Sven Später

Lange Fahrt

Mit einem plötzlichen Ruck kam der Wagen auf der verlassenen Landstraße zum Stehen und gab keinen Laut mehr von sich.
„Na toll“, stöhnte Angelique und drehte den Zündschlüssel herum.
Nichts.
Aus irgendeinem Grund hatte der Motor aufgegeben, wollte sich nicht einmal mehr zu einem leisen Röcheln durchringen. Einige Male probierte sie es, trotz besseres Wissens. Wenn diese alte Schrottkiste nicht wollte, dann wollte sie eben nicht. Da half weder gutes Zureden, noch rohe Gewalt.
Verärgert schlug die junge Frau mit den Händen aufs Lenkrad. Ein kurzes Hupen erklang, dröhnte in Angeliques Ohren, dass sie unwillkürlich zusammenzuckte.
„Aha“, murmelte sie resigniert zu sich selbst, „hupen kannst du also noch. Einfach prima. Hättest du nicht noch eine halbe Stunde durchhalten können, du Mistding? Eine verfluchte halbe Stunde.“
Wieder probierte sie den Wagen zu starten, aber es blieb dabei. Das Auto war hin. Endgültig.
Sie stieg aus und streckte in der heißen Sommersonne ihre Arme und Beine. Soweit das Auge reichte, konnte Angelique nichts anderes sehen als Wiesen. Sie reichten bis zum Horizont. Beinahe schien es, als würde die Welt nur aus einer holprigen Straße bestehen, umrahmt von einer schier endlosen Graslandschaft. Vielleicht wäre es besser, den Pannendienst so rasch wie nur möglich zu informieren. Bis die hierher gefunden hatten, konnten Stunden vergehen.
Wertvolle Zeit, die sie nicht zur Verfügung hatte. Ihr Chef erwartete sie und er hasste Unpünktlichkeit, ganz gleich, aus welchem Grund einer seiner Mitarbeiter zu spät kam. Die einzige Ausrede, die er gelten ließ war, wenn man tot umfiel.
Angelique nahm ihre schwarze Ledertasche vom Rücksitz. Inständig hoffte sie, dass sie hier draußen Empfang hatte. Zuerst ein kurzer Anruf beim Pannendienst, dann bei ihrem Chef, damit er zumindest wusste, warum sie zu spät kommen würde. Nicht, dass ihr das Schwierigkeiten ersparen würde, aber es gehörte zum guten Ton. Endlich fand sie ihr Telefon zwischen Schminkzeug, Kaugummis und kleinen Notizbüchlein in den verschiedensten Farben und starrte fassungslos auf das Display. Der Akku war leer.
Wenn es kam, dann aber richtig. Wie gerne hätte sie das Ding einfach auf den Asphalt geworfen, hätte es gerne in tausend Stücke zerspringen sehen. Doch mit Firmeneigentum hatte man vorsichtig umzugehen. Neben seinem Wahn, was absolute Pünktlichkeit betraf, war Angeliques Boss auch ein außerordentlicher Geizhals. Zu spät kommen und dann noch das firmeneigene Handy zerstört zu haben, konnte nur in einem Desaster enden. Also begnügte sie sich damit, es einfach auf die gepolsterte Rückbank zu schleudern.
Ärgerlich stemmte sie ihre Fäuste in die Hüften und schnaubte. Sie bemerkte den großen Kerl nicht, der sich ihr von hinten näherte, bis er ihr auf die Schulter tippte.
Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr Angelique herum und sah sich einem Typen gegenüber, den sie in der Stadt für einen Penner gehalten hätte. Seine Kleidung war schmutzig, an einigen Stellen sogar zerrissen. Das schwarze Haar klebte ihm fettig auf dem viel zu großen Kopf, schien mit Motorenöl gewaschen zu sein. Um den Mund, der ihr ein Grinsen zeigte, das verfaulte, zum Teil abgebrochene Zähne zeigte, wucherte ein ungepflegter Bart. Alles in allem eine höchst beunruhigende Erscheinung. Abgesehen davon stank er zum Himmel. Nur mit Mühe konnte es Angelique vermeiden, vor Ekel eine Grimasse zu ziehen.
„Na, Frollaain, Panne?“
Mit jedem seiner Worte schlug ihr ein widerwärtiger Geruch entgegen. Eine Mischung aus verfaultem Essen und billigem Fusel. Angelique wich einen Schritt zurück, um ein wenig Abstand zu diesem Haufen menschlichem Dreck zu gewinnen. Sein Blick musterte sie von Kopf bis Fuß. So musste man sich während einer Fleischbeschau fühlen. Wahrscheinlich war es, dass er abschätzte, wie einfach oder schwierig es werden würde, Angelique auf den Boden zu zerren und ihr die Kleider vom Leib zu reißen, um ...
Nein, daran durfte sie nicht einmal denken.
„Mein Freund kommt gleich vorbei“, sagte sie nervös. Es war eine der ältesten und albernsten Ausreden der Welt. Darauf konnte selbst dieser Kerl nicht hereinfallen, auch wenn das letzte bisschen Verstand wohl im Suff erstickt worden war.
„Er wird wohl jeden Augenblick da sein. Wär schlecht, wenn er Sie dann hier sehen würde. Er ist unheimlich eifersüchtig.“
Obwohl Angelique wusste, dass ihr der verwahrloste Typ unter Garantie kein einziges Wort glaubte, konnte sie nicht aufhören, solche Geschichten zu erfinden.
Der Penner glotzte sie nur weiter an.
„Gar niemand wird vorbeikommen, Schätzchen“, sagte er breit grinsend. „Gar keiner. Und schreien hört dich auch keiner, wenn ich dich in kleine Stückchen zerlege.“
 
Im etwas entfernter liegenden Wald hörten nur einige Wildtiere die entsetzlichen Schreie und das Kreischen einer Motorsäge. Dann herrschte Stille. Fein säuberlich wurde die Fracht in den Kofferraum gepackt und der Deckel mit einem lauten Knall geschlossen. Auch das Handy, das auf dem Rücksitz des Wagens gelegen hatte, tat seinen Dienst, es war lediglich abgeschaltet gewesen. Mehr nicht. Bald würde jemand vom Pannendienst eintreffen und dann ging die Fahrt los. Niemand würde das Blut bemerken, das sich im hohen Gras auf der linken Straßenseite angesammelt hatte. Und selbst wenn, war es auch egal. Blieb nur mehr die Frage, wie Angelique ihrem Chef erklären sollte, was sich dort im Kofferraum des Betriebswagens in einigen Abfallsäcken befand.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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