Esra Kurt

Lia und Johanna

Es war Dienstag. Ich stand vor dem Literatencafé „Poem“. Ich stand deswegen vor dem Eingang des Literatencafés, weil ich auf eine Schriftstellerin namens Johanna Katharina Rolf warten musste. Mit ihr hatte ich ein Treffen unter Schriftstellerinnen ausgemacht, obwohl ich sie nicht so gut kannte. Und ein Treffen im Literatencafé war die gute Gelegenheit, sich näher kennenzulernen.

Nun waren anderthalb Stunden vergangen. Ich wartete immer noch auf Johanna. Obwohl ich normalerweise ein sehr geduldiger Mensch bin, platzten die Geduldsfäden in mir. Ich wusste nicht warum. Leise schimpfte ich:

Johanna, wo bleibst du denn? Ich kann doch nicht den ganzen Tag auf dich warten!“ Aber dann sagte mein Gewissen zu mir: „Liebe Lia, beruhige dich. Johanna wird schon kommen!“

Und dann kam Johanna tatsächlich. Sie lief zu mir hin und winkte. Als sie vor dem Literatencafé „Poem“ stand, huschte Johannas Lächeln zu mir. „Hallo Lia! Schön dich zu sehen!“, begrüßte mich Johanna.

Nach der Begrüßung wurde ich ein klitzekleines Bisschen zornig und fragte Johanna: „Warum bist du zu spät gekommen?“ Für Johanna kam die Frage zwar überraschend, aber sie blieb gelassen. „Ich hatte den Bus verpasst!“, sprach Johanna. „Ich musste anderthalb Stunden lang zu Fuß laufen und deswegen kam ich zu spät.“

Ich glaubte Johanna und war nicht mehr zornig. Danach gingen wir ins Café „Poem“ herein. Im Café suchten wir uns einen Sitzplatz und den fanden wir ziemlich schnell. Johanna und ich setzten uns an Tisch Nummer 23. Wir saßen gegenüber.

Hast du Lust auf Kakao?“, fragte ich Johanna. „Ja, ich habe Lust auf Kakao!“, antwortete Johanna. „Denn ich liebe Kakao.“ Und schon nach wenigen Augenblicken kam der Kellner und Johanna und ich bestellten uns Kakao.

Nachdem der Kellner die Bestellung notiert hatte, ging er wieder. Währendessen unterhielten wir uns. Zuerst über unsere Biografie, dann über unsere Werke.

Ich fand das Gespräch über unsere Lebensdaten sehr uninteressant, denn Biografien fand ich langweilig. Aber es musste sein, denn Johanna und ich trafen uns erst zum zweiten Mal.

Als wir dann über unsere Werke sprachen, hörte ich schon lieber zu. Denn mich interessierten die Werke der Erfolgsautorin Johanna Katharina Rolf.

Wie viele Bücher hast du bisher geschrieben?“, fragte ich Johanna zuerst. „Über 100 Stück!“, antwortete Johanna. Ich musste staunen, weil ich hatte erst vierzig Bücher verfasst. Das sagte ich auch zu Johanna. „Aber das sind meist dünne Bücher mit Kurzgeschichten“, ergänzte Johanna nach meinem Staunen. „Weißt du, von den über hundert Büchern, die ich habe, sind nur sieben längere Romane.“

Dann musste ich feststellen, dass sich mein Staunen nicht gelohnt hatte. Schade! Ich hatte vierzig Bücher und nur vier davon waren Bücher mit Kurzgeschichten.

Da war ich von der Länge her die fleißigere Autorin. Aber dafür kannte sich Johanna besser mit Kurzgeschichten aus, wie sie mir vor ein paar Sekunden sagte.

Inzwischen kam wieder der Kellner mit einem Tablett und stellte uns das Tablett auf den Tisch. Auf dem Tablett waren die beiden Tassen Kakao drauf. Wir nahmen uns den Kakao und der Kellner verlangte von uns die Zeche.

Ich bezahlte die beiden Tassen, weil ich hatte das Schriftstellertreffen organisiert. Danach verschwand der Ober samt Tablett. Dann tranken wir die Tassen Kakao aus.

Als wir die heiße Schokolade ausgetrunken hatten, unterhielten wir uns weiter über unsere Werke. „Was ist dein Hauptwerk, Johanna?“, fragte ich mein Gegenüber.

Mein Hauptwerk ist der Roman 'Harald Töpfer'“, sagte Johanna. „Es ist mein erfolgreichstes Werk. Und wegen diesem Erfolg gibt es viele Plagiate von meinem epischen Erzählung. Das finde ich total doof, weil ich habe Jahre gebraucht, um 'Harald Töpfer'“ zu vollenden. Und jetzt klauen Möchtegern-Schriftsteller mein Hauptwerk!“

Ich fand Harald Töpfer toll, aber das mit den Plagiaten hatte ich noch nicht gewusst. Ich fand, dass der Raub von geistigem Eigentum ein sehr schlimmes Verbrechen für einen Schriftsteller war.

Deswegen bekam ich Mitleid mit Johanna und versuchte sie zu trösten. Ich sagte: „He Johanna! Mein Hauptwerk 'Literaturwelt'“ wird auch plagiiert. Allerdings noch schlimmer als dein Hauptwerk 'Harald Töpfer'“. Als Johanna mit dem Plagiieren gehörten hatte, fühlte sie sich mit diesem Problem nicht mehr allein. Sie versuchte mich auch zu trösten. Also trösteten wir uns gegenseitig. Zuerst wurde Johanna von mir getröstet, dann ich. Und schon fühlten wir uns besser, als wir wussten, dass Johanna und ich nicht alleine mit dem Plagiatproblem standen.

Nach einigen Augenblicken kam es zu einem Themawechsel. Wir redeten über unsere Kurzgeschichten.

Johanna erzählte mir, dass sie Kurzgeschichten in den Themen Freundschaft, Realität, Fantasie, Meerjungfrauen, Elfen, Feen und Literatur favorisierte.

Ich dagegen, so erzählte ich es Johanna, favorisierte ausschließlich fantastische Themen unter Kurzgeschichten. Johanna gratulierte mir deswegen, weil sie von ihrem Psychologen aus nur eingeschränkt Fantasie in ihren Geschichten unterbringen durfte.

Während sie das mit der Themeneinschränkung von ihrem Psychologen gesagt hatte, tröstete ich sie. „Mach dir nichts draus!“, sagte ich. „Die Realität bringt auch viele schöne Geschichten. Da ist es egal, ob deine Geschichten nur wenig Fantasie haben dürfen.“

Meine Worte heiterten Johanna auf. Sie lächelte wieder zu mir und sprach: „Wo du Recht hast, hast du Recht!“ Dann redeten wir weiter über Literatur und waren glücklich. Denn mit zwei Gleichgesinnten machte das Thema „Literatur“ noch mehr Spaß!


Esra Kurt 14.06.2008

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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