Rainer Pick

Rosenkrimi ?

Erinnern Sie sich an diesen Todesfall ?

Der Mann starb in seinem großen, stabilen Bett !
Als seine erwachsenen Kinder ihn fanden, war er erst zwei Stunden tot, wie der Arzt feststellte, den sie hinzu riefen.
Obwohl ihr Vater keinerlei Krankheiten hatte, er war ja auch nicht einmal 50 Jahre alt, war einfach offensichtlich so verstorben.


Thomas

Erst zwei Jahre später, als das Mietshaus abgerissen werden sollte, hatte Thomas die
künstliche , langstielige und samten dunkelrote Rose noch einmal in den Händen gehalten.
Die Wohnung seines Vaters übernahm er, weil er der einzige war, der noch kein eigenes Haus hatte, während die anderen Kinder längst schon in den selbst erbauten, eigenen vier Wänden wohnten.
Die meisten Möbel und Gegenstände seines Vaters hatte Thomas übernommen und weil er nicht besonders ehrgeizig oder gar fleißig war, blieb fast alles in der Wohnung so stehen, wie es vom Vater einmal arrangiert wurde.
Nur in dem Bett, in dem der Vater starb, wollte er nicht schlafen, ja nicht einmal im gleichen Zimmer.
Er schlief statt dessen im Wohnzimmer auf der großen, alten und wunderbar breiten Couch, die noch aus den Jahren stammte, in denen seine Eltern zusammen waren.
Das Zimmer, in dem der Vater starb, das nutzte er als Bibliothek, denn lesen mochte er sehr gerne und Vater hatte diese Leidenschaft auch, so daß zwei große Regalwände voller Bücher der Ort war, den Vater zuvor und Thomas jetzt gleichermaßen intensiv nutzten.
Thomas hatte sich daran gewöhnt, abends, nach der Rückkehr von der Arbeit, seine Jacke oder den Mantel – je nach Jahreszeit – im Flur, an der Garderobe aufzuhängen,
in die Küche zu gehen, dort den Wassertopf mit Wasser zu füllen, ihn auf den Herd zu setzen, die große Tasse – auch eines von den Erbstücken – mit einem Eß- Löffel gemahlenen Kaffees zu füllen und dann, wenn bis das Wasser kochte, in das Zimmer zu gehen, von dem gerade die Rede war und wo die Bücher schon auf ihn warteten.
Ein Schritt an eine der Regalwände, ein Blick auf die Buchrücken, ein Griff hinein und Thomas hatte genau das Buch in der Hand, was ihn am meisten interessierte, jenes Buch, welches er bisher noch nicht gelesen hatte. Denn wenn er einmal mit dem Lesen begann, dann las er es vollständig durch.
Auf dem Weg zurück in die Küche, hatte die linke Hand einerseits das Buch gehalten, mit dem Daumen bereits bis zu Vorwort geblättert, vom linken Auge schon einmal etwas angelesen, mit dem rechten Auge den Weg kontrollierend, auch das inzwischen kochende Wasser, welches jetzt mit der rechten Hand in die bereit stehende Tasse auf das Kaffeepulver goß.
Das Buch noch immer in der linken Hand, die volle Tasse in der rechten Hand haltend , bereits mit fast beiden Augen gleichzeitig den Text im Buch suchend, lenkten jetzt die Beine auf dem Weg in das Wohnzimmer.
Dort angekommen, erfolgte nun schon fast automatisch die leichte Drehung nach links, der Po übernahm die Körperführung nach rückwärts, glitt dann hin zum Sessel, um sich auf dessen Sitzfläche behaglich und bequem zu etablieren.
Genau gegenüber dem Fernseher, der eingeschaltet lediglich die erforderlichen Hintergrundgeräusche lieferte, und neben dem Couchtisch, auf dem jetzt noch die volle Kaffeetasse durch die rechte Hand abgestellt werden musste, kam Thomas Körper ganzheitlich zur Ruhe.
Die rechte Hand hielt nun das Buch, während die linke stützend auf der Sessellehne dem Körper Halt und Gelegenheit gab, sich noch einmal zu organisieren. Ein wohliges Räkeln, bis hin zur äußerst bequemen Konstellation aller Körperelemente, für die fast absolute Ruhestellung.
Nur Augen und Gehirn hatten noch zu tun.
Das Umblättern der Seiten geschah mit eben so wenig Anstrengung, wie das Nippen an der Kaffeetasse, eben automatisch.
Für fast zwei Stunden jeden Tages stieg Thomas aus der Gegenwart aus und lebte in seiner Geschichte. Falls der Umfang der Geschichte es erforderlich machte, auch länger.
Durchlitt alle Leiden des Helden – egal ob Mann oder Frau –
erfand, erdachte und erlebte, was Menschen erfunden, erdacht, erlebt und aufgeschrieben hatte, die manchmal schon lange vor seiner Zeit lebten oder auf einer ganz anderen Stelle des Erdballs.

Conny

Bei Conny war alles ganz anders.
Sie schien, obwohl schon 45 Jahre alt, ewiger Single bleiben zu wollen.
Peinlich sauber war ihre 80 m² Eigentumswohnung. Wer sie beobachten konnte, sah sie immer mit Putztuch oder Staubwedel bewaffnet, ständig irgend etwas zu reinigen.
Jeden Sonnabend lag die Schnur vom Staubsauger quer über die Zufahrtsstraße, bis zu dem kleinen PKW, dessen 4 Türen weit offen standen.
Da, aus der Fahrertür ragte ein – nicht zu großer – Hintern und Waden und Füße. Offenbar gehörten sie zu einer Frau, die innen, auf dem Fahrersitz kniend, mit dem Staubsauger hantierte.
Das es eine Frau war, verriet auch der Teil einer rosaroten Kittelschürze, der zeitweise besagten Hintern, Waden und Füße bedeckte.
Bei ausreichender Geduld,
wer jeden Sonnabend sein Auto so reinigt wie Conny, muß lange nach dem Staubkörnchen suchen, welches noch entfernt werden soll,
kann man Conny nun komplett betrachten.
Rückwärts krabbelt sie aus dem Auto. Den Staubsauger schaltet sie ab, die Ohren des Betrachters können wohltuend entspannen.
Und , immer noch dem Auto zugewandt, reckt sie sich nun, um den schmerzenden Rücken zu entspannen.
Sehr schön zur Geltung kommen dann ihre langen, blonden Haare, mit einer weißen Schleife zusammengehalten. Ihr Gesicht verrät Zufriedenheit, vielleicht wegen der endlich wieder scheinenden Sonne, eher jedoch wegen der noch gefundenen und wieder entfernten Stäubchen.
Freunde oder gute Bekannte sah man kaum zu Besuch kommen. Ihre Besucher hatten fast immer ein kleines Problem.
Die Schuhe vor der Wohnungstür auszuziehen, waren da eher „kleine Fische“. Auch Jacken oder Mantel auf Kleiderbügel zu hängen, machte das Problem nicht aus.
Anders war es mit Connys Manie, sofort nach dem Betreten des Wohnzimmers, die Teppichfransen hinter den Besuchern wieder in eine, genau ausgerichtete Stellung zu bringen.
Danach entstand für den Besucher die Frage:
Wo hin setzen ?
Auf dem großen Sofa, als zentrale Einladung scheinend, lagen wohlgeordnet und geschichtet, in eindeutig dekorativer Pose, Sofakissen, von hellblau bis rosa, aber jede Sitzfläche blockierend.
Conny half !
Rechtzeitig, vor der beginnenden Besucherpanik, drehte sie die Stühle am Tisch in Richtung der Besucher.
Auf dem Sofa saß nie einer. Nicht mal Conny.
In der ganzen Wohnung gab es keine Grünpflanzen oder Blumen. Sträuße, die von Besuchern z.B. zu Connys Geburtstag mitgebracht wurden, wanderten – bei der scheinbaren Suche nach einer geeigneten Vase – erst in der Küche und nach dem Verschwinden der Gäste in einem der vier großen Abfallbehälter, die die Küche dominierten.
Die Ursache für Connys Verhalten lag in einem Erlebnis vergangener Tage. Conny fand irgendwann einmal in einem Blumenstraß eine kleine Spinne (!) .
Und Spinnen waren ihr ein Graus! Dieses krabbelige, haklige Gelaufe !
Deswegen standen in ihrem Wohnzimmer auch nur diese drei Kunstrosen, langstielig und dekorativ, aber stets ohne irgendwelche Spinnentiere.
An mindestens 3 Wochentagen sah der Vorübergehende Conny beim Fenster putzen.
Wie sie und Thomas Vater zu Gemeinsamkeiten kommen konnten, war lange Zeit ein Rätsel......


Thomas Vater

Thomas Vater erschien, mit seinen 47 Jahre, als ein gut aussehender, recht sportlicher Mann.
Mit seinen 1,79 m war er zwar nicht der Größte seiner Generation – ich hatte ihn immer etwas beneidet, wegen der mir fehlenden 8 cm – aber sein freundliches, offenes Wesen machte ihn so beliebt.
Er lachte gerne und fast nie machte er eine ernste Miene. Das verlieh ihm jene Offenheit, die gerne von den anderen aufgenommen, Vertrauen weckte und keine Arglist vermuten ließ. Da war ja auch keine !

Es machte ihm Spaß, beim Gang auf dem Bürgersteig direkt in die auf seiner Straßenseite entgegenkommenden Autos zu schauen.
In das Innere, wo zu sehen war, wie der Fahrer oder die Fahrerin mit äußerster Konzentration und dementsprechender Mimik das Fahrzeug durch die Tücken des Kleinstadtverkehrs lenkte. Auch die vorn sitzenden Beifahrer und Beifahrerinnen waren – bei entsprechender Tageszeit und Sonnenstand - gut zu erkennen. Entweder ebenso konzentriert wie der Lenker des Gefährts, oder bewußt die überragende Klasse des PKW´s dokumentierend, mit dem Gesichtsausdruck des gelangweilten Luxus, oder dem typischen „S-Bahn- Gesicht“ ,
jedenfalls meistens mit einer ernsthaften Maske saßen sie dort.
Thomas Vater suchte den Blickkontakt. Spürte bzw. sah er ihn, dann lächelte er freundlich hinein in die Gesichter.
Seltsam und auch schön, wie schnell sich bei den meisten dann die starre Maske löste und einem ebenso freundlichen Zurücklächeln wich.
Thomas Vater überkam dann das angenehme Gefühl der Zufriedenheit
– das Gegenteil zu der bekannten „Gänsehaut „ - .
Der kurze Augenblick der flüchtigen Begegnung hinterließ ein kleines Stück Freude, ein „Plus-Impuls“ für den weiteren Tag, für das noch zu lösende Problem, für die noch zu leistende Arbeit.
Vielleicht ging es den Partnern dieses kurzen Moments ebenso ?!
Weniger schön empfand er die Momente, wo ihm auffiel, daß er wieder einmal in der Wohnung aufräumen müsse.
Während er in den Fragen des Abwaschens durchaus aktuell und ordentlich zu Werke ging, was ihm mit Hilfe des Geschirrspülers auch nicht schwerfiel, war Aufräumen und Sauberkeit erzeugen, nicht so seine Freude.
Ja, selbst der Geschirrspüler bereitete ihm das Problem, daß nach dem Trockengang kein Gang in der Maschine programmiert war, der dafür sorgte, daß das trockene Geschirr und Besteck wieder in die entsprechenden Bereiches des Küchenschranks zurückgestellt werden.
Nur seine Freude daran, stets sauberes Geschirr zu benutzen, zwang ihn diese unschönen Momente zu durchleben.
Noch schlimmer war es natürlich, die Spuren des Alltags und vielleicht der kleinen Partys des Vorabends zu beseitigen.

Die deutliche Spur, vom Flur in das Wohnzimmer und dort weiterführend auf dem Fußbodenbelag hatte ihn schon öfter sich selbst die Frage
stellen lassen: „ Warum habe ich keinen dunkleren Teppichboden gekauft ?“
Am deutlichsten war immer das folgende:
Eine Woche Kaffee trinken ... eine Woche stets ein Tröpfchen an der gleichen Stelle verloren,
das Muster auf dem Platz zwischen Sessel und Couchtisch gehört jetzt eigentlich in die Fachliteratur in das Buch des Psychologen, als Zeichnung: „ Was erkennen Sie in dieser Figur ?“
Nein, Schaumreiniger, Besen, Bürste, rote, aufgeruppelte Knie,
Staubsauger und Putztuch waren nicht seine bevorzugten Arbeitsutensilien, er fand stets den Kompromiß zwischen erforderlicher Sauberkeit und erträglicher Verschmutzung.
Schließlich macht etwas Alterspatina jede Antiquität erst wertvoll !
Da er die Zentren seiner Kompromißbereitschaft in der Wohnung ständig wechselte, war ein durchschnittlich guter Reinigungszustand seiner Wohnung stets gewährleistet.
Obwohl auch kleine Spinnentierchen öfter in seiner Wohnung anzutreffen waren, was deren Netze anbetraf, galt Thomas Vater die Devise:
Einige sollten bleiben, die aber, die zu groß geworden und zu deutlich erkennbaren sind, fallen dem Staubwedel zum Opfer .
Seine Wohnung übernahm – im Laufe der Zeit – mehr und mehr – Züge seines Charakters.
Woher kamen diese Spinnentierchen ?
Blumen und Grünpflanzen mochte er gerne, das kleine Wunder des Entwickelns vom Samenkörnchen zur großen Pflanze faszinierte ihn stets aufs neue.
Wohnzimmer und Küche, ja sogar die Toilette und das Bad erlebten seine Versuche, wenigstens teilweise Wald und Natur in seiner Wohnumgebung zu etablieren.
Da wuchsen, die aus den Kernen einer ausgequetschten Zitrone gezogene Bäumchen neben der alten Zimmerlinde, die noch aus den Beständen seiner Eltern stammte.
Ein Gummibaum, dessen Alter keiner aus seinem Bekanntenkreis bestimmen konnte, rankte sich, über die Möbel des Wohnzimmers hinweg, in dichten Strängen an einer Wand entlang und verhinderte so seit Jahren erfolgreich, daß auf dieser Seite renoviert werden konnte.
Während seine Spitzenblätter dem Licht des großen Fensters im Wohnzimmer entgegen strebte und auch erkennen ließen, daß Schnittarbeiten durchgeführt werden mußten, um ein freies Fenster zu behalten, hatten weitere Seitentriebe diese Wand flächendeckend begrünt.
Thomas Vater hatte seine Routinen des Tages schon sehr früh darauf abgestellt, täglich eine Runde durch die Wohnung zu machen, um mit den Fingern zu prüfen, in welchem Blumentopf wieder ein Schluck Wasser gehört.
In der Küche war die Kinderstube der meisten Pflanzen. Neben der kleinen Glasschale, wo sich über dem feuchten Löschpapier ein zarter, hell grüner Stengel einer gerade erst geborenen, sprich: ausgekeimten Pflanze erhob und die winzigen, ebenfalls zart grünen Blättchen dem Licht entgegen reckten, stand in einer größeren Schale, bereits mit Erde gefüllt die Reihe der Pflänzchen, die schon etwas längere Zeit -–mit Hilfe der Photosynthese und des Gießwassers – wuchsen, um später einmal eine große Pflanze zu werden.



Thomas und seine Geschwister konnten sich nicht daran erinnern, daß ihr Vater dieses Hobby auch schon während ihrer Kindheit hatte.

DIE ELTERN

Die elterliche Wohnung beherbergte zwar auch Blumen und Grünpflanzen, allerdings keine Zucht - und Pflanzversuche, wie in der Wohnung in der ihr Vater so lange Zeit alleine lebte.
In der elterlichen Wohnung hatte die Mutter eben den Blumen und Grünpflanzen nur einen Mittelplatz eingeräumt. Nach den Kindern, dem Gatten, der Küche, der Waschmaschine und vielleicht vor dem Staubsauger und dem Fahrrad.
Auf jeden Fall nach den gemeinsamen Kinobesuchen und den Besuchen der Kneipe, damals als die Eltern eigentlich noch gar keine waren. Die Kinder kamen ja später.
Die Kneipe hatte etwas von Heimat für die beiden.

HANNA

Am Tresen und in der Küche herrschte Hanna. Eine großartige Frau, ausgestattet mit allen Attributen der Weiblichkeit, sichtbar an dem Busen, dessen Ausmasse nahezu phantastisch war. Mit befehlsgewohnter Stimme erteilte, ach nee, wies sie Plätze an oder begrüßte bekannt und unbekannte Gäste. Aussehen und Stimme waren gut geeignet, angetrunkenen Gästen den Weg aus der Kneipe zu weisen, Lieferanten klar zu machen, in welchem Kellerraum das angelieferte Faß gebracht werden muß, oder – den zu den Stammgästen gehörenden Stasi- Mitarbeitern klar zu machen, daß sie diesen oder jenen Gast, der das nicht wußte und sich einen kleinen Witz erlaubt hatte , in Ruhe zu lassen.
Davon profitierten nicht nur die Eltern, sondern auch die vielen Gäste des Moorbades, die ahnungslos Urlaub von der Kur in der Kneipe machten.
Die Eltern gehörten zum Stammgästetum.
Die Mutter hatte Gelegenheit zum Familieneinkommen durch Kochen in der Küche beizutragen, die älteste Schwester – sie war das erste Kind der Eltern - bekam damals keinen Krippenplatz und das Einkommen des Vaters lag, kurz nach dem absolvierten Studium bei nicht mehr als rund 500 M ( für den unwissenden, nicht ehemaligen DDR-Bürger: „M“, das waren die Alu- Chips, die kleinen Scheine, die Mark der Notenbank - ich glaube später hieß es die Staatsbank - der Deutschen Demokratischen Republik, die – weil kleiner als die D- Markscheine, besser in den Geldbeutel passten und in bestimmten Zeiten zwischen 5 und 10:1 gegen die Westmark getauscht wurde. ).
Das ist aber nicht mit den heutigen Verhältnissen zu vergleichen, schließlich ist es heute leichter, sich zu besaufen, als satt zu essen.
Jene Hanna also verwöhnte, nicht nur mit dem Angebot der Küche und des Kellers ihre Gäste, bestimmten Gästen galt ihr vollständiges Vertrauen, was z.B. darin gipfelte, daß diese Gäste nicht unbedingt am gleichen Abend noch bezahlen mußten.
Sie kannte die Nöte und Problemchen der Menschen, die am Beginn einer Familiengründung standen.

Ansonsten war der Aufenthalt in Hannas Kneipe wohl so ziemlich der einzige Luxus, den sich die Eltern leisteten, höchstens noch die Tanzabende, den die beiden tanzten gerne !
Als dann einer der Brüder zur Welt kam, endeten die Besuche bei Hanna, oder wurden immer mehr reduziert. Das ist ja auch logisch, denn schließlich waren jetzt die Kinder da.
Jetzt hatten die Eltern anderes zu tun.
Sie mußten die Kinder füttern, baden und wickeln. Oder Windeln waschen. Selbst Thomas Vater rieb sich oft seine roten, kalten Hände – nachdem er etliche Windeln in der Badewanne im eiskalten Wasser gut durch gespült hatte.
Oft mußten Sie entscheiden, ob Zigaretten oder Babynahrung gekauft wird.
Gottlob hatten sie sich immer wieder dafür entschieden, die Nahrung zu kaufen.
Thomas Vater machte eine klitzekleine Karriere, wurde Politiker im Kreisverband der Ortsgewerkschaft, war dort meist nicht glücklich, aber es war ein recht guter Verdienst, der gezahlt wurde und Thomas Mutter arbeitete in ihrem Beruf. Krankenschwester zu sein, hatte sie gelernt und liebte diesen Beruf.
Gemeinsam mit den Kindern, es waren inzwischen drei, begann die gemeinsame Campingzeit. Nach einigen Wanderjahren, jeden Sommer auf einem anderen Campingplatz, fanden sie bald den Stammplatz.
Über das ganze Jahr stand ein großes Wohnzelt in unmittelbarer Nähe des Sees. Gebraucht gekauft war es preiswert und ausreichend. Über dem Wohnzelt und auch einige Meter davor spannte sich das Überzelt, aus Folien vom Baumarkt. Damit konnten Räume für eine universelle Nutzung erschlossen werden, außerdem schützte die Folie das Wohnzelt. Für die abendlichen Partys mit den Zeltnachbaren und Bekannten, die zu einem kurzen Besuch aufgetaucht waren, reichte das Folienvorzelt immer aus. Kleine Beschädigungen, die Folge solcher Partys konnten schnell mit Kleber und Streifen wieder repariert werden.
Der Vorraum war, wie die Küche in der Wohnung, gesellschaftlicher Mittelpunkt der Campingoase, hier wurden auch die Mahlzeiten eingenommen.
Wenn die etwas wärmeren Jahreszeiten begannen, dann war dort der Aufenthalt programmiert. Thomas und seine Geschwister lernten hier sich mit dem feuchten Element anzufreunden, sich darin und vor allem darauf zu bewegen.
Bei entsprechender Witterung und Jahreszeit wurden Pilze gesammelt, um sie noch am gleichen Tag der Familienernährung zu zuführen.
Es war eine glückliche Zeit für die gesamte Familie.

Weniger glücklich verliefen die folgenden Jahre. Thomas Vater erkrankte schwer. Ich weiß nicht genau, ob es nur sein Rauchen und Trinken war, was den ersten Herzinfarkt auslöste ?
Glaubt man den Ärzten, dann ist es natürlich so, aber warum werden dann auch nicht rauchende Sportler dadurch krank ?
O.k., mit den beiden Bypassen konnte er, nach 4 monatiger Rekonvaleszenz wieder fast alles anstellen, was ihm davor gelang. Nur eben langsamer und bedächtiger.
Mutter machte sich große Sorgen, schließlich kannte sie alle Möglichkeiten des Krankheitsverlaufes.
Selbst nach den gemeinsam verbrachten 20 Jahren hatten die Eltern sich bis dahin ihr Gefühl füreinander behalten.

GETRENNT

Während Thomas Vater nunmehr reduziert im Tempo weiter lebte, machte sich bei der Mutter eine Veränderung deutlich.
Im täglichen Familienablauf fehlte sie jetzt des öfteren. Nachfragen ergaben stets den Hinweis auf die angespannte Situation an ihrem Arbeitsplatz.
Thomas Vater blieb ruhig und gelassen, schließlich kannte er seine Frau gut.
Solche Situationen gab es immer wieder, auch Krankenschwestern haben saisonale Schwankungen im Arbeitsrhythmus zu verkraften.
Er blieb auch ruhig und gelassen, als ihn seine Kinder erzählten, daß sie die Mutter mit einem anderen Mann Arm in Arm gesehen haben.
Er blieb auch gelassen, als seine , ohnehin schon recht spärlichen, Versuche mehrmals scheiterten, die sexuelle Komponente der Ehe zu realisieren.
Schließlich gab er diese Versuche gänzlich auf und begnügte sich gelegentlich mit den Möglichkeiten, die die Natur den Männer mitgegeben hatte.
In seiner Phantasie war er noch immer ein feuriger Liebhaber aller Frauen.
Den Kindern, obwohl nun schon erwachsen, fehlte diese Gelassenheit. Sie sprachen mit ihrer Mutter .
So kam dann der Zeitpunkt, der die Trennung der Eltern fest schrieb.
Mutter hatte, nein keinen Arzt, einen Patienten kennen gelernt und auch lieben. Sie sprach mit Thomas Vater darüber. Erst jetzt, denn vorher traute sie sich nicht, wie sie ihm sagte. Sein Gesundheitszustand, das Herz, die Zweifel gegenüber der neuen Beziehung, das alles ließ sie lange zögern.
Nun war es vorbei.
Die zwanzig Jahre Ehe, die wunderbaren Gemeinsamkeiten, die schweren Zeiten der Kindererziehung, die Urlaube und schönen Alltage, die sie gemeinsam erlebten, blieben nun zurück in der gemeinsamen Erinnerung.
Mutter zog aus. Sie machte gründlich Schluß. Friedlich, aber endgültig.
Sie verschwand aus dem Leben der Familie und auch aus dieser Geschichte, nur viel später noch wird sie vielleicht noch einmal erscheinen. Zu den Kindern hielt sie zwar Kontakt, aber nur in großen Abständen, meist zu den Geburtstagen, dann traf sie auch auf Thomas Vater. Die beiden stritten sich nicht. Thomas Vater begrüßte sie und fragte sie stets nach ihrem Befinden, die Antwort aber schien ihm eher egal. Die Geburtstage seiner Kinder verließ er meist schon nach einer halben Stunde.
Wie in der Natur oft zu beobachten, verzweigte sich der Baum. Bis zu einer Höhe von vielleicht 7 Metern hatte sich der dicke Stamm entwickelt und verzweigte sich dann in der Krone. Ein Ast wuchs nach links in anderer nach rechts.

Thomas Vater hatte sich eine Wohnung gemietet, in der er nun schon zwei Jahre alleine lebte.
Einige seiner alten Gewohnheiten hatte er beibehalten.
So schaute er wieder einmal in die entgegenkommenden Autos, während ihn seine Füße auf dem Bürgersteig in Richtung Arbeitsstelle führten.
Das tat er auch heute, vielleicht, weil er sich gerade darüber ärgerte, daß er heute noch den Hausdienst machen musste, also putzen, fegen und wischen auf dem Treppenflur, recht laut und recht naß, damit die Nachbarn Bescheid wissen und auch bezeugen, Herr X. – also Thomas Vater – hat am soundsovielten seinen Hausdienst absolviert.
Und weil er sich also deswegen ärgerte, wieder mit den Dingen zu hantieren, die er nicht mochte, suchten seine Augen einen Ausgleich, etwas Schönes und Fröhliches.
In dem kleinen dunklen – sehr sauberen, auffallend sauberen Auto, das ihm jetzt entgegenkam, saß nur eine Person.
Es war Conny, aber das konnte er jetzt noch gar nicht wissen. Mangels Beifahrer blickte Thomas Vater direkt in ihre Augen.

War es die Sonne ?
War es irgend ein anderer Lichtstrahl, der Connys Gesicht traf ?
Thomas Vater jedenfalls lächelte freundlich und Conny zerbrach ihre konzentrierten Gesichtszüge, um ihrerseits zu lächeln. Dann war sie vorbei.
Thomas Vater überkam das Gefühl, jetzt unbedingt nichts zu versäumen oder falsch zu machen. Er drehte sich um. Seine Augen suchte schnell das Nummernschild des gerade vorbei gefahrenen PKW, verbunden mit dem unbedingten Willen, wenigstens ein Detail sich einzuprägen, das für ein Wiederfinden wichtig und konkret ist.
Das Gesicht, daß ihm so strahlend freundlich erschienen war hatte er sich ohnehin, intuitiv und fest eingeprägt.
Der Weg zur Arbeit verlief an diesem Tag ungewöhnlich anders, als sonst. Leute, denen er an vielen vergangenen Tagen auf diesem Weg begegnete und freundlich grüßte, übersah er. Sein erster Einkauf des Tages, zwei belegte Brötchen aus dem Back – Shop, fiel an diesem Morgen aus. Die beiden Verkäuferinnen registrierten dies als besonderes Ereignis.
Auch seine Kollegen konnten an diesem Morgen über besondere Ereignisse nicht klagen. Alleine seine Telefonate, deren Inhalt leider nur bruchstückhaft bei ihnen verstanden wurde, waren äußeres Zeichen von ungewohnter Aktivität. Es gab an diesem Morgen auch keine Auswertung gestriger Fernsehvorfälle oder auch der Bericht über das besondere Buch vom Vorabend.
Nein, alles war an diesem Morgen anders !
Sein Vorgesetzter war fast völlig konsterniert, weil Thomas Vater ihn mit der Forderung konfrontierte, daß er sofort eine Woche Urlaub haben will.
Er gab sich schnell „geschlagen“ und Thomas Vater rief ein Taxi (!).
Darüber sprach man auf der Dienststelle noch eine geschlagene Woche.
Thomas Vater fuhr in seine Wohnung. Dort angekommen, ohne die Jacke auszuziehen, setzte er sich im Wohnzimmer an den Tisch. Aus seiner Tasche holte er den Zettel, auf dem er die Autonummer noch auf der Dienststelle notiert hatte und überlegte, wie der diese Frau wieder finden könnte.
Ob sie auf der Straße öfter fährt ?
Die Polizei anrufen ?
Irgend ein Amt fragen ?
Was war das überhaupt für ein Autotyp ? Wohin ist sie gefahren ?
Stammt sie aus meiner Stadt ?
Eins von den Dörfern in der Umgebung ?
Die Autonummer: UM- AP 76 könnte darauf hinweisen, daß sie aus meiner Gegend stammt !
Nach diesen vielen Reformen kann man ja leider nicht mehr genau bestimmen, woher welches Auto, mit diesem oder jenem Kennzeichen stammt.
UM, das steht für Uckermark !
Das kann ebenso Prenzlau, Angermünde und auch Schwedt sein.
Dieser Tag verging mit zahlreichen Anrufen, Befragungen und Begegnungen. Immer wenn Thomas Vater erzählen sollte, warum er denn dieses Fahrzeug suche, stotterte er erst einmal ein bißchen, um dann einfach zu sagen, daß er sich in die Fahrerin verliebt habe.
Ungläubiges Staunen wich dann oft sogar der Hilfsbereitschaft, natürlich immer im Rahmen der Vorschriften und Gesetze.
Wer genau und wie ihm gesagt hatte, wo Conny zu finden war, das wird nicht verraten, schließlich muß ja irgendeiner oder irgendeine ja doch eine Vorschrift verletzt haben....
Thomas Vater bereitete sich vor.
All die Sachen, die er bisher nicht mehr bedachte, z.B. neue Schuhe zu kaufen oder ein neues Hemd, holte er jetzt nach.
Lange dachte er darüber nach, wie er der Frau gegenübertreten soll.
Völlig anders als sonst ?
Würde das nicht dazu führen, daß er einen völlig falschen Eindruck machen würde ? Was für einen Eindruck macht er überhaupt ?
War da was zu verbessern ?
War da überhaupt etwas zu verbessern ?
War es notwendig ?
Ich fühle mich doch eigentlich wohl !

Vom Gesicht der Frau hatte Thomas Vater noch immer ein genaues Bild in seinem Kopf, ein strahlend schönes, junges Gesicht.
Ist sie vielleicht zu jung für mich ?
Aber eigentlich weiß er gar nicht wie alt sie ist. Er wußte, daß er im Moment ziemlich euphorisch in seiner Betrachtungsweise ist. Ändern konnte er das momentan auf keinen Fall.
Also, was anziehen ?
Neue Jacke ? JA !
Schuhe mal richtig blank putzen ? JA !
Extrem rasieren ? JA !
Bügeleisen heraus holen und Hemd und Hose bügeln ? JA !
Schlips ? JA ?...NEIIN !
Hemdkragen, oben , ein Knopf auflassen ? JA !
Blick in den Spiegel , Aftershave : „Jaaa, das tut gut, ohoh, das brennt !“
Blumen. Wo sind die Blumen ?
Der Strauß, von seiner Blumenhändlerin gebunden, die das immer sehr gut machte und der er beinahe verraten hatte, wozu der Strauß dienen soll,
es dann aber bei der Bemerkung: „ Eine nette Kollegin hat morgen Geburtstag, sie wird 35 Jahre“, gelassen hatte.
Taxi rufen. Kommt in 20 Minuten.
Noch einmal Blick in den Spiegel: „Na, es geht so. Ach, es wird schon werden, bin doch schon richtig erwachsen ! Komisch, wie schnell die Schramme wieder mit dem Bluten aufhört, wenn man das Rasierwasser drauf tut. Da, an der linken Seite müßte ich noch einmal kurz mit der Rasierklinge entlang, da steht ja noch ein Hährchen.
Da mußte allerdings ganz genau hinsehen. Ach laß es mal, das Taxi kommt.“
Und richtig. „Krrrrglong !“ Der Taxifahrer hat, unten am Hauseingang auf den Knopf der Klingel gedrückt und sich dann gemeldet .Thomas Vater mit einem kurzen „Alles klar, ich komme.“ bestätigte und verließ die Wohnung.
Unten im Taxi nannte er die Adresse und dann verging die Fahrt viel zu schnell.
Es dauerte ewig, bis der kleine Nachbarort erreicht wurde, es ging nur zu schnell, weil Thomas Vater noch immer nicht wußte, was er als Erklärung für sein Auftreten sagen sollte, wo er es doch so gerne vorher gewußt und geplant hätte.
Dann hielt das Taxis und der Mann am Steuer nannte seinen Preis. Thomas Vater griff in die Jacke, komisch, Panik überkam ihn, hatte er das Portemonnaie vergessen, dann wieder Ruhe, er saß darauf, er konnte es genau spüren, in der rechten Gesäßtasche musste es sein.
Blumen wieder abgelegt, das Gesäß leicht angehoben, mit dem Kopf dabei an den Wagenhimmel stoßend, erreichte er die besagte Gesäßtasche , das Portemonnaie und zahlte dann, aufatmend wieder sitzend, den Fahrpreis.
Dann allerdings hieß es aussteigen. Für einen klitzekleinen, kurzen Moment wurden ihm die Knie weich. „Ich will nicht !“, schien ihm sein Gehirn zu gerufen zu haben.
„Nun aber los !“ ermahnte er sich innerlich, gab sich also einen Ruck und stieg aus.
Der Taxifahrer grüßte kurz, dann wurde der Motor lauter und das Auto verschwand.
Thomas Vater stand alleine, einsam und mit dem Blumenstrauß in der Hand, für einen weiteren Augenblick still.
Allein in einer fremden Straße. Kein Mensch in der Nähe. Nur die vielen Fenster, die irgendwie neugierig und heimlich beobachtend wirkten. Ihn beobachtend, die scheinen genau Bescheid zu wissen. Aber, das kann ja gar nicht sein.
Ein kurzer, prüfender Blick an sich herunter, zeigte ihm, das er recht ordentlich aussieht und es keine weiteren Verbesserungsmöglichkeiten mehr gibt. Er machte nun den Schritt, hin zum Hauseingang, in den Schutz der kleinen Überdachung vor der Haustür. So, erst einmal vor den Blicken geschützt.
Dann studierte er lange und gründlich die Namensschilder vor sich.
Da stand der Name.
Er hatte lange gebraucht, um ihn herauszufinden , es hatte Mühe und Geld gekostet, Zeit und Überredungskünste, Offenbarungen und Bitten..........und nun verließ ihn fast der Mut, auf den Klingelknopf mit diesem Namen zu drücken.
Blumenstrauß in die linke Hand. Rechte Hand bekommt den Befehl: Los, klingeln !
Die Hand drückt die besagte Klingel.
--- An dieser Stelle kommt im Fernsehen immer eine Werbestaffel und man kann mit seiner Spannung ganz
prima die Blase überreden, alles abzugeben, was drin ist. In einer Plattenwohnung erkennt man am
Geräusch oft, daß eine ganze Menge der Bewohner dieses Hauses den gleichen Fernsehsender eingeschaltet haben und nun die Werbepause nutzen... ---


„Ja !“
eine angenehme Altstimme klingt auffordernd.
Aber nicht aus der Wechselsprechanlage, die hier installiert ist, sondern aus der Höhe. Über der kleinen Überdachung des Hauseingangs klingt die Stimme noch nach.
Thomas Vater muß wieder aus dem Schutz heraus, aber er will es ja eigentlich auch und so tritt er hervor, dreht sich mit dem Gesicht zum Haus und blickt in die Höhe.
Von diesem Moment an, wird alles einfacher.

War es die Sonne ?
War es irgend ein anderer Lichtstrahl, der Connys Gesicht traf ?
Thomas Vater jedenfalls lächelte freundlich und Conny zerbrach ihre neugierig fragenden Gesichtszüge, um ihrerseits zu lächeln.

Sie erkannten sich beide sofort und es schien, als ob Conny nur darauf gewartet hätte, daß er vor ihrer Tür stehen würde.
Sie rief nur, nach dem kurzen Moment des Wiedererkennens: „ Einen kleinen Augenblick, ich komme herunter !“, dann schloß sich das Fenster, aus dem sie sich heraus gelehnt hatte.
Conny wußte nicht, warum sie auf diesen Augenblick gewartet hatte, warum sie das „Da ist er ja“ - Gefühl hatte, warum sie mit größter Erleichterung und noch größerer Eile die Schuhe anzog um so schnell, wie nur möglich, beschwingt wie ein Teenager, hinunter zu eilen.
Thomas Vater hörte, nur kurze Zeit später, das Schließen einer Wohnungstür und dann die kurzen, eilig trippelnden Schritte auf der Treppe.

Als sich die Haustür öffnete standen sich zwei Menschen auf der Straße gegenüber. Beide mit hochroten Gesichtern, magisch, magnetisch angezogen, gingen sie aufeinander zu.
Vier Augen strahlten um die Wette, sie sahen nichts konkretes, nur einen Eindruck, ein Schema und alles paßte perfekt.
Der gerade erhobene Blumenstrauß sollte eigentlich als Schutz und Erklärung ohne Worte dienen, fiel herunter in den Straßenstaub. Mit weit geöffneten Armen machten beide Menschen den noch fehlenden Schritt und umarmten sich.

In diesem Augenblick passierten so viele Dinge, liefen so viele Prozesse ab, die der rationale Verstand nicht sofort erfassen kann.
Während Blutdruck und Herzschlag auf höchste Werte stiegen, schlossen sich vier Augen und Ohren, es dominierten zwei Nasen und einige Quadratmeter Haut.
Was die Hormonproduktion der beiden Körper anbetrifft, muß es kolossale Ausschüttungen gegeben habe, aber mein Schulwissen reicht für konkrete Zahlen nicht aus.
Tief atmeten beide Menschen ein, rochen und genossen sich, der Schutz der Umarmung war vollständig, die Außenwelt abgestellt. Ein kleiner, eigener Kosmos tat sich auf, mit gänzlich anderen, von der normalen Welt unterschiedlichen Gesetzen und Zeitabläufen. Lichter und Farben waren da, jedoch mit unseren Worten nicht zu beschreiben. Musik, die nicht von unserer Welt war, klang auf und nur sie beide hörten die Melodie. Schwerkraft und Umwelt waren nur ihnen vertraut, obwohl sie diesen Kosmos zuvor nie betreten hatten. Alles war anders.

Wie lange dieser Augenblick dauerte, konnten sie später nicht sagen, erst das wirklich ganz vorsichtige Hupen eines Autos durchbrach die absolute Ruhe und Vertrautheit.
Beide schauten sie, noch immer in Umarmung hoch, tauchten aus ihrer seligen Versenkung auf und, zurück gekehrt in das hiesige Universum, registrierten sie mit Erstaunen, daß wenigstens 5 PKW´s an ihrer Seite standen, die nicht weiterfahren konnten. Die Motoren waren aus gestellt.
Soweit erkennbar, lächelten die Gesichter der Insassen ihnen zu. Teilweise etwas neidisch, aber keiner von ihnen schaute unwillig.
Conny und Thomas Vater lächelten , etwas verlegen, weil langsam der Verstand und die rationellen Verhaltensroutinen wieder die Oberhand gewannen.
Sich noch immer an den Händen haltend, machten sie die Straße frei.

Das erste Auto, fuhr jedoch nicht weiter.
Die Beifahrerinn öffnete statt dessen ihre Tür, stieg aus und hob den herabgefallenen Blumenstrauß auf, sah ihn sich an und reichte ihn dann Conny, mit freundlich, neidisch (?) verlegenem Blick, verharrte einen Moment, um zu sprechen, schwieg jedoch und stieg wieder in das wartende Auto. Die Motoren sprangen wieder an.
An ihnen vorbei defilierten nun die vorher wartenden Autos, aus jedem einzelnen strahlte sie mindestens ein freundliches Augenpaar an und als alle vorbei waren, der Ton der Motoren wieder leiser wurde und schließlich verebbte, folgte eine zu dieser Tageszeit unnatürliche Stille.
Wieder sahen sich die beiden in die Augen, etwas verlegen, etwas fragend und doch auch begreifend.
Sie wandten sich der Hauseingangstür zu und verließen durch diese,
die Straße, die Szene, die Blicke der Nachbarn und dieses Kapitel.


Sie haben nicht geheiratet, Thomas Vater war ja nicht geschieden und beide zogen auch nicht sofort zusammen, in eine gemeinsame Wohnung. Sie trafen sich in dieser Woche jeden Tag, Thomas Vater blieb nur in der ersten Nacht in Connys Wohnung.
Und jeden Tag dieser Urlaubswoche unternahmen sie Ausflüge in die Natur, an die vielen kleinen Seen, saßen an den Ufern und trieben all die schönen Dinge und Sachen, die jedes frisch verliebte Paar schon getrieben hatte. Für die beiden war es neu, schön, verwegen und überraschend.

Am Ende dieser Woche hatten sie auch darüber gesprochen, wie das passieren konnte.
Unerklärliche Vorgänge, Schicksal , vorher bestimmt von einem höheren Wesen, einem Gott, einer Fee, war es ein Märchen ?
Sie fanden die Erklärung nicht, waren darüber aber auch nicht unglücklich.
Sie paßten einfach zueinander und waren darüber glücklich und zufrieden.
Conny war arbeitslos und hätte diese „Flitterwoche“ gerne noch verlängert, Thomas Vater mußte jedoch das Ende seines Urlaubs akzeptieren und so verbrachten beide den letzten Tag gemeinsam im Schlafzimmer. Es war die Wohnung von Thomas Vater. Und die beiden taten nun wirklich alles, was zur Liebe gehört. Auch das Alter der beiden, die Erfahrungen der vergangenen Jahre ermöglichten ihnen die zufriedenstellende Praxis, das Miteinanderreden, die Geduld und die gegenseitige Erfüllung aller Wünsche, bis hin zum gemeinsamen Höhepunkt zu praktizieren.
Sie schliefen beide mit jenem Grad der Erschöpfung und Zufriedenheit ein, der vielleicht am besten mit dem Einschlafen des Babys, nach dem Trinken an der Brust, satt und zufrieden, zu vergleichen ist.




Am nächsten Morgen ging Thomas Vater wieder zur Arbeit.
Damit war sein Tag ausgefüllt, auch deswegen weil wesentliche Teile seines Denkens damit beschäftigt waren, an Conny zu denken. Seine Telefonkosten im Büro stiegen, aber das war nicht von wesentlicher Bedeutung, weil das dienstellenspezifisch nur den Promillebereich berührte.
Warum seine Telefonkosten stiegen ?
Na, wegen Conny ! Er rief sie an. Jedesmal, wenn Mitinsassen des Büros dasselbe verließen, war er am Apparat. Seine Kollegen vernachlässigten aus reiner Rücksichtnahme sogar ihre Arbeitsaufgaben und verließen das Dienstzimmer so oft sie konnten.
Der Heimweg verlief nun neu. Zuerst kam er bei Conny an. Conny machte ihm ein Abendbrot der Extraklasse, weil er doch die Mühen der Arbeit ertragen musste, und weil sie es so auch noch aus ihrer Zeit bei ihren Eltern kannte.
Dann folgten, eigentlich vor dem Essen schon und dann danach, die Übungen, die frisch Verliebte immer wieder absolvieren, ohne der Wiederholungen überdrüssig zu werden.

Erst danach verließ Thomas Vater, spät am Abend, um in seiner Wohnung nach den Blumen zu sehen, denen erzählte er auch von Conny, und dann spät nach Mitternacht, schlief er , meist mit einem Buch in der Hand ein.

Irgendwann, nach 4 oder 5 Wochen unterhielten sich die beiden über die weitere Zukunft. Eher beiläufig hatte Conny dieses Thema berührt und sie fingen an zu planen.

Conny wollte wieder arbeiten.

Sie wollten zusammen ziehen, in eine gemeinsame Wohnung. Heiraten ?
Nein, nur zusammen leben !
Schließlich hatten sie, zwar unterschiedlich lange, alleine gelebt und wußten nun nicht, wie lange dieses starke Gefühl alle möglichen Differenzen ausgleichen konnte. Ihre Lebenserfahrungen standen der unbeschadeten Zukunft im Wege. Der Augenblick war zu schön, um ewig zu bleiben, aber ihr Wunsch und der Wille auch nach der Euphorien, nach dem hoffentlich langsam, ganz langsam abklingenden Zauber zusammen zu bleiben, setzte die Gehirne der beiden wieder in Gang.
Was beim Überschwang der Gefühle unsichtbar geblieben war, schälte sich nun immer deutlicher werden aus dem rosa Schleier.

Da war Connys Wohnung, Thomas Vater fiel ganz plötzlich auf, daß Conny hinter ihm stand und die Fransen des Teppichs richtete, Conny hingegen fiel plötzlich auf, daß Thomas Vater Blumen in ihrer Küche auf dem Fensterbrett und nicht im Abfallbehälter abgestellt hatte.

Das alles sollte sie nicht trennen! Und so sprachen sie miteinander über ihre Zukunft, das diese eine gemeinsame sein würde, daran gab es keine Abstriche.

Conny hatte als gelernte Chemikerin in der Stadt keine Chancen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, denn die Chemiefabrik, in der sie vorher 20Jahre gearbeitet hatte, war fast vollständig geschlossen worden. Wo zuvor rund 10.000 Menschen Brot und Arbeit fanden, gab es nach der Übernahme durch potente Investoren nur Brot und Arbeit für 2000.
Das Soziale des Personalabbaus bestand darin, und wurde so auch mit Freude verkündet, daß Familienväter und – mütter bei der Suche nach den Mitarbeitern, denen betriebsbedingt gekündigt werden sollte, erst an zweiter Stelle stehen.
Somit stand Conny an erster Stelle.


Arbeitsamt

Es ist jenes Gebäude, das völlig neu errichtet, einen wesentlichen Teil des Zentrums der Stadt prägt. Nicht nur wegen der vielleicht interessanten Architektur, sondern auch wegen des starken Besucherandrangs zu den Sprechzeiten.
Conny war alleinstehend. Also war sie auch eine der ersten, die im Arbeitsamt eine Nummer ziehen musste, um nach dem entsprechenden "Klin-Klonk" ein Beamtenbüro aufzusuchen, dort ihr Leben auszubreiten, um in Fragebögen versenkt und verdichtet zu werden, dann in Computerdateien gespeichert und mit einer Kunden (!)- Nummer versehen im PC-Netzwerk all denen zugänglich gemacht, die nun fürsorgerisch für Conny tätig wurden.
Connys Alltag wurde ab diesem Zeitpunkt im Außenverhältnis nur von solchen Hauptsachen wie Einkaufen der für die Existenzsicherung erforderlichen Nahrungs- und natürlich Reinigungsmittel, den Besuchen beim Arbeitsamt zu irgendwelchen Kontrollzwecken, Anmeldungen oder zur Absolvierung der leistungserhaltenden Schulungs- und Umschulungsmaßnahmen geprägt.
In der ersten Zeit hatte sie immer wieder gehofft, daß die Aufforderung, amtlicherseits sich dort zu melden, dazu führen würde, daß sie eine neue Arbeitsstelle angeboten bekommen würde.
Mit 40 Jahren ist man doch noch leistungsbereit und auch daran
interessiert !
Mit der Zeit gewöhnte sie sich dieses illusionierende Denken ab und realisierte diese Meldebesuche als das , was sie waren, nämlich notwendiger Pflichtgang zur Erhaltung des ohnehin kargen Entgelts.

Thomas Vater hatte seinen sicheren Arbeitsplatz, den er auch nicht riskieren wollte, schließlich waren sie beide auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen.
Damit war eine erste Vorentscheidung fällig. Sie wollte diese Gegend nicht verlassen. Auch wegen der fabelhaften Umgebung, die ihnen vor allem in den ersten Wochen ihrer Beziehung erst richtig deutlich geworden war.
Nie würde sie ihre Stadt verlassen, denn sie liebte nicht nur Thomas Vater, sondern auch das Theater der Stadt.
Ich kann es nur mit meinen Worten beschreiben, meine Meinung muß aber nicht die von Conny sein, aber die Beschreibung dürfte ein Bild ermöglichen, das Conny verstehen läßt:


Theater

Eine schwangere Auster muß Modell gestanden haben, als der Architekt dieses Bauwerk entwarf. Mehr als 30 Meter hoch ragt die aufgeklappte Oberschale über die ausgebreitete untere Hälfte. Sie beherbergt Bühnentechnik, Probebühnen und Büros, während die untere Schale durch eine große, fast umlaufende Fensterfront, Einblicke in Foyers und Vestibül erlaubt. Da finden auch diese Podiumsdiskussionen statt, zweimal war hier schon der ORB.
Gerade wenn typisches Novemberwetter herrscht, leichte Nebel wallen und es wird immer früher dunkel, dringen die Lichteffekte der Veranstaltungen in diesen Räumen, hinaus auf die vor dem Theater stehende hohe Stele und die Freitreppen. Abendliche Spaziergänger und Besucher erleben, wie zuckende Lichtblitze aus dem Gebäude dringen, getragen vom Widerschein der Millionen Nebeltropfen, bis weit hinaus auf die Lindenallee,
der "großen Sichtachse",
wie Frau B. immer zu sagen pflegt. Und sie hat Recht. Autos, die von der Lindenallee kommend, entweder in Richtung Angermünde oder in Richtung Gartz fahren wollen, dürfen die Kurve nicht verfehlen. Ihre Fahrer würden sonst direkt im Eingang der Uckermärkischen Bühnen landen, vermutlich mit einem erschrockenen "UBS" auf den Lippen. Damit hätten sie ja dann ebenfalls Recht, schließlich sind sie genau dort gelandet.
Die Verwandtschaft der Auster mit dem feuchten Element, kann dieses Haus ebenfalls bieten. Nein, ich meine nicht den im breiten Schwall fließenden Probenschweiss. Wir nähern uns dem Haus von der rückwärtigen Ansicht.
Gnadenlos gemütlich räkelt sich die Hohensaatener- Friedrichsthaler- Wasserstraße (HFW) in ihrem Bett. Sie verbindet allerlei andere Flüsse mit der Oder. Gerade vorbei an den berühmten Auenwäldern des unteren Odertals, dem Grützpott in Stolpe, hindurch durch die Brücken, die einige Orte mit den Polderwiesen verbinden, dann immer breiter werdend, gleich hinter der Schwedter Stadtbrücke, bildet sie fast einen imposanten See.
In dieser Wasserfläche spiegelt sich, entsprechendes Wetter vorausgesetzt, ein Teil unserer schwangeren Auster. Allerdings, völlig untypisch für eine Auster, eingerahmt von uralten und sehr schönen Bäumen und auf einer Seite ergänzt durch ein kleineres Gebäude. Zu diesem Gebäude haben eine ganze Menge der Bewohner der Stadt ein besonderes Verhältnis. Nämlich, ein intimes !
Es ist eben das IT, das intime Theater. Von den UBS bis zum Ufer des Wassers erstreckt sich, in leichter Hanglage, Wiesen, weitere Bäume, ein Uferwanderweg und die Kolonnaden.
So könnte noch viel zum Äußeren des UBS geschrieben werden, doch jede Beschreibung verblaßt, wenn sich der geneigte Leser dem Ort des Geschehens selbst nähert und einen eigenen Eindruck gewinnt.
Ich wende daher das Blatt und nähere mich dem Inneren des Hauses.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich den Hintereingang nehme, von vorne können Sie sich jederzeit selber ein Bild machen.
Einem Irrgarten gleicht dieses Innere, wenn man sich als unbedarfter, auch unwissender Besucher an der Pforte einfindet. Ein, zumeist freundlicher Pförtner kümmert sich um jeden Besucher. Das ist auch ein Wenig davon abhängig, wer dort gerade sitzt. Ist es Herr M., dann ist einerseits die Freundlichkeit gesichert, nicht aber, die klare Auskunft und schon gar nicht die richtige Telefonverbindung.
Das hat verschiedenste Ursachen. Außerdem entscheidet immer die Tagesform. Kommt man öfter dorthin, wird man als Bekannter gegrüßt und kann sich seinen Weg selber bahnen. Auf den unteren Fluren wimmelt es zu bestimmten Zeiten nur so von Menschen, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Bekleidung, Gesichtsausdrücken,
Wichtigkeit und Geschlechts.
Interesse an anderen und Nichtinteresse wechseln ebenso wie Lauftempo und Gelassenheit. Andere wieder studieren die Informationen an dem großen Aushang, dessen Inhalt unterschiedlicher Aktualität und Bedeutung ist. Sortieren läßt sich dieses Gewimmel nicht, jedenfalls nicht zu jener Stunde. In der nächsten Etage ist etwas mehr Ruhe. Es ist kein Wunder, morgens um 09,00 Uhr. Sekretärinnen und Mitarbeiter der Buchhaltung sind anwesend und genießen die Zeit in der sie den Tag in Ruhe vorbereiten können.
Künstler sind sie auch ! Während in der Buchhaltung eine immer wieder, monatlich neu aufgelegte Inszenierung proben und spielen, ich meine das Stück "Der Kämmerer und der Big Boss", oder "Was Ihr wollt !" in einer Inszenierung der Stadtverwaltung, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und des Verwaltungsdirektors, proben die Sekretärinnen bereits wieder am Stück "24 Stunden" nach der Inszenierung des Intendanten, des Verwaltungsdirektors der UBS auf der einen Seite und der Stadtverwaltung, Stadtverordnetenversammlung, des Lionsclub, der Probenbühnen, der Familien, den Parteien und des Wirtschaftsausschusses auf der anderen Seite.
Typisch für diese Aufführungen ist, daß sie in der Regel nie auf der Bühne stattfinden, die Zuschauer selten Beifall spenden und keine Eintrittskarten verkauft werden.

Tscha, Conny würde sicherlich mehr über die vielen peinlich sauberen Polsterstühle des großen Saales sagen oder von den blitzsauberen Gläsern in dem Theaterkaffee erzählen.
Aber sie ging gerne ins Theater und das einte wiederum beide.

Der alte Fischer

Mit seinen 0,02 mm Durchmesser, war es eines der kleineren Objekte. Nicht unwichtig, wegen seiner Größe, sondern genauso wichtig, wie die Milliarden anderen Körner aus Sand, die hier in Ahlbeck den Ostseestrand ausmachten.
Der alte Kutter, mit dem der Fischer nun schon 50 Jahre hinausfuhr, um ein paar Dorsche und Heringe inzwischen für den Eigenbedarf zu fangen. Dabei war es ihm nicht wichtig, daß viele Fische den Weg in sein Netz fanden, viel wichtiger war ihm, immer wieder den salzig – feuchten Wind im Gesicht zu spüren. Der Wind streichelte sein glattes, junges Gesicht und zauste in den dünnen blonden Bartstoppel ebenso wie heute in den Schluchten seiner Gesichtsfalten und den harten Stoppeln seines inzwischen ergrauten Bartwuchses.
Dem Wind war dieses, wie viele Millionen andere Gesichter, wohl vertraut. Er strich kühn durch die zerklüfteten Schluchten und Faltengebirge im Gesicht des alten Fischers, zauste an den dünnen, aber drahtigen Barthaaren und kühlte die hohe Stirn, die von dem Südwester – bei Regen – oder unter gestrickten, dunkelblauen Pudel – bei Kälte – nur zum Teil bedeckt war.
Während die Möwen, das machen die ja bei fast jedem Roman oder auch im Film, mit ihren kreischenden Rufen, den hinausfahrenden Kutter auf beiden Seiten umflogen, immer auf der Suche nach noch mehr Futter, zogen einige Heringe des Schwarms, der unter dem Kutter vorbei schwamm, im Schatten des Bootes, der weit hinunter in die Tiefen der Ostsee reichte, ein Stückchen in Fahrtrichtung mit.
Im Gegensatz zu den Möwen völlig schweigsam.
Auch der alte Fischer schwieg. Ihn beschäftigten Ohren und Augen, deren Wahrnehmungen nur indirekt Auskunft darüber gaben, in welche Richtung er heute seinen Kutter steuern sollte, was in den nächsten zwei Stunden für ein Wetter sein würde und wie weit er hinausfahren müsse, um einige Fische zu fangen und rechtzeitig wieder zurück zu sein, damit Trude nicht wieder mit ihm meckern würde.
Trude, seine Frau, hatte immer einen Grund gefunden und eigentlich war es nur eine Gewohnheit vom alten Fischer, Trudes Gemecker mit in das Kalkül zu ziehen.
Das Gemecker war ja nicht so wichtig, eher ihr Anblick, der dem alten Fischer so ein Heimatgefühl vermittelte, so ein Hier-bin- ich- zu- Hause – Gefühl, das er nicht mehr missen wollte.
Dieses Gefühl musste entstanden sein, in den 30 Jahren, die er, fern von Trude und den Kindern, auf den Schiffen lebte, die vor Afrikas Küste oder irgendwo anders auf den Weltmeeren, auf Fischfang für eine ganze Nation unterwegs waren.
Es muß entstanden sein, in den zahlreichen Nächten, die der alte Fischer in der Koje verbrachte, ohne Trudes warmen, vertraut riechenden Körper neben sich zu spüren, aber lebhaft davon zu träumen.

Als der alte Kutter mit einem deutlichen Ruck plötzlich seine Geschwindigkeit verringerte, schreckte der alte Fischer aus seinen Gedanken auf. Zuerst dachte der alte Fischer an einen Riesenfisch, der sich im Netz verfangen hätte.
Er drosselte den Diesel , sicherte das Netz mit ein paar Knoten und stellte sich mit beiden Beinen festen Halt suchend an die Bordwand, wo das Netz wieder eingeholt werden sollte.
Es gab nicht nach. Seine knotigen Muskeln spannten sich mit vermehrter Kraft an. Er zerrte und zerrte, aber das Netz widerstand seinen Bemühungen. Auch schien es kein lebendiger Widerstand zu sein, eher statisch und teuflisch schwer war der jetzige Netzinhalt.
Der alte Fischer dachte nach.
Wie weit ist es bis zum Bootshafen ? Das Boot war, durch die seitlich hängende Last, leicht der Wasseroberfläche mit einer Seite zugeneigt, aber wenn nicht noch mehr Last hinzukommen würde, dann gab es keine Gefahr ! Das Wetter würde sich in den nächsten zwei Stunden wohl auch nicht verschlechtern, der leichte Wellengang rollte langsam und gemächlich in ruhigen Schlägen gegen die Bordwand, um das Boot herum und dann weiter in Richtung Küste, wo die Stadt noch erkennbar war.
Früher , ja früher, da wäre der Fischer sofort bereit gewesen, die Sachen auszuziehen und in das Wasser zu springen, um mit dem breiten, scharfen Messer das Netz oder das jagdbare Wasserwild „klar“ zu machen.
Doch heute ? Nee !
Das Netz kann ja zur Not von oben abgeschnitten werden, dann ist es zwar fort und auch der Inhalt, aber noch war das nicht soweit.
Schließlich könnte er auch mit diesem Netz außenbords näher an die Küste fahren, vielleicht sogar bis es auf dem Grund liegt, dann kann man das bergen, was sich darin gefangen hat.
Oder ich rufe, so überlegte er weiter, die Jungs ´ran, die sich die Ferien gerade mit Angeln aus kleinen Booten in Ufernähe vertreiben.
Der Tank war voll genug, auch für eine längere Fahrt mit großer Last. So schob er also, nach einem letzten vergeblichen Versuch das Netz doch noch an Bord zu bringen, den Gashebel wieder vorsichtig vor. Der Diesel begann emsiger und lauter dumpf zu dröhnen, hinten am Boot schwoll die Strömung zu einem Strudel an, und langsam schob sich der Kutter wieder in Richtung Küste.
Der alte Fischer beobachtete sorgfältig das Netz und alles, was in Fahrtrichtung auftauchen könnte.
Das Netz hielt, auch wenn ein deutliches Knarren ertönte und das Netz sich weiter und weiter in Richtung Heck verlagern wollte, denn es wurde offensichtlich von der darin befindlichen Last an der Bewegung gehindert, der Fahrtrichtung zu folgen..
Immer öfter ging dem alten Fischer die Frage durch den Kopf:
„Was ist nur im Netz ?“
Ruhig gleitet der Kutter, in leichter Schräglage und nur durch das Ruder auf Kurs gehalten, durch den niedrigen Wellengang.
Der alte Fischer stopft sich seine Pfeife. Den schwarze Tabak drückt er mit dem Daumen fest in den Pfeifenkopf, zieht prüfend am Mundstück um dann umständlich das alte Benzinfeuerzeug aus der Hosentasche zu ziehen.
Ein Sturmfeuerzeug sei es, wie sein Enkel damals zum Geburtstag betonte.
Zwei oder drei Mal zog er am Hebel, dann brannte die ölig-rotgelbe Flamme, mit der er nun, etwas umständlich, im Schutz der offenen Jacke den Tabak der Pfeife entzündete.
Gerade, als er den ersten tiefen Zug an der Pfeife inhalierte, passierte es.
Gerade schlossen sich die faltigen Augenlider, bereit für den genußvollen Zug, da riß er sie auch schon erschrocken wieder auf.
Seine Hände fassten hart zu, daß Ruder wurde zum Haltegriff für den ganzen Körper.
Beide Beine suchten im gleichen Moment Halt und rutschten vor, bis dicht an das Querbrett im Boden, dort stemmten sie sich ein.
Die Rückenmuskeln spannten sich, ebenso wie Brust- und Armmuskeln, die zwar knotig und nur von erschlaffter Haut umgeben, noch immer große Kräfte entfalten konnten. Alle Muskeln spannten sich zu festen Strängen und bildeten den Kräfteverbund im Körper des alten Fischers, der nötig war um die plötzliche Richtungsänderung des Bootes, der ebenso plötzlich eingetretenen Veränderung der Fahrgeschwindigkeit und dem Beharrungsvermögen des Menschen so zu begegnen, daß die aufrechte Körperhaltung und vor allem der Stand auf den Beinen gewährleistet bleibt. Die Anspannung der Muskeln spiegelte die tiefe Röte seines Gesichtes wider.
Die Anspannung aller Muskeln war deswegen notwendig, weil der alte Fischer doch den Überblick behalten musste, schließlich lenkt er das Boot und schließlich will er doch wissen, was da passiert .
Die Pfeife fiel auf den Boden des Kutters, hier hatten die Kräfte versagt. Vielleicht fiel sie auch deswegen hinunter, weil der Mund, vor allem der Unterkiefer des alten Fischer urplötzlich nach unten fiel. Nicht soweit hinunter, wie die Pfeife, aber doch so weit, wie es Muskeln und Sehnen im Gesicht erlaubten.
Sein Gehirn registrierte, nun schon fast mechanisch, was seine Augen in das Innere sandten.
Nebel kommt auf, ausgerechnet zwischen dem Kutter und der Küste, oder was war dieser graue, dichte Schleier anderes ?
Himmel und Wolken wechseln von den hellen, blau goldenen in dunklere Farben, von fahlgelb bis dunkelrot und vermitteln ein unmittelbar bevorstehendes, plötzliches, bedrohliches Ereignis.
Seine Ohren vernahmen das deutlich lauter gewordenen Strudeln der Heckwelle und die fast schon wütenden Töne des alten Schiffdiesels, die einmal bestimmte Drehzahl zu halten, ebenso dieses unheilvolle Ächzen der Bootsplanken und Spanten, hervorgerufen durch neue, größere Belastungen im Kräfteverbund des Kutters.
Wo vorher noch laut kreischende Möwen flogen, hetzten jetzt Wasserschleier über die Wogenkämme, ja die Richtung der Wellen hatte sich ihm entgegen gedreht, alles schien sich ihm, dem Kutter und dem vollen Netz entgegen zu stemmen. Der Wind heulte auf und drehte sich ihm ebenfalls entgegen, so daß die Wasserschleier jetzt prasselnd auf den alten Fischer einschlugen. Sein Gesichtshaut spannte sich unter der plötzlichen kalten, ja eiskalten, salzigen Feuchte und plötzlich wurde dem alten Fischer klar, daß er mit vollem Netz das rettende Ufer vielleicht nicht mehr erreichen würde.
Er wollte nicht aufgeben. So schnell läßt kein Fischer seine Beute los.
Mit wenigen Handgriffen legte er das Steuerrad fest. Ein Tau in der Hand haltend beugte er sich zum Netz, um die schwere Last noch sicherer zu befestigen. Zurück am Steuer, schob er den Hebel weiter vor, damit der alte Diesel mehr Kraftstoff bekam und schneller drehen konnte. Lauteres Motorgeräusch und eine noch schneller strudelnde Heckwelle suggerierten eine höhere Geschwindigkeit, eine schnellere Heimkehr an die sichere Küste, die Möglichkeit das im Netz gefangene Etwas sehen zu können, vielleicht doch noch Gewißheit zu erlangen.
Wenn nur nicht die hohen Wellen gewesen wären, die jetzt immer mehr den Kutter bedrängten. Auch von den angelnden Jungen, voraus an der Küste, war nichts mehr zu sehen. Keiner war mehr da, vielleicht zu helfen, wenn es notwendig würde.
Wutentbrannt zog sich der alte Fischer den Südwester tiefer ins Gesicht, Wasser und Sturm kann ihn nicht aufhalten, viel zu oft schon hatte er gegen diese Gewalten gestanden und gewonnen, das muß auch dieses Mal so sein.
Wenngleich.., heute war irgend etwas anders. So ohne jede Ankündigung stand alles gegen ihn, keines der gewohnten Zeichen war zu sehen und zu hören gewesen. Es war doch alles ruhig, verdammt noch einmal !
Warum prescht jetzt alles, Wind und Wellen, gegen mich an ?
Inmitten seiner rasenden Gedanken und inmitten seiner Bemühungen, Kutter und Netz an die Küste zu bringen, inmitten dem Toben des Windes, der nun eigentlich schon ein richtiger Sturm geworden ist, dessen Heulen unüberhörbar ist, inmitten dem hämmernden Dröhnen des Schiffdiesels, inmitten dem Gefühl, daß seine rechte Hand das Steuer nicht mehr lange halten könnte, erreichte der laute, peitschende Knall seine Ohren, realisierte sein Gehirn, ohne es zu begreifen, daß Entscheidendes passiert, plötzlich und unaufhaltbar, ohne jede Einflußmöglichkeit.
Der Faden riß, es war einer von den hundert Fäden, die verdrillt zu einer Schnur, diese wiederum verdrillt mit vielen anderen Schnüren zu einem Tau, das Netz und den Kutter verbanden.
Der Faden, der da gerade riß, enthielt eine brüchige Faser, während die anderen Fäden durchgängig fest waren, enthielt er eine schwache Stelle, war er der schwache Faden in seiner Schnur, war die Schnur die schwächste im Tau, die riß. Somit riß auch das Tau, als die Last am größten war, der Moment, indem die entgegenkommende Welle das Netz im oberen Bereich traf, praktisch dagegen prallte, der Kutter mit seiner Bordwand gerade in diesem Moment wieder in Fahrtrichtung den Impuls direkt auf das Netz übertrug, so daß sich die Kräfte trafen, kulminierten und die schwache Faser in dem Faden versagte.
Das Netz versank.

Seine abgerissenen grünen, zerschlissenen Stränge glitten über die Wasseroberfläche und verschwanden ohne jede weitere Strudelbildung in den unergründlichen Tiefen der aufgewühlten See.

Mit einem „Klick“ versammelte sich das Bild in der Mitte, in einem elektronisch wirbelndem Durcheinander, das von außen nach innen alles mit sich riß, versank der alte Kutter, der alte Fischer, seine alte Tabakpfeife mit dem zerbissenem Mundstück und das volle Netz mit seiner geheimnisvollen Last in der Mitte ,
gleichzeitig verhallte das Heulen des Sturmes, ebenso wie die lauten Strudel der aufgeregten Heckwelle und das laute Kreischen der Sturmmöwen, die bisher kaum im Bild waren.

Alles verlosch, bis auf den kleinen, hell, ja, fast grell aufleuchten Punkt im Zentrum.
Thomas Vater stand seufzend auf. Ausgerechnet jetzt. Ihm war schon lange klar, daß dieser Fernseher kaputt gehen würde, aber warum ausgerechnet jetzt ?
Den Film hätte er sich bei Conny ansehen sollen.
Aber Conny hatte heute keine Zeit für ihn, sie hatte Thomas Vater gebeten, ihr heute einen eigenen Abend zu gönnen, einen Abend, den sie beide getrennt verleben, jeder seinen Neigungen und ganz und gar eigenen Wünschen entsprechend. Thomas Vater hatte sofort akzeptiert und Conny recht gegeben. Ja, einmal im Monat ist es vielleicht gar nicht so falsch, wenn jeder für sich ist, ohne dem anderen erklären zu müssen, warum er gerade jetzt und gerade diese oder jenes machen will oder macht.
Was Thomas Vater macht, war eigentlich klar, es steht ja bereits am Anfang der Geschichte.
Connys Treiben schien auch klar..
„Schönen Gruß vom Bohnerbesen“ .........................................

ONKEL KARL
Karl hatte seine Geschwister kurz nach dem Krieg verlassen, während diese meist in den ostdeutschen Ländern Brot und Heim suchten, hatte er sich sofort nach München auf den Weg gemacht. Dort angekommen, dämmerte es ihm ziemlich schnell. Nicht Arbeit und Fleiß, sondern Beziehungen und Ansehen verhelfen zum guten Leben. Die Alternative erben ?
Die fiel aus, denn zu Hause in Stettin war nichts mehr zu holen und Vater war noch nicht aus dem Krieg zurück gekommen.
Allein in München zu sein, war uneffektiv, besonders wenn man kein Bayer ist, was leicht am Aussehen und besonders an der Sprache zu erkennen war.
In den ersten Tagen verhalf ihm das Amt zu einer Bleibe.
Die übrigen Gäste der Pension, in der ihm ein möbiliertes Zimmer zugewiesen wurde, waren anfangs ziemlich zurück haltend, ungeteilt blieb ihm aber die Fürsorge der Pensionswirtin, die an seiner Aussprache sofort erkannte, daß dieser junge Bursche aus den Gebieten stammt, die nun an die Russen verloren waren, ergo heimatloser junger Mann.
Das hat das bajuwarische, warmherzige und vor allem fürsorgliche Blut der 50- jährigen Kriegswitwe auf eine gute Temperatur gebracht. Gut vor allem für die zweiseitigen, unter Beachtung der Herkunft beider handelnden Personen nahezu, bilateralen künftigen Beziehungen.
Die begannen schon am zweiten Abend in der Pension.
Alle anderen Gäste hatten bereits ihre Zimmer aufgesucht, um für die Fährnisse des kommenden Tages gewappnet zu sein. Die einen hatten eine Arbeit gefunden, entweder außerhalb von München auf dem Land, besonderes Glück hatte da der Emil, der auf einem Bauernhof arbeite und seinen Lohn am gleichen Tage noch, als Naturalien ausgezahlt bekam, was für die Pensionsgäste die Möglichkeit schaffte, ihren Lebensmitteleinkauf zumindestens für einen Teil in das Esszimmer der Pension zu verlagern. Oder, die anderen Gäste, die wieder unterwegs waren, um den einen oder anderen Auftrag zu ergattern, die eine Gelegenheit oder die andere beim Schopfe zu fassen.
Milch und Eier gehörten damals zu den bevorzugten Bestandteilen der Pensionsmahlzeiten. Jedenfalls für die meisten Gäste. Karl hatte in kürzester Zeit andere Möglichkeiten.
Also, als an jenem zweiten Abend hatte Karl sich innerlich bereits darauf eingestellt, wieder in der kleinen Kammer zu verschwinden, wo er nur über das Fußende seines Bettgestells in das Bett kam, denn an den Seiten seines Bettes waren schon die Wände, als besagte Witwe sich ihm noch einmal näherte. Karl stand auf (wie sich das gehört, wenn eine Dame auf einen zutritt) und sah die Wirtin an. Seine rechte Hand schoß vor, um die Dame zu stützen, weil sie unmittelbar vor ihm ins Stolpern geriet. Seine rechte Hand erreichte die Witwe, ihr Busen erreichte seine Hand. Karl wußte nicht mehr, wie er noch schicklich reagieren könne, stützen ja doch anfassen nein, aber die Witwe ließ ihn nicht im Unklaren. Somit fand auch seine linke Hand den rechten Halt. Karl war nicht unbedingt sehr geübt in diesen Dingen, die Witwe konnte ihn aber mit ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz helfen. So war es nicht von langer Dauer, was von Zweifeln und Hoffnungen ebenso geprägt war, wie von Begierde und Sehnsucht, von Verlangen und Berechnung.
Zweifel und Hoffnungen waren etwas mehr die Emotionen von Karl, der die Beziehungen der Witwe zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, aber wenigstens darauf hoffte und ohne es genau zu wissen, auch an den Möglichkeiten zweifelte.
Begierde und Sehnsucht lagen eindeutig bei der Witwe, die genau wußte, was sie wollte und Verlangen und Berechnung teilten sich die Beiden, insbesondere wegen der Sexualität, die in diesem Augenblick eindeutig die Oberhand gewonnen hatte.
Als später, beide schwer atmend im Bett , natürlich dem Doppelbett im geräumigen Schlafzimmer der Witwe, nebeneinander lagen, trauerte die Witwe wegen der schnellen Beendigung durch Karl – und nur der Gedanke daran, daß sie Karl von nun an oft, ja öfter bei sich hätte, tröstete sie darüber hinweg- , während Karl, satt und zufrieden, wie ein Baby nach der Mahlzeit an der mütterlichen Brust, bereits schlief. Sein letzter Gedanke war: „ jetzt hast du Eingang gefunden, in das Netz der Beziehungen von München und in die Witwe, eine bemerkenswert sexuelle Frau, mit bemerkenswerten Talenten und Wissen.“
Er sollte in vielerlei Hinsicht recht behalten.
Schon am nächsten Morgen hatte die Witwe neue Seiten aufgezogen. Karl mußte sein Frühstück mit ihr gemeinsam einnehmen. Die anderen Gäste aßen im großen Eßzimmer, Karl und die Witwe in dem genannten Schlafzimmer. Da die Gäste an das ständige Kommen und Gehen gewöhnt waren, fiel kaum jemanden auf, daß Karl nicht an ihrem Frühstück teilnahm.
Auch die Frühstücksbestandteile hatten sich qualitativ wie auch quantitativ verändert.
Lassen Sie Ihre Phantasie einfach schweifen, es werden mit Sicherheit die richtigen Brötchen, Marmelade, heißer Bohnenkaffee dabei sein.
Karl´s Begierden wurde nach dem gemeinsamen Frühstück erneut angestachelt, na, ja, wenn sich die Witwe auch so vor ihn über den Tisch reckt, um die Tassen abzuräumen ... aber die Witwe hatte gar keine anderen Absichten in ihre Körperhaltung gelegt, als die Tassen abzuräumen. Und sie machte Karl schnell klar, wessen Begierden hier befriedigt werden, wann und wo. Nämlich ihre.
Karl kapierte mit nahezu unheimlicher Geschwindigkeit.
Von nun an, beherrschte er die Fähigkeit herauszufinden, wann die Witwe wollte ebenso, wie die Fähigkeit, dann zu könne, wenn sie wollte.
Die Witwe war nicht kleinlich. Weder mit ihren körperlich ansehnlichen Reizen und mit den erforderlichen Naturalien, die der Energieerhaltung Karls dienten, noch mit der „Inbewegungsetzung“ aller erforderlichen Hebelchen, damit ihr der Karl erhalten bleibt und seine Zukunft gesichert ist.
Karl wurde in jene Kreise eingeführt, die mehr als ausreichend über materielle Mittel verfügten, den Zielen der Witwe ebenso zu dienen, wie der Zukunft von Karl.
Die Witwe hatte diese Kreise während des Krieges kennen gelernt, damals, als ihr Mann – Offizier der Wehrmacht- sie aus ihrem Dorf holte und geheiratet hatte.
In München siedete nicht nur Kunst und Kultur, hier konzentrierte sich Adel, Reichtum und Macht.
Nach dem Krieg war das nicht anders, sicherlich auch deswegen, weil alle Welt, die Russen, wie die Amerikaner immer nur nach Berlin schauten, wenn es darum ging, dem ehemaligen Aggressor Deutschland an die Kette zu legen.
Diese relative Ungestörtheit war es, die dem „Biotop“ München kaum Schaden erwachsen ließ. Im Gegenteil, es wucherte und wuchs, es breitete sich aus, nahm ein, was an den Rändern vorhanden war, um weiter zu wachsen und zu wuchern.
Als kleines Pflänzchen bekam Karl nun Nährstoffe und Licht, um ebenso zu wachsen. Sein Talent der Anpassung, verbunden mit der Fähigkeit zum rechten Augenblick zu zuschlagen realisierte mit bedeutendem Anteil, seine Entwicklung. Schon nach einem Jahr war die Witwe fast vergessen.
Karl hatte neue und andere Damen und Herren kennen gelernt und sich dem Dunstkreis der Witwe weiter und weiter entzogen. Nicht ohne sie zu vergessen. Dankbarkeit in die richtige Richtung entwickelt, dämpft einen eventuellen Fall erheblich und bedeutet Sicherheit, in diesen unsicheren Zeiten.
So hielt es Karl auch weiterhin. Schon nach 5 Jahren hatte er die kleine Privatbank übernommen. Gefördert von den Sponsor, deren Namen nicht genannt werden duften, sicher aus der Erkenntnis heraus, daß die im zweiten Weltkrieg angesammelten Reichtümer, nicht nur aus Quellen sogenannter ehrlicher Arbeit stammten, sondern aus den Beutezügen subalterner Offiziere in den besetzten Ländern. Diese Offiziere waren übrigens dann die ersten Beamten im Amt.
Das Kapital dieser Bank konnte aufgestockt werden, nicht zuletzt durch die vielen Spareinlagen der kleinen Leute, die in Bayern viel schneller, als in den anderen Ländern Deutschlands wieder begannen, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen und zwar soviel, daß am Ende des Monats noch etwas übrig war.
Karl motivierte Massen für das Sparen. Er hatte schnell erkannt, daß es unauffälliger und effektiver ist, wenn Millionen eine Mark zur Bank bringen, als wenn ein Multimillionär eine Million in seiner Bank deponiert.
Er scheute den Pfennig vom Müllmann nicht. Viele Menschen gleich viele Meinungen gleich viele Interessen. Das „Divide et Impera“ der Gegenwart.
Hinzu kam, daß Karl nicht nur national dachte, sondern auch international. Von Bayern war es nicht weit bis Italien. Auch eingedenk alter Verbindungen aus der Zeit Moussolinis begann Geld aus diesen Quellen zu fließen, waren es erst nur die vergangenen Verbrechen, die zu Geldquellen umgewandelt in Karls Richtung sprudelten, wurden die Quellen und Verbrechen immer aktueller. Nicht lange dauerte es, da liefen die finanziellen Geschäfte an, die der Mafia Italiens ermöglichten, den einheimischen Anfechtungen an ihre materiellen Grundlagen zu entgehen. Sie hatten Karl in ihr Herz geschlossen, ebenso wie seine Bank und seine Geschicklichkeit, dem Geld jenen Grad der Sauberkeit zu verschaffen, der den unbefangenen Gebrauch desselben erst ermöglicht.
Karl heiratete. Eine Dame der besseren Gesellschaft. Aus höchsten Kreisen.
Ohne lange zu kreisen, hatte er das Opfer erwählt, indem er genau den Adel suchte, der seinen Plänen am besten diente. Hier ging es nicht um Kleinigkeiten, wie Liebe oder Gefühle. Hier ging es um Geld ! Hier ging es um Macht. Um Einfluß.
Einfluß auf die Macht, um Geld zu machen. Einfluß mit dem Geld, um die Macht zu vergrößern. Mit Macht zu beeinflussen, um Geld zu machen. Mit Macht und Geld den Einfluß zu vergrößern.
In dieser Art von Ringelpietz tätig zu sein, brauchte alle Kräfte, so daß Karl nur äußerst selten an seine Geschwister denken konnte, die im Osten geblieben waren.
Selbst die Gepflogenheiten der meisten seiner Landsleute, ein bis zwei Mal jährlich ein Päckchen zu senden, waren ihm nicht geläufig. Er hatte Weg seiner Geschwister im Osten nur geprüft, vielleicht besser gesagt, prüfen lassen, als sein Weg zu Geld und Macht begann. Das Ergebnis der Überprüfung damals: Keine Gefahr, auch nicht in der Zukunft, abgesehen von plötzlichen, unvorhersehbaren Änderungen, waren die Wege seiner Schwester, als gelernte Buchhalterin in einer kleinen, natürlich volkseigenen Firma in Mecklenburg ebenso fest geschrieben wie der Weg seines Bruders, der in Ludwigsfelde W 50 (LKW in der DDR) baute.
Und während die Schwester mit einem Mann verheiratet war, der mit Obst und Gemüse handelnd, über die mecklenburgischen Dörfer zog; war sein Bruder Bestandteil des Lebens einer blonden Xanthippe geworden, die mit ihm später zwei Kinder hatte, deren ganze Liebe aber dem Haustier, dem Pudel galt.
Der damalige Bericht las sich beruhigend und Karl konnte an seinen Plänen die ganze Aufmerksamkeit widmen. Diese Pläne glichen mehr der Strategieplanung bei einem Schachspiel. Bauern, keine geringeren als Politiker aller Schattierungen und Ebenen, Türme, Springer und Pferde entsprachen Galionsfiguren in der Industrie und Adel, auch dem Geldadel. Das er selbst auch nur eine Schachfigur in einem Spiel war, sollte ihm erst viel später aufgehen und da war sein Leben schon fast gelebt.
Die Bauern setzte er stets geschickt und präzise dann ein, wenn es darum ging, ganze Massen von Menschen in seinem Sinne zu beeinflussen.
Demokratie wurde für ihn zu einem sehr interessanten Instrument, dessen harmonischen Klänge wahre Völkerstämme in seinem Sinne bewegte. Weil die logisch einleuchtenden Bedingungen und Gesetze akzeptierbar waren und von einer wesentlichen Mehrzahl der Menschen gelebt wurden. Demokratie – das war das Prinzip, von den meisten akzeptiert, war etwas, was für ihn nicht galt. Die Demokratie, das war sein Netz, ähnlich dem Netz der Spinnen in Thomas Vaters Wohnung und genauso ähnlich saß Onkel Karl in der Mitte des Netzes, um die sich darin verfangene Beute einzuverleiben.
Nur darin lag seine Möglichkeit das Instrument zu spielen. Er war der Virtuose, der das Instrument beherrschte, das Orchester dirigiert, ohne Instrument zu sein.
Um so mehr, um so drastischer wurde alles und jeder bekämpft, der den Regeln nicht folgen wollte. Keine feinfühlige und behutsame Reaktion, sein Verfahren, immer sehr bedacht und weit vorausberechnend zu reagieren, versagte bei Fällen der Demokratieverweigerung. Da wurde sofort ausgemerzt. Nur in wenigen Fällen unternahm er den Versuch, diese Menschen zu nutzen, für den Kampf auf höherer Ebene. Fast Gleichgestellte zu eliminieren oder gar den nächst Störenden zu entfernen, der seine ganz persönliche Karriere störte oder nur stören konnte.
Insofern prüfte er stets, ob der oder die Demokratieverweigerer nutzbar wären, bevor sein Eliminierungsbefehl ausgegeben wurde. Die Bader- Meinhoffgruppe war eines seiner radikalsten Instrumente, schwer zu handhaben, nur trendweise auszurichten und abzuschicken. Eine Waffe, die abgeschossen werden konnte, wenn sich in der Gruppe, auf die gezielt wurde, auch die eigentliche Zielperson befand.
Wurde die potentielle Gefahr, die von den antidemokratischen Leuten ausging so groß, daß sie sich sogar für Karl als Gefahr erweisen konnte, dann wurde, ganz demokratisch, der Gefahrenherd eliminiert. Hier erwiesen sich die Türme seines Schachspiels, die Herolde der Justiz, als hilfreich und stabilisierend.

Mit der Dame seines Schachspiels realisierte er seine Träume. Nein, keine sexuellen. Die hatte ihm schon seine bajuwarische Wirtin erfüllt. Nein, das komische an Macht und Geld ist eigentlich, daß man nie genug davon hat. Und so waren seine Träume von diesem Ziel, das man nie erreicht, geprägt.
Und Altbewährtes wird wieder eingesetzt. Nunmehr klüger und perfider. Schütz mir das eigene Nest. Das sollte zu einem Prinzip werden, daß Karl immer konsequenter verfolgte. Seine Dame war das außerdemokratische Prinzip, der Krieg.
Eine Macht- und Reichtumsmaschine für den, der die Seile der Marionetten bedient.
Warum ?
Bedarf ist Nachfrage. Bedarf wird aus der Quelle des Verbrauchs gespeist.
Was verbraucht sich schneller als eine gerade verschossene Granate ?!
War der Konfliktherd erst einmal zur Glut gebracht, liefen schon die Verhandlungen mit beiden Seiten über die jeweiligen Waffenlieferungen.
Ausgeklügelt war das Netz potentieller Bedrohungen, der die jeweilige Seite nur durch die Aufrüstung mit neuen Waffensystemen begegnen konnte.
Ob nationalistische Differenzen, politische Differenzen, Differenzen, deren Ursachen in tiefster Vergangenheit lagen und unterschwellig weiter glimmten, ob persönliche Differenzen, Differenzen, die aus Machtgelüsten anderer Schachspieler stammten oder kulturelle Differenzen, alle waren sie nutzbar oder wurden genutzt. Die Balance zwischen potentiellen und ausgebrochenen Konflikten war ein genußvolles Schachspiel mit der Dame.
Als die Zeit reif war, begann ihn spürbarer zu stören, was in Deutschland passierte. Schon über vierzig Jahre existierten zwei Staaten, einer Nationalität.
Die Wende brachte neue Möglichkeiten, unermeßlich trockene Schwämme warteten nur darauf sich voll zu saugen, Neues zu konsumieren und gut dafür zu bezahlen.
Unklare Eigentumsverhältnisse an Immobilien verlockten dazu, preisgünstig, sehr preisgünstig Filetstücke zu erwerben, die höchste Renditen versprachen. Allein die große Menge an Zahlungsverkehr ließ erahnen, in welcher Größenordnung Geld aus dubiosen Quellen einer Reinigung unterzogen werden kann. Nicht zuletzt neue Menschen, rund 17 Millionen, die bislang nichts oder nur sehr wenig von den Methoden der Marktwirtschaft erlebt haben, versprachen neue Quellen höchster Gewinne. Eigentlich war es schade, daß keine kriegerische Auseinandersetzung erfolgte, da wären die Renditen, bedenkt man die Waffenverkäufe an beide Seiten, natürlich wesentlich höher gewesen.
Aber, Kriege waren nun einmal nur die großen Karpfen im Teich, die tägliche Rendite wurde mit den kleineren Fischen erzielt. Die Dame kam nicht zum Zuge.
Karl erinnerte sich an seine Geschwister. Es kam ganz plötzlich und war vielleicht sogar ganz und gar unprofessionell, aber es ist passiert.
Sein Bruder, „wo wohnte der noch einmal ?“, aus Ludwigsfelde, der mit der Pudelliebhaberin, wohnte noch immer in einem Plattenbau und war viel zu krank, um noch von Nutzen sein zu können – bei allen unprofessionellen Emotionen wollte Karl natürlich nicht seine Ziele aus dem Auge verlieren – also schaute Karl sich weiter um. Da war doch noch die jüngere Schwester in Mecklenburg.
Die war inzwischen alleine, der Vater ihrer Kinder verstorben und sie genoß in vollen Zügen all die Vorteile, die eine Westrente für die immer voll arbeitenden Ostfrauen bietet.
Jeder auf seinem Level, sagte Karl sich und besuchte sie. Den Kindern dabei zu begegnen war nicht zu kompliziert, schließlich hatte seine Schwester sofort alle Kinder, die inzwischen natürlich erwachsene Familienväter und -mütter waren, informiert.
Allein Conny fiel aus der Rolle. Sie war keine Familienmutter, sie war Single. Also unabhängig und verwendungsbereit, ohne störenden Einfluß eines nahen Nichtverwandten, eines Ehemannes oder Lebensabschnittsbegleiters.
Karl hatte schnell herausgefunden, wo Connys Handikap lag.
Zur Erinnerung: Conny hatte als gelernte Chemikerin in der Stadt keine Chancen, einen Arbeitsplatz zu bekommen, denn die Chemiefabrik, in der sie vorher 20Jahre gearbeitet hatte, war fast vollständig geschlossen worden.
Karls Schwester bekam in diesen Tagen große Augen. Immer dann, wenn Karl wieder und wieder bezahlte, einlud und aß und trank.
Sie brauchte sich von da an, nicht mehr um ihr Konto zu kümmern, nicht mehr zu bedenken, daß alle Kinder genug zu essen hatten, Karl hatte ihr alle Sorgen abgenommen.
Connys Sorgen noch nicht. Warum eine gewisse Zwangslage ändern, den Druck verringern, wenn zuvor, vielleicht auch mit Hilfe von Druck etwas durchgesetzt werden kann ?
Karl hatte in seinem bisherigem Leben, zumindestens nach dem Krieg, nicht verschenkt. Schon gar nicht kostenlos zu erreichende Vorteile.
Conny kam an die lange Leine.
Konkretes sofort mit Conny anzufangen, wäre falsch gewesen, also beobachten, die Möglichkeiten kennen lernen, die Conny in sich birgt, z.B. was kann sie mit ihren Russischkenntnissen anfangen oder welche Fähigkeiten hat die Chemikerin.
Karl setze die notwendigen Hebel in Bewegung, die ihm zum Schluß jenes Dossier brachten, indem diese und viele andere Fragen eindeutig und detailliert beantwortet wurden.
Conny sollte, in ihrem Umkreis weiter die Rolle spielen, die ihr nun schon Jahre zugeordnet war. Einzig in ihrer Urlaubszeit, für ihre Nachbarn und Freunde durchaus ein gewohntes Bild, Conny verlässt mit vollgepfropften Fiesta den Parkplatz vor dem Haus, um drei Wochen später, manchmal braungebrannt oder auch nicht, heim zukehren, veränderte sich Wesentliches.
Es fand eine Ausbildung statt. Für Conny waren es neue Reiseziele, die sie ansteuerte. Onkel Karl hatte ihr gesagt, daß er da oder dort ein kleines Ferienhaus habe, das sie für ihren Urlaub nutzen könne, ohne zu bezahlen. Er pflegte immer, scherzhaft zu sagen: „Conny, du hast nun lange genug gehungert, jetzt eß dich ´mal richtig satt. Ich bezahle.“

Conny „aß“ nun in Italien. Pikfeine Restaurants, italienische Kellner, die am Abend irgend wann erklärten, daß ihre Rechnung bereits bezahlt worden wäre – man kann sich daran sooo schnell gewöhnen ! - .

Conny „aß“ in Frankreich. Eifelturm, der Louvre, die pikfeinen Restaurants, und immer wieder dieses freundliche Abschiednehmen, mit der Antwort im Ohr: „Für Sie wurde bereits bezahlt.“

Egal, in welches Land Onkel Karl ihr den Urlaubsweg wies, stets genoß sie seine Fürsorge, seine Großzügigkeit. Die Aufgaben, die sie erhielt, waren interessant.

Die kleinen Ferienhäuser von Onkel Karl erwiesen sich nicht nur sehr komfortabel, sie waren stets mit Computertechnik des neuesten Standes ausgerüstet. Conny lernte schnell, mit diesen Geräten umzugehen, sie für ihre Wünsche einzusetzen. Kommunikation mit Lichtgeschwindigkeit war die reine Faszination für sie. Im Internet Informationen beschaffen, selektieren und filtern, bis Ursprungsnachricht und Absender klar wurde sowie die Informationen zur Verfügung standen, die benötigt wurden. Sie entwickelte ein Gespür für das Verfolgen jeder noch so kleinen Information, für sie war im Internet surfen, tatsächlich der Ritt auf den Wellen, hindurch durch Interferenzen und Frequenzen jagte sie jenen Bits nach, die Teil des Mosaiks waren. Ein Mosaik, dessen Fascetten in großen Datenmengen versteckt, nur dem Eingeweihten verständlich, ja sichtbar wurde. Es war die Perspektive des Betrachters, während Conny nur für ein Teilstück dieses Mosaiks als Betrachter infrage kam, erweiterte sich von Ebene zu Ebene der Blickwinkel.
Aber Conny war auch etwas Besonderes. Die Nichte von einem, der ganz oben saß, jeder Mensch auf ihrer Ebene, der am Schachspiel beteiligt war, wußte um ihre Besonderheit. Das machte sie einsam.
Sie vermißte jedoch jetzt noch nichts, denn sie war diesen Zustand gewöhnt.
Alles, was sie in ihrem Urlaub tat, war Lernen, mit den Möglichkeiten der Computer zu spielen, sie zu beherrschen, Informationen aufzuarbeiten und Sachverhalte sichtbar zu machen. Nach einiger Zeit fand sie in den Ferienhäusern auch digitale Kameras. Die ersten Bilder waren Urlaubsbilder. Sie schoß ein Motiv nach dem anderen, bearbeitete die Fotos im Computer und schickte sie, ja z.B. auch an Onkel Karl. Per E.-Mail dankte sie so Onkel Karl, der diese wunderbaren Urlaube ja erst möglich gemacht hatte.
Er antwortete stets. Mit freundlich gehaltenen Worten, wies er sie auf die eine oder andere Sehenswürdigkeit hin oder wünschte sich von ihr gar , hier ´mal ein Foto von einer alten Kirche oder da ´mal Fotos von einem ehrwürdigen, alten Rathauses.
Ausdrücklich erlaubte er ihr, daß sie die Digitalkameras aus dem Urlaub mit nach Hause nehmen konnte.


Zu Hause nahm Conny endlich an dem arbeitsamtlichen Schulungskurs teil, der seit Mitte der 90-iger Jahre die meisten ostdeutschen Arbeitslosen traf. Es wurde am PC ausgebildet.
Die vielen, wie Pilze aus dem Boden in warmfeuchter Jahreszeit schießen, sind die privaten Bildungsinstitute gleich nach der Wende allerorts entstanden, brauchten schließlich Menschenmaterial, welches für neue Aufgaben geformt werden musste.
Connys Problem dabei war, erstmals sich richtig zu tarnen, denn die Kenntnisse, über die sie auf diesem Gebiet bereits verfügte, durften weder den Dozenten noch den Mitlehrgangsteilnehmern bekannt werden.
Es gelang ihr ohne jedes Problem. Während alle anderen Teilnehmer fleißig übten, um die Tücken von Word und Excel für sich in den Griff zu bekommen, „mißbrauchte“ sie die Bildungscomputer für ihre Zwecke. Kam der Dozent einmal auf ihre Höhe, um so zu sehen, wie weit Conny mit dem Lehrstoff ist, erschien kurz zuvor auf dem Monitor Word aus der Unterwelt der Taskleiste und verschwand das Arbeitsergebnis von Conny in den Tiefen des Desktop.

Conny bekam von Onkel Karl zum Geburtstag ein Notebook, dieser Aktentaschencomputer, dessen Leistungen dem des Standgerätes nicht nachsteht.
Internet und E.- Mails versenden passierte nun mit Hilfe dieses kleinen und so wunderbar mobilen Computers und des gleichfalls im Geburtstagspaket des lieben Onkel Karls enthaltenen Handy.
Insbesondere wegen der ausbleibenden Rechnungen für diese, noch heute etwas teure Nutzung des Internets, für Conny, war sie häufiger im Internet.
Ein bißchen war wohl auch ihre Vergangenheit im Osten daran Schuld, daß sie Kontakte zu den weiter im Osten wohnenden Usern, z.B. aus Polen und Lettland aufbaute, vielleicht aber war es auch Onkel Karls Frage, in einer E.-Mail an Conny gerichtet, wie weit denn die Osteuropäer mit dem Nutzen des Internets seien würden. Und das konkrete Kontakte auch ihn interessieren würden.
Conny kontaktierte.

Und gab Adressen weiter, natürlich per E.-Mail, natürlich mit einem Programm, von dem Onkel Karl meinte, sie solle es nutzen, es sei das Beste, was es auf dem Markt geben würde. Es sei auch sicherer, als andere Programme, weil ihre E.-Mails nur von Onkel Karl und nicht von irgendwelchen anderen Usern gelesen werden könnten.
So nutzte sie also dieses Programm für alle Nachrichten, die sie an Onkel Karl schickte und für die Kontakte mit allen anderen, gab es Outlook Expreß oder eben alle üblichen Nachrichtenprogramme.

Onkel Karl wurde ihr vertrauter, der freundliche, offensichtlich sehr vermögende Onkel aus dem Westen, hatte es sich vermutlich zur Aufgabe gemacht, an Conny alles wieder gut zu machen, was er in den vergangenen Jahrzehnten an seiner Schwester, an seinen Geschwistern im Osten vermissen ließ.
Waren auch die persönlichen Kontakte weiterhin sehr spärlich, hatte Connys Mutter durch regelmäßige Zuwendungen ihres Bruders ebensowenig finanzielle Probleme, wie auch Conny.

Conny wußte dieses Glück sehr wohl zu schätzen und auch, daß sie irgendwann mit irgend etwas bezahlen müsse. Das war ihr klar, dazu war sie bereit.
Inzwischen, dazwischen trat Thomas Vater in ihr Leben. Nach dem Abebben des gewaltigen Gefühls, in der Phase der Gespräche hatte sich Conny entschieden, Onkel Karl erst viel später in ihrem Verhältnis zu Thomas Vater ein zu beziehen. So war Onkel Karl dann ein erstes Geheimnis, daß sie vor Thomas Vater verbarg.

Der Trip

Der Basar war pralles Leben. Kyrillische Buchstaben, russische und lateinische Buchstaben, das Wirrwarr komplettierend, tanzten dem Betrachter vor Augen, wenn er Transparente oder auch nur Tafeln lesen wollte, die überall herumhingen oder aufgestellt waren. Unzählige Menschen der verschiedensten Nationalitäten, erkennbar an den mandelförmigen Augen der Kirgisen, unterschiedlichste Kopfbekleidungen, Wortfetzen der Kaufverhandlungen, von denen man beim Hindurchdrängen etwas mit bekam und nicht zu vergessen die unterschiedlichen Gerüche, undefinierbar zwar, jedoch markant, auch für Nationalitäten.
Schockierender Anblick von Fleischbergen, blutige Fetzen und mit Fliegen besetzte Keulen prägten das Bild ebenso, wie angebundene Ziegen, Bündel von Zwiebeln und Knoblauch sowie Teppiche, bunt, mit kunstvollen Verzierungen und Stickereien versehen.
Miteinander scheinbar diskutierend, Waren laut anpreisend, in Verhandlungen vertiefte, schauspielernde und in ernsthaften Erörterungen konzentrierte Menschen belebten das Treiben hier.
Wattejacken, Filzstiefel wechselten mit dunkelblauen Anzügen und Lackschuhen, bunte Hemden und Kappen mit blutiger Fleischerschürze und Sandalen.
Am Rande des Basars, dicht neben der goldbedeckten Kathedrale, wo vollbärtige Popen oder Mönche Weihrauch atmend, farbige Gefäße schwenkend und Litaneien murmelnd, wohl eine der Facetten bildeten, die dem Basar so typisch für dieses Land machte, waren die Verkaufsstände aufgebaut, die Messinggefäße für alle Zwecke und in allen Größen ebenso darboten, wie Tonkrüge und Tongefäße für das Gleiche.
Daneben die gehobene Klasse der Verkaufsstände, die Tand und Juwelen, Goldketten und solche, die nur so aussahen, Perlenketten, Ringe und Uhren, von „Made in Taiwan“ bis „Rolex“ waren ebenso im Angebot, wie Luftgewehre und Pistolen. Auch andere Waffen konnten auf dem Markt erworben werden, für Jäger ebenso interessant, wie die Waffen, die anderen Zwecken dienen können.
Von den dazu gehörenden Verkaufsgesprächen, konnte der Vorübergehende nichts verstehen. Alleine, daß sie nicht an diesem Ort stattfanden, war ein wesentlicher Grund dafür.

Auch standen diese Verkaufsstände immer mehr im Brennpunkt der einheimischen Miliz.
Keiner wußte genau, wer von den Gestalten, die sich in der Nähe aufhielten, nun von der einen oder anderen Seite sich dem Verbrechen näherte.

Für mich war es ein Tartar, die Gestalt in irgendeiner , wildbunten Nationaltracht, der Conny faszinierte, so daß sie ihre Digitalkamera hob um einige Aufnahmen von ihm zu machen.
Mit schnellen Schritten trat er auf sie zu und griff an ihren Arm, dessen Hand die Kamera hielt.
Entgegen seiner finsteren Miene und der durchaus aggressiven Körpersprache sowie den lauten, herrischen, mit Zischlauten nur so strotzenden Rufen, die er dabei ausstieß, erklangen zwischen diesen lauten Tönen, wunderbarer Weise verständliche, deutsche Laute:
„ Kommen Sie, Conny, hier dürfen sie nicht bleiben, sie werden heute, gegen 20,00 Uhr von ihrem Hotel mit einem Taxi abgeholt. Der Fahrer wird kein Wort sagen, nur an ihre Zimmertür klopfen, 1-2-3, dann brauchen Sie nur laut ihren Vornamen auszurufen.
Innerhalb der nächsten 5 Minuten werden sie das Taxi vor dem Hoteleingang besteigen. Nach 30 Minuten werden sie am Ziel sein. Der Fahrer spricht kein Wort mit ihnen.“
Dann stieß er Conny nahezu grob von sich und schritt würdevoll, im Vollbesitz des „Ich-habe-Recht“- Gefühls von dannen.

Nur kurz dauerte Connys Verdatterung, dann zog sie sich , viel leiser und fast schuld bewußt, zurück.
Etwas hilflos sah sie sich um.
Aber keiner, der Umstehenden offenbarte sein eventuelles Interesse an der Deutschen, so daß sie schließlich ihren Rückzug in das Basargewühl vollenden konnte.

Trotz vieler verwirrender Eindrücke, Kiew hatte Conny in ihren Bann gezogen, besonders der breite Dnepr, dessen blendend weißen Sandbänke in den Fluten des schnell, ja mächtig dahin fließenden Stroms, hatte es ihr angetan. Ja, und auch die vielen Brücken, die über ihn führten, mit ihren geschwungenen, verzierten Geländer entzückten ihr Genießerauge.

Es wurde Zeit, wieder in das Hotel zurück zu kehren.

Onkel Karl hatte vorgestern angerufen und ihr die Möglichkeit offeriert, mit ihm zusammen nach Kiew zu fliegen.
Mit dem Arbeitsamt hatte sie schnell geklärt, daß sie fliegen darf und auch eine Woche nicht am Ort ist, um einer eventuellen Vermittlung in eine geregelte Tätigkeit sofort folgen zu können.



Im Flieger

Ein paar Sachen waren schnell gepackt und dann das Telefonat mit Willi, die fliegenden Schriftsteller.
Der Typ mit den langen Haaren und den blauen Augen hatte sie zumindestens mit seiner Leidenschaft für den Flug im „Trabant der Lüfte“, dem Ultraleichtflugzeug verzückt und sympathisch gemacht.
Anläßlich der Eröffnung seines „kleinsten Flugplatzes von Deutschland“ in Crussow, nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, hatte sie ihm ein Versprechen abgeluchst, das er nun einlösen sollte und wie das Telefonat verriet, auch konnte.

Der nächste Anruf galt Thomas Vater.
Von Onkel Karl wollte sie ihm noch immer nicht erzählen, irgend eine Sperre in ihrem Gehirn hinderte sie daran, Thomas Vater, ihrem Geliebten, etwas von Onkel Karl zu erzählen. Vielleicht wollte sie Thomas Vater schützen ? Vielleicht schien Onkel Karl, mit seinem Reichtum nicht geeignet, Thomas Vaters und Connys Kosmos zu betreten ?
Aber auf die unverhofften Möglichkeiten für sich zu verzichten, vermochte sie auch nicht, wollte sie auch nicht, schließlich lagen diese Dinge, die jetzt real waren, früher und auch nicht mit Thomas Vater, im Bereich der Möglichkeiten.
Thomas Vater war ihre Liebe, Onkel Karl ein bißchen Teil ihres Lebens geworden, er hatte sich eingemischt, und einen Teilerfolg erzielt, würde es vorbei sein, dann hätte sie zwar den Verlust, aber ihre Erlebnisse.
Sie schob beiseite, was hier störte. Sie kann ja später noch alles erklären, jetzt schob sie die eigene Familie vor, die Mutter müßte ihre Hilfe bekommen und sie wäre für die nächsten drei bis vier Tage nicht zu erreichen.
Mit etwas schlechtem Gewissen sagte sie: „ Ich liebe dich. Wenn ich wieder hier bin, dann rufe ich dich sofort wieder an.“
Rein in den Fiesta und nach 10 Minuten Autofahrt, angekommen auf der 330 Meter langen , gemähten Wiese mit den beiden gesponserten Containern und dem stolzen Namen. Flugplatz !

Nur eine halbe Stunde dauerte der Flug nach Eggersdorf, in unmittelbarer Nähe von Berlin.
Eine halbe Stunde bei zerrenden Winden, die Frisur ruinierenden Kopfhelm über gestülpt, mit den Kopfhörern und dem Mikrofon vor dem Mund, eine Windjacke von Willi zusätzlich über gezogen und den Eindruck vor Augen, ständig über einer atemberaubenden, sehr schön aussehenden, aber Abgrund bleibt Abgrund, einen Fall aus großer Höhe vor den Füßen und den Augen, in den Ohren die begeisterte Frage von Willi: „Toll, dieses Fluggefühl ?!“, mehr erahnt – der Motor über ihren Köpfen war schon laut - als verstanden und leicht gequälte Antwort dann: „Ja.“
Doch es war schon ein schönes, ja phantastisches Gefühl, losgelöst schwebend, fast 200 Meter hoch über all denen zu schweben, die unten auf den Straßen, den Verkehr kämpften, von Ampel zu Ampel nahezu hüpfend.
Hier oben war das Fliegen atemlos ruhig. Die leichten Hügel, große Äcker, gelbe, graue, rote Karos in allen Schattierungen und die weiten, dunkelgrünen Wälder, mit vielen hellgelb- grünen Flecken,
unterbrochen von den Dörfern und Ständchen dieser Gegend, deren Kirchtürme und Schornsteine sich dem kleinen Luftgefährt fast entgegenstreckten, ließen eine wundersame Einsamkeit spüren, denn außer den beiden Flugzeuginsassen, waren keine Menschen zu sehen, und wenn doch, dann ameisenhaft verkleinert, unbeteiligt am Fliegen, fern von dem, was Fliegen bedeutet.
Am Ende der 30 Minuten empfand Conny fast ein wenig Bedauern darüber, daß der Flug nun schon zu Ende war. Wie rasend näherte sich die grasige Landebahn, die Willi – nach einem kurzen Funkgespräch mit seinem Eggersdorfer Kollegen – als günstig erachtet hatte.
Ein kurzer „Plumps“, dann rasten die kleinen Räder des Fluggerätes über Boden und Gras dahin, der Motor klang aus, mit der Restgeschwindigkeit lenkte Willi auf einen seitlichen Platz.
Die Erde hatte Conny wieder, die nun, nicht ganz leichtfüßig , wieder festen Boden unter den Füßen genoß.

Später wird sie verblüfft für sich registrieren, daß dieser Flug viel intensivere Eindrücke bei ihr hinterließ, als der nun folgende Flug, mit der großen Passagiermaschine von Berlin nach Kiew.

Das große Flugzeug enthielt keinen Onkel Karl. Auf der Fahrt von Eggersdorf nach Berlin erhielt sie eine SMS des Onkels, der ihr mitteilte, daß er direkt von München geflogen sei, aber Ticket und Platz im Berliner Flugzeug für sie reserviert und – ja, nahezu natürlich- bereits bezahlt habe. Er erwarte sie dann auf dem Kiewer Flugplatz.

Und so geschah es, daß Conny nach rund dreieinhalb Stunden eine Strecke absolvierte, für die eine Fahrt mit dem PKW, eingedenk der zu überschreitenden Grenzen wahrscheinlich mehrere Tage gebraucht hätte.

Onkel Karl traf sie in der Hotelhalle, sie besprachen sich nur kurz, Conny sollte sich dann etwas frisch machen, daran anschließend, würden sie ein gemeinsames Abendbrot einnehmen.
Connys Probleme mit der Sauberkeit des Hotelzimmers konnte sie selbst beseitigen, sie hatte sich ohnehin daran gewöhnt, grundsätzlich Bettwäsche in den Hotelzimmern noch einmal selbst zu wenden und neu aufzulegen, dabei sorgfältig nach kleinen Tieren oder ähnliches Ausschau zu halten und Funde gewissenhaft zu beseitigen, ab in die Toilette, spülen und ...tschüß !

So geschehen, frisch gewaschen, umgezogen und einen leichten Parfümduft verbreitend traf Onkel Karl sie im Eßsalon des Hotels.
Onkel Karl erzählte ihr, daß der am nächsten Tag viele Gespräche mit einheimischen Wirtschaftsvertreter führen würde, Conny hätte also den ganzen Tag Zeit, sich in Kiew umzusehen, Architektur und Menschen zu genießen.

Wie eingangs dieses Kapitels geschildert, tat sie das ausgiebig.


Zurück vom Basar, wieder im Hotel, trat ein, was ihr der Fremde auf dem Basar mitteilte. Die drei Klopfzeichen ertönten, sie sagte laut :„Conny“, und lauschte. Außer den sich entfernenden, leichtfüßigen Schritten war nichts Besonderes zu hören, fast automatisch schaute sie auf ihre Uhr.
5 Minuten später stand sie, Notebook, Handy und Digitalkamera dabei, vor dem Eingang des Hotels.
Es standen unzählige, unterschiedlichste Taxen auf dieser Straße und alle schienen nur auf Conny zu warten.
Etwas ratlos und verloren stand sie da.
Sie konnte doch nun nicht einfach in „irgendein“ Taxi einsteigen....
Ein großer, dunkel gelockter, braunhäutiger Mann steht plötzlich neben ihr.
„Hier entlang.“ weißt er mit der Hand auf ein Taxi, tritt an die Wagentür, öffnet sie und schaut Conny auffordernd an. Nach kurzem Zögern setzt sich Conny in Bewegung, sie schaut in das Innere des „Wolga“, kein weiterer Insasse, sie tritt näher, plötzlich piept ihr Handy.
Kein Anruf, eine SMS. Da steht auf dem Display: STEIG EIN, ONKEL KARL.
Gut, Conny nimmt auf der hinteren Bank Platz, der Fahrer schließt die Tür und mit deutlichem Gebrumm schießt der „Wolga“ los.
Die Route, die das Taxi nahm, konnte Conny nicht verfolgen, zu verwirrend waren die Straßen und Gassen, die in gleicher Richtung fahrenden LKW und PKW, von denen ebenso viele entgegen kamen, die Fahrtrichtung kreuzenden kamen hinzu.
An irgend einem Rand der großen Stadt, in einer Gegend, die eher einem Gewerbegebiet in Deutschland ähnelte, hielt das Taxi vor einer großen Halle, deren Ursprung offensichtlich europäisch war und die häßlich praktische Architektur bildete den schroffen Gegensatz zur zuvor erblickten Architektur der Stadt Kiew.
Conny ahnte, das ist der Platz, an dem das Zurückzahlen (für all die Wohltaten Onkel Karls) beginnt.
Sie war dazu bereit und verließ das Taxi, um durch die kleine Tür neben dem großen Hallentor in die Halle zu treten.

Nach kurzer Orientierung, der Lichtwechsel von draußen nach drinnen erforderte die Anpassung der Pupillen ihrer Augen, erkannte sie die eiserne Treppe, auf deren oberem Absatz ein Mann im Anzug stand und sie in deutscher Sprache rief: „Kommen Sie bitte hier entlang.“
Die Treppe hinauf steigend, konnte Conny Palettenstapel ebenso erkennen, wie die zum Transport notwendigen Gabelstapler.
Am weit entfernten, anderem Ende der Halle, ließ ein weit geöffnetes Hallentor Licht, Tageslicht im breiten Strahl in das Halleninnere dringen.
Alles Übrige in der Halle war in graue Dämmerung gehüllt.
Conny trat durch eine weitere Tür, hinter ihr der Mann im Anzug, in einen, der in der oberen Hallenebene angeordneten Büroräume.
Da saß nun Onkel Karl, er lächelte ihr freundlich zu und stellte ihr ... den Tartaren vor: „ Herr Schmidt, von meiner Bankfiliale, hier in Kiew.“
Conny musste lachen. Der Tartar, wie sie ihn in ihren Gedanken nannte, sah jetzt ganz anders aus, als auf dem Basar. Von einer Nationaltracht war genauso wenig erkennbar, wie von der fremden Sprache zu hören. Hier stand ihr ein ca. 55 Jahre alter, gut aussehender Mann gegenüber, der sich im besten Sächsisch bei ihr für den Vorfall und sein Verhalten auf dem Basar entschuldigte.
Eigentlich sollte sich das Treffen in einem der Verkaufsstände auf dem Basar abspielen, was die von ihm zuvor ermittelte Ansammlung von einheimischen Polizeibeamten aber verhindert hätte.
So mußte sein Theaterspiel auf dem Basar Variante 2 des Treffs einleiten.
Fragend sah Conny Onkel Karl an. Würde er erklären, warum diese Geheimniskrämerei nötig sei ?
Statt eindeutiger Antwort, empfahl ihr Onkel Karl nun das Notebook anzuschalten.
Conny stellte Notebook und Handy auf den vorhandenen Tisch, schloß das Netzteil – mit einem fragendem Blick auf Onkel Karl und Herrn Schmidt Bestätigung einholend – an eine der seitlich vorhandenen Steckdosen an und schaltete das Notebook ein.

Leise schnurrte der kleine Ventilator im Notebook los, der Computer fuhr hoch, indem er alle Systemroutinen nach einander abspulte und schon wenige Sekunden später ertönte jene Töne, die Bill Gate seinem Betriebssystem mitgegeben hatte, das Signal der Bereitschaft. „Sie können beginnen !“

Onkel Karl befahl: „Schau in deinen Posteingang !“
Conny tat das Verlangte und entdeckte eine neue elektronische Nachricht. Onkel Karl hatte wieder geschrieben, wie die Absenderadresse verriet. Etwas verwundert schaute sie ihn an. „Lade die Anlage herunter und beende die Verbindung mit dem Internet.“ So lautete der nächste Befehl von Onkel Karl. Sie tat es, las die kurze Mitteilung durch und öffnete dann die Anlage, deren Endung ihr verriet, daß es sich um eine größere Bilddatei handeln müsse und eine weitere Datei, deren Endung ihr im ersten Moment nichts sagte.
Sie öffnete zuerst die Bilddatei.............


Das Dunkel war greifbar. Nur im Widerschein spärlicher Taschenlampen waren die vier Schatten erkennbar. Es mußten Menschen sein, während einer etwas in beiden Händen vor sich her trug, schienen alle anderen darauf zu achten, daß der erste unbeschadet immer weiter kam. Ihre Kopfbedeckung war , erkennbar an den äußeren Umrissen, völlig gleich. Ja, es waren irgendwelche Helme , die sie trugen.
Sie schienen kurz vor ihrem Ziel zu sein, die Schritte wurden langsamer und vorsichtiger, der erste hielt an und zischte dem nächst stehenden etwas zu. Dieser beugte sich, kniete sogar nieder und hob etwas vom Boden hoch. War es ein Deckel oder irgendeine Abdeckung gewesen ?
Denn aus einer vorhandenen Öffnung im Boden drang plötzlich, nein besser in dem Maße den Ort erhellend, wie die Buchstaben auf einer neu aufgeschlagenen Seite eines Buches plötzlich die Fortsetzung einer Geschichte klären, Licht , hellblaues strahlendes Licht. Es ließ erkennen, daß die drei Gestalten in einem unterirdischem Gang voran geschritten waren. Gerade als das Licht alle Winkel des Ganges aufhellten, huschten zahlreiche Nagetiere hinweg,
in das Dunkel am Rande der Helligkeit.
Die Gestalten selber entpuppten sich als uniformierte Offiziere, offensichtlich Uniformen der Wehrmacht, wenn ich meinem Gedächtnis trauen kann, schließlich kenne ich diese Uniformen nur von den Bildern , die meinen Vater zeigen, als er vor 67 Jahren ebenfalls in der Wehrmacht Soldat sein mußte.

In die helle Öffnung hinein stiegen nun drei der Gestalten, während eine an der Öffnung stehen blieb, aus dem an der Hüfte befestigten Holster eine Pistole zog und sich dann, abwartend und sichernd zu den Nagetieren am Rande der Helligkeit zurück zog.
Die drei anderen klettern eine schmale Stiege herab, die auf die nächst tiefere Ebene führt.
Allerdings setzt sich kein Gang fort, sondern eine kleine Kammer ist der Ort, der wohl das Ziel der dunklen Gestalten war. Während zwei nun am Fuß der Stiege verharren, geht der dritte, mit dem Gegenstand in seinen Händen zur hinteren Wand, legt den Gegenstand auf den Erdboden und nestelt in Höhe seines Bauchnabels eben an dieser Wand, wo sich nach einiger Zeit eine neue Öffnung bildet. Er hebt den Gegenstand vom Boden auf und schiebt ihn vorsichtig in die neue Öffnung, um anschließend wieder an der Wand zu nesteln. Die Öffnung verschwindet, ebenso geheimnisvoll wie sie sich geöffnet hatte.
Nach kurzem, fast nachdenklichem Verharren, greift er an seinen Gürtel.
Blauer Nebel steigt plötzlich auf, erreicht zuerst sein Gesicht um anschließend den beiden Gestalten am Fuße der Stiege näher zu kommen und beide sanft einzuhüllen, dann zieht er auch noch die Stiege hinauf und verschwindet im Gang darüber. Erst wenige Sekunden später ertönt ein erstickter Ruf. Das war der vierte.
Seine weit geöffneten Augen, die Hand, die Angst und Panik an seinen Hals führte, während die andere Hand Halt an der Wand sucht um wenig später noch den Versuch zu unternehmen, den Fall des Körpers auf den Boden zu bremsen. Aber bereit kurz nach dem der blaue Nebel ihn erreichte, lebte er schon nicht mehr bewußt, alles was er und die drei anderen kurz davor unternommen hatten, war dem konvulsischen Zuckungen des bereits toten Fisches noch in der Pfanne vergleichbar. Restenergien in den Zellen der Körper, der Ganglien und Nervenfasern steuerten Muskeln an und übermittelten unvollständige Befehle, Körperroutinen liefen aus, ohne die beförderndene Energie, der körpereigenen Schaltzentrale, dem Gehirn.
Noch traten Botenstoffe im Körper ihren Weg an, Informationen zu übermitteln und erreichten nicht mehr ihr programmiertes Ziel. Wege endeten, Energien verloschen, wie Kerzenlicht, dem der Sauerstoff entzogen wurde. Während die Kerze das Verlöschen der Flamme mit einem kleinen Hauch von Rauch, der sich empor kräuselt, signalisiert,
streckt sich der menschliche Körper, der den Tod empfing, in völliger Entspannung aller Muskulaturen.
Sollte er eine Seele haben, so ist sie es jetzt, die den Körper, vielleicht wie der Rauchhauch der Kerze, verlässt und sich kräuselnd – eventuell – über ihn hinweg, in ein anders, in ein unerklärbar, vielleicht ein neues Leben bewegt.
Das, was nun noch von den Gestalten verbleibt, wird auf völlig natürlich Weise dem Haushalt der Natur zugeführt.

Der unterirdische Gang, die noch tiefer liegende Kammer und der Zugang waren bald getarnt.
Wenn eine Kamera dabei gewesen wäre, hätte man später, im Zeitrafferverfahren, sehen können, wie sich die vielen , erst zartgrünen Pflanzensprosse an den Seiten immer mehr dem Licht entgegenreckten, sich schlängelnd scheinbar fortbewegend, immer mehr wachsend, größer werdend irgendwann in den Jahren den Zugang völlig verbergend.
Immer mehr, neue Sprosse kamen hinzu. Sie keimten, wurzelten, wuchsen, Schlehenfrüchte explodierten und warfen neue Samenkörner in die Umgebung, die wiederum keimten und wurzelten und wuchsen.
Von den großen Buchen darüber kamen die Bucheckern hinzu, die ein Gleiches taten. Nämlich ausschlagen, keimen, wurzeln und wachsen.
Vögel, die in den Buchen nisteten, erledigten ihre Morgen-oder Abendtoilette über den Nestrand. Alles fällt nach unten. Auch die nicht verdauten, vielleicht gerade von ihrer äußeren Schutzschicht durch die Verdauung im Vogelmagen befreiten Samenkapseln, die ein Stücken Waldboden finden sowie jenen Tropfen Regenwassers, der im Verein mit einem zufällig durch das Blätterdach bis auf den Boden herab scheinenden Sonnenstrahl, den Vorgang in Bewegung setzt, der ein Wunder zu sein scheint. Aus dem unscheinbaren, winzig kleinen Körnern wachsen große, die Äste und Zweige weit ausbreitendende Bäumchen und Bäume, Büsche, riesengroße und kleine, dicht am Boden auseinanderwachsend oder weit hinauf in die Sonne schauend.
Auch Eichhörnchen, Maus, Wurm, Wiesel, Reh, Hirsch und jedes Getier des Waldes, wer immer Verantwortung für das Zuwachsen jenes geheimnisvollen, unterirdischen Ganges Verantwortung trug, unterlag nicht der Gerichtsbarkeit der Menschen.
Ja, er, es oder jenes, was Natur ist, kümmerte sich nicht einmal darum, was Menschen von ihm hielten, es machte einfach weiter und vollendete diese eine Werk ebenso, wie es die zahllosen Projekte, die Natur ausmachen.

Nach 50 Jahres dieses natürlichen Wirkens, erreichte die menschliche Zivilisation noch einmal jenes Waldstück, in dessen 1000 oder mehr Hektar jener Gegenstand verborgen lag, der in dieser Geschichte wohl noch eine Rolle spielen wird.
Das Gebiet wurde zu einem Nationalpark in Brandenburg erklärt. Zu einem Totalreservat, in dessen Grenzen sich die Natur, ohne Menschen und deren Einfluß, entwickeln sollte.


Chagall´s Blau muß Pate gestanden haben.
Außen und ringsum tiefes, rauchend dunkles Blau, das zur Bildmitte hin, mehr und mehr aufhellte.
Da, im Zentrum eine zarte, ätherische Gestalt?
Erst der zweite Blick auf das Bild erschließt Conny, daß es sich um einen zarten, jungen Knaben handeln muß, der sie so geheimnisvoll ansieht. Ebenfalls in hellblauen Linien dargestellt, der Teil, der die Büste erkennen läßt.
Eine Knabenstatuette, die lebendig zu sein scheint, zwingend der Blick, gleich aus welchem Winkel das Bild betrachtet wird. Kunst in Kunst. Das Bild, ein Kunstwerk der blauen Farbe.
Die Statue, ein Meisterwerk filigraner Bildhauerkunst.
Es scheint Conny, als ob der Knabe zu ihr spricht, fast flüstert sie: „Psst, leise !“ und spitzt die Ohren.

Onkel Karl unterbricht dieses andächtige, zwecklose aber ehrfürchtige Lauschen: „ Hat er dich beeindruckt ?“ und grinst sie fast satanisch an. „Jeder, der nur sein Bild sieht, kann sich seinem Bann nicht entziehen. Warte nur, bis wir die Statuette haben, dann werden dir die Augen übergehen.“

Conny kann noch nichts verstehen, noch immer blickt sie verzückt und voller Hingabe das Bild an, das sie vom Bildschirm Ihres Monitors befehlend (?) oder an ihrem Willen saugend, sie völlig vereinnahmend ansieht.
Die stumme Zwiesprache, die Magie des Augenblicks unterbrechend,
ertönt Onkel Karl: „ Öffne jetzt die zweite Datei !“

Es kam Conny fast wie ein Sakrileg vor, daß Onkel Karl dazwischen sprach und ihr befahl die andere Datei zu öffnen. Mußte doch das blaue Bild verdeckt werden oder gar geschlossen.
Aber, nun einmal in die Wirklichkeit zurück gekehrt, schloß sie, mit leisem, unterdrücktem Seufzen die Bilddatei, um die andere Datei anzuklicken. Obwohl sie nicht von bedeutsamer Datenmenge war, dauerte der Augenblick, der immer verging, ehe der Computer das Programm gestartet hatte, mit dem die jeweilige Datei betrachtet und bearbeitet werden konnte, deutlich länger, als ihre Erfahrung geschätzt und erwartet hatte. Ganz so, las ob der Computer lange in den Tiefen der großen Festplatte suchen mußte, um in irgendeinem, finsteren, kaum genutzten Winkel dann jenes Programm zu finden, das die betreffende Datei benötigte.
Die Datei wurde geöffnet.
Ein dreigeteiltes Fenster im bildschirmfüllenden Format erschien.
Conny erkannte Zahlenreihen und Buchstabenkolonnen, Punkte und Striche, mit denen sie nichts anfangen konnte.

Onkel Karl stand plötzlich neben ihr und schaute auf die soeben geöffnete Datei. Seine Miene war nun nicht mehr jovial freundlich, sondern gespannt und konzentriert. Eine neue Verbindung in das Internet knüpfte der kleine Computer nun ohne Connys Zutun. In Kyrillischen Buchstaben erschien die angewählte Adresse am oberen Rand des Bildschirms, dann baute sich eine Seite auf, die eindeutige Züge einer Landkarte aufwies. Statt farbiger Unterschiede erkannte Conny, kurz bevor Onkel Karl sie zur Seite schob und selbst die Tastatur des Notebooks bediente, nur Linien und Zahlen.
Offensichtlich speicherte Onkel Karl die Daten im Notebook, um anschließend die Verbindung wieder zu unterbrechen.
Als Conny jetzt aufsieht, steht der Tartar bereits an der Tür, die aus dem Bürogebäude heraus führt und sagt nur ein Wort: „Beeilung !“
Onkel Karl hat den Computer bereits abgeschaltet, zusammen geklappt und unter den Arm geklemmt. Das Telefon übergibt er Conny und drängt sie zur Ausgangstür.
In großer Eile verlassen die drei das Büro, die Halle, um sich im Jeep, der vor dem Tor der Halle steht, wieder zu finden. Conny noch immer völlig beeindruckt vom blauen Bild, verständnislos über die plötzliche Eile, die die beiden Herren an den Tag legen, da fährt der Jeep schon los.
Wie unter einem Zwang sieht Conny noch einmal über ihre Schulter zurück.
Qualm, fetter , schwarzer Qualm steht über der Halle, in der sie eben noch gesessen hatten, da, eine helle Flamme durchschlägt die Qualmwand, während nun auch der laute Knall an ihr Ohr dringt.
Der Tartar fährt schnell und Onkel Karl und Conny sind gezwungen sich mit beiden Händen irgendwie fest zu klammern.
Connys fragenden Augen weicht Onkel Karl noch aus und wie betäubt verfolgt Conny mit den Augen den Weg, den der Jeep in rasender Eile nimmt, suchend, wie tief ist die nächste Bodenwelle und wann kommt die nächste, um die Anstrengungen zu intensivieren, zum richtigen Zeitpunkt den schleudernden Kräften zu begegnen.

Zwanzig Minuten später endet die Fahrt. Sie ging nicht zurück nach Kiew, sondern führte sie weiter hinweg. In einem Waldgebiet hielt der Jeep an.
Die Nacht, die inzwischen den Tag abgelöst hatte, war hell, jedenfalls konnte Conny Waldboden und Bäume erkennen. Der Tartar und Onkel Karl sprachen miteinander, dann setzte sich der Jeep, mit dem Tartaren in Bewegung und verschwand, einen unangenehmen Gestank nach Benzin und Auspuffgas hinterlassend.
„ Du wunderst dich sicherlich ?! Später werde ich dir erklären, warum du nach Kiew kommen mußtest und warum wir jetzt, etwas illegal, wieder nach Deutschland zurück kehren werden. Vertrau mir, denn es wird dir nichts geschehen. Du kehrst mit mir zurück und in Deutschland kannst du erfahren, was du wissen mußt. Komm jetzt.“
Mit diesen Worten griff er sie bei der Hand und trat auf eine, gerade noch sichtbare Reihe dunkler Büsche zu.
Er griff hinein und warf die gar nicht gewachsenen Büsche zur Seite. Sie tarnten einen großen, dunkel – glänzenden PKW.
Das Gepäck, Notebook und eine Aktentasche waren schnell verstaut, Onkel Karl setzte sich hinter das Steuer, Conny nahm neben ihm Platz.
Mit einem dunklen- sonoren Schnurren lief der Motor an und verriet seine Stärke allein durch das tiefe Röhren, welches draußen aus dem Auspuffrohr kam und drinnen im Wageninneren das Gefühl der Geborgenheit vertiefte. Auch die vielleicht trügerische Gewißheit, wieder – in einiger Zeit – zu Hause zu landen, vermittelte sich den Insassen.

Die Heimfahrt begann auf dem Waldweg, den der Jeep verlassen hatte, sie erreichten eine breitere, befestigte Straße, geleitet, von der ruhigen Frauenstimme, die aus den Wagenlautsprechern klang. Conny erkannte, daß Onkel Karl das Ziel der Fahrt bereits in den Autocomputer eingegeben haben muß, denn die Stimme wies zielgerichtet, rechtzeitig vor dem Erscheinen der nächsten Kreuzung oder Abfahrt auf die Richtung hin, die der Fahrer einschlagen sollte.

Da Onkel Karl auf ihre erste vorsichtige Frage keine Antwort gab, verließ sie sich darauf, daß die Aufklärung aller Fragen in Deutschland erfolgen würde, so, wie es Onkel Karl versprochen hatte.
Im PKW war es ruhig und warm. Conny´s Augen fielen immer wieder zu, die Ereignisse des Tages in Kiew hatten sie doch sehr beansprucht, sie schlief ein, der Körper hatte entschieden, elementare Bedürfnisse, die er selber befriedigen kann, zu befriedigen, statt Bedürfnissen nach zu hängen, die er sowieso nicht ohne Hilfe anderer befriedigen kann.
Das Machbare und Notwendige zuerst. Connys Gehirn dachte noch eine Weile über mögliche Erklärungen für die erlebten Ereignisse nach, dann übernahm ihr Unterbewußtsein es, auf seine Art die Ereignisse zu deuten.
Conny´s Träume fanden in hektischer Geschwindigkeit statt. Ortswechsel, dem Erstaunen über die Ortschaften, die sie in so kurzer Zeit erreicht hatte, Onkel Karls Gesicht, der Tartar, dessen Gesicht auch schon mal in Onkel Karls überwechselte, das Hotelzimmer in Kiew und die Bilder des Basars woben einen farbigen Teppich für ‚Connys Traum. Während die Farben dieses Teppichs immer mehr verdunkelten, erglühte im Hintergrund ein blaues Licht, erst zaghaft, mehr erahnbar als sichtbar, dann immer stärker werdend, bis Blau alles war, was an Farbe in Connys Traum vorhanden zu sein schien.
Das letzte Bild, das Conny im Traum wahrnehmen konnte, war Kunst in Kunst. Das Bild, ein Kunstwerk der blauen Farbe.
Die Statue, ein Meisterwerk filigraner Bildhauerkunst.
Das blaue Knabengesicht, mit seinem klaren Blick......

Polnische Gesprächsfetzen und Onkel Karls „Conny !“ weckte sie aus tiefem Schlaf.
Der polnische Grenzschützer, unter dem breiten Mützenrand schaute sie ein pickliges Jungengesicht prüfend an, den Ausweis in der Hand haltend.
Onkel Karl schien erleichtert, als sie weiter fuhren. „ So, das waren die Russen.“, sagte er und Conny verspürte keine Lust, ihn zu verbessern.
Quer durch Polen führte ihr Weg, den Onkel Karl nur an den Tankstellen unterbrach, neben den Bedürfnissen des Autos auch Gelegenheit für die Insassen, ihren Bedürfnissen nachzukommen.
Conny machte nur einmal das Angebot, das Steuer zu übernehmen, Onkel Karls abweisende Antwort auf dieses Angebot schreckte sie auch ab, weitere Fragen zu den Vorgängen zu stellen, die die Ereignisse in der Ukrainer betrafen.
In Deutschland würde sie alles erfahren, dessen könne sie sicher sein.
Sie verbrachte die Fahrzeit damit, alle Dateien, die sie persönlich auf dem Notebook gespeichert hatte in eine Datensicherung zu überführen, weil sie von Onkel Karl ein neues Notebook erhielt.
Das alte wolle er behalten. Auch sollte sie die Dateien nicht kopieren, die sie sich in Kiew angesehen hatte. Sie getraute sich nicht den Trick von dem Lehrgang des Arbeitsamtes zu wiederholen, Onkel Karl schien erschreckend viel vom Computern zu verstehen.
So begnügte sie sich mit dem Überspielen der Sicherungsdatei mit dem rein persönlichen Inhalt auf das neue Gerät.
Die bereits installierten Programme interessierten sie nun um so mehr, als das sie in Kiew ja die Erfahrug machte, daß ihr Programme verborgen geblieben waren. Aber sie fand nur das, was den heutigen PC von den meisten Geschäften des Computerhandels mitgegeben wurde.
Am Abend des zweiten Tages erreichten sie die Grenze bei den Pomellen.
Onkel Karl fuhr sie, sofort und direkt nach Hause, das Passieren des Grenzübergangs hatte keinerlei Probleme bereitet.
In dieser Nacht träumte Conny wieder von Thomas Vater, den sie sofort nach ihrer Ankunft angerufen hatte. Sie schob ein familiäres Problem vor, mit dem sie ihre Abwesenheit begründete, erklärte, daß sie bei ihrer Mutter gewesen sei und sie kam sich schlecht dabei vor, sehr schlecht. Nur die Aussicht, Thomas Vater später irgendwann alles zu erklären, tröstete sie und verhinderte, daß Thomas Vater zu schnell, zu viel erfahren würde, sicherte aber, daß Conny weiter Onkel Karls Zuwendungen und Reisen erhielt, an die sie sich inzwischen ja gewöhnt hatte.
Während Onkel Karl, nach einem ausgiebigen Abendbrot in Connys Küche, sich wieder in das Auto setzte, um seine Reise nach München fortzusetzen, müde schien er noch immer nicht zu sein, legte sich Conny sofort in ihr Bett.
Alles, was bisher passiert war, erschien ihr, als ob nicht sie, sondern der, Pardon, die Heldin eines Buches alles erlebt habe und Conny nur Leserin dieses Buches sei. Unwirklich und unreal erschien es ihr, vor dem Hintergrund ihres bisher so ruhig und normal verlaufenen Lebensweges, sieht man einmal davon ab, daß Thomas Vater vor einiger Zeit in ihr Leben getreten ist.
Onkel Karl hatte sie in eine Welt entführt, die sie bisher nicht kennen gelernt hatte. Seine Erklärung, für den Ausflug nach Kiew strotzte nur so von Ungereimtheiten. Conny hatte nicht lange in Onkel Karl gedrungen, ihre Fragen gingen so weit in die Tiefe, wie es Onkel Karl genehm war,
es war die Rede von Hanussen, dem Magier, der auch die Nazis zu beeindrucken wußte, einem Auftrag für lebensverlängernde magische Substanzen, vom Bund mit dem Teufel, dem KGB, der russischen Mafia, die das Internet bestens zu nutzen wüste, der CIA, dem FBI, dem MAD, die alle von dem Auftrag wüßten und nach den Ergebnissen forschen würden.
Nur Onkel Karl verfüge über alle erforderlichen Verbindungen und mit den beiden Dateien aus Kiew nun auch über Kenntnisse an welcher Stelle die Ergebnisse zu finden seien.
Die Knabenstatuette ist die materielle Essenz, eine mögliche Voraussetzung für ein Leben von bis zu 250 Menschenjahren.
Sie zu finden hatte Onkel Karl in aller Stille und fast nur alleine zielstrebig seine Suche vorangetrieben, sein Geld hatte ihm Wege frei gemacht und Kanäle eröffnet.
Und alte Verbindungen, deren Wißbegier mit einer Schatzsuchemär befriedigt wurde.
Auch der Tartar war eine solche alte Verbindung, in eingeweihten Kreisen ertönte oft Gelächter, hämisch und grell, weil ausgerechnet der Tartar in der damaligen Sowjetunion Unterschlupf gefunden hatte. Und heute ist der Tartar ein diplomatischer Angestellter der deutschen Botschaft, Bankrepräsentant von Onkel Karl in Kiew, unentbehrlich wegen seiner hervorragenden Sprachkenntnisse und der exzellenten Verbindungen.
„Angriff ist die beste Verteidigung.“, hatte er sich damals gesagt, auch wenn man sich auf der Flucht vor denen befindet, die man getötet ,geschändet und betrogen hatte.

Onkel Karl fuhr erst weiter, nachdem er Conny eindringlich klar machte, was sie erwartet, wenn von den gemeinsam erlebten Geschehnissen irgendein anderer erfahren würde.
„Für diese Statue sind bereits hunderte Menschenleben geopfert worden, ich habe es bisher immer wieder geschafft, hinter mir alle Spuren zu löschen, die mich als den Suchenden enttarnen könnten. Auch dabei sind Menschen gestorben ! Aber, das war mir gleich, denn ich will diese Statuette !“
Leise hatte er gesprochen und Conny dabei so angesehen, das ihr klar wurde, auch sie könne durchaus ein Mensch sein, dessen Leben am Wegesrand liegenbleibt, während Onkel Karl weiter nach dem blauen Knaben jagt.
Denn für ihn war nur die Zeit, der letzte, ernst zu nehmender Gegner.





Thomas Vater war sich nicht schlüssig. Für drei Wochen zur Unterstützung bayrischer Amtsstellen nach München ?
Schwerpunkt Asylbewerber.
Klassifizierung der Antragsgründe und Entscheidungsvorbereitung für das weitere Asylverfahren in Bayern. Selbst sein Chef hatte mehrmals nachgefragt, ob es wirklich eine solche Anfrage aus Bayern gab. Es schien zu stimmen und deswegen wurde Thomas Vater gefragt, schließlich braucht er keine Familie mehr zu versorgen und könne so die drei Wochen in Bayern verbringen.
Thomas Vater bekam noch eine Woche Zeit, sich zu entscheiden.



In der alten Uhr entspannte sich die große Messingfeder. Zuvor aufgezogen, hatte sie jenen Zustand erreicht, bei dem ein Mensch die Lippen fest zusammen preßt, zuvor jedoch noch einmal schnell und tief, weil lebensrettend und leistungsmobilisierend, Luft geholt hat und nun mit hochrotem Kopf darauf wartet, eine große körperliche Leistung zu erfüllen. Vielleicht einen liegen gebliebenen PKW wieder anzuschieben, eine Braut über irgend eine Türschwelle zu tragen oder ein großes Gewicht aufzuheben, eine kleine Weile zu halten und nach dem Zeichen des Kampfrichters wieder zu Boden fallen zu lassen.
Die große Messingfeder hatte eine andere Aufgabe, wie jeder Leser weiß.
Sie trieb, alleine durch Entspannen, die vielen Rädchen und Räder an, die ein kleines Getriebe bilden, um den großen und den kleinen Zeiger dahin zu bewegen, die Zeit in Scheiben zu schneiden. Manchmal begleitet von einem Tickgeräusch, ein kleiner Klöppel oder sogar ein langes Pendel wird in seinem natürlichen, schneller werdenden Hin und Her, gehemmt, das macht „Klick-Klick".
Der Mensch, der die Uhr betrachtet und auch das Geräusch hören und verstehen kann, erkennt dann, daß Zeit vergeht.

Thomas Vater rief bei Conny an.

Beide versicherten sich, daß drei Tage einfach zu lange war, für eine Trennung.
Beide versicherten sich, wie sehr der eine oder die eine, dem anderen oder der anderen gefehlt hatte. Und, diese Anmerkung muß gestattet sein,
beide meinten diese Worte ernst,
beide waren auch von ihren Worten überzeugt.

Sie trafen sich, sie umarmten sich.

Es fand sich die Zeit, wo beide, erschöpft und verschnaufend, nebeneinander lagen.

Thomas Vater erzählte Conny von seiner bevorstehenden Dienstreise.
Conny erschrak.
Gibt es solche Zufälle ?
Es schien so.

Thomas Vater hatte von Connys Schrecken nichts bemerkt. Vielleicht registriert, als eine Art von wohligem Schauer, der Connys Körper neben ihm durchfuhr.

Es könnte als Hinweis gewertet werden, wie wenig sensibel manche Männer sind, obwohl sie oder eventuell weil sie gerade so emotional sind.

Conny sollte mitkommen, die drei Wochen mit nach München. Voraus gesetzt, Arbeitsamt stimme zu und Connys Unterkunft könnte irgendwie gesichert werden.

Diese Woche verging, was ihre Beziehung zueinander betraf, nun wieder in gewohnten, angenehmen und liebevollen Begegnungen.

Conny bekam kein OK vom Arbeitsamt, weil ein weiterer Lehrgang für sie anberaumt war.

Thomas Vater fuhr, nach langem Abschiedsabend – Conny war zu ihm gekommen und so verbrachten sie die letzte Nacht vor der Abreise in Thomas Vaters Wohnung – mit der Bundesbahn ab.

Conny blieb zurück und richtete sich darauf ein, an den nächsten drei Wochenenden bei Thomas Vater zu wohnen.
Sorgen darum, daß Thomas Vater etwas über ihre besondere Verbindung mit Onkel Karl oder gar von dem gerade überstandenen ukrainischen Abenteuer erfahren würde, hatte sie nicht mehr.
Ihr Erschrecken in der letzten Nacht entstammte also ziemlich eindeutig, dem schlechten Gewissen Connys, ein eigenes Geheimnis zu haben. Eines, das sie nicht mit Thomas Vater teilen kann. Einziger Trost, einzige Rechtfertigung vor sich selbst, war Conny die vermeintliche Tatsache, daß Thomas Vater dadurch geschützt ist.
Geschützt vor Onkel Karl.



Der ICE hatte zufällig keine Verspätung, nachdem Thomas Vater alle Umsteigebahnhöfe hinter sich gelassen hatte, fuhr es sich in diesem Zug sehr bequem. Thomas Vater
richtete sich. Die nächsten Stunden würde er aus dem Fenster sehen und an Conny denken. Entspannt verfolgten seine Augen den Flug des Horizonts.
Auf und Ab, flog er einmal hell und fern, dann wieder dunkel und nah oder verschwand gar völlig, weil ihn eine Tunneldurchfahrt einfach verschlungen hatte, jedoch nur für die kurze Dauer, in der sich das Licht der Zugbeleuchtung, die unvermittelt aufleuchtete, als der Zug in den Tunnel einfuhr, in den Fensterflächen widerspiegelt. Hindurch gefahren, springt der Horizont plötzlich wieder auf und fliegt, wie schon erwähnt weiter.



Aus dem unterirdische Gang, der tiefer liegende unterirdische Kammer und dem Zugang drang sanfter blauer Farbton . Eine, ebenfalls in blauer Farbe gehüllte Gestalt erschien.
Oder ging dieses blaue, helle Strahlen direkt von der Gestalt aus, die jetzt an die Erdoberfläche, auf den Waldboden stieg ? Tiere und Pflanzen wichen in scheuer, aber ruhiger Bewegung zurück. Als wollten sie es der Gestalt bequem machen, ihren Weg zu finden.
Ja, selbst die Sonne schien anders als gewohnt, mit sanften, gelbblauen Strahlen umschmeichelte sie das Gesicht jener zartblauen Gestalt, die sich nun als junger Knabe entpuppte.
Mit staunenden, neugierigen Augen blickte der Knabe sich um.
Die Tier- und Pflanzenwelt in seiner Umgebung schien ihn zu faszinieren, als hätte er lange Zeit davon nichts gewußt oder gesehen.
Nach einigen Schritten blickte er sich um. Hinter ihm verschloß eine Pflanzendecke wieder die Öffnung, aus der der Knabe auf die Oberfläche gekommen war. Kein menschliches Auge würde zufällig erkennen können, daß sich darunter ein unterirdischer Gang, eine Stiege und eine noch tiefere Kammer befinden würde.

Nachdem sich der Knabe an den Tieren und den Pflanzen satt gesehen hatte, begann er zu überlegen. Wer bin ich ? Warum bin ich ? Wo bin ich ? Diese Fragen kreisten in seinen Gedanken, während sich der Knabe immer weiter vom Zugang entfernte, näher und näher, dem Waldrand. Welche Richtung er einschlagen muß, war ihm nicht gegenwärtig, seine Füße, die in Sandalen steckten, fanden allein die richtige Richtung.
Obwohl es Herbst war, trug er nur kurze Shorts sowie ein ebenfalls blaufarbenes T-Shirt. Er schien nicht zu frieren. Wenn man sehr genau hinsah, dann wurde ein Kreis erkennbar, der den Knaben rund um umgab. Erkennen nur daran, daß sich das Licht an diesem Rande brach, das gleichmäßige Blau als Welle, Hülle und Schutz für die Gestalt.

Als der Waldrand erreicht war, wußte er die Antwort auf alle drei Fragen, die sich ihm eingangs stellten.
Sein Schritt wurde zielgerichteter und schneller. Er brauchte keinen Weg, keine Straße. Vorbei an allen Wegen, die Menschen brauchen, um sich fort bewegen zu können, schritt die blaue Gestalt in südlicher Richtung voran.

Plötzlich erreichen sein Ohr grell- laute Töne, Schrei oder Ruf ?, Angst oder Freude Ausdruck verleihend ?, Todesschrei oder der erste Schrei des Menschen, wenn er die Welt erreicht ?
Erstaunt und erschrocken schaut der Knabe auf.

Die blaue Gestalt, das blaue Bild zerspringt in viele, viele Teilchen .......


Thomas Vater erwacht, verwirrt schaut er um sich. Der Zug hat auf freier Strecke gehalten, er ist im ICE, es waren die Bremsen, die den Zug aufgehalten haben und dabei die schrillen, lauten Quietschtöne erzeugten, die den Traum so plötzlich beendeten, den Knaben so erschreckten.
Der Horizont steht still und einige Reisende drängen sich an den Ausgängen und Fenstern, um eventuell den Grund des Zwischenstopps zu erkennen, denn die Durchsage hatten die meisten verpaßt.
Es ist nichts zu sehen und schon nach kurzer Zeit startet der ICE, völlig unromantisch
-im Gegensatz zur alten Dampflok, bei der man beim Starten noch wunderbare Sprüche im Takt des „Husch Husch“ aufsagen konnte –
mit dem ansteigenden Singen der Elektromotoren.
Der Horizont fliegt weiter. Der Zugbegleiter kommt durch die Abteile und erklärt, dem der danach fragt, warum der ICE an dieser Stelle halten musste.
Aber das Interesse ist nur mäßig.



In München angekommen wird Thomas Vater ausgerufen und von einem freundlichen Kollegen mit: „Grüß Gott“ empfangen. Wortwörtlich ein Bayer, aber Thomas Vater kann ihn verstehen und auch das, was er sagt.
Im Auto ging es durch München. Thomas Vater war von der Architektur der Bauten und der Länge der Fahrt beeindruckt. Auch das viele Grün der Parks, an denen sie vorbeifuhren, tat dem Auge wohl.
Das Amt musste wohl sparen. Jedenfalls lag das Quartier weit draußen vor der Stadt in einer Landschaft, deren Faszination goß war, ebenso groß, wie die Faszination der riesigen, weitläufigen Polderwiesen vor seiner Heimatstadt. Im Gegensatz zu diesen Polderwiesen, wurde die Landschaft hier von den Hügeln und Bergen geprägt, dem tiefen Eindruck der Landschaft konnte sich Thomas Vater nicht entziehen. Sein bayrischer Amtsbruder, dessen Name Rudi lautete, was Thomas Vater gänzlich unbayrisch vorkam, stand schweigend neben ihm.

Sie hatten während der Fahrt alles besprochen, was zwei Männer, die sich eben trafen und wie sie feststellten, vom gleiche Dienstrang waren – ja, die Bayern haben schon ein feines Händchen ! - , also Gleichgestellte waren, miteinander zu bereden haben.
Rudi interessierte sich sehr für den „Osten“, wie er mit einem leichten, um Verzeihung bittenden Lächeln, andeutete. Schließlich seien seine Informationsquellen nur die hiesigen Medien und die, inzwischen wohl von den westlichen Kommerz- Menschen beherrschten Fernsehsender aus den neuen Bundesländern.
Thomas Vater hatte schon die Erfahrung gemacht, daß sich mit der zunehmenden Entfernung von der alten DDR auch die Vorstellungen der ehemaligen „Brüder und Schwestern“ im Westen über die Umstände und Bedingungen der neuen Bundesländer immer mehr dem Leben hinter dem eisernen Vorhang näherte, welches bis vor über zehn Jahren gezeichnet wurde.
Rudi machte da eher eine Ausnahme, da er sich offensichtlich für den aktuellen Stand.
Thomas Vater tat sein bestes, neben dem Verarbeiten der visuellen Eindrücke der Fahrt, auch Rudi ein paar Aspekte der jetzigen neuen Bundesländer zu vermitteln. Immer mit dem Gefühl, daß dafür ja auch später noch Zeit sei.
So war es auch.
Das Quartier war ein großes, freundliches Zimmer in einer Pension, die der Vorstellung vom Schwarzwald mehr entgegenkam. Schwarze Holzbalken kontrastierten reizvoll mit den weißen Steinen. Die rund umlaufende Veranda versprach gemütliche Abende, nahe der Natur und nahe dem Zimmer, in das man sich in den nächsten drei Wochen kurzerhand zurück ziehen konnte. Der Blick auf München und die umliegende Natur entschädigte jedoch nur zum Teil dafür, daß Thomas Vater auf Connys Anwesenheit verzichten mußte.
In der Pension regierten mehrere junge Frauen, adrett und sauber angezogen und freundlich.
Rudi war noch bis in das Zimmer mitgekommen um sich dann von Thomas Vater zu verabschieden, mit dem Hinweis, daß er um 7,45 Uhr am nächsten Morgen wiederkehren würde.
Er wohne nur wenige Kilometer entfernt in einem Dorf, im Hause seiner Schwiegereltern und müsse ohnehin jeden Tag hier vorbei kommen.
Endlich allein, sah sich Thomas Vater gründlicher in seiner neuen Behausung um.
Gegenüber dem großen, reich mit Schnitzereien verziertem Doppelbett, stand ein ebenso verzierter, großer Kleiderschrank.
Das Kreuz an der freien, hellen Zimmerwand störte ihn nicht, schließlich können hier ja immer wieder andere Leute wohnen, denen dieses Kreuz mehr bedeute, als ihm.
Kurz den Fernseher eingeschaltet. Für Nachrichten wird ja wohl ein Sender zur Verfügung stehen. Tatsächlich, die Technik ist hier angekommen. Die 200 Sender wird sich Thomas Vater dann doch nicht alle ansehen. Noch während er mit der Fernbedienung spielend, den einen oder anderen Sender einschaltet, greift er zum Telefon. Connys Nummer ist schnell gewählt.
„Tuut –Tuut- Tuut“
Sollte Conny noch nicht zu Hause sein ?
„ Ja“
Thomas Vater kennt die Stimme und dieses Wort, bezeichnend für das erste Treffen mit Conny,
ebenso, fragend, Auskunft erheischend, wer denn wohl da anruft, hoffnungsvoll, es könnte ja Thomas Vater sein, der Mann, den sie liebt.
Dem Gespräch kann ein rationell denkender Mensch nicht folgen, es gilt nur für die Beiden, was sie sagen, welche Worte sie wechseln, bleibt selbst dem heimlichen Lauscher völlig unverständlich oder simpel.

Wattebausch in Blau

Wer immer das Wetter macht, er meinte es mit den Münchnern gut, während es in den neuen Bundesländern regnete. Conny hatte die Nacht traumlos und tief geschlafen. Sie wurde, im Gegensatz zu Thomas Vater, der von einer freundlichen Mädchenstimme, die zuvor an die Zimmertür geklopft hatte, geweckt wurde, von einem lauten Donnerschlag geweckt.
Ein Gewitter am morgen ist wohl eher selten und mit dem Donnerschlag war Conny wach.
Heftiger Regenguß rauschte vor ihrem Fenster und wusch den Schmutz von der Straße, genau so wie von den PKW, die unten auf dem Parkplatz stehen. Durch das geöffnete Fenster drang feucht- frische Luft in ihr Schlafzimmer. Es schien, als ob sie aufgefordert wurde, den Tag zu beginnen.
Etwas versonnen sitzt Conny in ihrem Bett, ihr Negligé- Träger war in der Nacht von ihrer Schulter geglitten und gab den Blick frei, auf den - durchaus noch sehenswerten – Ansatz ihres Busens, ihre Haut markierte deutlich den Beginn einer Gänsehaut.
Mit ihren Gedanken war sie bei Thomas Vater, ihre Schritte richtete sie in das Bad.
Die Gänsehaut war wieder vorbei, Conny frühstückte und ging zum Lehrgang. Nachmittag würde sie wieder am Computer sitzen, im Internet schnüffeln, Nachrichten abholen und versenden.
Gegen 17,30 Uhr wird Thomas Vater wieder in seiner Pension sein, wie er gestern sagte, dann saß sie am Telefon bereit.


Thomas Vater hatte bereits gefrühstückt, als Rudi lärmend und wohl gelaunt in der Pension ankam. Sein „Grüß Gott“ klang wie ein Dankgebet an den alten, weißbärtigen Herrn im Himmel. So schönes Wetter, eigentlich viel zu schade, um es mit arbeiten zu verbringen.
Aber Thomas Vater fühlte sich gut ausgeschlafen und wollte nun mit der Arbeit beginnen.
Beide setzten sich in den alten Mercedes, den Rudi offenbar mit viel Liebe pflegte und fuhr.
Ab ging es zur Dienststelle, die nun für drei Wochen auch Thomas Vaters Arbeitsplatz war.


Onkel Karl hatte das gleiche, schöne Wetter, wie Thomas Vater, was nicht weiter verwunderte.
Ihn aber hatte ein Alptraum aus dem Schlaf gerissen.
Die blaue Knabenstatuette spielt, das passiert ihm jetzt immer öfter, eine wesentliche Rolle. Der Knabe wehrte sich gegen den Griff von Onkel Karls knochiger Hand. Immer wieder entglitt er ihm und entfernte sich jedesmal ein bißchen weiter weg.
In seinem Alptraum war Onkel Karl nicht in der Lage, der Statue zu folgen, seine Füße standen wie fest angeleimt auf der Stelle und der blaue Knabe wich weiter und weiter zurück, ihn schien nicht einmal die Mauer aufzuhalten, vor der er stand. Onkel Karl schaut sich , hilfesuchend und verzweifelt um. Er konnte das Ziel nicht erreichen. Mit Schrecken stellt er fest, daß nicht nur er den Knaben verfolgt, sondern selber von einer dunklen Gestalt verfolgt wird, die sich in gleicher Geschwindigkeit ihm nähert, wie sich der Knabe entfernt. Während die lichtblaue Gestalt weiter und weiter entschwindet, kommt die dunkle Gestalt bedrohlich näher.
Da, sie erreicht Onkel Karl und griff mit einer riesengroßen, grob verarbeiteten, schwieligen Hand nach seiner rechten Schulter. Eisige Kälte scheint von ihr auszugehen.
Der Hand schließt sich. Ein heftiger Schmerz durchzuckt die rechte Schulter, Onkel Karl schreckt auf und greift sich an seine Schulter, die noch immer schmerzt, da Onkel Karl zu lange mit der Schulter auf dem äußeren hölzernen Rand seines Bettes gelegen hatte.
Sanft erreichen Sonnenstrahlen nun sein Gesicht, beruhigend und erwärmend, doch Onkel Karl kann sich dem bedrohlichen Gefühl, mit in sein reales Leben gebracht, aus dem furchtbaren Traum, nicht erwehren. Voller Unbehagen beginnt er mit den gewohnten Handlungen eines älteren Mannes am frühen Morgen.

Nach dem schnellen Frühstück telefoniert Onkel Karl mit der Bank. Die Dinge laufen planmäßig, seine Vertreter arbeiten gut und präzise, sie wollen Karriere machen.
Mit schlurfenden Schritten, gedämpft von den kostbaren Teppichen, geht Onkel Karl in sein Arbeitszimmer.
Er setzt sich an den Computer und schaut versonnen auf das Notebook, welches Conny in Kiew benutzte.
Mit wenigen Handgriffen hat er das Notebook an den Computer angeschlossen und beide Geräte eingeschaltet.

Nach kurzer Zeit ist auch die Datei gefunden, die nicht das Bild der blauen Statuette, sondern diese – für Conny merkwürdige –Landkarte enthält.
Nach dem diese Landkarte den großen Monitor ausfüllt, blicken die grauen Augen von Onkel Karl wieder gewohnt konzentriert. Vom Alptraum ist nichts mehr zu spüren. Onkel Karl arbeitet.
Die Technik beherrscht er, die Karte wird vergrößert und nach markanten Punkten abgesucht. Farben füllen Bereiche aus, Wasser wird blau, Städte gelb-rot, Wälder grün.
Ländergrenzen überflogen, Details geprüft, nebenbei macht sich Onkel Karl Notizen, seine Gelassenheit ist nun doch wieder verflogen, die Suche ist kompliziert, nähert sich aber deutlich dem Ziel.
Immer wieder speichert Onkel Karl den jeweiligen Arbeitsstand ab. Schon mindestens 30 Varianten. Plötzlich glimmt auf dem Monitor, sozusagen im Herzen von Brandenburg, ein gelbes Licht auf.
Onkel Karl wird noch aufmerksamer, ganz langsam zieht er mit der Maus auf der Karte einen Kreis.
Als sich dieser Kreis schließt, wird aus dem Glimmen plötzlich eine Flamme, die von innen nach außen die Abbildung dieser Karte vertilgt.
Der Monitor wird schwarz und während Onkel Karl verblüfft und schon etwas enttäuscht sich aufrichtet, wird ihm klar, daß sein Computer soeben einen Neustart, automatisch und ohne, daß er einen solchen Befehl erteilt hätte, durchführt.
Als das Bild auf dem Monitor wieder Betriebsbereitschaft signalisiert, entdeckt Onkel Karl nichts mehr von der Variante 31, nur die 30 zu letzt gespeicherten Varianten sind noch vorhanden.
Onkel Karl öffnet diese Variante und betrachtet das vor ihm liegende Bild, ein Ausschnitt des Landes Brandenburg, südöstlich von Berlin, Strausberg ist der Ort, der in der Nähe des Punktes liegt, von dem das Vernichten des 31. Versuchs begann.
Der 30. Versuch genügt Onkel Karl, er speichert diese Datei und löscht alle anderen.
Mit dem Fotodrucker druckt er das Bild aus, dann verschwindet die Datei ebenfalls, indem er sie löscht. Nur noch auf dem Notebook sind die Dateien aus Kiew.
Der PC läuft noch, mit dem Onkel Karl gearbeitet hatte, dann tippt Onkel Karl ein: „Format C:“.

**
Die Sekunden hatten eine Hüftlähmung. Jedenfalls schlichen sie in endloser Reihe, wie Ameisen durch den Sirup, dahin. Ohne, daß wirklich die Zeit verging.
Der Dozent hatte seine Lektion offensichtlich auswendig gelernt und genau so, wie er es auswendig gelernt hat, redete er gleichmäßig, ohne Höhen und Tiefen daher.
Welches Thema ?
Fragt bloß nicht !
Politische Bildung für Erwachsene, die zwischen 5 und 25 Jahre lang „ Schulen der sozialistischen Arbeit“ und die monatliche Arbeitsschutzbelehrung überstanden hatten.
Und dann auf eine Art und Weise, die geeignet ist, gekauft zu werden.
Ideale Einschlafhilfe !
Endlich, die zwei vorne sitzenden Leidensgefährten hatten ihren Auftrag kapiert und klatschten laut in den dahinplätschernden Redebach, nach ihrer Uhr war die Stunde beendet. Lustlos brach der Dozent ab und verabschiedete den Kurs, natürlich mit der Drohung verbunden, übermorgen zur nächsten Lektion über zu leiten.
Endlich Schluß.
Schnell verschwand Conny aus dem Bildungsinstitut, welches mit den Mitteln des Arbeitsamtes den Arbeitslosen Wissen vermittelte, mit der Begründung, daß damit ihre Vermittlungschancen in einen neuen Beruf wesentlich erhöht werden würde und – manchmal kommt mir die Vermutung – dem Ziel, auf diesem Wege zu Reichtum zu kommen.

Conny fuhr nach Hause. Das neue Notebook war schnell eingeschaltet, die Verbindung mit dem Internet aufgenommen. Da, eine neue Nachricht von Onkel Karl.
„Bin in vierzehn Tagen in deiner Stadt, dann brauche ich deine Hilfe für ca. 24 Stunden. Danach bist du wieder frei. Deine Reisen bezahle ich weiterhin, auch die Kosten für Handy und Internet. Außerdem besteht Aussicht für dich, in Stuttgard deinen alten Beruf auszuüben. Wenn du willst. Die Firma gehört mir zum großen Teil. Grüße Karl“
Darüber ist nachzudenken.


Mit einiger Spannung wartete Conny auf die zwei bevorstehenden Ereignisse. Während das eine überaus positiv besetzt war, die Rückkehr von Thomas Vater aus München, lag über dem anderen Ereignis das Gefühl der Bedrohung und Gefahr. Auch die Gefahr für den inzwischen gewohnt kostenfreien Umgang mit Informationen, sei es das Handy, sei es das Nutzen des Internets.
Sie hatte irgendwo gelesen, daß eine Suchtgefahr besteht, die Sucht ständig im Internet zu sein, Vielleicht war sie schon süchtig ? Vielleicht konnte sie schon nicht mehr davon lassen ?
Andererseits hatte sie ja Thomas Vater. Der erschien ihr noch immer viel wichtiger !

Conny dachte nach.
Sie mochte die stille Oase, inmitten der Betriebsamkeit.
Im Stadtpark beherrschten Tauben, Spatzen und Meisen den Luftraum. Bäume und Büsche, ja alle Pflanzen sorgten emsig dafür, daß Staub, Schmutz und Lärm der mehrspurigen Stadtstraße gefiltert und reduziert werden. Der Spaziergänger um so mehr Ruhe findet, je mehr er sich er Mitte des Stadtparks nähert, da wo Bänke zum verharren einladen.
Kreuz und Quer führen Wege durch den Stadtpark, auf denen Frauen und Männer mit und ohne Kinderwagen gehen. Etwas eiliger scheint es jene Frau zu haben, die mit der großen Einkaufstasche unterwegs ist, augenscheinlich einen der Einkaufstempel zu erreichen, die im Stadtzentrum versammelt, auf Kunden warten.
Die Bank, auf der Conny nun sitzt, ist neu im Ensemble der Sitzmöbel des Parks. Erkennbar am Zustand, dessen Unversehrtheit darüber Zeugnis ablegt.
Auf den meisten Parkbänken sind die herausgelösten Farbsplitter und die Zeugnisse menschlicher Mitteilungsbedürfnisse deutlich erkennbar. Es handelt sich um bedeutsame Mitteilungen, die da zu lesen sind. z.B. „Ich war hier ! 20.04.1997“ oder „Ich liebe Dich !“, auch tiefenpsychologische Erkenntnisse, ja ganze Lehrsätze verdeutlichen den hohen Bildungsstand im deutschen Volk. „Du bist doof !!“ wäre ein simples Beispiel und „Traue keiner Bank !“ ein Beispiel für lebendig gewordene Lebenserfahrung, letzteren Lehrsatz ausgerechnet auf einer Parkbank zu verkünden, zeugt ja auch von der Doppelsinnigkeit des Verfassers. Der Leser solcher Sprüche wird nahezu aufgefordert darüber nach zu denken, was als Ursache für die Erkenntnis diente ?
War es der Zusammenbruch einer Bank, infolge zu hoher Belastung ?
Oder, der Zusammenbruch einer Bank wegen zu hoher Belastung ?

Conny denkt nach.

Eine ältere Dame, ja sicher schon eine Oma, steht vor Conny und schaut sie fragend an. Conny blickt sie an und weist dann mit der rechten Hand auf den noch freien Platz. Freundlich nickt die Dame, deren Gesicht, umrahmt vom Grau der Haare, eine etwas rote Nase ziert, die vom täglichen Glas Rotwein herrühren könnte.
Schweigend sitzen nun beide auf der neuen Bank, zwischen sich die Handtasche der älteren Dame.
Es bleibt still, beide genießen die Ruhe.
„Früher habe ich hier oft mit meinem Mann gesessen, aber er ist seit zwei Jahren tot.“ beginnt die alte Dame ein Gespräch.
„Oh, das tut mir aber leid.“ echot Conny und überlegt, ob sie sich auf ein Gespräch einlassen sollte. Aber schließlich bejat sie die innere Frage und fährt fort: „War ihr Mann krank ?“
„Ja, er starb an Krebs, nachdem er sich 19 Jahre dagegen gewehrt hatte. Wir waren über 40 Jahre lang verheiratet und Oskar, so heißt mein Mann, war ein sehr liebevoller, starker Mann. Wir haben 3 Kinder, die nun in der ganzen Welt verstreut leben. Kurt in Dresden, Christiane in Stockholm und Werner, das war unser jüngster, will nach Südafrika ziehen. Er lebt mit seiner Frau noch in Berlin, aber die große Stadt gefällt beiden nicht. Werner hat jetzt ein Angebot bekommen für eine Firma – ich weiß gar nicht wie die heißt -, in Südafrika eine neue Niederlassung zu errichten., ich habe schon sieben Enkelkinder, aber was erzähle ich da überhaupt, ich will sie nicht mit meinen Geschichten belästigen.“ endet die alte Dame, wohl erschrocken über ihren eigenen Redefluß.
„Nein, sie belästigen mich gar nicht, ihre Geschichte finde
ich sehr interessant, besuchen denn ihre Kinder sie wenigstens öfters ?“
„Mir reicht es nicht, sie könnten viel öfter herkommen, aber ich kann mich erinnern, daß meine Mutter das auch immer sagte, wenn wir sie damals besuchen kamen. Es scheint das Schicksal der Eltern zu sein, die sich stets sehr unwillig und ungern von ihren Kindern trennen.“
„Bei mir ist das eigentlich anders“, erinnert sich Conny laut.
„Mutter war zwar sauer, als ich und meine Geschwister das Elternhaus verließen, aber wir brauchten uns höchstens zwei Mal im Jahr bei ihr sehen zu lassen, dann hatte sie wieder genug von uns.“
„Das Leben hat ihre Mutter wohl hart gemacht ?“ fragt die alte Dame Conny.
„Ja, Mutter musste alles alleine machen und wir Kinder hatten nur sie. Vater hatte ein Alkoholproblem, unter dem wir alle leiden mußten. Mutter arbeitet für uns , ernährte uns und zog uns groß. Geld fehlte an allen Ecken und Enden. Deshalb hat Mutter ihre Gefühle aufgebraucht. Und das hat sich leider auch auf die Liebe der Geschwister ausgewirkt. Gerade noch mit einer Schwester habe ich Kontakt, der öfter als nur zweimal im Jahr statt findet.“ Connys Worte klingen bitter und die alte Dame neigt ihr das Gesicht zu, als sie mitfühlend sagt:
„Da sind sie wohl sehr traurig ? Aber vielleicht wird es später wieder gut werden. Sie müssen nie die Hoffnung und Geduld verlieren . Bei unseren Kindern fing es in der ersten Zeit auch an, das sie sich immer weniger trafen, bis wir – die Eltern- damit anfingen, sie zu unseren Feiertagen ständig einzuladen, jeden Geburtstag, jeden Hochzeitstag und zusätzlich zu Feiertagen haben wir sie zu uns eingeladen. In der ersten Zeit wollte der eine oder andere nicht kommen, weil es irgendwelche Termine gab, die wichtiger gewesen seien, als unsere Einladung. Na, Oskar und ich haben ganz schnell geklärt, das unsere Einladungen ab sofort die dringendsten Termine unserer Kinder sind. Und das klappt noch heute. Oskar erklärte es allen so, der Verlust von Informationen zwischen den Geschwistern, sorgt dafür, daß immer mehr die eigenen Informationen wichtiger werden, man kümmert sich nur noch um sich. Das aber ist der schwerere Weg, durch das Leben zu kommen. Der Austausch der Probleme mit den Menschen, denen man vollständiger nicht vertrauen kann, führt viel schneller zur Lösung der Probleme, als der eigenständige Versuch, nur in sich selbst, also ganz alleine eine Lösung zu finden.“
Die alte Dame lächelte verlegen und ein bißchen um Verzeihung heischend Conny an.
„ Jetzt machen sie mich aber verlegen. Über ihre Lösung muß ich nachdenken, es scheint tatsächlich ein Weg zu sein, auch meine Familie wieder etwas näher zu bringen.“ Conny war verblüfft, mit welchen einfachen Gedanken diese Familie den Zusammenhalt bewahrt hatte.
Sie bedankte sich noch einmal bei der alten Dame und ging mit schnellen Schritten wieder zu ihrer Wohnung zurück.
Unterwegs klingelt ihr Telefon. Onkel Karl. Was Conny in der übernächsten Woche mache und ob sie für zwei Tage von zu Hause fort bleiben könne.
Conny überlegt, Thomas Vater kommt erst in zwei Wochen wieder zurück, dann stimmt sie zu. Onkel Karl: „In Ordnung, ich melde mich wieder“ und legt dann auf.

Das Gespräch mit Thomas Vater, der sich meldet, als Conny die Wohnung betritt, ist ihr angenehmer. Sie erzählen sich, was am Tage geschah und wie sehr sie sich vermißt haben. Das weitere Gespräch wollen wir verlassen, schließlich ist keines der Worte für uns bestimmt, die Sachverhalte, die sich die beiden erzählen, ohne jede Relevanz für andere.

**

Obwohl sie mehr als zwei Augen hat, und damit eigentlich viel besser sehen können müßte, als jeder Mensch, ja, auch mit ihren acht Augen sah sie die Gestalt nicht auf sich zu kommen, die ihr allein durch das Körpergewicht, das unvermittelt auf ihr lastete, das Leben nahm. Außerdem war sie gerade damit beschäftigt, ihre Beute ordentlich einzuwickeln, um sie später zu sich zu verzehren. Dann, wenn Zeit dafür war und ihr Appetit, den sie gerade gestillt hatte, wieder auf dem Niveau ankommen würde, der sie bewegt hätte, das Paket zu öffnen.
Ja, das kann eigentlich nicht sehr lange mehr dauern, schließlich waren die vielen Löcher im Netz noch zu stopfen, die der vergangene Jagdzug in dem filigranen Bauwerk verursacht hatte. Das verbraucht Energie.
So aber, kam sie nicht mehr dazu die Fliege zu verdauen.
Der Schuh, der sie traf war zwar weich, eine gummiartige Sohle, die so dick war, daß keine Unebenheit des Waldbodens bis zu den Fußgelenken durchdrang, aber dennoch zerquetschte er, ohne es überhaupt zu spüren, jene kleine Spinne, die so erfolgreich bei der Jagt nach Insekten gewesen war.

Die Gestalt, sich dieses Tötens nicht bewußt, bewegte sich weiter durch das Waldgebiet.
Wer ist diese Gestalt ?
Kein Blauschimmer umspielt ihre Konturen, ohne fahlblaues Leuchten um die Stirn, tritt diese Gestalt durch das Dickicht.

Die Richtung des Weges kontrolliert der Blick auf einen alten Kompaß, dessen Nadel infolge der Magnetisierung ständig Norden weist.
Zusätzlich geht der Blick dieser, eher grauen Gestalt, auf ein Handydisplay. Dort stehen Zahlen, die dem Kundigen verraten, daß es Koordinaten sind. Punkte, die eine Stelle in der Landschaft bezeichnen.

Dem Mann ist nicht warm, obwohl Hochsommer herrscht, sind keine Schweißtropfen auf seiner Stirn erkennbar. Das ist auch kein Wunder, denn Onkel Karl läuft erst seit etwa 10 Minuten durch den Wald.
Sein großer, schwarzer Wagen steht in einiger Entfernung, am Waldrand, zwischen zwei Büschen, wie zufällig getarnt vor den Blicken, die ein zufälliger Wanderer auf dieses Auto werfen könnte.
Er ist allein unterwegs. Außer Conny weiß es niemand, daß er sich in dieser Gegend aufhält.
In seinem Rucksack befindet sich ein kleiner Klappspaten, der schon seit Jahren im Keller seines Hauses in München gewartet hatte sowie eine leistungsfähige Taschenlampe. Für die Statue hat Onkel Karl einen stabilen, luft- und strahlendichten Behälter eingepackt, der aus dem medizinischen Labor seiner Firma stammt. Eigentlich dafür bestimmt Material zu transportieren, das schwach radioaktiv ist, erfüllt er heute alle Zwecke, die für Onkel Karl heute so wichtig sind.

Der Himmel hat sich inzwischen bewölkt. Kein Sonnenstrahl dringt mehr in den Wald, dessen Dunkel durch das Graugrün bestimmt wird, welches ihm die Pflanzen verleihen, wenn die Sonne nicht mehr direkt scheint.

Die Tiere des Waldes haben längst registriert, daß wieder ein fremdes Wesen ihr Gebiet betreten hat. Dank des hellen Schreis des Eichelhähers hat selbst der dümmste Vogel begriffen, hier ist etwas im Wald, was nicht dahin gehört. Dem entsprechend, hat sich der Hase in seiner Sasse ganz klein gemacht, die Vögel, deren Nester auf den Bäumen oder auch im Busch erbaut wurden, ducken sich, jedenfalls die Jungtiere, die auch gleich ihre gierigen Rufe nach mehr Futter eingestellt haben, während sich die Eltern dieser Vögel geschickt so bewegen, daß zwischen ihnen und der Gestalt, die im Wald so fremd ist, immer mindestens ein Baustamm ist.
Aufmerksame Augen verfolgen Onkel Karl, der auch davon nichts ahnt, denn für ihn wären nur menschliche Augen wichtig, die ihn beobachten würden. Aber ein Mensch ist nicht in der Nähe.
Aufmerksam gleitet sein Blick über die umstehenden Bäume, hin wieder ein vergleichender Blick auf den Kompaß und auf die Koordinaten, die das Handydisplay anzeigt.
Hier muß es sein.

Jetzt den Eingang finden.

Die, kaum erkennbare kleine Lichtung inmitten des Waldstücks kannten eigentlich nur die Ranger, die das Totalreservat durchstreiften. Dichte Schleenbüsche standen im Zentrum der Lichtung.
Große Buchen waren ringsum gewachsen und begrenzten die Lichtung nach allen Seiten.

Onkel Karl schnallte den Rucksack ab und entnahm ihm den Klappspaten, sorgfältig verstaute er den Kompaß und steckte das Handy in seine Gürteltasche.
Mit der scharfen Kante des Spatens bahnte er sich einen Weg durch die Schleenbüsche. Genau in der Mitte der Lichtung grub er die Wurzeln einiger Büsche aus und schaffte sich damit Platz für sein weiteres Vorgehen.
Ohne Zögern stieß er jetzt seinen Spaten in den Boden und schon in wenigen Zentimetern Tiefe, klang es dumpf, als der Spaten auf ein hölzernes Hindernis traf. Schnell verbreiterte er die Öffnung, zuerst mit dem Spaten, dann mit den Händen.
Ringsum standen die Schleenbüsche und verbargen ihn nun auch für den, der hier vorbeikommen würde.
Seinen Hände faßten zu. Sie zogen, Onkel Karl ächzte, es ging wohl doch schwer, einen Deckel , wie erwartet, aus Holz hob er an und legte ihn seitlich ab.
Aus dem dunklen Loch, das sich vor Onkel Karl öffnete, stieg ein modrig, erdiger Geruch.
Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und schien diesen Geruch noch zu verstärken.
Onkel Karl nahm die Taschenlampe aus dem Rucksack, leuchtete in das Erdloch, nahm den Spaten in die andere Hand und prüfte die herabführenden Stufen.
Langsam verschwand seine Gestalt im Erdloch, Schritt für Schritt, vorsichtig mit den Füßen tastend, stieg Onkel Karl die Stufen hinunter. Mit der Taschenlampe leuchtend, konnte er die Wurzeln erkennen, die inzwischen von den Bäumen hier hinab getrieben wurden und er konnte die huschenden Schatten der Nagetiere verfolgen, die wieder aus dem Licht flüchtend, das Dunkel am Rande suchten, wie damals, als mehrere Personen den Gang entlang schlichen.
Im Strahl der Taschenlampe erkennt Onkel Karl auch die Emailleschilder, deren Wortlaut ihm noch vertraut war. „Vorsicht, Feind hört mit !“ gehört ebenso dazu wie „Luftschutzbunker, befolgt die Anweisungen des Luftschutzwartes!“. Wobei Onkel Karl den Wortlaut mehr erahnte, als erkannte, denn auch in dieser Dunkelheit hatten Spinnentiere in zahllosen Generationen mit ihren Netzen und den Resten der Insekten, die sich darin gefangen hatten, die Schrifttafeln verdeckt, und Onkel Karl hatte kein Interesse daran, diesen Schmutz zu beseitigen, um sicherer zu sein, was den Wortlaut der Tafeln anbetraf.
Nach ca. 15 Metern traf er auf eine weitere Öffnung im Boden des Ganges, die in sichtlich mehr interessierte. Nicht nur wegen der deutlich menschlichen Knochenreste, die an der Seite der Öffnung lagen, der Leichnam lag am Boden, eine Hand schien den Körper noch immer vor einem Sturz auf den Boden bewahren zu wollen, während die andere noch zu eigenen, völlig fleischlosen Hals greifen wollte.
Irritiert sah Onkel Karl auf die vielen kleineren Skelette, die – wie auf dem Wege zum menschlichen Skelett marschierend – unterwegs liegen geblieben waren.
Die Nagetiere hatte der Tod auf ihrem Weg ereilt.

Er wandte sich der Öffnung im Gangboden zu.

Die schmale Stiege schien gut erhalten, ohne sichtbare Beschädigung. Im Leuchtkreis der Taschenlampe erkannte Onkel Karl, daß er diese Stiege ohne Gefahr hinab steigen konnte.
Kurz entschlossen sah er sich um und leuchtete noch einmal in den Gang, der ihn an diese Stelle führte.
Er war alleine.
Die Stiege knarrte etwas, alle Stufen hielten und Onkel Karl erreichte den Boden der kleinen Kammer.
Der Strahl seiner Taschenlampe enthüllte die menschlichen Überreste aus der Vergangenheit, die Onkel Karl ohne sichtbare Bewegung zur Kenntnis nahm.
Mit einem Schritt trat er darüber hinweg und näherte sich dem rückwärtigen Teil der Kammer, die er zuvor noch einmal sorgfältig ableuchtete.
Als sich seine Aufmerksamkeit auf die Rückwand richtete, er überlegte gerade, wie er ohne kompliziertes Abklopfen der Wand, jenen Wandtresor finden würde, der das Ziel seiner Bemühungen beherbergt, ertönte ein lautes Klingelzeichen.
Verdammt, nur mühsam unterdrückt Onkel Karl seinen Schreck, seine Überraschung und seine Wut über sich selbst, das Handy nicht auf Vibrationsalarm umgestellt zu haben. In der Grube hat ihn das Klingeln überrascht, vor allem mit dem dumpfen Widerklang, der ihn von allen vier Seiten in der Grube plötzlich umgab.
Er meldet sich.
„Hier läuft irgend so ein Typ herum“ ertönt Connys Stimme. „Grüne Jacke und Hose, aber keine Flinte, sonst würde ich sagen, es ist ein Jäger, er geht geradewegs in deine Richtung.“.
„OK, ich weiß Bescheid.“
Onkel Karl beendet das kurze Gespräch und überlegt, ob ein zufällig vorbei gehender Rancher irgend etwas bemerken könne und verneint dann für sich die Frage.
Konzentriert wendet er sich wieder seinem Ziel zu. Die hintere Wand beherbergt einen Tresor, dessen Umrisse beim Nähertreten deutlicher werden.
Neben dem Tresor, in unmittelbarer Nähe der rechten Seite befindet sich eine Schaltuhr ?
Onkel Karl hat genau damit gerechnet und dreht sorgfältig mehrmals in verschiedene Richtungen, dann greift er mit der linken behandschuhten Hand an die Tresortür, die sich langsam öffnen läßt. Laut knarren die Scharniere. Unheimlich blaues Licht glimmt langsam auf, die Tresoröffnung gleichsam von innen beleuchtend, jedoch nur in geringer Intensität.
Onkel Karl schaut aufmerksam in die Öffnung des Tresors, ohne sich mit dem Kopf direkt davor zu befinden. Richtig, mit einem pfeifenden Ton schwirrt plötzlich ein dunkelblauer Pfeil aus dem Tresor und bleibt zitternd im Holz einer Stiegenstufe stecken. Onkel Karl nickt, wie zur Bestätigung,
das hatte er wohl erwartet.
Mit einem eisernen Kuhfuß, der in der Tasche am rechten Hosenbein verborgen war, scharrt er in der Tresoröffnung. Ein zweites Schwirren, der zweite dunkelblaue Pfeil schießt heraus, um ebenso wirkungslos neben dem ersten Pfeil im Holz stecken zu bleiben, denn auch mit diesem Pfeil hatte Onkel Karl gerechnet und rechtzeitig den Kopf zur Seite genommen.
Nun greift der Kuhfuss die Statue an. Von der Seite schiebt Onkel Karl die Statue mehr und mehr in Richtung auf die Tresoröffnung zu, klirrend fällt der Kuhfuss zu Boden und die behandschuhte Hand greift zu.
Eingehüllt in mehrere Lagen Ölpapier wird die Statue sichtbar, die nun in der Hand liegt. Onkel Karl greift mit der anderen Hand in den Rucksack, um jenes Behältnis zu entnehmen, das nun zweckentfremdet, aber wohl wirksam, der Statue als neue Behausung dienen soll. Er öffnet den Behälter, senkt die Statue hinein und verschließt ihn aufatmend um ihn dann im Rucksack zu verstauen. Auch der Kuhfuss findet dort seinen Platz, dann verlässt Onkel Karl den, ihm nun doch unheimlich erscheinenden Ort.
Erst an der Stiege wird ihm sein Stimmungswechsel klar. Erstaunt registriert er , daß ihn nicht die Freude, obwohl durchaus vorhanden, über seinen neuen, lag ersehnten Besitz beherrscht, sondern eine ständig intensiver werdende Befürchtung vor nicht vorhersehbaren Ereignissen. Hatte ihn zuvor das Gefühl beherrscht, die Statue unbedingt und unter allen Umständen in Besitz zu nehmen, hätte sich doch nun die Freude, endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt zu sein, einstellen müssen, statt dessen Zweifel und beginnende Furcht.
Seine Augen sehen sich um. Noch ist die Stiege nicht erreicht. Die Finsternis scheint, trotz der angeschalteten Taschenlampe, dunkler zu werden.
Da, bewegen sich die Skelette ? Nein, die kleinen Schatten der Nager sind es, die diese Bewegung vortäuschen, sie verschwinden, fast schon gewohnt für den Leser dieser Zeilen, am Rande des Lampenlichtes, von der Helligkeit in die Dunkelheit am Rande.
Onkel Karl atmet tief durch. „Beruhige dich, alter Trottel !“ fordert er sich in Gedanken auf, hier ist alles natürlich.
Kein Mensch ist informiert, keinen Fehler gab es in seinen Berechnungen.
Seine Hand greift an die Stiege, vorbei an dem Skelett, steigt er wieder aus der unteren Kammer. Noch einmal betrachtet er beide dunkelblauen Pfeile, die noch in der Holzstufe der Stiege stecken, über die er dann aufsteigen wird. Da, wo die Pfeile mit ihren Spitzen in das Holz eingedrungen sind, erkennt er im Lampenstrahl die Verfärbung des Holzes von modrig-braun nach modrig – blau. Er hütet sich, ohne zu wissen, um welche Substanz es sich hier handelt, diese Stellen zu berühren.
Es ist sein Wissen um die Toten, die nicht nur seinen Weg säumen, auf der Suche nach der Statue vergingen ungezählte Menschenleben und von einem großen Teil, so hatte Onkel Karl gelesen und gehört, konnte nicht gesagt werden, welche Todesursache genau vorgelegen hatte.
Er erreicht den oberen Gang. Mit jedem Schritt, den er sich vom Tresor entfernt hat, wuchs neben dem Zweifel die Sicherheit, den wichtigsten Teil der selbst gestellten Aufgabe erfüllt zu haben und dennoch wurde auch dieses Gefühl der unbestimmten Bedrohung, irrational und absurd, wie sein Verstand ihm immer wieder sagte, deutlicher und stärker.
Er hielt noch einmal an. Auf dem Gang war nichts zu hören und er wollte eigentlich nur noch einmal all das Wissen rekapitulieren, jene Fallen , die bisher bekannt geworden sind, hatte er gemeistert,
es konnte doch keine neue Falle mehr geben ?!
„ Plitsch, plitsch“, ein leises Tropfengeräusch dringt an sein Ohr. Mit den Augen sucht er die Quelle diesen Geräusches, den Strahl seiner Taschenlampe auf dessen Wanderung begleitend. Die Richtung ist nicht zu deuten, von allen Seiten scheint das Geräusch zu kommen, dessen Intensität sich immer mehr verstärkt. Erst jetzt wird Onkel Karl wieder bewußt, wie sehr die Dunkelheit sich vertieft hat. Sie scheint fast körperlich zu werden, anfaßbar bedrohlich.
Sein Blick gleitet nun über den Boden des Ganges. Kleine Rinnsale haben sich gebildet, in glitzernden, dünne Äderchen dringt Feuchtigkeit über den Gangboden vor. Verdutzt lenkt Onkel Karl den Lichtstrahl an den Ort der Entstehung der Rinnsale. Er ist nicht zu lokalisieren.
Von allen Seiten scheinen die Rinnsale nun auf Onkel Karl zu zufließen. Haben sie sich geteilt ? Werden die Rinnsale größer ? Woher, verdammt noch einmal, kommen sie ?
Das „ Plitsch, plitsch“ wird deutlicher.
Onkel Karls Füße spüren, daß der Boden, auf dem sie gehen schlüpfriger wird.
Ja, es wird nasser. Die Rinnsale haben sich verbreitert und wo jetzt sein Fuß hintritt, weicht der Boden auf, der Fuß mit dem Schuh und der dicken Gummisohle dringt tiefer in die Oberfläche ein. Onkel Karl versucht den Schritt zu beschleunigen. Nur weg von hier, raus , hoch in den Wald.
Noch versucht er die Quelle der Rinnsale zu finden, die jetzt breiter geworden, immer mehr von der Flüssigkeit heranführen, noch immer scheint Onkel Karl das Zentrum der Rinnsale zu sein.
Noch tiefer sacken seine Füße beim Voranschreiten in den Boden ein.
Onkel Karl sieht es nun ganz deutlich. Ohne die Taschenlampe in die Richtung zu schwenken, kann er allmählich die Gangwände erkennen. Ein blauer Widerschein erhellt, sich sanft verstärkend, den Ort, an dem Onkel Karl um Fassung ringend, gleichzeitig versucht, nur schnell voranzukommen, weg von dem inzwischen unheimlichen Ort, hinaus aus dem Gang, hinauf auf die so vertraute, sichere Erdoberfläche.
Lauter ertönt das Wasser, Bäche scheinen sich auf Onkel Karl zu zu bewegen.
Heller wird das blaue Leuchten.
Onkel Karls Augen suchen, nun schon deutlich irrlichternd, die Stufen, auf denen er den Gang hoffte, zu verlassen.
Er dreht sich nicht um. Er weiß zu genau, woher das blaue Leuchten kommt. Er trägt es auf seinem Rücken. Der Behälter, der die Menschen vor Radioaktivität schützt, hält jene geheimnisvollen Strahlen der Statue nicht zurück.
Während Onkel Karl mit den Füßen nun schon im tieferen Wasser watet, Wasser, das ihm am Vorankommen hindert, öffnen sich weitere Schleusen. Lautes Schwallen ertönt, wie von einer großen Welle, so jedenfalls manifestiert sich in seinem Gehirn das Geräusch mit der in seinem Gehirn lagernden Erfahrung. „Das kann nicht sein !“ – schreit sein Gehirn auf, während seine Hände sich bereits nach vorne bewegen, als ob sich sein Körper auf das Schwimmen im Wasser vorbereiten würde.
„Wo ist die Treppe ?“, fragt er sich laut, wohl wissend , das keiner seine Frage beantworten kann, das sich keiner am lauten Selbstgespräch stören kann. Er ist ja alleine.
Alleine ?
„Reiß dich zusammen.“ Mannhaft versucht das Rationale seines Gehirns gegen alles, was nicht logisch erklärbar ist, an zu kämpfen.
Reales und Unreales wird gemischt. Während er sich immer wieder sagt, daß die Treppe gleich kommen muß, der Gang im Wald liegt und daher keine Wassermassen hervorbringen kann, bereitet sich sein Körper darauf vor, dem Ansteigen der Fluten, die inzwischen hüfthoch im Gang fließen, zu begegnen.
Die obere Hälfte des Ganges wird immer deutlicher blau erleuchtet. Die Taschenlampe hat er längst verloren, der Gang verliert seine Konturen, er scheint breiter und breiter zu werden.
„Was kommt jetzt ?“ – die Frage brennt in Onkel Karl, während sich ihm inzwischen eine breite Flut entgegen stemmt. Rhythmisch bewegen Wellen das Wasser, jede siebente Welle ist höher, als die vorhergehenden.
„Auch nicht real !“ geißeln seine Gedanken aus dem rationellen Bereich seine Empfindung. Aber sein Ohr erreicht nun auch ein wohlvertrautes Rauschen, wohlvertraut von seinen zahllosen Aufenthalten an der Ostsee, eine Kindheitserinnerung, am Nordseestrand, an all den Stränden dieser Welt, wo die immer größer werdenden Wellen, den Strand erreichen, dort auslaufen, sich zurück ziehen, um mit größerer Kraft, in höherer Höhe aufgetürmt, wieder ein Stück Strand in das Meer entführend.
Onkel Karl wird erleichtert.
Das Gewicht des Rucksacks auf seinem Rücken hat sich deutlich verringert.
Mit einem Schreck fährt Onkel Karl herum. Hinter ihm schwebt die Statue. Ernst blicken ihn die Knabenaugen an. Besonders sein Kopf wird vom blauen Hell erleuchtet. Versonnen, ja fast liebevoll senkt der Knabe den Blick, dann schüttelt er verneinend den Kopf. Sein Mund öffnet sich. Er spricht zu Onkel Karl. Nicht laut, aber deutlich erreichen seine Worte das Gehirn von Onkel Karl. Ja, drinnen ertönt die Stimme, nicht über die Ohren erreichend die Worte Onkel Karl.
„Du nicht !“
Onkel Karl war nicht in der Lage, der Statue zu folgen, seine Füße standen wie fest angeleimt auf der Stelle und der blaue Knabe wich weiter und weiter zurück, ihn schien nicht einmal die Wände aufzuhalten. Onkel Karl schaut sich , hilfesuchend und verzweifelt um. Er konnte das Ziel nicht erreichen. Mit Schrecken stellt er fest, daß nicht nur er den Knaben verfolgt, sondern selber von einer dunklen Gestalt verfolgt wird, die sich in gleicher Geschwindigkeit ihm nähert, wie sich der Knabe entfernt. Während die lichtblaue Gestalt weiter und weiter entschwindet, kommt die dunkle Gestalt bedrohlich näher.
Da, sie erreicht Onkel Karl und griff mit einer riesengroßen, grob verarbeiteten, schwieligen Hand nach seiner rechten Schulter. Eisige Kälte scheint von ihr auszugehen.
Der Hand schließt sich.
Eine Welle schlägt über Onkel Karl zusammen. Sein Körper erschlafft, bevor sein Gehirn begreift.




**





„ Wissen Sie wem dieser Wagen hier gehört ?“

Eine freundliche, männliche Gestalt in grüner Bekleidung tritt auf Conny zu.
Conny bekommt einen kleinen Schreck. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß der Typ, von dem sie Onkel Karl erzählt hatte, wieder zurück gekommen ist. „Nein, ich weiß es nicht.“ Kommt ihre Antwort, etwas unsicher.
Einen guten Tag wünschend, verläßt sie der Ranger.
Conny blickt nachdenklich auf ihre Uhr. Onkel Karl ist nun schon fast 6 Stunden im Wald verschwunden. Anrufen mochte sie noch immer nicht, zu merkwürdig kurz war die Reaktion von Onkel Karl beim letzten Mal.

Sie beschließt noch eine Stunde zu warten und dann noch einmal das Handy zu benutzen.

Langsam zieht der Sommerabend auf.
Conny hat heute schon etwas früher Thomas Vater angerufen, er sollte nicht merken, daß sie gar nicht zu Hause ist, daher kam sie seinem Anruf zuvor.
Thomas Vater erzählt, nach den fast obligatorischen Bezeugungen zweier Liebender, die für den Moment getrennt wurden, von Rudi, seinem bayrischen Kollegen. Ein freundlicher und temperamentvoller Bayer, dessen Anwesenheit und Tips Thomas Vater das Arbeiten unter bayrischen Beamtenbedingungen wesentlich erleichtert hatte. Rudi hat mit seiner freundlichen Art Thomas Vater geholfen, sich in dem Geflecht der Beziehungen der bayrischen Amtsstube zurecht zu finden. Die Kollegen dort, haben Thomas Vater neben dem Bonus des östlichen Beamten einen weiteren Bonus eingeräumt, denn Thomas Vater hat seine Sachkenntnis bereits nachgewiesen. Sein Talent, sich in allen Nationalitäten mittels Englisch, Deutsch, Radebrechen in der jeweiligen Sprache, mit den Armen, Händen, der Grimassen und Bewegungen des gesamten Körpers den Asyslbewerbern verständlich zu machen, hat seinen Bonus ebenso verstärkt, wie sein Talent Aufgeregtheit aller Beteiligten in ruhige, sachliche Ströme zu lenken.
In zwei Tagen ist Wochenende, dann sehen sich die beiden wieder.

Die Stunde ist vorbei.
Conny hat noch einmal auf die Uhr geschaut und dann das Handy benutzt, um Onkel Karl zu erreichen. Der Ruf geht hinaus, aber Onkel Karl geht nicht ans Telefon. Eine freundliche Frauenstimme ertönt. Die Mailbox. Conny legt wieder auf.

Einige Schritte geht sie in den Wald, in dem Onkel Karl verschwunden ist.
Sie ruft :“Onkel Karl ?!“
„Hrräää“ antwortet der Eichelhäher, der für Conny zuständig, sofort alle Waldbewohner warnt.
Keine weitere Antwort.

Conny dreht sich um und geht nachdenklich langsam wieder zurück. Von hinten erreicht sie, ohne daß sie es spürt ein blauer Hauch, vorsichtig und leise in ihren Körper diffundierend.

Mit einem Ruck löst sich Conny aus der ihr von Onkel Karl übertragenen Verantwortung.
Sie geht.
Zurück zum Fiesta und fährt zurück in ihre Wohnung.

Wie mit einem weichen Radiergummi radiert, verschwindet das Notebook, das Handy und alles Wissen um Onkel Karl aus ihrem Gedächtnis.

War es der Flugplatz in Eggersdorf, den sie gerade besucht hatte oder hat sie Willi auf seinem klitzekleinen Flugplatz besucht ?
Ohne genaueres wissen zu wollen, erfüllt Conny zu Hause ein freundliches Gefühl.
Thomas Vater wird übermorgen wieder bei ihr sein...





Nachwort 1

Eigentlich schade, daß ich Thomas Vater bereits zu Beginn habe sterben lassen. Er hat es doch ebenso wie Conny verdient, einige schöne Jahre zu erleben. Vielleicht machen die beiden sogar noch tolle Reisen und vielleicht schafft sich Willi noch ein Flugzeug an, wo er beide zusammen, wo auch immer, hinbringen kann.
Oder, vielleicht lernt Thomas Vater bei Willi noch das Fliegen und gleitet mit Conny zusammen hoch über der Uckermark, dem Oderbruch, jener Landschaft im Osten Deutschlands, die genau solche bodenständigen Menschen hervorbringt, wie sie in Mecklenburg- Vorpommern, Schleswig- Holstein oder Bayern zu finden sind. Oder auch dazwischen.


Ich mache Ihnen einen Vorschlag.

Wir lassen ihn leben !


































Aber ..., wir können das doch nicht so einfach machen ?!
Außerdem war doch da noch die Rose, die Thomas fand, als er die Wohnung von seinem Vater übernahm ?
Spätere Untersuchungen ergaben, daß der Stiel dieser Rose völlig ausgehöhlt war. Na ja, bei einer künstlichen Rose ist das durchaus möglich, ohne daß sich dieser hohle Zustand am Aussehen der Rose erkennen läßt. Aber dieser Stiel war nicht nur hohl. Während sich am unteren Ende des Stiels ein kleines Batteriefach und eine ebenso kleine elektrische Pumpe befand, war der darüber liegende Hohlraum geeignet, eine Flüssigkeit aufzunehmen.
Inmitten der Rosenblüte aber waren kleinste Öffnungen verborgen, über die die Flüssigkeit in die Umgebung verteilt werden konnte. Der Schalter der Pumpe war ein kleiner Funkempfänger, die Pumpe begann also zu arbeiten, wenn ein entsprechender Funkimpuls eintraf. Die Pumpe erhöhte dramatisch den Druck in dem Flüssigkeitsbehälter, die Flüssigkeit trat über die kleinen Düsen in der Blüte aus, sie wurde in der Umgebung versprüht und Lebewesen, die sich im gleichen Zimmer befanden, wie die Rose, mußten, wenn sie atmeten, zwangsläufig Teile der Flüssigkeit einatmen.
Solange diese Flüssigkeit nahrhaft war, brauchten sie danach nichts mehr zu essen, wenn es aber eine giftige Flüssigkeit war, die als kleine Aerosole verteilt, eingeatmet wurden, dann kam es nur noch auf die Konzentration des Giftes an und die Lebewesen hörten auf Lebewesen zu sein.

Die Kriminaltechniker hatten es nur per Zufall entdeckt. Schließlich kam der Tod für Thomas Vater plötzlich, ohne jedes Vorzeichen und der Arzt, der als erster hinzu gerufen wurde, hatte einen Verdacht, de alleine darauf beruhte, daß nicht, aber auch gar nichts erkennen ließ, aus welchem Grunde Thomas Vater einfach so sterben sollte.
Der Herzstillstand war nicht begründet ! Und für den plötzlichen Kinds - Tod war Thomas Vater einfach zu alt.
Also begannen die kriminaltechnischen Routinen. Alles wurde fotografiert, registriert und analysiert. Fingerspuren wurden von allen Gegenständen, den Büchern und Blumentöpfen, dem Regal, den Tassen und Möbeln gesucht, gefunden, verglichen und zugeordnet.
Da waren Fingerspuren, natürlich von Thomas Vater, aber er kam ja wohl nicht in frage für einen Anschlag, da waren Connys Fingerspuren, aber sie hatten sich ja soo geliebt, also sie auch nicht.
Die Fingerspuren der Kinder waren logischer weise auch zu finden, aber sie hatten wohl kein Motiv, denn eine außergewöhnliche Motivation stellte sein Erbe nicht dar.
Einige Fingerabdrücke konnten nicht zugeordnet werden.
Genauer gesagt, die Fingerabdrücke einer Person.
Mit dem Gas- Spektrometer konnten Spuren von Knoblauch erkannt werden sowie weitere Geruchsspuren, die ein 24 Kriminaltechniker aus eigenem Wissen nicht zuordnen konnte.
Aber der alte Abteilungsleiter kannte den Geruch noch, Machorka hieß der Tabak, den sein Chef in den Zeiten zu rauchen pflegte, als die Russen noch in ihren Kasernengeschäften „Magazin“ damit handelten. Mehr aber, war über diese Fingerabdrücke nicht auszusagen, außer, daß es männliche waren, also eine männliche Person in dem Zimmer war, indem Thomas Vater aufgefunden wurde.
Das Rätselraten hatte bereits begonnen.

Wir haben Glück, denn von den Kriminalisten hatte noch keiner dieses Buch, ich meine das in dem Sie gerade lesen,
nur wir kennen Herrn Schmidt, den Filialleiter der Bank von Onkel Karl in Kiew.


Onkel Karl hatte, nach seinem Besuch in Kiew München wieder erreicht und am nächsten Morgen, so gegen 11,00 Uhr „Audienz“ gehalten. Seine jungen, dynamischen Mitarbeiter hatte, wie immer, zu seiner vollen Zufriedenheit gearbeitet, was seiner Rotationsmethode zu verdanken war.
Diese Methode ließ die jungen Mitarbeiter für zwei Jahre in höchster münchener Position, natürlich noch immer unter Onkel Karl, arbeiten, um sie dann, wenn sie sich dort bewährt hatten, in andere Filialen zu versetzen, stets zwei oder drei Stufen unterhalb der höchsten Position, so daß ein stetes Streben nach oben, die natürliche Folge war.
Kein Chef einer Filiale blieb länger als 2 Jahre in seiner aktuellen Stellung.
Wer funktionierte kam weiter, wer nicht wurde weit unterhalb der wichtigsten Posten bereits ausgesondert.
Nach den Bankgeschäften, den erkannten Entwicklungen und den entsprechenden Schlußfolgerungen, der Kontrolle bisheriger Festlegungen und der Formulierung neuer Festlegungen, verabschiedete Onkel Karl die Bankmenschen in ihre Tagesaufgaben.
Er kam nun zu den Geschäften, die er als seine wichtigeren bezeichnete. Dazu gehörte auch die Lobbyarbeit. Lobby, das war die Gruppe von Politikern, die in irgendeiner Art und Weise immer wieder seine Bankgeschäfte kreuzen konnte. So unterhielt er an sehr langer Leine Mitarbeiter und Funktionäre in den Verwaltungseinrichtungen. Er hatte sich auch hier zum Prinzip gemacht, keine Ebene zu überspringen, sondern in allen seine „Finger“ stecken zu lassen. Vor allem sein Wirken in den Ämtern der unteren Ebene, lokal beginnend, dann auf Landkreise, Länder und Bund ausweitend, hatte ihm schon so manche Fehlentscheidung bewahrt.
So fiel ihm an diesem Morgen eine Kurzinformation in die Hände, daß in einem bayrischen Amt ein ostdeutscher Beamter zur Hilfeleistung eingearbeitet wurde.
Stutzig ließ ihn lediglich der Ortsname werden .... War das nicht der Ort in dem Conny wohnt ?
Onkel Karl telefonierte. „Ja, der Mann ist gut, er ist sowohl fach- wie auch sachkundig.“ Die Auskunft beruhigte Onkel Karl nicht. Eher war das Gegenteil der Fall. Ein Rudi sagte ihm, in welcher Pension der ostdeutsche Beamte wohnt.
Ein paar weitere Verbindungen klären, daß der ostdeutsche Beamte jeden Tag einmal von der Pension aus telefoniert, jedes Telefonat dauert mindestens 20 Minuten und das es stets die gleiche Telefonnummer, die von ihm angerufen wird.
Onkel Karl entscheidet für sich, daß dieses Problem wichtig ist und beauftragt eine seiner Detekteien mit der Beobachtung von Onkel Karl.
Von nun an, liegt alle drei Stunden eine kurze Nachricht auf seinem Faxgerät.

Thomas Vater wird morgens von Rudi abgeholt und abends wieder in seine Pension gebracht. Die Zeit dazwischen verbringt er auf absolut dienstlichen Wegen. Diese führen ihn zu zahllosen Gesprächen mit den Asylbewerbern, dem Münchener Flugplatz, den Amtsbrüdern, die mit den sozialen Angelegenheiten, Wohnungen und Geld ebenso zu tun haben, wie mit der Ausbildung und Schule.
Er scheint beliebt zu sein.
Nur wenige, seiner bayrischen Amtsbrüder begegnen dem Ostdeutschen nur korrekt dienstlich, eher scheint es so, als ob sich die meisten bemühen, besonders schnell und hilfsbereit zu sein.
Eine Erfahrung, die offenbar nur wenige der alleine auf die Suche nach Asyl gegangenen ausländischen Mitbürger machen. Ja, selbst Leute aus Bayern erwarten in den Amtsstuben maximal und nur sachliche Kompetenz, verbunden mit dem Entgegenkommen einer gut funktionierenden Maschine, deren Programmablauf minutiös geplant und verfolgt wird.
Es beginnt , wie inzwischen überallamtlich, mit dem Ziehen einer Nummernkarte von der Rolle, gleich rechts neben der Tür, hinter der der zuständige Buchstabe des Nachnamens durch einen Bearbeiter personifiziert ist. Erst das Erscheinen der gleichen Nummer, die gerade gezogen wurde, auf dem großen Display über oder neben der Tür, berechtigt zu dem Zugang. Man wartet, mehr oder weniger geduldig, auf einer hölzernen Bank oder Stühlen, meist gemeinsam mit anderen Leuten sich langweilend, die anderen beobachtend und immer wieder aufblickend, zu dem Nummerndisplay, wenn dieser komische Gong ertönt, der den Rhythmus anzeigt, die Geschwindigkeit und den Puls, der das Tempo des betreffenden Amtes zeichnet.
Aber das interessiert Onkel Karl nicht, er hatte diese Wege nie gehen müssen, solcherartige Angelegenheiten hatten stets andere für ihn erledigt. Alles, was er als Mensch von Behörden und Ämtern benötigte, soufflierten ihm entsprechende Chefs der Behörden, die ihm stets das Resultat ihres Wissens in Form des entsprechenden Eintrags, Dokuments oder was auch immer, übergaben, ohne, daß Onkel Karl eine Nummer ziehen musste.
Ihn interessierte nur, mit wem Thomas Vater Kontakt hatte und welche Themenkreise berührt wurden, um diese Themenkreise mit seinen Wirkungskreisen zu vergleichen und eventuell gefährliche Annäherungen der Themenkreise mit den Wirkungskreisen zu erkennen, deren mögliche Entwicklung zu berechnen und zu bewerten.

„Zielperson erscheint um 13,30 Uhr bei Amtsleiter Scholz. Thema: Eingliederung Asylverfahren Ghana Bayern. 5 Bewerber betreffend. Dauer: 14,15 Uhr. Ergebnis: 3 Bewerber in Asylverfahren eingliedern, 2 Überprüfungen durch Polizeidienststellen.
Seit 14,25 Uhr Zielperson in Dienststellenkantine im Gespräch mit mehreren mittleren Beamten. Themen: Familie, Landschaftsvergleiche Ost: West. Vergleiche der Berufsbilder in der Vergangenheit DDR: BRD. Zielperson verläßt Behörde. Transfer S-Bahn Aufnahmelager Asylbewerber, Ankunft : 14,45; Gespräch mit Asylbewerbern, Themen: Sachinformation zum Ablauf Asylverfahren in Bayern.
Meiere III, 15,10 Uhr“

„15,25 Zielperson verlässt Aufnahmelager Asylbewerber- Einsatz-Amt; Schriftarbeiten eigenes Büro, 16,30 Abfahrt mit K. Rudi, 17,30 Ankunft Pension, Telefonat: siehe Mitschnitt, beiliegendes Band, Abendessen , allein, Zimmer, Gespräch mit Zimmermädchen: Thema, ohne belang.
Meier II, 18,30 Uhr“

Bislang fällt Onkel Karl nichts auf, was seine Kreise stören könnte. Mit einem leisen Lächeln hört er sich das Gespräch der beiden an, die sich am Telefon nur über ein Thema unterhalten. Nebenbei erfährt er so, daß Conny nichts über Onkel Karl erzählt, aber über ein großes Arsenal von Gefühlen verfügt, die er nie kennen gelernt hätte, ohne seine Spione.

„ Nie hätte ich geglaubt, daß du mir so fehlen würdest, ich möchte dich in die Arme nehmen und deine Haut riechen, dich fühlen, dich atmen und dich sehen.
Die Frauen, die ich hier sehe und kennen lerne, sind mitunter reizvoll und interessant, aber irgend etwas in mir, sagt ständig: sie sind nicht wie Conny !“, hört er Thomas Vater sagen und , vermischt mit einem Gefühl von erstauntem Neid vernimmt er Connys Stimme, die weich und dunkel ist:

„ Du fehlst mir genauso, ich möchte wieder in deinen Armen liegen und dein Haar riechen, deine Hände auf meinem Körper spüren und mich ganz dicht an deine Haare auf der Brust kuscheln, mein starker Beamter. Komm zu mir, wir gehen zusammen in die Badewanne“ lockt Conny, offenbar zwischen Scherz und Sehnsucht schwankt ihre Stimme.

Onkel Karl schaltet ab. Leicht verärgert beschließt er nun nicht mehr alle Bänder abzuhören, sondern nur mit dem Computer zu prüfen, welche Stichworte in den Telefonaten fallen.

Seine leichte Verärgerung nahm er in seinem Unterbewußtsein auf, Teilmotiv für sein weiteres Handeln, pro Conny und kontra Thomas Vater.

Für seinen Sekretär hinterläßt er den Auftrag, alle Dossiers über Thomas Vater nach Stichworten, wie „Blau, Conny, Kiew, Bank, Geld und Vergangenheit“ zu durchforsten und nur die relevanten Notizen für die abendliche Lektüre zusammen zu stellen. Sein Sekretär ist daran gewöhnt, solche Aufgaben ohne jede Nachfrage zu erfüllen, Onkel Karl wußte immer, was er wollte und konnte sehr gut mit verdichteten Informationen arbeiten.

Es war jener Abend, an dem er mit Conny telefonierte, um sie zu dem Waldstück zu beordern, wo sich beide zum letzten Mal begegnen.

Anschließend hatte er sich an seinen Computer gesetzt, seine elektronische Post kontrolliert, die eingegangenen Nachrichten gelesen und noch weiter im Internet Informationen gesucht.

„Suche den Menschen, dessen Suche schon lange währt !“

Seine Augen, die bisher eher gelangweilt über die angebotenen Nachrichten huschten, wurden plötzlich größer und suchten den Weg zurück. Da .
Onkel Karl stieß auf ein sonderbares Angebot.
Er klickt die Internetadresse an, die diesem merkwürdigen Satz angehängt ist.
Der Computer arbeitet. In der unteren Leiste des Explorers erscheint ein dicker blauer Strich, der langsam wächst.
„Adresse gefunden. Warte auf Antwort.“ So blinkt es auf der rechten Seite, dann noch einmal und die Seite baut sich auf dem Monitor auf.
Ein männliches Gesicht, mit markanten Zügen,
einem energischen, vorspringenden Kinn, dichten, weigelschen Augenbrauen über den stechenden, fast schwarzen Augen, die ihn nun herausfordernd anblicken.
Die Behaarung des Kopfes flieht in Richtung Hinterkopf und hinterlassen eine hohe Stirn in diesem Gesicht.
Provozierend blinkt einer von den Schaltern, die mit dem Mauspfeil angeklickt werden sollen.
Was passiert dann ?
Onkel Karl hört über die Computerlautsprecher eine beschwörende Stimme:
„Suche den Menschen, dessen Suche schon lange währt ! Klicke auf Start und dir wird gesagt, was deine Zukunft beeinflußt, ob und wie deine Ziele verwirklicht werden können !“
Die beschwörende Stimme wird unterstützt von einer fast sphärischen Melodie, Musik die für Onkel Karl greifbar scheint, die Nebel und Watte ebenso vereint, wie Rauch und Farbe.
Wieder spricht die Stimme :
„Suche den Menschen, dessen Suche schon lange währt ! Klicke auf Start und dir wird gesagt, was deine Zukunft beeinflußt, ob und wie deine Ziele verwirklicht werden können !“
Es reizt ihn, den Schalter zu betätigen und alleine, seine Erkenntnis, daß dieses Gesicht, die Musik und die Stimme ihn zum Handeln bewegt, läßt ihn noch zögern. Halb fühlt er sich überrumpelt, halb ist es sein Wunsch, den Schalter zu betätigen.
Er riskiert nichts. Wenn es Unsinn ist, was sich hinter der nächsten Internetseite verbirgt, dann kann er ja jederzeit abbrechen und andere Informationen suchen, wenn es aber wahr sein sollte, könnten ihm wichtige Hinweise helfen.

Der linke Zeigefinger klickt auf die Maustaste, das eindringliche Gesicht verschwindet vom Monitor und ein neues Bild baut sich auf.
Während seine Ohren jetzt die erneue Aufforderung vernehmen, könne seine Augen den Wortlaut auf dem Monitor verfolgen, auf dem –außer dieses Aufforderung- nur Schwaden von wogenden Farben erscheinen.
„ Stellen Sie mir nur eine, ihnen am wichtigsten erscheinende, Frage !“
Onkel Karl überlegt nur kurz und tippt dann über die Tastatur seine Frage ein:
„ Wer oder was kann mich am Erreichen meines Zieles scheitern lassen ?“

Das Wallen der Farben auf dem Monitor hält plötzlich an. Dann setzt sich von der Monitormitte her nach allen Seiten ausbreitend eine bekannte, hellleuchtende, erst blasse, dann immer stärker in der Intensität werdende, die Farbe blau durch.
Ein laut hallender Gong ertönt, in dessen verklingenden Nachhall eine Antwort aufklingt, eine dunkle, starke Frauenstimme spricht :
„ Nur die Liebe einer Verwandten gefährdet dein Ziel von außen, in dir selber ruht die Gefahr für dein Ziel ebenso.“
Onkel Karl wird blaß.
Der Monitor wird schlagartig dunkel. Dann baut sich ein neues Bild auf. Es erscheint wieder die Startseite, von der Onkel Karl immer seinen Weg in das Internet beginnt.
Schnell schaut Onkel Karl in den gespeicherten Verlauf seines bisherigen Internetweges.
Nichts !
Kein Hinweis auf diese besuchte Internetseite.
Er ruft noch einmal die Suchmaske auf, von der er diese Seite gefunden hatte.
Auch hier aber, kein einziger Hinweis.
Er denkt über die Antwort auf seine Frage nach.

Dann beginnt er zu handeln.
Eine E.-Mail an Schmidt in Kiew. Dann liest er noch einmal alle Dossiers des heutigen Tages über die Bewegungen von Thomas Vater in München, er hört sich, diesmal ohne Lächeln auf den Lippen, alle Bandaufzeichungen der Telefonate von Thomas Vater und Conny an.
Seine Augen werden starr und kalt. Ja, selbst in seinem Arbeitszimmer scheint es kälter geworden zu sein.

Er weiß nicht wie oder womit Thomas Vater und Conny sein Ziel zu erreichen behindern oder gar scheitern lassen können, er glaubt jetzt einfach, er glaubt der Stimme, er glaubt seiner Schlußfolgerung , er reagiert.
Schmidt erhält seinen Auftrag, den er ebenso wie die vielen anderen Aufträge zuvor, zuverlässig und schnell erledigen wird.
Eine Vollzugsmeldung ist, wie immer, nicht zu erwarten.

Onkel Karl schaltet den Computer ab. Nimmt den Kognakschwenker, der schon den ganzen Abend neben dem PC steht und trinkt in kleinen Schlückchen. Er hat wohl alles getan, um auch diese Gefahr abzuwenden.


Rotierende, blitzenden Eisenrädern fressen stählerne Kilometer. Der stromlinienförmige Triebwagen des ICE München- Berlin schwangt nur ganz leicht, eher wiegend rast er der Hauptstadt entgegen.
Thomas Vater schläft vor.
Conny wird sich freuen, da er schon heute nach Hause kommt.
Ein Feiertag der Kirche, der in Brandenburg nicht gefeiert wird, hatte ihm einen zusätzlichen freien Tag verschafft.

Conny ringt mit sich. Erst Übermorgen kommt Thomas Vater wieder zu ihr. Dann, nach dem Wochenende muß er, für eine Woche noch, wieder nach München.
Sie entscheidet sich. Heute nachmittag wird sie Thomas Vater Wohnung aufräumen und putzen, dann wird er eine Überraschung haben, die er bestimmt nicht erwartet hatte. Hauptsache, seine Bücher und Blumen bleiben so, wie er sie mag !
In der Nacht wird sie dort übernachten, auf dem breiten Sofa im Wohnzimmer, in seinem Bett will sie nur mit ihm liegen.
Gedacht, getan.
Die nötigen Reinigungsmittel hatte sie in der gemeinsamen Vergangenheit schon in Thomas Vaters Küche deponiert.
Der Fiesta schnurrt, wie eine fleißige Biene, durch den Verkehr.
Folgerichtig quietschen seine Bremsen, als sie vor Thomas Vaters Wohnung ein parkt.
Eine Pfütze durchfahren reichte dem Fiesta allemal, anschließend fröhlich mit den Bremsen zu quietschen.
An sich ist ja die Wohnung insgesamt sauber und aufgeräumt. Schließlich ist Thomas Vater ja jetzt nur an den Wochenenden zu Hause und Conny stets bei ihm.
Aber Conny findet garantiert noch etwas , um es zu reinigen oder wenigstens zu ordnen.
Im Schlafzimmer steht die Kunstrosen auf dem Regal, in der Nähe der Bücher.
Versonnen betrachtet Conny diese , wohl einzige künstliche Blume in der Wohnung.
Ein Geschenk.
Von Conny an Thomas Vater.
Ohne irgend einen besonderen Anlaß hatte sie die Rose auf dem Markt, am Stand des Vietnamesen , gekauft und sie dann Thomas Vater geschenkt.
Seine Freude darüber war wohl mehr dadurch begründet, daß Conny ihm etwas schenkte, nicht daß es eine Kunstblume war. Aber, er hielt das Geschenk von Conny in allen Ehren. Und am Buchregal stand er mindestens einmal täglich in seiner Wohnung. Dann glitt sein Blick über die Rose und irgendwie entstand dann immer das Bild von Connys Gesicht. Und es war immer das Gesicht, das Conny machte, wenn sie sich riesig freute, die Lippen weit geöffnet, strahlten ihre Zähne in Weiß und ihre Augen in Blau den Gegenüber an. Hinter der Rose hervor, lachte sie ihn an und nur deswegen mochte er die Rose.
War er allein im Schlafzimmer sprach er mit ihr, wie mit Conny.
Und wenn er ganz genau hinhörte, dann schien die Rose ihn zu antworten, auch genauso wie Conny.

Conny machte weiter, mit der ihr eigenen Sorgfalt und Akribie.
So dauerte es bis zum Abend, dann war sie mit dem Resultat ihrer Bemühungen zufrieden.
Sie kochte sich einen Kaffee und setzte sich in das Wohnzimmer, den breiten Fernsehsessel mochte sie ebenso wie Thomas Vater und später Thomas.
Etwas müde das Programm im Fernseher verfolgend, trank sie den Kaffee.

Kurz bevor ihr die Augen zufielen, erhob sie sich noch einmal, zog sich aus, macht ihr Bett auf dem Sofa fertig, huscht noch einmal in das Bad um anschließend unter der Bettdecke zu verschwinden. Mit sehr guten Gedanken an Thomas Vater schlief sie ein.

Ein bleiches, kaltes, hellblaues Licht strahlte in das Schlafzimmer, wanderte über den Boden hinweg, zum Doppelbett, die Buchrücken auf dem Regal und dann an die rückwärtige Wand des Schlafzimmers. Zwei, drei Stunden der Nacht waren bereits vergangen. Der Vollmond leuchtete die Erdhalbkugel aus, der er zugewandt war. Die Kraft seines Lichtes hatte er sich von der Sonne geliehen, die auf der anderen Seite der Erde strahlte.
Die dunkle Gestalt im Schlafzimmer hatte sich nichts geliehen. Sie schlich vorsichtig durch das vom Mond erhellte Schlafzimmer, griff auf das Bücherregal, nahm etwas weg und stellte etwas anderes hin.
Kein Geräusch drang in das nebenan liegende Wohnzimmer, da wo Conny auf dem Sofa schlief. Es war gegen 3 Uhr morgens.
Die mitgebrachte Taschenlampe blitzte noch einmal kurz auf, die dunkle Gestalt trat einen Schritt zur Seite, griff noch einmal in das Bücherregal und verschwand auf die gleiche, geheimnisvolle Weise, wie sie aufgetaucht war.
Sie hinterließ nichts gutes.

Heißer Atem streicht über Connys Gesicht. Flüsternd gesprochen dringen liebe Worte an Connys Ohr. Eine zarte Hand streicht über ihr Gesicht, auf dem sich leider viel zu deutlich der Eindruck einer ganzen Nacht auf dem Kopfkissen liegend abzeichnet. Aber ein frohes Lächeln liegt auf diesem Gesicht. Überraschung und Freude bringen die Bahnen der Kopfkissenfalten auf dem Gesicht reizvoll durcheinander. Während ihr Denken noch immer mit den Schwierigkeiten des Erwachens und der Überraschung zu kämpfen hat, sind die Hormone und die dafür zuständigen Drüsen und Muskeln für alles bereit, was auch dafür zuständig ist, daß Thomas Vater nicht mehr müde ist, trotz der langen Bahnfahrt ist er wieder hellwach und aktiv. Es gleitet wieder einmal ein Träger des Negligé von einer weiblichen Schulter und enthüllt reizvolle Details der weiblichen Anatomie.

Beim Frühstück in der Küche unterhalten sich beide angeregt , planen das Wochenende, planen den heutigen Tag.


Schon fast wieder in der Ukraine rast ein dunkler BMW über Straßen und Wege. Gegen Mittag will Herr Schmidt wieder in Kiew sein. Der kurze Ausflug nach Deutschland wird von keinem seiner Angestellten bemerkt.

Zurück in Deutschland blieb ein kleiner Sender, dessen Zeitschaltuhr so eingestellt war, daß ein Impuls erst in der nächsten Woche ausgestrahlt wird. Gut verdeckt, in einem Kellerfenster des Hauses, indem Thomas Vater wohnt, zählt eine Quarzuhr Sekunden, Minuten, Stunden und Tage, solange bis das Datum und die Uhrzeit erreicht ist, zu der der kurze Funkimpuls den Miniaturempfänger in der Rose erreichen soll.
Dann setzt sich die Pumpe in Bewegung, die den Druck im Rosenstiel erhöht und den Inhalt, jene ölige Flüssigkeit mit den ätherischen Bestandteilen, aus den klitzte kleinen Düsen der Rosenblüte in die Umgebung verteilt. Die ätherischen Bestandteile der Flüssigkeit werden nur sehr langsam in der Raumluft verteilt, der Zeitpunkt zu dem sich das Reservoir erschöpft, und die Konzentration in der Raumluft unter Werte sinkt, die keine Gefahr mehr bewirken und auch ein Nachweisen des Vorhandenseins irgendwelcher schädlicher Stoffe absolut unmöglich macht, ist genauestens koordiniert mit dem Zeitpunkt des Eintreffens von Thomas Vater in seinem Schlafzimmer , nachdem er seine letzte Arbeitswoche in München beendet hat und wieder zu Hause ist. Die Nacht, die er dann in seinem Bett verbringt, ist die Nacht, aus der er nicht mehr erwachen soll.

























(Letztes) Nachwort

Eigentlich schade, ich hätte Thomas Vater lieber leben lassen.

Nein !! Nein!!
Conny wollte es lange nicht begreifen, daß Thomas Vater für immer aus ihrem Leben verschwand. So viele Fragen wollte sie ihm noch stellen, so viele Dinge planen und durchführen.
Irgendwann, viel, viel später, ebbte die Trauer und der Schmerz ab.
Sie verkaufte ihre Eigentumswohnung, zog zu ihrer Mutter und begann später damit, die alte Familie enger zusammen zu führen.
Oftmals, wenn der Schmerz über den Verlust von Thomas Vater wieder Besitz ergreifen wollte, dann tröstete sie eine Vision, die Thomas Vater ihr vor langer Zeit schilderte.
Er sagte ihr: „Wenn ich einmal sterben sollte, dann möchte ich gerne zuschauen können. Die Beine über den Rand der großen Wolke baumeln lassen und dabei alle beobachten, die unten auf der Erde leben.“

Connys Augen suchten oft den Himmel ab, um eine große, bauschige Wolke zu entdecken, wo stachlige Waden und große nackte Füße über den Wolkenrand baumeln und neugierige Augen auf die Erde hinab schauen.........

Finde es schade, wenn nur benotet wird, ohne einen Kommentar oder eine Kritik. Sogar ein bisschen feige!Rainer Pick, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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