Georges Ettlin

Zahnbelag

 
Wenn ich mir heute die schönen Zähne geputzt habe, dann sind die Zahnwände,
die sich wie ein Gebirge vor der Zungenspitze aufbauen,
blitzblank und die Zunge gleitet ohne Irritationen in ihrer
angenehmen Behausung des Gedankenformulierens, des Schallraums
und des Zerkleinerns von edlen Speisen herum und denkt nicht im Geringsten daran, dort irgend etwas Bestimmtes zu suchen.
 
Aber als Schweizerkind der 40-er Jahre
des letzten Jahrhunderts hatte ich nicht, wie etwa deutsche Kriegskinder oder die aufgeklärten Amerikaner,
eine Zahnbürste und ein Badezimmer mit Dusche oder Badewanne,.... was hygienische Probleme schuf, die mir aus Gewohnheitsgründen und dem Fehlen von besserem Wissen zuerst mal gar nicht aufgefallen sind.
Doch später, beunruhigt durch diffuse Druckgefühle, Schmerzen und schlechtem, jauchigem Geschmack im Mund
eilte die Zunge durch die düsteren Welten der schmerzenden, zerbröselnden Zahnruinen und wand sich verzweifelt
im Lebensraume ihrer Gefangenschaft.. ...Die Zungesnpitze war da oft in ein Jaucheloch gefallen, fand dort Nusssplitter , Zwiebeln und zwischen den Abgründen der Zahnschluchten- und -Höhlen...Leichenteile : Fleischreste und auch Süssigkeiten, die Schmerzen verursachten :
Da gab es übelriechende,  eitrige Taschen und die Zungenspitze erschrak 
beim Finden von Löchern und spitzen Karieskanten und riss sich daran wund.
Sie bewegte sich in einer urwaldähnlichen Flora und Fauna im Mund, die sie zur Jägerin machte, sodass mein hölzern wirkender Primarlehrer mich ermahnte, mit dem Gewühle in meinem Mund
aufzuhören...Er bemerkte die Ausbuchtungen der Wange, wenn mein Zunge in verzweifelten Fluchtversuchen
gegen die innere Wangenwand stiess. 
Unter dem  gedanklichen Mikroskop meiner Knabenfantasie fand ich schon bei geringer
Vergrösserungsleistung nicht nur kleine, weisse Würmer und Schlangen,
sondern auch eirunde
Rosa-Maden und weisse Schleim-Elefanten mit meterlangen Haaren, rotäugige Monster
von fernen Planeten, Flachmonster mit tausenden zappelnden Beinchen
und ganze Grosstädte mit wimmelnden und krabbelnden Lebewesen aller Art.
 Die waren miteinander im Krieg und alle ernährten sich von meiner Zahnsubstanz.
 
Ganz schlimm wurde es später bei meinem ersten Zungenkuss mit einem gleichaltrigen
Teenager auf dem Pausenplatz, da kam es zum galaktischen Krieg der Welten,
da die ganze , genauso-wilde Population des Mädchenmundes sich auf die bakteriellen Grossstädte meines höllischen Mundraumes ergoss. Zudem litt das Mädchen
an Spuhlwürmern und schlechtem Atem.
 
 
Irgendwie haben wir beide die Kindheit überlebt und durch zahnärztliche Qualitätsarbeit, die ich mir im Alter von 24 Jahren endlich leisten konnte, wurden 80 Prozent meiner Zähne gerettet. Heute putze ich täglich mehrmals
die Zähne und kaufe mir jede Woche eine neue Zahnbürste !
 
 
***
 
c/G.E.
 
 
 

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