Dagmar Reichel

Urlaub türkisch-russisch-deutsch - nur für Fortgeschrittene

Nein, ich habe nichts gegen Türken, auch nichts gegen Russen. Ich habe noch nicht einmal etwas gegen Deutsche. Aber aus einer Kombination aller Dreien, nein, das muss ich nicht mehr haben.

Als mein Neuro(loge) mir mein medikamentöses Überlebungspaket verschrieb (1995, im Alter von 36 Jahren, diagnostizierte man bei mir die Parkinsonsche Krankheit), sagte dieser noch spöttisch:
„Frau Reichel, die Türkei, warum muss es die Türkei sein? Hätte es nicht eine Busfahrt ins Sauerland auch getan?“
„Haha…“

Nein, wir waren bereits vor 2 Jahren in der Türkei, allerdings im Oktober. Wunderschön (man muss manches auch hinnehmen können) Welcher Ort, welches Hotel? Keine Ahnung, solche Namen merke ich mir nicht.

Diesmal soll es der Juni sein. Geht man nach dem Durchschnittswerten der vergangenen Jahre, sind die Wetterverhältnisse angenehm bis auszuhalten. Dieses Jahr zeigt der Juni, dass er auch anders kann, wenn er will – und er wollte.

Das Hotel liegt an der türkischen Riviera, in Konakli kurz vor Alanya und heisst Arancia Resort (das kann man nicht vergessen). Der Transfer vom Flughafen zum Hotel dauert ca. 1-2 Stunden und wir warteten immer gespannt auf jede Abfahrt, um das Hotel wiederzufinden, in dem wir vor 2 Jahren waren. Als sich herausstellte, dass es 2 Häuser neben dem Arancia Resort liegt, staunten wir nicht schlecht.

Jetzt waren wir aber im Arancia Resort. Der erste Eindruck: Ein chices Hotel, knapp anderthalb Jahre alt und 5 Sterne (wir haben höchstwahrscheinlich das minus vor der 5 übersehen). Die Haken fingen beim Einchecken an. An der Rezeption sprach man kein deutsch (haha) und man wollte uns in die Lounge abschieben. Russische Gäste wurden dementsprechend bevorzugt behandelt und nicht abgewiesen. Ich stellte mich demonstrativ mit schmerzverzogenem Gesicht, auf meinem Rollator stützend, behinderlich vor die Rezeption. Und siehe da, 3 Stunden später hatten wir unser Zimmer im rechtsabgewinkeltem Flügel. Halbseitiger Meerblick nach links, voller Baustellenblick und -betrieb nach rechts. Geradewegs der Blick nach unten auf die Animationsarena (da konnten wir noch nicht ahnen was ab 22 Uhr dort abging) und rechts neben der Arena, sämtliche Transformatoren die nicht nur unser Hotel am laufen hielten, mit geräuschvollem Hintergrund. Schloss man Türen und Fenster war der Lärm auszuhalten. Eine Nacht! Dann kannten wir den Geräuschpegel der Animationsarena mit anschliessender Disco.Tags darauf bestanden wir auf Umzug. Wir zogen mit Sack und Pack in den linksabgewinkelten Flügel. Hier war es ruhiger. Volle Sonneneinstrahlung. Was uns da noch nicht bewusst war: der Türkei stand eine dreiwöchige, ungewöhnliche Hitzewelle bevor. Und wir mittendrin. Bis zu 50 Grad Ober- und Unterhitze, ausfallender Strom, zeitweise kein Wasser, 90% der Hotelgäste waren russische Urlauber im Überlebungskampf, Rush Hour beim Büfett, Verteidigungskämpfe um Tische, revierabgenzende handtuchbelegte Liegen - aber das Hotel war chic.

Zum Glück konnte man sich langsam an die Hitze gewöhnen. Doch die Klimaanlage funktioniert auf höchster Stufe nur zwischen 18 und 4 Uhr. Wenn der Strom ausfiel - und das tat er ab der 2ten Woche zu festgelegten Zeiten (hätte man meinen können) war es mollig warm im Zimmer. Wollte ich mich mittags der Wüstensonne entziehen und der Strom fiel plötzlich aus, wusste ich trotzdem, wie ich in den linksabgewinkelten völlig dunklen Flügel, unser Zimmer finden konnte: ich tastete mit den Händen an der Wand lang um die Türen zu zählen, denn die 5te Tür war die unsere um dann mit der Karte den Schlitz zu suchen, damit ich überhaupt in das Zimmer (fast Backofen) reinkam.
Einmal bat ich das Zimmermädchen mir die Tür zu öffnen, weil ich mich vollkommen erschöpft nur noch aufs Bett schmeissen wollte. Diese nutze die Gelegenheit gleich das Bad zu säubern und als sie das Zimmer verlies, vergass sie ihre Universalkarte. Und das Zimmermädchen klopfte, klingelte und machte wohl Handstände vor der Türe, ich solle doch von innen öffnen (ich bin zwar der türkischen Sprache nicht mächtig, aber alleine die Logik lies mich kombinieren). Ich jedoch war nicht in der Lage aufzustehen und je mehr Krawall das Zimmermädchen machte, umso unfähiger wurde ich zur Tür zu laufen. Ich schrie auf deutsch (alles andere wäre sinnlos): "ICH KANN NICHT LAUFEN." Ich gab auf und lies den Dingen ihren Lauf. Nach ca. 20 Minuten endlich Ruhe. Kurze Zeit später hörte ich gemurmel an der Türe und das Zimmermädchen kam lächelnd herein. Sie hatte sich eine Karte bei einer Kollegin ausgeliehen und hielt nun grinsend, mir zeigend, die Karte in die Luft. Ich war dieser Kollegin sooo dankbar.

Das Büfett, nein, da kann man nicht meckern, weil man von vorneherein weiss, dass mindestens ein Drittel weggeworfen werden muss - weil die russischen Gäste ihre Tische mit Speisen zum Biegen vollstellten, um dann nur einen kleinen Teil davon zu essen. Ich habe noch nie soviel Lebensmittel im Mülleimer landen sehen.

Anstrengend war das allabendliche hinundher rennen um einen Tisch zu bekommen. Russische Gäste waren so clever und legten bereits ab 17 Uhr Hüte auf die Tische, um damit eine Reservierung darzustellen. Abendessen lag zwischen 19 und 21 Uhr und viele Russen kamen nicht vor 20 Uhr zum Essen. Das gab manchen Ärger und sorgte für Abwechslung und Stimmung.

Aber das Hotel war chic.

Das Essen zu holen war gewöhnungsbedürftig. Ich vergleiche das gerne mit einem Fernsehbericht von Ulrich Wickert aus einem asiatischen Land, den ich vor einiger Zeit sah. Dort ist ein so starkes Verkehrschaos, dass man als Fussgänger keine Chance hat lebend die Strasse zu überqueren, wenn man nicht einfach starr nach unten guckt und ohne zu stocken losläuft. Und genauso musste man sich im Speiselokal verhalten. Ich lief einfach, starr nach unten guckend in die Menge hinein - und es funktionierte. Die aufregenste Situation war eindeutig der Stromausfall beim Abendessen als ich urplötzlich im vollkommen dunklen Speisesaal überhaupt nichts mehr sehen konnte. Ich stand da nun mit leerem Teller, im Begriff diesen zu füllen. Ich taste mich nach draussen und auf dem Teller lagen Speisen, die ich gar nicht essen wollte.

Aber das Hotel war chic.

Da ich nicht so gut ins Meer laufen kann, waren wir auf 2 Liegen am sehr grossen Pool, angewiesen. Wenn man meinte, dass es noch Zeit satt sei um 9 Uhr nach Liegen zu schauen, hatte man verloren. Der unangefochtene beste Zeit-Rekord war 3 Uhr nachts - ansonsten war es üblich zwischen 4 und 5 Uhr seine Liegen mit Handtüchern zu belegen. Ein älterer Herr, der mit seiner Frau am Pool neben uns lag, sagte einmal im Aufzug: "Das ist doch kein Urlaub - das macht doch alles keinen Spass". Naja, Spass hatte ich bei Alltours auch nicht bewilligt bekommen. Da um diese Uhrzeit die Klimaanlage wieder auf geringster Stufe lief (falls der Strom überhaupt lief) sind wir gar nicht mehr im Zimmer geblieben sondern haben die morgendliche Ruhe genossen.

Aber das Hotel war chic.

In der Empfangshalle fuhren gläserne Kuppelaufzüge in die Etagen. Da wir im 2ten Stock gastierten, bevorzugte ich die Treppe. Sigi, mein Ehemann, fuhr lieber mit den Aufzügen. Immer, wirklich immer, war ich schneller zu Fuss unten, als er mit dem Aufzug. Von der Halle aus konnte ich schön beobachten, wie er ungewollt rauf und runter fuhr, während ich bereits ein kühles Getränk in mich goss. So ca. einen Drittel des Urlaubes hat Sigi im Aufzug verbracht.

Aber das Hotel war chic.

Im Garten und im Poolbereich standen ca.100 Palmen, die aus Dubai angeliefert worden waren. Mir gefiel es nur nicht so gut, das sie kaum Palmenwedel trugen und wenn, dann braune. Sie sahen einem Marterpfahl ähnlicher als einer Palme (nützlich vielleicht für vergessliche Zimmermädchen). Künstlich angelegte Wasserfälle sagten uns, wenn sie plötzlich aufhörten zu laufen und zu rauschen: der Strom ist weg.

Wir haben überlebt…
Wir sind wieder zuhause...
Das war eines der aussergewöhnlichsten Urlaubsreisen, die ich je erlebt habe.

 

Ich habe nachgedacht – man sollte die Sprache des Landes, in welches man reist, wenigstens annähernd beherrschen…

 

Bis zum nächsten Döner

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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