Coiffeur

Manchmal muss Marco Wägeli tun, was Marco Wägeli tun muss. Beispielsweise zum Coiffeur gehen, weil andere Leute seine Gotlets zu lang finden, oder sich bei der Dentalhygienikerin anmelden, weil diese ihm eine Einladung geschickt hat. Beides findet er - abgesehen von den blauen Augen des Zahnarzt-Fräuleins - fast gleich schlimm. Heute besucht er deshalb vorerst den Coiffeur.

Der Gedanke daran gefällt ihm allerdings gar nicht. Er vertraut seine Haare ungern einem mehr oder weniger fremden, mehr oder wenig symphatischen Menschen. Einem, der hoffentlich mit Schere und Messer geschickter umgeht als ein Metzger, der aber auch die Mode-Trends kennen und Marco Wägelis persönlichen Geschmack treffen muss. Die Frisur soll schliesslich einerseits Wiedererkennungswert haben und ein Statement zur eigenen Persönlichkeit setzen, andererseits darf sie zur falschen Zeit am falschen Ort nicht falsch aufgefasst werden. Faktoren, welche den Coiffeur-Besuch nicht als weniger relevantes Ereignis erscheinen lassen. Kommt hinzu, dass sich die Dienstleistungsqualität des Haarschneiders erst im Nachhinein messen lässt, dann also wenn es bereits zu spät ist.

So betritt Marco Wägeli das Coiffeur-Geschäft mit einem unguten Gefühl. Die beruhigende Hintergrundmusik verstärkt sein Unbehagen. Er stellt sich vor, wie schon der erste Schnitt der zappelnden Schere die Richtung der späteren Frisur ein für alle mal festlegen wird. Es gibt dann kein zurück mehr. Was weg ist, wird weg sein. Und Marco Wägeli selbst hat keinen Einfluss darauf. Ihm ist lediglich klar, dass er hier nicht ungeschoren davon kommt. Sowohl sein beruflicher als auch sein sozialer Erfolg der nächsten Wochen hängt massgeblich vom Resultat dieses Coiffeur-Besuchs ab. Sobald der Friseur mit seinem Werk beginnt, versetzt er sich deshalb in einen trance-ähnlichen Zustand indem er an die Augen des Zahnartz-Fräuleins denkt.Eine Stunde später verlässt Marco Wägeli den Laden.

Er sieht - abgesehen von den blauen Strähnen - nicht schlimmer aus als vorher.