Klaus Eylmann

Die Hose

So langsam kam ich in Fahrt. Ich gniedelte auf meiner Fender Stratocaster und liess es fetzen. Meine Kumpel, Heinrich, Otto, Hans und Christian am Saxophon liessen ihre goldenen Anzüge unter den Scheinwerfern glitzern, ihre Instrumente funkeln und röhren, dass die Trommelfelle vibrierten, bewegten sich im Synchrontakt nach links, dann nach rechts, machten einen Schritt vorwärts, beugten sich vor, dann zurück und gingen wieder einen Schritt rückwärts.
Udo, unser Bassmann wummerte seine tiefen Freqünzen mit seiner Burns Bison aus seinen Marshall Verstärkern in die Zwerchfelle hinein, während Egon unser Drummer, der seine Sonnenbrille nie abnahm, virtuos Becken, Snare und Pauke bearbeitete.
Wir heizten der Menge ein. Einige tanzten noch, doch die meisten standen schon vor der Bühne und warteten auf P.J. Der sass noch hinter dem Vorhang und nähte mit der heissen Nadel seine Hose zusammen, gab uns Gelegenheit, ein weiteres Stück ohne ihn zu spielen.

O.K. lass jucken. ‘GO, GO, GO’ rief ich meinen Kumpels zu und spulte den Vorspann auf der Gitarre ab, konnte noch einmal singen, bevor P.J auf die Bühne kam, Chuck Berrys Entengang imitieren, die Gitarre auf den Rücken schleudern und weiterspielen.

‘duck walkin’ on his knees, peckin’ like a hen.
Lookin’ like a locomotive. Here he comes again.’

Die Töne fegten aus unseren Instrumenten und Verstärkern in den Saal, Gitarren schrillten, der Bass dröhnte, das Schlagzeug ratterte, die Saxophone röchelten auf den letzten Löchern und wir waren high, ein Orgasmus war nichts dagegen. Oder doch? Das Mädchen mit den roten Haaren, dem engen grünen Pullover und den süssen Sommersprossen im Gesicht, die Antwort auf meinen Hormonstau, hatte keine Augen für mich. Es stand mit den anderen vor der Bühne und wartete auf P.J. - Was konnte ich nur tun, sie auf mich aufmerksam zu machen? Ich schmiss mich vor ihr auf die Bühne, lag auf dem Rücken, strampelte mit den Beinen, machte mein Gitarrensolo und starrte in die Scheinwerfer. Hat sie mich nun bemerkt, oder nicht? Ich konnte nichts mehr sehen. Geblendet erhob ich mich und stolperte wieder zu den anderen zurück. Der Song war zu Ende, der nächste begann.

Und P.J? Er stand hinter dem Vorhang, während ich die Einleitung spielte, dann kam er, dann kam P.J., in seiner schimmernden Samthose, schwang obszön sein Becken und die Mädchen kreischten, die Jungen brüllten, schwenkten ihre Bierflaschen und ab ging die Post. P.J. ergriff das Mikrophon, stellte sich ganz vorn auf die Bühne, dort wo die Mädchen waren, liess sein Becken kreisen und sang

‘I wanna jump but I‘m afraid I´ll fall
I wanna holler but the joint’s too small
Young man rhythm’s got a hold of me too
I got the rockin’ pneumonia and the boogie woogie flu’

Der Saal rockte. Leute, die den Gasthof von weitem sahen, erzählten uns, dass die Schornsteine im Takt qualmten. Und bei der vierten und letzten Strophe zog P.J. sein Becken nach hinten und schnellte es ruckartig vor, so dass seine Hose platzte. --- Pandämonium: Die Mädchen flippten aus, kreischten verzückt, einige rissen ihre Blusen auf, versuchten die Bühne zu stürmen und meine Traumfrau sank ohnmächtig auf die Tanzfläche.

Ob es P.J. recht ist oder nicht. Morgen komme ich auch mit so einer Hose.














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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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