Meine Mama war so wunderschön.
Ich erinnere mich so gern an sie.
Ich sitze so gerne im Zimmer meiner Mama und betrachte ihre Fotos. Sie war so wunderschön.
Ich kann sie in diesem Zimmer überall spüren und mir vorstellen sie würde neben mir stehen.
Manchmal setze ich mich an ihren Frisiertisch.
Dann stelle ich mir vor wie sie da sitzt und sich die Haare bürstet. Ihre Haare rochen so gut.
Ich stelle mir vor wie ich ihr die Haare bürste und ihren süßen Geruch einatme.
Manchmal bürste ich mir mit ihrer Bürste die Haare. In der Hoffnung, dass meine Haare so riechen wie ihre.
Meine Großmutter hat mich dabei mal erwischt. Sie hat mir die Bürste aus der Hand gerissen und gesagt, dass ich das nicht tun soll.
Sie hat mir auch verboten in Mamas Zimmer zugehen und das Zimmer abgeschlossen.
Sie hat gebrüllt:“ Das ist das Zimmer meiner Tochter, tu das nie wieder!“
Aber sie ist doch auch meine Mama. Ich glaube meine Großmutter ist über den Tod meiner Mama immer noch nicht hinweg.
Aber ich weiß wo der Schlüssel ist. Großmutter versteckt in immer an derselben Stelle.
Immer wenn Großmutter ihr Nickerchen macht, schleiche ich mich heimlich in das Zimmer meiner Mama.
Ich will Großmutters Gefühle nicht verletzen. Irgendwann, wenn sie das alles überwunden hat, können wir vielleicht gemeinsam in Mamas Zimmer gehen.
Heute sitze ich wieder vor Mamas wunderschöner Holztruhe.
Sie sieht richtig wertvoll aus mit dem ganzen Gold und Nieten. Ich weiß nicht ob sie wertvoll ist, aber sie steht hier seit dem ich auf der Welt bin. Ich glaube es war ein Geschenk von meinem Papa an meine Mama zu meiner Geburt.
Kurz bevor er starb. Aber es war nicht so schlimm, dass er gestorben ist. Ich hatte ja meine Mama.
Den Schlüssel für die Holztruhe musste ich auch wieder suchen.
Großmutter hat mal gesehen wie ich Mamas Kleid aus der Truhe genommen habe. Sie ist völlig ausgerastet und hat gebrüllt, dass mich das überhaupt nicht anginge und ich das Kleid nicht anfassen soll, es gehörte ihrer Tochter.
Arme Großmutter, sie ist immer noch nicht drüber hinweg.
Dabei wollte ich doch nur mal diesen wunderschönen weißen Seidenstoff anfassen. Es fühlt sich so wunderbar kühl an wenn man es über die Haut streifen lässt. Es war immer Mamas Lieblingskleid gewesen. Sie hatte es nur bei besonderen Anlässen angezogen. Ich glaube, deswegen liegt es auch in der Truhe und nicht wie ihre anderen Sachen im Schrank.
Heute ist Großmutter ausgegangen, ich glaube zu ihrem Priester. Sie sagt kaum noch etwas und mit mir reden will sie auch nicht mehr so richtig. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich meiner Mama so ähnlich sehe.
Arme Großmutter.
Ich setze mich an Mamas Frisiertisch und kämme mir die Haare.
Jetzt, da meine Haare genauso schön glänzen wie die von meiner Mama setze ich mich auf ihr Bett, genieße das Gefühl der Decke auf meinem Körper. Hier habe ich, als ich klein war so oft mit meiner Mama zusammen gelegen und sie hat mir Geschichten vorgelesen.
Ich bleibe eine Weile hier liegen und denke an meine Mama. Sie war so wunderschön, so nett und immer für mich da.
Bis zu ihrem Tod.
Ich stehe vom Bett auf und setze mich an Mamas Frisiertisch. Ich sehe mich um und betrachte die Tapete. Kleine, zarte und wunderschöne Rosen sind auf ihr verstreut. Meine Mama liebte solche Muster, ihre Bettdecke und der Stuhlbezug an ihrem Frisiertisch haben fast genau dasselbe Muster. Darum muss ich immer an meine Mama denken wenn ich an Rosen rieche.
Ich sehe mir die Sachen an, die meine Mama immer benutzt hat um sich Ausgehfertig zu machen.
Hier liegen ihr Mascara, ihr Lidschatten und ihr Lippenstift.
Wir fanden es immer so lustig, wenn sie mir einen dicken Kuss auf die Wange gab und die Hälfte ihres Lippenstiftes mein Gesicht verschönerte.
Ich nehme ihren Lippenstift und fange ganz langsam an mir den Lippenstift aufzutragen. Fast fühle ich mich wie Mama.
Großmutter fände das gar nicht gut. Aber sie ist ja nicht hier.
Nun schminke ich mich komplett mit Mamas MakeUp. Augen, Mund, Wangen, ich sehe genauso aus wie Mama.
Arme Großmutter, das würde ihr bestimmt das Herz brechen.
Ich gehe wieder an die Holztruhe.
Mamas Kleid würde so gut zu meinem MakeUp passen.
Ganz langsam streife ich es mir über die Schultern. Als der Saum meine Beine berührt fühle ich mich wie eine richtige Frau. Ich fühle mich fast wie Mama. Ich bin so wunderschön.
Großmutter reißt die Tür zu Mamas Zimmer auf. Das ist nicht nett, ich darf das auch nicht.
Aber ich will nett zu ihr sein, ich will dass sie Mamas Tod überwindet.
Ich sage: „Schau, ich sehe genauso aus wie meine Mama!“
Meine arme, arme Großmutter.
Ich glaube sie ist verrückt geworden.
Genau wie meine Mama.
Meine Mama sagte, wir müssen uns langsam von einander trennen. Weil ich doch langsam erwachsen werde. Da können wir auch nicht mehr zusammen in einem Bett schlafen oder zusammen duschen. Ich war doch damals erst 15. Ich war halt ein Mamakind.
Aber meine Mama wollte nicht mehr.
Leider hat das weiße Kleid blutige Flecke. Ich habe Mama noch gesagt, sie soll es ausziehen, es wird sonst schmutzig. Aber sie hat nur geschrieen. So wie Großmutter jetzt. Ich glaube ihre Verrücktheit ist ansteckend.
Mama hat kaum etwas gespürt. Ich wollte doch nur für immer mit ihr Zusammensein. Ein tiefer Schnitt in die Kehle und meine Mama schlief für immer. Ich habe mich lange neben sie gelegt. Ich wollte nicht dass wir getrennt werden. Dann habe ich sie in unser Familiengrab gebracht.
Man hat Mama lange gesucht. Nur nicht dort.
Zum Glück. So kann ich mich jetzt noch neben Mama legen, wenn Großmutter ihr Nickerchen macht.
Man hat nur ihr weißes Kleid gefunden. Dieses wunderschöne Kleid aus Satinstoff.
Ich glaube, ich werde meine Großmutter neben meiner Mama begraben. Sie soll nicht so allein sein.
Spürt man ohne Herz, dass man allein ist? Sehen kann sie es ja ohne Augen auch nicht. Aber ich möchte sie ja glücklich machen. Ich weiß das meine Großmutter sich freuen würde und meine Mama auch.
Bin ich nicht ein guter Sohn?