Eines Tages entschloß es sich, kein Eichhörnchen mehr zu sein. Zur bestimmten Tageszeit rief die Mutter nach ihren Kindern, denn sie sollten vom Vater belehrt werden, der auch gleichzeitig ein Lehrer für Eichhörnchen war. Von allen Seiten kamen die Kleinen zu ihrer Höhlenschule und setzten sich, mit den buschigen Schwänzen nach oben gerichtet, ganz brav vor ihren Lehrer. Aufmerksam hörten sie ihm zu, wenn er ihnen erzählte, was alle Eichhörnchen wissen müßten, da es im großen Wald auch viele Feinde gäbe. Susi aber langweilte sich sehr und schlich sich eines Tages hinter ihrem Vater und Lehrer aus der Höhle fort. Wie ein Wirbelwind sauste sie auf eine hohe Buche, auf der viele Buchfinken herumhüpften und freudig herumzirpten. Ja, ein bunter schöner Buchfink wollte sie sein und genauso durch den Wald fliegen können.
Das
Fliegen wollte sie bei denen lernen, wie es die vielen größeren
Buchfinkenkinder bereits taten. Des öfteren saß Susi auf dieser
riesigen Buche und schaute neugierig zu, wie die Buchfinkenmutter
ihre Jungen belehrte. Dann war es eines Tages soweit, daß sie ihre
noch ganz jungen Vogelkinder aus dem weichen Nest lockte. Das war der
Beginn des Fliegenlernens. Unbeholfen hüpften sie aus dem Nest und
sahen der Vogelmutter nach, die in einen anderen Baum flog. Mehr
fallend als fliegend landeten sie wackelig, aufgereiht wie die
Orgelpfeifen, neben der Mutter auf einem dicken Ast.
„Wirklich
gut“, rief eine alte erfahrene Krähe und schlug voller
Begeisterung mit den Flügeln.
Gleichzeitig
drehte sie ihren Schnabel zum Eichhörnchen Susi, das voller
Begeisterung die ersten Flugversuche mitverfolgte und rief ihm zu:
„Versuch
es doch auch mal!“.
„Ja,
ja, versuch es mal!“, rief eine andere Nachbarskrähe.
„Na,
mach schon!“, krächzte erneut die alte Krähe.
„Ich
habe aber Angst!“, rief Susi aufgeregt und zitternd zu ihnen
hinüber.
„Du
bist ein Eichhörnchen und willst ein Buchfink werden, dann mußt Du
auch das Fliegen erlernen!“, sagte die Mutter der einen
Buchfinkenfamilie, die den Wunsch von Susi kannte.
Mutig
plusterte sie ihr braunes Fell auf, stellte den dicken buschigen
Schwanz in die Höhe, spreizte die Beine auseinander und ließ sich
fallen. Sie wollte den nächsten Baum fliegend erreichen. Doch wo
landete Susi? Natürlich auf dem Waldboden inmitten der bekannten
Blätter und Äste.
„Aua,
aua!“, rief sie laut und faßte sich an ihr hinteres rechtes Bein.
Die ganze Vogelschar kam angeflogen um nachzusehen, wie dem mutigen
fliegenden Eichhörnchenkind das Fliegen bekommen war. Als sie es so
hilflos am Boden liegen sahen, fingen sie an zu weinen. Doch eine
weise Buchfinkenmutter hüpfte dicht an Susi heran, legte einen
Flügen um ihre Schulter und sagte für alle hörbar:
„Liebes
Eichhörnchenkind, jedes Tier kann nur so sein, wie es auch geboren
wurde, jedes nach seiner Art. Darum wirst Du auch niemals fliegen
können wie wir Vögel. Und wir Vögel können niemals ein flinkes
Eichhörnchen oder etwas anders sein und werden. Also bleibe wie Du
bist und sei zufrieden, denn die Vielfalt hier auf der Erde macht
erst das Leben schön und bereichert das Zusammenleben
von uns allen!“.
Ganz still wurden alle, denn
sie hatten den Sinn verstanden.
Während
der ganzen Zeit suchten Eichhörnchen des Waldes die weggelaufene
Susi. Sie machten sich große Sorgen und riefen nach ihr, aber
vergebens.
„Was
soll nun mit der verletzten Susi geschehen?“, fragte ein
aufmerksamer Buchfink.
„Ich
habe eine Idee!“, rief ein anderer und schaute zur alten Krähe.
„Du
bist doch an allem Schuld. Jetzt setze dich mal neben das
Eichhörnchen. Wir schieben es dann auf deinen großen Rücken und du
fliegst dann Richtung Eichhörnchenhöhle!“.
„Ja,
und wir alle begleiten Euch, damit alles gutgeht“, riefen die
Jungbuchfinken, die erst gerade das Fliegen gelernt hatten.
Die
Dunkelheit brach herein, und plötzlich hörte Susi ein lautes Rufen
unter sich und befahl der Krähe anzuhalten.
„Na,
sowas, na sowas!“, krächzte es aus ihrem Schnabel und sie flog
behutsam zur Erde. Susi rollte sich von ihrem Federkleid hinunter und
landete verstört im Laub. Mit lautem Flügelschlagen und Gezwitscher
verabschiedete sich die riesige Vogelschar und flog von dannen.
In
diesem Moment wurde Susi von den vielen Eichhörnchen des Waldes
umringt. Eine freudige Begrüßung setzte ein und einige brachten ihr
Eicheln, denn sie hatte sicherlich schon lange nichts mehr gegessen.
Nun erreichten auch die Mutter und der Vater ihr geliebtes,
erschöpftes und wiedergefundenes Kind. Alle weinten vor Freude. Sie
setzten es auf den Rücken eines ganz dicken und großen Artgenossen
und begleiteten es nach Hause, um das verletzte Bein zu behandeln.
„Ab
heute“, sagte das schlauer gewordene Eichhörnchen Susi, „werde
ich mich fleißig als Eichhörnchen belehren lassen und auch niemals
mehr was anders sein wollen!“.
„Das
ist gut und richtig!“, versicherte der Lehrervater und gab der Susi
einen dicken Kuß.
„Einsicht
ist der erste Schritt zur Besserung!“, bestätigte im Hintergrund
eine alte weise Eichhörnchen-Oma. Inzwischen zog die Nacht herbei
und alle Tiere des Waldes legten sich friedlich zur Ruhe.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2008.
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