Der Zeit fliehen, die immer schneller ist als ich.
›Wohin?‹
›Nach Do'an.‹
›Machst du Witze? Im Krebsgang zurück?‹
Die Uhr tickt von Aden bis Do'an. Hadhramaut, der östliche Jemen, besungen und geliebt - wofür, wird mir später klar - und bereist von Menschen wie ich, die mit den Sanddünen wandern. Ein Zwölf-Stunden-Weg am Meer entlang, der streckenweise Ähnlichkeit mit einer weißen Schneelandschaft hat. Sandschieber halten in regelmäßigen Abständen die neue Straße frei. Gute Straßen gibt es. Mein Vertrauen in die Moderne wächst. Hat sie Vertrauen zu mir - die Frau, meine Schwägerin, die ihr Kind mit uns reisen läßt, das Land des Großvaters kennenzulernen? Mohamed, mein Neffe lacht: piece of cake!
›Hast du die Heizung an? Man ist das warm.‹
›Nein, habe auf Fan-Betrieb gestellt. Erinnerst du dich an diese Stelle?‹
›An welche? Alles sieht gleich aus. Rechts das Meer, links die Wüste.‹
›Hier hatten wir vor einem Jahr unseren Autounfall.‹
Mist! Stimmt genau. Mir wird mulmig im neuen Auto, dem kompakten Suzuki Vitara - unser Wüstenschiff. Der Toyota hat nicht überlebt, aber wir. - Endlich ein paar Akazien im Schnee. Wir halten an, atmen tief durch. Alles riecht nach Salzwasser. Ein Adler zieht in Richtung Felsgruppe ab. Zu frischen Brotfladen gibt es Bohnen und viel Tee, nach drei Stunden Fahrt. Wach bleiben! Bloß nichts verpassen. Seit 6.00 Uhr widerwillig munter
und dann dieses Wiegenlied des Windes, das durch die Fensterritzen ins Ohr dringt. Man sagt, Kamele kennen ihren Weg durch die Wüste. Ein Königreich für ein Kamel!
Im Anschluß an das Frühstück geht mein Wunsch in Erfüllung. Vollbremsung! Reifen quietschen, der Wagen stoppt am Wüstenrand. Das Tier blickt majestätisch auf uns herab. Mir fällt kein Schimpfwort ein. "Du blödes Kamel!" erscheint als verwaschene Erinnerung an ausgelatschte Slogan.
Be careful, what you wish for!
Alle sechs Insassen sind wohlauf, nur etwas verdreht. Suzuki gegen Kamel. Wer gewinnt? Unsere Autohupe.
Ständig frage ich meinen Mann nach sinnlosem Zeug, ihn wach zu halten.
›Ziege!‹
›Esel!‹
›Kamel!‹
›Söhne Adams!‹
Mein Gott! Was aber auch alles auf der Straße, zu dieser Zeit unterwegs sein muß? An Fischerhütten vorbei nähert sich Mukalla - die Hauptstadt Hadhramauts. Fünf Stunden Fahrt verbleiben.
›Warum wollen wir nach Do'an?‹
›Ich will das Haus, du kannst sagen "Schloß", meines Vaters wiedersehen. Wenn wir Glück haben erleben wir die Sujul.‹
›Wie bitte?‹
›Die reißenden Wasser, die nach längerem Regen fließen, und Do'an den Beinamen Wadi eingebracht haben.‹
Wadi, ein Fluß, den es nur zur Regenzeit gibt? Das muß ich sehen. Natürlich auch das Schloß. Da tun sich ja Abgründe auf. - Sie tun es. Eine Stunde vor Zielankunft, der Traum in der Tiefe. Je tiefer sich Blicke senken, desto grüner und süßer die Luft. Schwarz, Rot, Gold - die Datteln sind reif. Schwarzer Dattelhonig aus Do'an, so kostbar wie Gold und von medizinisch unschätzbarem Wert; erwähnt schon im Heiligen Koran, von mir sorgsam abgeklopft - und verkostet.
Der Fluß im Canyon voll Palmen
Wald versunken in Stille
der Himmel schwarz
verschleiert nähert sich Regen
Zuerst am Wadi ...
Kamelschatten
Kamele, natürlich! Von denen purzelten vor -zig Jahren die 15-jährigen Bräute am Tag der Brautzuführung.
"...und gegrüßt sei das Kamel, das dich bringt.", riefen damals alle Anwesenden.
Nach unserer Begrüßung, etwas Privatsphäre. Ich sehe aus allen Fenstern, die Glas nicht kennen, wie Goethe bei Tischbein.
As-Sujul --
Do'ans Palmenwald
ein Reisfeld
Ein Tagtraum. Im alten Haus die Holzschnitzereien an Balken und Läden. Auf leisen Schritten geht die Dämmerstunde durch die engen Steingassen, schleicht sich zwischen den Lehmziegeln und klettert an den Hochhäusern zu mir herauf. Kein Laut. Der Esel hat das letzte Wort. Müdigkeit erobert meine Augen.
Fata Morgana . Ach, ist's nur geträumt?
Die Kamera lügt nicht! Auf dem Monitor des Laptops sehe ich erst jetzt den Staub in der Landschaft. Bulbulgesang. Mal von Akazien. Mal vom Doom, ein Baum mit unzähligen Blättchen wie Dornen; so ungastlich, doch, der Wirt meines Abendliedes.
Gute Nacht, Do'an! Die Zeit bleibt stehen. Mein Herz schlägt ruhig.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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Sprachtechniker Walter Mathois und Verskonstrukteurin Heike Gewi hämmern, klopfen ab, machen Licht in den Ecken des Vergessens, hängen Bilder neuer Momente in unser Bewusstsein, ohne einen Nagel zu verwenden. Auf Meditationsebene nickt Meister Bashô freundlich, Buddha lacht, der Affentempel steht und das Gnu tut verwundert. Doch der Mond schweigt. Sind Sie bereit mit Ihren Sinnen, Zeuge zu sein?
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