Arzt den Stand der Dinge:
„Sie haben ein Wurzelreizsyndrom L5/S1. Nehmen Sie diese Schmerztabletten (400 mg) bis zu 3x am Tag.“

Gaby ist seit jeher mit Medikamenten äußerst vorsichtig und beschränkt daher die Dosis auf eine Tablette pro Tag. Es hilft nicht. Nach mehreren Tagen steigt sie um auf zwei Tabletten, was aber auch nicht genug Erleichterung bringt. Inzwischen tanzt sie nicht mehr und auch die Wanderungen wandeln sich in kürzere Spaziergänge.

„Ich lass mich davon nicht klein kriegen!!“, suggeriert sie sich.
Tapfer geht sie auch weiterhin spazieren.
„Wenn`s eine Folgeerscheinung des Bandscheibenvorfalls ist, darf ich mich nicht hängen lassen, dann ist Bewegung wichtig!“

Doch weil sich nichts bessert, telefoniert sie nochmals mit der Praxis:
„Das Medikament bringt es nicht. Außerdem hat es mir zu viele Nebenwirkungen. Ich brauche etwas Stärkeres.“
Der Arzt verschreibt ihr, ohne sie vorher auf die Art des Medikamentes hinzuweisen, ein starkes Betäubungsmittel, das jedoch ausschließlich den Schmerz, aber keinesfalls die Entzündung bekämpft.
 
Beim Lesen des Beipackzettels ist Gaby entsetzt.
„Was?? Es macht leicht süchtig? Das nehme ich nicht!“

Einige Tage darauf sind die Beschwerden dermaßen stark, dass Gaby sich entschließt, nochmals einen Arzt aufzusuchen, jedoch diesmal vorsichtshalber einen anderen. Jener eröffnet ihr die gleiche Diagnose wie sein Kollege, stellt allerdings zusätzlich ´Teilsteife des rechten Beines` fest. Niemand sieht es, doch weiß Gaby, dass es sich eben so verhält. Sich seitlich zu bücken, wird für sie zur wahren Katastrophe.
„Puuh!!“ 

„Na, was habe ich euch gesagt?“, frohlockt Gifty.
Den Nerven und Muskeln bleibt nichts anderes übrig, als der Bandscheibe ihren Mini- Erfolg zuzugeben. Eigentlich könnten sie sich etwas darauf einbilden, denn schließlich wäre es ohne ihr Zutun nie dazu gekommen.

Aber so richtig wohl ist ihnen nicht in ihrer Haut, denn Gaby ist ihr Leben lang sehr um sie bemüht gewesen und hat sie fürsorglich trainiert.
„Trotzdem - was sie da mit Gifty angestellt hat, ist ja wohl kaum fürsorglich zu nennen!“, rechtfertigen sie sich.

Gaby bekommt 600 mg-Tabletten. Drei Tage lang soll sie 3/pro Tag nehmen.
„Danach sehen wir weiter! - Übrigens eignet sich jenes Medikament X wegen der Suchtgefahr zur Schmerzlangzeittherapie nun gar nicht!“, betont der Arzt noch.

„Die kriegst du nicht klein, Gifty!“, versetzen die Nerven der Bandscheibe. „Sie fährt jetzt stärkere Geschütze auf!“
Die Bandscheibe ist sauer:
„Stiiicheel!!“

In den darauf folgenden Tagen vergeht der Bandscheibe das Sticheln. Das feindliche Lager ´Gaby plus Bombenmedikament` verweist sie den Schmerz abtötend deutlich in ihre Schranken.
Obwohl beinahe zur Untätigkeit verurteilt, motzt sie los: 
„Irgendwann einmal steche ich dich noch in die Waagerechte ... !!"

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.05.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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