Annemarie Hülsmann

Der Phantasiebauer

Es war einmal ein Mann,dessen Name Phantasiebauer war.Jeden Tag pflanzte er Phantasien an und entfaltete dort eine große Freude.Liebevoll und sorgsam  goss er seine Wurzeln, damit sie stark wurden und irgendwann wachsen würden.Er sähte jeden Tag neue Samen,hakte seinen Acker um und pfiff ein Lied dabei.
Es war ein besonders schöner,sonniger und warmer Morgen,als der Phantasiebauer laut vor sich hinpfeifend eine Schubkarre voller neuer Samen zu seinem Acker schob.Bei dem Gedanken,dass aus den Keimen bald eine große,ausgereifte Phantasie werden würde,beschleunigte seine Arbeit,während sein Herz vor Freude höher schlug.
In seinem Eifer merkte er gar nicht,wie sich ein kleiner Junge seinem Acker näherte.
"Hallo",begrüßte er den freudig pfeifenden Mann,der erschrocken zusammen schrak.
"Morgen",murmelte er und wandte sich wieder seinen Pflanzen zu.
"Was machst du denn da?",fragte er neugierig.
"Na,arbeiten,das siehst du doch!" Der Mann schüttelte den Kopf.
Doch unerschrocken fragte der Junge weiter:"Was pflanzt du denn an?"
"Phantasie",brummelte er.
"Aber...Phantasie kann man doch gar nicht anbauen!",stichelte der Junge erstaunt weiter.
"Wie du siehst,geht es sehr wohl!",antwortete der dicke Phantasiebauer muffelig.
"Aber woher hast du denn die Samen?",fragte der Junge wissbegierig weiter.
"Meine Gedanken sind die Wurzeln,die ich einpflanze",erklärte er ihm.
Der kleine Junge dachte kurz nach,dann sagte er:"Ich kann helfen!"
Ungläubig blickte ihn der Bauer an.
"Wie willst du mir helfen?"
"Ich kann meine Gedanken hier anbauen",schlug der Junge vor.
"Niemals!"Erschrocken ließ er seine Gießkanne fallen.
"Deine Gedanken sind noch nicht so ausgereift wie die eines Erwachsenen!Du denkst doch nur an Süßigkeiten und Spielsachen!Das ist meine Phantasie.Die gebe ich nicht her.Niemals!",schrie er den Jungen an,der erschrocken zurücksprang.
Er senkte seinen Kopf und ging traurig fort.
Auf dem Weg überlegte er,ob er wirklich keine Phantasie hatte.Dachte er wirklich nur an Spielsachen und Süßigkeiten?Er wünschte sich zu Weihnachten immer eine Eisenbahn und Schokolade.Der kleine Junge hatte ein schlechtes Gewissenund lief geknickt den Weg entlang.
Bald kam er an einer Wiese vorbei,auf der eine große Gruppe Kinder spielte.Sie schrien und gröhlten.Was sie wohl spielten?
Neugierig fragte er einen Jungen:"Was spielt ihr?"
Der Junge flüsterte:"Wir sind Piraten!Komm,ich hol dich aus dem Wasser!"
Bald stand er auf einem wackeligen Holzfloß und durfte nicht auf das Gras treten,das ein wides Meer darstellte.
Als sie sich zur Pause auf das Floß setzten und sich von der anstrengenden Fahrt erholten,erzählte er den anderen Kindern von seiner Begegnung mit dem Phantasiebauern.
"Das ist ja gar nicht wahr!",schrien die Kinder empört!"Es ist genau anders herum!Erwachsene haben ihre Phantasie irgendwann verloren."Die Erwachsenen haben zu lange auf sie gewartet und nicht gemerkt,als sie da war.Wir Kinder haben viel mehr Phantasie!"
Zusammen beschlossen sie,einen Acker zu bauen,der größer sein sollte als der des Bauern.
Mit vereinten Kräften gruben sie jeden Tag die Wiese um und bereicherten ihren Acker bald mit vielen Geschichten.Mal waren sie Indianer,die auf ihren Pferden um ein Lagerfeuer ritten,während die Sonne rot glühend unterging,mal Piraten,die jede Welle meisterten und über Bord gegangene Männer und Frauen gemeinsam retteten,mal waren sie Könige und Königinnen,die ihrem Volk halfen, und mal waren sie Wickinger,die eine Schatzkarte gefunden haben und den Acker nach einem Schatz umgruben und durchsuchten.
Ihr Acker trug bald viele Pflanzen in allen bunten,hellen Farben und wuchsen zu riesigen Phantasien heran.Die Kinder klatschten sich in die Hände und lachten.
Neben ihnen stand der Phantasiebauer einsam,allein und verlassen auf seinem Acker und schaute neidisch auf das Feld der Kinder.
"Was habe ich nur falsch gemacht?",fragte er sich traurig.Er hatte sich so viel Mühe gegeben und doch trugen seine Wurzeln keine Pflanzen.
Der Bauer sah hinüber zu dem Feld der Kinder.Es war vielfältig,voller verschiedener Pflanzen und Farben.
Ob Phantasien nur aufblühten,wenn man viele Ideen auf einmal miteinander verschmolz?
Verschämt ging er zu den Kindern und fragte sie:"Könnt ihr mir bei meinem Acker helfen?"
Die Kinder sahen,dass er traurig war,und somit packten sie alle an und bald war auch der Acker des Bauern so bunt wie ein Paradies.
"Danke,Kinder,ihr habt mirsehr geholfen!" Der Bauer strahlte.
Da sagte der Junge:"Du hast gesagt,Kinder haben keine Phantasie!"
Geknickt schaute der Bauer auf seine Füße und atmete einmal tief durch.Dann gab er zu:"Ich habe einen großen Fehler gemacht.Ich dachte,nur ich könnte meine Phantasie anbauen.Ich habe nicht bedacht ,dass ich,wenn ich meine Phantasie nur für mich behalte,keiner davon weiß und sie nicht wachsen kann.Was bringt einem eine Unmenge an Phantasie,wenn man sie nicht einsetzt?Eine Phantasie kann erst dann Freude bereiten,wenn man sie mit anderen teilt,denn erst dann kann man sie mit Ideen anderer bereichern und erst dann zu einer großen Phantasie heranwachsen kann.Ich habe nicht bedacht,dass die Phantasie dafür da ist,zusammen die Herzen der ganzen Menschheit zu erfüllen und zu öffnen.Entschuldigung!"
Die Kinder jubelten und der Junge fiel dem Mann um den Bauch.
"Ab jetzt bauen wir nur noch zusammen unsere Phantasie an!",rief der Bauer.
"Jaaa!",schrien die Kinder ausgelassen und fröhlich,und schon wuchs der Acker wieder wieder durch neue Phantasien an.
Dieser Tag war der Glücklichste im Leben des Phantasiebauers,denn er war nicht mehr allein.
Und wenn er nicht gestorben ist,dass freut er sich noch heute.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.07.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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