Kindermund oder Nachspeise
Gedankenversonnen sitze ich in meinem Arbeitszimmer, die Tür natürlich nicht abgeschlossen.
Vor mir liegt ein neues lyrisches Gedicht. Mein Versuch mit Worten zu zaubern wird gestört. Ich hatte vergessen, dass meine Enkelkinder, Zwillinge und Mädchen zu Besuch waren. Jeder Erwachsene hätte meine Arbeitsruhe akzeptiert.
Die Tür geht auf, ein blonder Kopf erscheint. Ich kann nicht böse werden, wenn ich sie sehe, also höre ich: „Opa, heute gibt es Pudding auf Kirschen. Ich hole dich, wenn er fertig ist.“ Punkt, aus, der Kopf verschwindet. Es ist wohl Brauch, dass diese Süßspeise nur schmeckt, wenn der Opa dabei ist.
Leise knurrend, aber wirklich nur ganz leise, unterbreche ich meine Arbeit am PC. Mein Weg führt in die Küche. Sie dulden mich und ich darf die Herstellung, doch was wichtiger ist, die vierjährigen Zwillinge beobachten. Sie stehen am Elektroherd und schauen Oma zu. Sie lernen durch Zuschauen.
Mir ist klar, dass Kinder zu den Sachen wie Schokolade, Pudding auf Kirschen, Eiswaffeln, Schlagsahne und süßen Getränken eine größere Hinwendung haben, als zu sauren Gurken, Rollmöpsen, deftigem Essen und zu Sekt oder Bier. Diese sich wandelnde Zuwendung ist eine Entwicklung innerhalb der menschlichen Entwicklung. Keinem Leser möchte ich diese Entwicklung als negativ darstellen, mir ging es genau so. Es kann auch sein, dass eine Rückentwicklung im Seniorenalter stattfinden könnte, in welcher wieder die Vorliebe für Torten, Süßspeisen und Pudding vorherrscht, so lange es die Cholesterinwerte zulassen.
Meine Beobachtung in der Küche führt zu weiteren Ergebnissen. Oma wird etwas unruhig durch die Vielzahl der Topfgucker. In mehreren Schalen wird Vanillepudding gemacht, Schlagsahne gerührt und die Kirschen in die größte Schale mit einem Festigungsmittel vorbereitet. Natürlich dürfen die beiden Mädchen jede Vorbereitungsphase mit leisen Fingerspitzen begleiten. Es wird kurz angeleckt, geschmeckt und mit Jubel der Vorgang unterstützt. Für meinen Finger ist die Schale mit Schlagsahne streng verboten. Menno. Die Kleinen haben schnellere Finger und kleinere Hände, sie kommen dort hinein, wozu ich einen Löffel bräuchte. Eine Stunde zuschauen darf ich, die Zunge spitzen darf ich, doch mehr ist mir nicht erlaubt. Ich war doch auch vor langen Jahren ein Junge und weiß, wie schön es ist, vorher etwas aus zu probieren. Opa leidet also still.
Nun muss der Vanillepudding allerdings erst fertig auf dem Herd werden. Die Vorbereitungsschüsseln sind fingermäßig sauber geleert. Eines haben wir Erwachsenen den Kindern voraus. Wir können warten, zwei kleine Mädchen nicht.
„Oma, wann ist der Pudding fertig?“
„Kind, ich kann nicht zaubern.“
„Oma, kann man den schon essen, wenn er warm ist?“
„Kind, er muss erst etwas abkühlen.“
„Oma, können wir das im Kühlschrank machen?“
„Hört zu, ihr Beiden, für euch gehe ich sogar zur Kühltruhe, dann geht es schneller.“
Vier Ärmchen ringen sich um den Leib.
„Oma, du bist doch die Beste.“
Während der Wartezeit beschäftige ich mit den süßen Blagen. Fragen auf Fragen wechseln mit wenigen Antworten. Sie überrollen mich mit ihrem Temperament. Opa versucht dabei Sprachschwierigkeiten zu korrigieren. Das misslingt völlig, weil ihre Gedanken Richtung Herd gehen.
Endlich höre ich eine weibliche Stimme mit den Worten: „Der Pudding ist fertig. Ich bringe ihn zur Kühltruhe.“
In diesem Moment singen fast im Duett zwei Kinderstimmen: „Oma, wie schön. Wir holen schon Schalen.“
Beide haben konsequent zu Ende gedacht. Pudding wird aus Schalen gegessen. Ich werde zur Nebensache. Der Pudding oder besser die Nachspeise ist noch warm, als sie aus der Kühltruhe kommt. Doch meine Augen beginnen zu leuchten, als ich sehe, dass dieses kein Hindernis ist, wenn zwei Süßmäuler davor hocken. Immerhin bekomme ich auch eine Schale ab. Er schmeckt wirklich gut.
© pk 07 / 08