Klaus-D. Heid

Beim Schlachter

„Ein Pfund Kalbsbraten, bitte! Gut abgehangen und möglichst ohne Sehnen...!“

„Kalbsbraten? Sind Sie sicher? Sie haben wohl noch nie ein kleines Kälbchen gesehen, weiß Sie haben es noch nie gestreichelt und ihm auch noch nie die kleinen Öhrchen gestreichelt, was?“

„Ich möchte keine Freundschaft kaufen – sondern einen Braten! Also? Wie sieht’s nun aus? Kriege ich meinen Kalbsbraten heute noch, oder nicht?“

„Wissen Sie, bevor Sie sich entscheiden, möchte ich Ihnen vom kleinen Ferdinand erzählen! So haben wir nämlich das Kalb genannt, für das wir eine Pflegschaft übernommen haben. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie bezaubernd...“

„Kann ich nicht – und will ich auch nicht! Ich will’s essen! Und zwar möchte ich es nicht lebendig, mit großen Kulleraugen auf meinem Teller vorfinden, sondern als leckeres und zartes Stück Fleisch! Und jetzt würde mich wirklich interessieren, was Sie, als Schlachter, für Geschäfte machen wollen, wenn Sie ein Problem damit haben, mir meinen Braten zu verkaufen...!“

„Sie wollen tatsächlich dafür verantwortlich sein, wenn einem niedlichen kleinen Kälbchen der Kopf abgeschlagen wird, damit Sie sich satt fressen können? Haben Sie denn überhaupt kein Gewissen?“

„Was kümmert Sie mein Gewissen? Bin ich hier der Schlachter, oder Sie? Ich für mein Teil schlachte diese Viecher ja nicht – das tun Sie! Und jetzt würde ich Sie ernsthaft bitten, mir meinen Braten zu verkaufen!“

„...mit zwei Jahren werden Kälbchen geschlachtet! In diesem Alter sind sie noch so süß und unschuldig...!“

„Mit anderen Worten weigern Sie sich also, mir mein Kalbfleisch zu verkaufen, stimmt’s?“

„Wenn Sie so wollen – ja! Schließlich kann ich unmöglich dazu beitragen, wie ein noch so junges Leben beendet wird, nur weil Sie Ihren Appetit nicht zügeln können!“

„Mir fehlt die Zeit und auch der Nerv, um mich noch lange mit Ihnen zu streiten! Also um des lieben Friedens Willen: geben Sie mir ein Pfund Schweinebraten! Aber bitte das beste Stück, das Sie haben!“

„Schweinebraten? Sie wissen wohl nicht, daß Schweine die Tiere sind, die uns Menschen am ähnlichsten sind, was? Ihr Intelligenzquotient liegt zum Beispiel weit über dem eines Affen! Und wissenschaftliche Untersuchungen haben bewiesen, daß Schweine in ihrer Grundstruktur die idealen Gegenstücke zum Menschen sind! Wollen Sie tatsächlich ‚menschenähnliche Wesen‘ verspeisen?“

„Langsam reicht‘ s mir! Entweder, Sie geben mir nun den Schweinebraten – oder ich werde Ihren Laden sofort verlassen! Dann können Sie Ihre Lebensweisheiten anderen Leuten erzählen!\"

„Nur noch Eines möchte ich anmerken, wenn ich darf! Das Schwein ist entgegen aller Vorurteile, ein Tier, das sich viel besser zum Haustier eignet, als der Hund! Es ist treu, reinlich und akzeptiert seinen Herrn in jeder Situation!“

„Dann geben Sie mir endlich meinen treuen Schweinebraten, der mich auch dann noch akzeptiert, wenn er bereits von meiner Gabel aufgespießt wird! Ich verspreche Ihnen auch, daß ich das Schwein, bevor ich es verspeise, fragen werde, ob es nichts dagegen hat!“

„Sie machen sich über mich lustig, oder? Sind Sie denn ein völlig gefühlloser Mensch, in dessen Brust kein Herz schlägt? Haben Sie nicht das geringste Mitgefühl für Geschöpfe, die ebenso eine Seele haben, wie wir? Ich kann Sie wirklich nicht begreifen...!“

„Sie sollen mich auch nicht begreifen! Sie sollen mir etwas verkaufen!“

„Etwas? Ist ein Schwein, das Vater und Mutter hat, für Sie nur ein ‚Etwas‘? Ist Ihnen das Schicksal eines Kälbchen egal, das unter größten Qualen hingerichtet wird, um die Bäuche der satten und vollgefressenen Kapitalisten zu füllen? Diese fühlenden, denkenden und leidenden Geschöpfe sind für Sie also ‚Etwas‘? Etwas Fleisch? Etwas Hirn? Etwas Seele? Etwas Unglück und etwas Schmerzen? Etwas? Mehr nicht?“

„Sie sind doch völlig durchgeknallt! Bin ich hier in einer Schlachterei, oder nicht? Ist es Ihr Job, diese Tiere aufzuschlitzen und zu zerlegen – oder ist das etwa meiner? Ich jedenfalls habe noch nie in meinem Leben einem Tier Leid zugefügt! Ich habe noch keinem Tier einen Bolzen an die Stirn gesetzt und abgedrückt! Ich habe auch noch nie einem Tier die Kehle durchgeschnitten!“

„Aber Sie kennen sich gut aus! Bestimmt haben Sie viel von dieser grausamen Literatur im Haus, die ganze Bände mit den Greueltaten des Schlachtens füllt! Gewissen Leute finden es ja regelrecht aufgeilend, sich mit derart blutigem Schund zu beschäftigen!“

„Ich möchte mich nicht aufgeilen – ich möchte...essen! Und wenn Sie mir kein Kalb und kein Schwein verkaufen wollen, ist’s mir auch Recht! Um Ihr Seelenheil nicht durcheinander zu bringen, können Sie mir jetzt auch..., sagen wir mal,...ein schönes Stück Entenbrust einpacken! Und glauben Sie ja nicht, daß ich immer so geduldig bin!“

„ENTE? Können Sie sich denn nicht mehr an Ihre Kindheit erinnern? Haben Sie nicht auch mit großen Augen unter der Bettdecke die Geschichten von Donald und seinen Neffen verschlungen? Ich jedenfalls habe diese Geschichten geliebt! Eine richtige, kleine Entenfamilie in einer Stadt voller Enten! In meinen Ohren habe ich heute noch das bezaubernde Geschnatter des trotteligen und unglücklichen Donald, dem das Leben wirklich niemals eine Chance ließ! Immer lief er seinem Glück hinterher und war doch stets bemüht, seinen kleinen Neffen ein Vorbild zu sein...!“

„Verstehe! Also auch keine Ente! Und was würden Sie mir verkaufen, ohne mit Ihrem Gewissen in Konflikt zu geraten? Wenn ich nach \'Gans‘ frage, sagen Sie bestimmt ‚Gustav!‘. Frage ich Sie nach Rind, erzählen Sie mir die Geschichte einer verwaisten Kuh, die unter einer Brücke haust und kurz vorm Hungertod steht! Bitte ich Sie um ein Stück Wild, dann werden Sie mir bestimmt verraten, daß Hirsche und Wildschweine in Kürze auf den Universitäten zugelassen werden! Wenn ich Sie freundlich bitte, mir ein Stück Lammfleisch einzupacken, kommen Sie mir damit, daß man dann auch kleine Kinder schlachten könnte! Also was – frage ich Sie – darf ich essen, um Ihr zartes Gemüt nicht zu verletzen?“

„Ratte! Laut Statistik gibt’s in dieser Stadt zweitausend mal mehr Ratten, als es unter hygienischen Gesichtspunkten zu vertreten wäre! Gleichzeitig schmeckt Rattenfleisch ebenso zart, wie Kalbfleisch und bietet mehr Eiweiß, als jedes Stück Geflügel! Es ist völlig fettfrei und im Geschmack kaum von einem zehn mal so teuren Hirschbraten zu unterscheiden! Zum einen tun Sie also was für die Umwelt, wenn Sie sich für Ratte entscheiden – und zum anderen wird es Ihnen Ihre Gesundheit danken! Rein zufällig habe ich hier ein paar ganz leckere Stückchen aus dem Rattennacken für Sie! Garantiert deutsche Ware und garantiert frei von schädlichem Kraftfutter, das ja bei Rindern für...“

„Ratte?“

„Ratte! Beste Qualität und frisch vom Schlachter!“

„Sie sind verrückt! Aber in drei Minuten machen alle Geschäfte zu – und ich habe Hunger! Also...Ratte! Aber, gnade Ihnen Gott, wenn Sie mir irgendwelchen Schund verkauft haben...!“

„Vertrauen Sie mir ruhig, guter Mann! Bei mir verläßt nur die allerbeste Ware das Haus! Ehrenwort! Ein Pfund Ratte? Sonst noch einen Wunsch, der Herr?“

„Danke, nein! Vielleicht nur eine letzte Frage, wenn ich darf?“

„Na klar!“

„Sagen Sie, diese Ratten; wo fangen Sie die eigentlich?“

„Die Ratten? Na hier, im Laden! Jeden Tag zehn bis zwanzig Stück...!“

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Langsam gehe ich auf das sechzigste Lebensjahr zu. Da hinter mir nahezu jede emotionale Erinnerung »verschwindet«, besitze ich keinerlei sichtbare Erinnerung! Vieles von dem, was ich Ihnen aus meinem Leben berichte, beruht auf alten Notizen, Erinnerungen meiner Frau und meiner Mutter oder vielleicht auch auf sogenannten »falschen Erinnerungen«. Ich selbst erinnere mich nicht an meine Kindheit, Jugend, nicht an meine Heirat und auch nicht an andere hochemotionale Ereignisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

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