Andreas Rüdig

Der vorlaute Orientalist

Beruflich befassen sich die Orientalisten mit der Kultur des vorderen Orients. Sie sollen das Wissen über die historischen Kulturleistungen dieser Regionen bewahren und weiterentwickeln. Im Mittelpunkt stehen dabei das Schriftgut, die Sprachen und die Geschichte einzelner Sprach- und Kulturräume der Vergangenheit und Gegenwart. Ihr Wissen kann bei wirtschaftlichen Kontakten hilfreich sein.

Sehr geehrter Herr Kulturminister,
erlauben Sie mir, Ihnen einen Brand- und Bettelbrief zu senden. Wie Sie wissen, bin ich von der Niederrheinischen Universität zu Duisburg beauftragt worden, Ideen zum Fortbestand der Lehre und Forschung an unserer Universität zu entwickeln.
Wie bekannt, arbeitet unserer Universität eng mit der Bergischen Fachhochschule in Remscheid zusammen. Dort wird naturwissenschaftliche Forschung auf höchstem Niveau betrieben. Der technische Bereich wird von unserer Dependance in Möchengladbdach, der "Freien Grenzland - Gesamthochschule" abgedeckt.
Was also hier in Duisburg tun? In Duisburg möchten wir die Gesellschaftswissenschaften konzentrieren. Wie kann man das menschliche Zusammenleben sinnvoll organisieren? Diese Frage bewegt uns. Doch es geht nicht nur um das Hier und Heute. Wer wissen möchte, wie er die Gegenwart gut bestehen kann, der muß seine Grundlagen kennen. Die Studiengänge der Allgemeinen und regionalen Geschichte, Germanistik, Linguistik / Philologie und Soziologie sind ja bereits gut ausgebaut.
Nun gilt es, zu neuen Ufern aufzubrechen. Von Duisburg aus möchten wir die Geschichte des Vorderen Orients, also überwiegend Arabien, Persien, Afghanistan, aber auch Ägypten und Somalia kennenlernen. Die Gegenwart wird uns ja durch die tägliche Berichterstattung im Fernsehen nähergebracht. Wie sieht aber - beispielsweise - die Vor- und Frühgeschichte Persiens und Afghanistans aus? Welche Völker gab es früher in Somalia? Welche Kontakte gab es nach Nordafrika und nach Indien? Fragen wie diese möchten wir erforschen.
Einen Teil der Forschungsgelder möchten wir selbst erwirtschaften, etwa durch die Veröffentlichung von Bücher, der Akquise von Forschungsaufträgen, die Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft oder die Politikberatung. Dieser Bereich wird etwa drei Viertel unserer geplanten Einnahmen erwirtschaften. Das restliche Viertel müßte also durch staatliche Zuschüsse abgedeckt werden. Dürfen wir auf Ihre Hilfe hoffen?


(Antwort)

Sehr geehrter Herr Universitätsbeauftragter,
ja, Sie dürfen.

(2 Tage später)

Sehr geehrter Herr Kulturminister,
inwieweit?

(große Antwort)

Sehr geehrter Herr Universitätsbeauftragter,
die Idee, einen Studiengang "Orientalistik" an der Niederrheinischen Universität einzurichten, ist in meinem Ministerium auf rege Gegenliebe gestoßen. Schließlich gilt es, den Universitäts- und Forschungsstandort Niederrehin zu festigen und zu stärken. Gerade die Gesellschaftswissenschaften sind hier nur unzureichend vertreten. Daher begrüßen wir Ihre Initiative freudig erregt. Zumal sie auch nur mit geringen Kosten für uns verbunden ist. Haben Sie schon einen konkreten Kandidaten im Auge?


(drei Wochen später im Kulturministerium)

(klopf klopf)

Ja, bitte?

Herr Meier? Ich heiße Müller. Wir sind heute zu einem Vorstellungsgespräch verabredet.

Aber natürlich. Kommen Sie doch herein. Nehmen Sie Platz. Kaffee?

Nein, danke, lieber einen türkischen Tee.

Türk-..., ja, äh, natürlich. Sofort. (10 Minuten später) Hier bitte.

Danke.

So, so, Herr Müller, Sie möchten also Orientalistik - Professor an der Duisburger Universität werden? Erzählen Sie doch bitte etwas über sich. Fangen wir dabei von vorne an. Was bewog Sie dazu, gerade Orientalistik zu studieren?

Daran ist Karl May schuld. (Staunen auf der Gegenseite) Ja, wirklich. Ich habe die Bücher um Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar regelrecht verschlungen. Auch Lawrence von Arabien und andere Orient - Helden interessierten mich sehr. Ich habe alles über sie gelesen. Später kamen dann Reiseführer und Fachbücher hinzu.

Sind Sie denn auch schon mal im vorderen Orient gewesen?

Aber natürlich. Für meine Doktorarbeit bin ich an all den Orten gewesen, die Kara Ben Nemsi gesehen hat. Ich konnte nachweisen, daß es Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar wirklich gab. Ich sah nämlich überall ihre Büsten und Standbilder.

Und was ist mit Lawrence von Arabien?

Ach Quatsch. Der ist doch nur eine Filmfigur.

So, so. Und wo studierten Sie?

An der Südwest - Universität Freiburg. Ich brachte 8 Semester. Promotion: Kara Ben Nemsi, 1988, summa cum laude. Habilitiert habe ich drei Jahre später.

Zu welchem Thema?

Hergés "Tim und Struppi" - Comics. Die spielten ja teilweise auch in Arabien. Interessante Lektüre übrigens. Sollten Sie unbedingt lesen, Herr Meier.

Wieso? Gab es Tim und Struppie auch?

Ja, natürlich. Wußten Sie das nicht? Ja, haben Sie denn nicht meine Habilitationsschrift gelesen? Ich konnte darin nachweisen, daß Tims Abenteuer im jordanisch - saudisch arabischen Grenzgebiet spielen. Hergés Orientkenntnisse waren überragend.

Ich sehe, Sie tragen einen Kaftan. Stamm der auch von Ihren Forschungsreisen?

Aber nein. Der stammt vom türkischen Gebrauchbekleidungshändler um die Ecke. (verblüffter Blick des Gegenübers.) Spaß beiseite. Den habe ich mir in Dschibuti gekauft, als ich den Reiseführer über das kleine Land am Horn von Afrika geschrieben habe. Wußten Sie schon, daß es das Horn wirklich gibt?

Ja, natürlich, das kann ich ja auf der Landkarte nachlesen. Es liegt doch genau gegenüber von Saudi - Arabien ganz in der Nähe von Somalia.

Aber nein! Mitnichten! Das Horn von Afrika ist ein alphornähnliches Blasinstrument, das sich vom Strand von Dschibuti befindet. Die Schiffe, die vom Suezkanal aus in Richtung Indischer Ozean fahren, müssen am Strand landen, das Horn blasen und dürfen erst dann weiterfahren. Nur so wird sichergestellt, daß keine Stürme das Schiffe sinken lassen. Das wußten schon die vorislamischen Araber.

Herr Müller, es reicht. Sie sind der einzige Bewerber, der alle formalen Voraussetzungen erfüllt. Und die anderen Kandidaten erzählen mir noch mehr Quatsch. Also werde ich Sie einstellen müssen.

(2 Monate später)

Hallo Mama,
ich kann Dir heute nur ein paar Zeilen schreiben. Ich sitze nämlich auf gepackten Koffern. Übermorgen fliege ich ins südliche Arabien. Ich soll erforschen, ob es dort Spuren der biblischen Königin von Saba gibt...


Gesehen wurde der Bewerber Müller übrigens nicht mehr. Ob er dem Liebreiz der Königin anheim fiel, läßt sich nicht sagen. Seine Stelel wurde jedenfalls schnell neu besetzt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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