Anja Birlem

Martin

Nun sitze ich hier unterm Fenster. Lehne mich an die kalte Heizung. Schließe die Augen und lausche der sanften, dunklen und so gedämpften Stimme des Sängers, die aus den kleinen Kopfhörern in meine Ohren sowie in den Rest des Zimmers dringt. Kann das Geschehne kaum glauben. Die Gardine spielt mit den heißen Sonnenstrahlen und bildet Muster auf dem Parkettfußboden. Ein kleines Lüftchen jagt durch den hohen Raum. Lächelnd sehe an die Decke. Sehe ihn dort erscheinen. Den Sänger. Martin heißt er. Kann es kaum fassen. Sehe uns beide dort. Wie wir uns das erste Mal begegnen. Vor drei Tagen. Vor drei Tagen erst. Ein neues Lied wird angespielt. Martin singt nun mit melancholischer Stimme durch den Raum. Ich stehe auf. Drehe meine Anlage auf volle Power. Spiele das Lied erneut an, breite meine Arme aus und drehe mich im Kreis. Klare Gitarrengriffe wirbeln die Luft. Ich lasse mich auf meine kleine Couch fallen und spiele Martins kleinen Film ab.

 

Ruhig saß ich auf der Bank und sah in den Abend hinein. Jemand stieß mich an und zeigte auf meinen leeren Plastikbecher. Ich nickte. Lächeln goss der Unbekannte neben mir Muskato ein. Ich schluckte einen Zug aus meiner halb leeren Bierflasche und bedankte mich. Viele Unbekannte wirbelten um mich. Drei Freundinnen quatschten über andere Leute. Ich legte mein Kinn auf meine Hand, stützte meinen Arm auf den Tisch und lächelte. Versuchte mich an irgendein Gespräch zu beteiligen. Irgendeinen Gesprächsstoff aufzufassen, der mich ebenso interessierte. Ich lachte laut auf, als jemand einen Witz machte und goss drei Schlucke Muskato in meinen Magen. Der wird sich freuen. Egal. Umso lustiger wird es. Schoss es durch meinen Kopf. Sowieso wilde Gedanken. Ich sah wieder zu den anderen Gästen meiner Freundin, die ihren 18. feierte. Langsam war es schon schummrig geworden. Insekten strömten durch die milde Luft. Fackeln wurden aufgestellt. Mädchen legten sich an die

Schulter ihrer Freunde. Ich seufzte. Könnte ich dies doch auch wieder einmal erleben. Eine klare Stimme drang an mein Ohr und ich blickte zu einer Freundin, die rechts von mir saß. Lachend sah sie mich an. Zuckte mit den Schultern. Ich blickte sie fragend an. Ja, sagte sie, so ist er nun einmal, mein Bruder. Ich kannte ihren Bruder nicht. Es war mir egal, wie er war. Lächelte sie an und ging wieder an das Buffet, als ein junger Mann auftauchte. Das Geburtstagkind jubelte und fiel ihm um den Hals. Ich sah sie unbeteiligt an und schlich vorbei. Martin, schrie einer der Gäste und klatschte in die Hände. Leise setzte ich mich wieder und biss in mein Butterbrot. Wer ist denn dieser Martin?, fragte ich nach rechts? Mein Bruder! Lachte meine Freundin und erzählte erneut eine kurze Geschichte von ihm. Ich schluckte meinen Bissen hinunter. Ist er noch solo?, wollte ich wissen. Sie sah mich an. Zuckte mit den Schultern. Klar. Ich blinzelte Martin an. Konnte nur Umrisse erkennen. Von Anfang an würde mich dieser Martin nicht interessieren. Dies wusste ich sofort. Er war nichts für mich.

Der Geburtstag verlief schleppend. Irgendwann saß Martin gegenüber von mir. Das war nachdem die meisten Geburtstagsgäste gegangen waren. Endlich zogen wir in die kleine, aber warme Garage um. Ich betrachtete Martin kurz. Das längere, dunkle Haare viel ihm ins Gesicht. Eine kleine Narbe zierte seine rechte Wange. Er trug eine einfache Jeans. Darüber einen feinen Blaser. Schick sah er aus. Unheimlich war er mir. Er tat, als bemerkte er nicht, dass ich ihn beobachtete. Erzählte heiter mit einer Freundin neben mir. Ich fühlte die sanften, dunklen, leicht rauen Worte in mein Gedächtnis dringen. Es war mir egal. Und doch war er irgendwie so unheimlich.

  

Er ist nichts für dich, schlug es durch meinen Kopf. Ich schüttelte ihn und verließ schnell die Sparkasse. Nichts. Schwüle Hitze schoss in mein Gesicht, als ich hinaustrat. Setzte mich pulsierend auf eine kleine Bank mitten auf den Marktplatz und schloss die Augen. Sah mich wieder vor dem kleinen Schild mit der Aufschrift ‚Bitte hier warten’. Sah Martin. Wie er auf die Erde starrte, mich kurz anblickte und erneut hastig zu seinem Kunden vor mir sah. Ich lächelte den Rücken vor mir an. Dann verschwand der Rücken plötzlich und Martin stand da. Lächelte zaghaft. Kannst du mir das bitte Bar geben?, sagte ich bestimmt und reicht ihm den Scheck. Seit langem hatte ich Kleingeld gesammelt. Nun wollte ich es in Scheinen wiederbekommen. Martin versuchte ein kleines Lächeln. Ein ‚Hmm’. Dann schrieb er einen neuen Scheck aus. Neugierig sah ich ihn an. Diesmal trug er ein gelbes Hemd, einen Schlips sowie einen vornehmen, schwarzen Anzug. Wie schick er war. Bemerkte plötzlich seine zitternden Hände. Hastig gab er mir das Geld. Als sich unsere Finger berührten, spürte ich ein kleines Zusammenzucken, das durch seinen Körper fuhr. Dann verabschiedete er sich kurz. Lächelnd versuchte ich einen winzigen Blickkontakt mit ihm aufzubauen. Nichts. ‚Danke und tschau und schönen Tag dir noch’, stotterte ich plötzlich. Ich schüttelte mich kurz. Stopfte die Scheine in das kleine Portemonnaie und wollte nur den riesigen Raum verlassen.

 

„Sorry, aber du hast das hier vergessen.“

Schwer ausatmend blickte ich hoch. Genau in Martins grünblaue Augen.

„Oh“, machte ich. Ärgerte mich sofort darüber. Jedoch war ich nicht für weiteres fähig.

„Wollen wir vielleicht ein Eis essen? Ich habe jetzt eine kurze Pause“

Ich starrte Martin an. Stand auf. Dann gab er mir meinen Scheck.

„Nein“, hörte ich mich sagen. Schlug mit einem Bein gegen mein anderes.

„Schade“, Martin zuckte mit den Schultern. Dann ging er wieder. Ich stieß die angehaltene Luft aus. Was sollte das? Plötzlich drehte sich Martin um und blieb stehen. Ohne zu überlegen, bewegte ich mich in Schneckentempo auf ihn drauf zu. Martin wurde immer größer. Immer schöner. Immer süßer. Die Hände in die Hosentaschen steckend lächelte er mich an.

„Vielleicht ein nächstes Mal.“, flüsterte ich.

„Ist gemerkt. Ich hoffe, du kannst hier.“ Schnell drückte er mir einen Flyer in die Hand. „Du musst können, sonst bin ich dir böse.“

Ich starrte ihn an. Wollte etwas sagen. Wie konnte sich der Typ, so etwas denken.

„Bis dann.“, Martin lächelte mich an. Zitternd nahm er meine Hand und schüttelte sie. „Hab du auch noch einen schönen Tag.“ Schnell ließ er sie wieder los und verschwand.        

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.05.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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