Aarton Adenreich

Zum Licht

Z U M   L I C H T

 

 

T: Ahhh!

P: Überrascht?

T: Und Sie?

P: Ein wenig… Ich hatte in meiner unmittelbaren Nähe niemanden erwartet. Sie kleben ja schon fast an mir.

T: Ich weiß auch nicht. Vorhin war auch ich noch allein.

P: Sie sind schneller als ich.

T: Ja, so wird’s sein… Aber auch nicht viel schneller, sonst wäre ich ja schon längst an Ihnen vorbei, oder nicht?

P: Zeit ist relativ. Unser Abstand verringert sich jedenfalls.

T: Ja, jetzt wo Sie es sagen…

                            

P: Was schätzen Sie, wie lange Sie noch brauchen werden bis Sie da sind.

T: Ich verstehe nicht? Gehen Sie denn davon aus, dass wir irgendwo ankommen?

P: Aber das ist doch offensichtlich.

T: Ich weiß nicht. Bevor ich ihre Gestalt erblickt habe, bin ich noch nicht einmal davon ausgegangen, dass ich mich überhaupt bewege.

P: Vielleicht tun Sie das auch gar nicht. Vielleicht bewege ich mich ja auch nur rückwärts.

T: Nein, um ehrlich zu sein, bin auch ich der Meinung, dass wir uns beide nach vorne bewegen. Zum Licht hin.

P: Zum Licht?

T: Na, das gleißende Licht, das Sie in Ihrem Rücken haben.

P: Sie meinen dieses gleißende Licht, weswegen Sie die ganze Zeit so komisch blinzeln?

T: Es ist so hell…

P: Das ist die Sonne.

T: Nein, das glaube ich nicht.

P: Sie können mir ruhig glauben. Ich bin Physiker.

T: Nein, Nein, dass ist dieses Licht von dem die Komapatienten immer berichten. Sehen Sie doch mal nach links und rechts… Sehen Sie? Sie und ich, wir schweben beide durch den schwarzen Tunnel auf das helle Licht zu.

P: Das ist das Weltall.

T: Nein, das ist es nicht.

P: Doch, ist es wohl.

T: Wie kommen Sie dazu, sich darüber so sicher zu sein?

P: Ich habe Augen.

T: Und was sehen die?

P: Na das, was Sie nicht sehen können. Das, was hinter Ihnen liegt.

T:(blickt über die Schulter zurück) So gesehen, könnten Sie Recht haben…

P: Sind Sie jetzt enttäuscht?

T: Nein. Aber ein bisschen Angst macht es mir schon.

P: Ein Leben lang habe ich davon geträumt, einmal diesen Ausblick zu haben.

T: Herrje, sie ist schon so weit weg.

P: Sie wollen sagen: Wir sind schon so weit weg.

T: Macht das denn noch einen Unterschied?

P: Eigentlich nicht.

                           

P: Also, was meinen Sie?

T: Was soll ich noch meinen?

P: Was schätzen Sie, wie lange Sie bis zur Sonne noch brauchen werden? Bis zum Licht?

T:… Keine Ahnung. Ich möchte mich mit dieser Frage eigentlich auch überhaupt nicht-

P: Keine Ahnung, genau. Mir geht es eben so. Ich habe keinerlei Vorstellung davon, wie schnell ich mich hier bewege. Ich bin auch weit davon entfernt, eine verlässliche Schätzung über die bereits verstrichene Zeit meiner Reise abzugeben.

T: Tja… Da wüsst’ ich auch nicht-

P: Nur einen verlässlichen Nenner sehe ich in dieser Gleichung…

T: Das wäre?

P: Sie! Sie sind schneller.

T: Nein!

P: Aber ja! Sehen sie doch mal. Der Abstand zwischen uns hat sich während unserer Unterhaltung kontinuierlich verkleinert. Sie bewegen sich im Vergleich zu mir mit höherer Geschwindigkeit. Vermutlich waren Sie von Anfang an schneller. Vielleicht beschleunigen Sie aber auch, oder ich werde langsamer. Wie auch immer: Sie werden früher angekommen.

                          

T: Von Anfang an schneller…? Ich kann mich an gar keinen

Anfang erinnern.

P: Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern?

T: Ich habe auf der Landstraße einen Viehtransporter überholt.

P: Und dann?

T: Dann? Dann schwebte ich friedlich durch den schwarzen, ähm das All. Zunächst fühlte ich ein unbezwingbares Glücksgefühl in mir…

P: Phänomenal!

T: …dann habe ich Sie kennen gelernt.

P: Nicht zu fassen! Genau wie bei mir. Ich war mir sicher gewesen, das Roulettespiel anhand einer eigens entwickelten Formel in allen Wahrscheinlichkeitsräumen berechnen zu können. Die Beweisführung entpuppte sich jedoch als langwierige Prozedur. Es kostete mich eine Menge Nerven und Kapital. Mit dem Geld verschwand auch meine Frau, quasi in Raten. Nach der Scheidung hat sie dann nicht einmal mehr angerufen. Meine Güte, ging es mir beschissen. Bis ich die Lösung fand.

T: Aha! Die Lösung?

P: Ja, der alte Armeerevolver meines Vaters. Ich fand ihn beim Ausmisten auf dem Dachboden. Äußerst zuverlässiges Fabrikat.

T: Sie haben also… Schluss gemacht?

P: Na, ganz offensichtlich ja doch nicht. Was wollten Sie denn eigentlich auf der Landstraße?

T: Ein Notfall. Ich wurde für einen Kaiserschnitt angefordert.

P: Sie sind Arzt?

T: Ja, Tierarzt. Es war früh morgens gewesen. Die Kuh hatte ganz normal zu kalben angefangen. Aber dann muss irgend etwas           schief gelaufen sein. Was genau, weiß ich nicht. Ich bin ja nie bis zum Hof gekommen.

P: Meinen Sie, die Kuh hat es ohne Ihre Hilfe geschafft?

T: Darüber möchte ich nicht nachdenken.

                            

P: Jetzt rücken Sie mir aber doch schon ziemlich auf den Leib.

T: Tut mir Leid. Ich kann es nicht ändern. Wir werden unweigerlich kollidieren.

P: Das werden wir nicht. Sehen Sie doch: Ich kann meine Hand einfach so durch Sie hindurch stecken.

T: Oh ja, bitte lassen Sie das.

P: Tut es etwa weh?

T: Nein, aber es ist mir prinzipiell unangenehm, wenn Fremde mich in irgendeiner Form berühren. Ich habe es generell nicht so mit Menschen, Sie verstehen?

P: Machen Sie sich darauf gefasst, das wir gleich miteinander verschmelzen. Wir werden hier draußen fusionieren, ob Sie wollen oder nicht.

T: Wenn ich Ihnen nur ausweichen könnte. Wie haben Sie es geschafft, sich umzudrehen? Ich kann zwar meine Arme und Beine bewegen, aber in meiner generellen Körperausrichtung bin ich wie gelähmt. Das Licht scheint mich magnetisch anzuziehen.

P: Wie kommen Sie darauf, das ich mich umgedreht habe? Ich wüsste nicht wie ich das in der Schwerelosigkeit anstellen sollte, so ganz ohne Schubdüsen oder Ähnlichem. Für so etwas bräuchte man Schwung.

T: Ja, aber bewegen Sie sich dann nicht vielleicht doch in die entgegen gesetzte Richtung?

P: Zur Erde hin meinen Sie? Vielleicht… Sind sie eigentlich schon wieder durch mich hindurch?

T: Nahezu. Ich löse ich mich gerade aus Ihrem Rücken heraus.

P: Wahrscheinlich haben Sie Recht. Wir bewegen uns in entgegen gesetzten Richtungen fort. Sie sind auf dem Weg zur Sonne und ich bin auf dem Weg zur Erde. Seltsam, ich weiß gar nicht, was ich da noch soll?

 

                             

T: Werde ich verbrennen?

P: Merkwürdig. Die ganze Zeit bin ich davon ausgegangen, dass ich mich auf die Sonne zu bewege. Warum er schon, ich aber nicht?

T: Meinen Sie, ich werde jämmerlich verbrennen?

P: Was? Ich kann Sie kaum noch verstehen!

T: Verbrennen? Im Feuer? Oh Gott, Oh Gott!

P: Auf den würde ich jedenfalls nicht mehr setzen. Aber seien Sie beruhigt: Sie haben keine Masse, Tierarzt! Ich weiß nicht ob Sie überhaupt jemals welche hatten, aber so wie ich Sie kennen gelernt habe, sind Sie ja nicht einmal mehr ein flüchtiges Gas. Nein, Sie und ich entsprechen wohl keiner vertrauten Gesetzmäßigkeit mehr. Das ist vorbei. Dafür haben wir Logenplätze.

T: Was machen wir hier denn noch?

P: Wir kreisen! Wie alles im Weltall.

        

 

 

 

 

                           

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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