Andreas Wienpahl

Jens Adlerauge vs. me

Seine Augen fixieren das Ziel mit einer Entschlossenheit, die mir nur sehr selten über den Weg lief und die ich selber aufzubringen nicht in der Lage bin. Sie weichen nicht einen Quadratzentimeter ab. Sein Federkleid glänzt mir bedrohlich braun entgegen. Seine Flügel sind weit ausgestreckt, sodass er einfach auf dem Wind gleitet. Sein Ziel bin ich!
Das Ziel des Adlers sind meine leblosen Überreste.
Was passiert ist?
Ich erzähle es euch...

Zwölf Stunden zuvor war alles noch in bester Ordnung. Sagen wir lieber in für meine Verhältnisse normaler Ordnung. In bester Ordnung war mein Leben schon lange nicht mehr. Nicht das ich mich beschweren möchte, aber mein Leben war eine Schlampe und meine Frau auch.
Vielleicht folgerte eins aus dem anderen, doch letztendlich entschieden wir uns, unsere Ehe zu annullieren. Was natürlich heute nichts ungewöhnliches mehr ist.
Fünf Jahre waren wir verheiratet und sie ließ sich scheiden, weil ich in ihren Augen ein Trottel war. Gutgläubig und naiv.
Doch wie dem auch sei, ordnete ich mein Leben neu. Zog wieder in meine kleine Wohnung am Bahnhof und entschloss erstmal alleine mein Leben in den Griff zu bekommen.
Wie der Zufall es wollte, wurde mir kurz nach der Scheidung auch mein Auto gestohlen.
Spontan wie ich nun mal bin, nämlich gar nicht, hab ich das bis heute noch nicht gemeldet.
So beschloss ich also vor ziemlich genau zwölf Stunden, meinen Kummer mit dem althergebrachten Heilmittel zu beseitigen. Dem Alkohol!
Nach sieben Bier und zwei Tüten Erdnüssen war ich pleite, aber glücklich. „Es dreht sich doch alles um den Schwanz“, schrie ich noch beim Verlassen der Bar.

Für ein paar Scheine würde ich ein paar Runden mit ihm drehen, Süßer.!“flüsterte mir Betty die Nutte zu.
Vergiss es Betty, soviel hab ich noch nicht getrunken!“, fuhr ich sie an. Ein Fehler. Betty war nicht nur Nutte, sondern eine neurotisch, überempfindlich, 280 Pfund schwere Nutte.
Während mir ihr Hinterteil, bei dem ich nicht erkennen konnte, wo dieses anfängt und der Rücken aufhört, die Luft aus den Lungen presste, hörte ich jemanden rufen:

Betty lass den Kleinen in Ruhe. Der erkennt eine gute Frau nicht, selbst wenn sie auf ihm drauf sitzt.“
Sie stand auf und stampfte zufrieden davon. Ein einfaches Kompliment hat gereicht? Manchmal sind Frauen so simpel gestrickt, dass sie schon wieder kompliziert sind.
Mein Retter, eine dunkel gekleidete Person, kam näher.

Da bin ich aber platt! Was machst du denn hier!?“, fragte ich, noch immer auf dem Boden liegend.
Es war Jens, mein bester Kumpel.

Glaub ich dir gern! Deinen Arsch retten. Oder glaubst du ich will mit ansehen, wie du zur Flunder wirst.“, Er lächelte mich an.
Los setze deine Masse, die du Körper nennst, in Bewegung! Ich muss dir was zeigen.“
Okay, was hatte ich schon zu verlieren? Also verbrachte ich den Rest der Nacht damit die Masse, die ich meinen Körper nannte, in Bewegung zu halten, um mit Jens Schritt halten zu können.

Da sind wir!“. Er strahlte über das ganze Gesicht und schaute mich erwartungsvoll an.
Du latscht mit mir durch die Nacht, um mir einen alten, vergammelten Wagen zu zeigen?“
Mit Taschenlampen bewaffnet standen auf einem verlassenen Fabrikgelände und leuchteten auf einen VW Jetta 2 Bj 1981. Weiß, mit einer Beule in der Fahrertür und einer abgeknickten Antenne.

Das ist mein Auto!“, empfuhr es mir schlagartig.
Freudig leuchtete ich ins Innern und sah meine Deep Purple MCs dort liegen.

Geile Sache. Mal schauen ob es noch läuft.“, sprach ich und trat näher an meinen Wagen. Ich klopfte einmal kräftig an die Fahrertür, die sofort aufsprang, und startete den Wagen mit einem Penny.
Er sprang tatsächlich an. Röchelnd zwar, aber das war normal.

Komm Jens! Zurück wird gefahren!“, rief ich ihm glücklich zu.
Wir fuhren vom Gelände und ich fragte ihn, wo er denn hin wollte.

Lass uns in Richtung Süden fahren, da gibt es ein Waldgebiet, wo man ungestört Gas geben kann!.“
„Klingt super!“, erwiderte ich und trat aufs Pedal. Der Wagen wurde zum Rasen zwar nicht konstruiert, aber heute war mir das egal.
Wir schwiegen uns einige Zeit lang an und fuhren durch die Nacht. Dass ich noch gar nicht wieder fahren hätte dürfen, kam mir genauso wenig in den Sinn, wie Jens zu fragen, warum er mitten im Juni Handschuhe trug. Man muss ja auch nicht alles wissen, oder?

Irgendwie nimmt mich die Trennung von Jenny noch mit.“, unterbrach ich schließlich die Stille.
Ach Junge, deine Frau war eine Schlampe! Glaub es mir! Ohne sie sind wir deutlich besser dran.“ Jens schien sehr erregt zu sein.
Hier links rein!“, befahl er.
Der Wagen bog in einen schmalen Waldweg hinein und nach ungefähr 1700 Metern stellte ich den röchelnden Motor ab.

Und nun?“, fragte ich Jens.
Genießen wir diese wunderbare Untergangsstimmung und Stille. Komm steigen wir aus“
Schon schnallte er sich ab, sprang aus den VW und ich hinterher.
Auf der Motorhaube sitzend, begann er zu erzählen.

Weißt du Manuel, ich mag dich. Doch muss ich dir folgendes Beichten: Ich hatte was mit deiner Frau und das nicht nur einmal. Ich liebte sie.“
Ich war geschockt.

Es überrascht mich nicht, dass du es nicht wusstest. Du siehst nur das, was du sehen willst. Die vielen Telefonate deiner Frau, die Frauenabende. Mensch Manuel! Du hast mich sogar mal morgens in deinem Bademantel gesehen.“
Ja und? Du hast mir doch gesagt, dass deine Dusche kaputt sei und du deshalb zu uns zum Duschen vorbei gekommen wärst und deinen vergessen hättest!“
Er schüttelte mitleidig seinen Kopf.

Jedenfalls liebte ich sie und du hast mal wieder die Augen verschlossen, wie du es immer tust. Aber die Schlampe wollte es mit mir und mit dir beenden! Sie meinte, sie könne etwas besseres haben als uns! Ich war nicht bereit das hinzunehmen. Nachdem du ausgezogen warst, teilte sie es mir mit. Es kam zum Streit und ich erschlug sie mit einem Hammer. Danach klaute ich deinen Wagen und lagerte die Leiche in deinem Kofferraum. Habe nur darauf gewartet, dass du deinen Schmerz mit Alkohol ertränken würdest und nun sind deine Fingerabdrücke und Spuren überall im Auto.“
Er sah mich mit kalten Augen an.

Mein Gott....!“, so langsam begriff ich, warum wir in den Wald gefahren waren.
Mit seiner Pistole auf mich gerichtet sprach er: „ Hast du noch etwas zu sagen?“

Und ich dachte du trägst Handschuhe, weil du dich wegen deiner Wurstfinger schämst.“
Die Kugel trat in die rechte Schläfe ein und es verdunkelte sich alles.

Jetzt sehe ich meinen Körper, immer kleiner werdend, auf dem Waldboden liegend, wie der Adler mir meine Augen aus dem Schädel pickt.

Jetzt sehe ich meinen Körper, immer kleiner werdend, auf dem Waldboden liegend, wie der Adler mir meine Augen aus dem Schädel pickt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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