Helga Pütz

Yoga in der Provence

Wir freuen uns, wenn du dich mit uns auf dieses Abenteuer einlassen wür­dest, stand in dem Faltblatt, das ich soeben studierte. Wir, das sind Jette und Ulrike, zwei Yoga-Lehrerinnen, die eine Woche Yogaurlaub in der Pro­vence anbieten. Weiter heißt es in der Ausschreibung: Das Anwesen liegt einsam auf einem Südhang, das Tal von Cornillac überblickend. Die Gegend gehört noch zu den Alpen und schon zur Provence. Die Frage war: Wie komme ich dahin? Unerwartet schnell ergab sich die Lösung beim Kennenlern-Treffen. Lisa hatte ein Auto und wollte nicht die ganze Strecken alleine fahren. Sie war bereit Ruth und mich mitzunehmen.



Freitag war Anreisetag. Da es gleich­zeitig der erste Ferientag war, starteten wir um 5.00 Uhr. Jede übernahm für einige Zeit das Steuer. Auf den franzö­sischen Autobahnen kamen wir zügig vorwärts, nur um Lyon war lebhafter Verkehr. Als wir in Montemillar die Autobahn verlassen konnten, dachten wir, nun kann es nicht mehr weit sein. Ein Irrtum, wie wir schnell feststellten. Immer wieder ein Kreisel und die Frage, wo geht es weiter. Nach mehr als 10 Stunden Fahrt wollten wir end­lich ankommen. Lisa fuhr das letzte Stück und ich war sehr froh darüber. Diese schmalen Serpentinen mit einem fremden Auto zu fahren, wäre mir nicht so lieb gewesen.



Jette und Ulrike, die voraus gefahren waren um Vorräte für unsere Mahlzei­ten einzukaufen, begrüßten uns. Sie hatten für uns gekocht. Gleich am ersten Abend wurde deutlich, wie schwierig es ist, abzuschätzen welche Mengen elf Personen essen. Dieses Problem hatten wir öfter und dann kam es zu hitzigen Diskussionen, was mit den Resten gemacht wird. „Euere Ge­neration kann nichts wegwerfen“, meinte Christine, die Jüngste in der Runde.



Im Vorfeld hatte ich mir nicht vorstellen können, den Tag ohne Kaffee und Frühstück anzufangen. Eine Tasse grüner Tee und ein Kräcker reichten, wie ich erstaunt feststellte. Um 8.00 Uhr starteten wir mit Meditation. Den ersehnten Kaffee gab es in der Früh­stückspause um 9.00 Uhr. Ratsam war, nur wenig zu essen, ein voller Bauch hätte bei den Übungen gestört.



Mit meinen 62 Jahren war ich die zweitälteste Teilnehmerin. Das regel­mäßige Training setzte mir zu. Nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, nun bin ich in der Lage, jeden einzelnen Knochen zu numerieren. Dann hatte der Körper sich daran gewöhnt und es ging aufwärts. Wie die anderen Teil­nehmerinnen hatte ich meine kleinen Erfolgserlebnisse. Bei den Vorübungen zum Kopfstand dachte ich, ohne mich. Am nächsten Tag war Kopfstand ein Teil des Programms. Einige führten ihn problemlos aus. Ich brauchte Hilfe­stellung, aber ich stand auf dem Kopf. Und das gleich zweimal, denn einmal mußte ich den Schwung um nach oben zu kommen mit dem rechten Bein holen und zum Ausgleich auch mit dem linken.



Nach der Morgenpraxis war die Küche überfüllt. Alle sorgten dafür, daß der Brunch schnell fertig wurde. Mittler­weile war es 12.00 Uhr. Wir hatten Hunger. Dieses Essen konnten wir ge­nießen, denn die nächste Übungsein­heit begann erst um 17.00 Uhr. Bei den Mahlzeiten ging es lebhaft zu. Vereinbarungen für die Pause wurden getroffen. Wer Abkühlung wollte, fuhr zum Badesee. Oft verbrachten wir die freien Stunden in der Sonne, mit Lesen oder Erzählen. Der Blick von den obe­ren Häuschen auf die Bergkette und das Tal war faszinierend. Große Schmetterlinge umschwirrten uns ohne Scheu. Es war beeindruckend, wie viele verschiedene, wunderschöne Arten es dort noch gibt.



Jette und Ulrike wollten uns nicht nur mit der Praxis, sondern auch mit der Philosophie des Yogas vertraut machen. Aus den Sutren von Patanjali hatten sie Texte vorbereitet, die sie vortrugen. Patanjali war ein indischer Gelehrter, der zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert vor Christus gelebt hat. Faszinierend finde ich, daß der Leitfa­den des Patanjali (Sutra bedeutet Faden), bestehend aus 195 Sätzen, bis heute das maßgebende Werk über Yoga ist. Für Patanjali ist die Beherr­schung des Körpers lediglich eine Vor­aussetzung für innere, spirituelle Vollendung.



Wir hatten sparsam gewirtschaftet, die Haushaltskasse war noch gut gefüllt. So gönnten wir uns am letzten Abend einen Restaurantbesuch. Bis jede ihr Menü bestellt hatte, dauerte. Und bis serviert wurde noch länger. Welche Rolle spielte das? Es ging uns gut. Wir hatten eine erfolgreiche Woche, dafür bedanken wir uns bei Jette und Ulrike.



Im Anschluß an das Essen versam­melten wir uns alle in der Küche des Anwesens. Mit einem Schluck Sekt verabschiedeten wir uns. Einige woll­ten ausschlafen, die anderen verabre­deten sich um 7.00 Uhr zum Früh­stück. Am nächsten Morgen herrschte Aufbruchstimmung. Nach dem Früh­stück wurden die Autos beladen. Wir machten uns auf den Heimweg.



Kurz vor der Luxemburger Grenze war die Autobahn gesperrt. An einer Maut­station hatten wir zwar eine Beschrei­bung bekommen, wie umgeleitet wird, trotzdem kamen wir vom „rechten Weg“ ab. Als wir endlich in Luxemburg wieder auf der Autobahn waren, rezi­tieren wir das Gayatri-Mantra, um un­sere aufgewühlten Nerven zu beruhi­gen.



Ulrikes wohltönende Stimme fiel mir ein, wenn sie mit Jette das Gayatri-Mantra vortrug. In dieses Mantra ein­zustimmen und von den Strahlen der aufgehenden Sonne gewärmt zu wer­den, war ein besonderes Erlebnis wäh­rend der Meditation. Die Ruhe der Bergwelt passte zu diesem Urlaub. Zum ersten Mal im Leben hatte ich eine Woche nur mit Frauen verbracht. Frauen, die achtsam miteinander um­gingen. Die konzentrierten Übungen haben mich bis an meine Grenzen gefordert. In dieser Woche habe ich gelernt, diese Grenzen zu akzeptieren. Auch wenn ich gegen Ende der Wo­che, als die Übungen schneller aus­geführt wurden, mitunter eine kleine Pause einlegen mußte, bevor ich mich wieder in den Zyklus einreihen konnte, würde ich jederzeit wieder mitfahren!





Helga Pütz

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