Olga Walter

Reise nach ... Russland. Teil I

Reise nach ... Russland
(Die Chronik einer Reise, die nicht ganz nach Plan verlief)

Die Idee einer Reise nach Russland kam meinem Mann ganz spontan. Der Herbst war vorbei, der Winter - wie immer kalt und nass. Wahrscheinlich hat ihn eine Sehnsucht nach dem Schnee überfallen, die wir hier so gut wie nie zu sehen kriegen. Und da war sie – die Idee. Die Männer sind grundsätzlich spontan. Also ließ mein Mann verkünden: wir fahren über Ostern nach Russland, Oma und Opa besuchen. Die Kinder waren begeistert, ich – panisch. Nicht schon wieder: ungemütliche Flughäfen, lange Überflüge, Zeitumstellung, unfreundliche Beamter...soll ich noch weitere Faktoren nennen, die mich jedes Mal von der Reise Richtung Heimatland abschrecken? Na ja...Nach dem langen hin und her, habe ich entschieden, den leichteren Weg zu gehen und einfach zuzustimmen. Die entscheidende Rolle aber hat dabei die Tatsache gespielt, dass ich meine beste Freundin treffen würde, die ich seit vierzehn Jahren nicht gesehen hatte. Das machte die Abenteuer “Winterreise“ wieder wett.
Mein Visum war innerhalb zwei Wochen fertig. Dann begann die Suche nach den günstigen Tickets, die beinah in die Hose ging. Aber letztendlich hatten wir alles beisammen. Die Reise konnte losgehen.
Zu meiner Überraschung ging der Tag der Abreise absolut ohne Hektik vorbei. Die Taschen waren schon am Vortag gepackt. Wir hatten nicht viel Gepäck. Das einzige, was wir brauchen würden, waren die warmen Sachen. Und davon hatten wir nicht viel, weil es ja bei uns selten richtig kalt wird. Ein echtes Problem war das mit meiner Mütze. Genau genommen...ich hatte einfach keine warme Mütze, weil ich sie kaum brauchte. Dann habe ich eine alte gefunden, die zwar nicht mehr modisch war, aber recht warm und komfortabel. Also die Taschen waren schon am Morgen im Auto verstaut. Die Kinder kamen aus der Schule, wir haben zu Mittag gegessen und sind in aller Ruhe gefahren.
Wir kamen ohne Hindernisse zu dem Parkplatz, wo unser Wagen auf uns warten würde, solange wir die Herrlichkeit der Schneelandschaft genießen werden. Von dort wurden wir ganz schnell zur Flughafen gebracht. Es war etwas zu früh, aber wir haben die Zeit genutzt, um die abfliegende Flugzeuge von der Aussichtsplattform zu beobachten, was den Kindern unheimlich viel Spaß gemacht hat. Und nun war es soweit: Gepäck abgeben, Passkontrolle, Zoll und da saßen wir schon in der Wartehalle und schauten durch das riesige Fenster auf unser Flugzeug hinunter. Eine halbe Stunde später hat man uns eingeladen einzusteigen. Soweit so gut, dachte ich. Hier muss ich erwähnen, dass ich nicht sonderlich gern fliege. Auf jeden Fall war meine Aufregung ganz anderer Natur, als die von unseren Kindern. Die beiden konnten einfach nicht stillhalten. Ich musste sie dauernd daran erinnern, dass wir hier in der Öffentlichkeit sind, wo solche Freudenausbrüche fehl am Platz sind. Meine Abmahnungen brachten aber nicht viel. Aber die Pflichten der strengen Mutter haben mich etwas von meinen Gefühlen, die gar nicht so freudig waren, etwas abgelenkt. Da waren auch noch die fast vergessene russische Beamten, die auch für eine Ablenkung für mich sorgten. Ich musste, wie jeder Ausländer, die so genannte Migrationskarte ausfüllen. Das ist eine Art Kontrollzettel, die es den Behörden erlaubt, die Bewegungen der Ausländer durch das Land zu kontrollieren. Mit dieser Karte sollte ich mich dann an meinem Zielort bei der Stadtverwaltung und bei der Abreise bei dem Zollamt melden. Eine ziemlich komplizierte Sache. Auf jeden Fall habe ich dank dieser Karte von dem Start nicht viel mitbekommen. Nun waren wir in der Luft.
Ermutigt durch den leichten Start konnte ich mich etwas entspannen. Unsere Mädchen haben sich beruhigt und beobachteten staunend, wie die Sonne über den Wolken langsam untergeht. Ich war von dem Anblick auch hingerissen: die Farben waren einfach fantastisch. Auf der Erde sieht man das nicht. Es ist ein langsamer Übergang von zarten rosa und gelben Tönen bis in die satte lila und dunkelblau. Und dann war es dunkel geworden. Unser Pilot soll wirklich ein Ass sein, weil das Flugzeug langsam und gleitend nach unten kam, ohne dass die Passagiere nur das Geringste gespürt haben. Klasse!, dachte ich, - weiter so! Leider ist es nicht üblich in Russland, dass man sich bei dem Piloten mit einem Applaus bedankt, sonst würde ich das liebend gern machen.
Und dann war erst mal Schluss mit der angenehmer Reise. Aus dem warmen Flugzeug gejagt, mussten wir zehn Minuten in den kalten Bussen warten bis die Zollbeamten das Flugzeug abgesucht haben. Danach kam die Passkontrolle. Es waren ca. 350 Passagieren, die an den vier offenen (aus acht vorhandenen) Kabinchen vorbei gehen sollten. Die Beamten ließen sich Zeit. Im Raum war stickig und laut. Und wir sind noch dazu zuletzt angekommen, weil vor uns noch zwei Flugzeuge gelandet waren. Dieses Bild hat meine gute Laune gründlich verdorben. Mein Mann lief rum auf der Suche nach der schnellsten Möglichkeit, die Passkontrolle durch zugehen. Ich entschied mich dagegen für die längere, aber sichere Methode – warten, warten, warten... Die Passagiere diskutierten laut über die Unfähigkeit der Beamten, die Passkontrollzentrale voll auszulasten. Die Beamten nahmen keinen Notiz davon (ist wahrscheinlich eine langjährige Gewohnheit). Die Kinder nörgelten, was absolut verständlich war: die Reise hat ihren Reiz verloren. Ein Albtraum wird war.
Nach ca. vierzig Minuten gelang ich und die Kinder an das heiß begehrte Fenster (mein Mann war doch schneller und hat uns von dem langen Warten erlöst). Die Frau am Fenster war sehr nett, was mich angenehm überraschte. Sie hat zwar lange gebraucht bis die Papiere gecheckt worden, aber das lag daran, dass ihr Computer zu langsam war. Hohe Technologien haben dieses Teil der Welt wahrscheinlich noch nicht erreicht. Dann kam der Zoll mit komischen Schüssel statt Körbe, wohin wir unser ganzes Habe zwecks Durchleuchtung legen sollten.
Bis zu unserem nächsten Flug blieb noch eine halbe Stunde. Die Zeit war knapp. Schnell registrierten wir unsere Tickets und stürmten in den Wartesaal... Genau rechtzeitig um zu hören, dass unser Flug um zwei Stunden verlegt wurde. Enttäuschung. Ärger. Wieder Enttäuschung. Also machten wir uns bequem. Der Flughafen ist relativ neu und befindet sich noch in der Bauphase. Der Wartesaal ist soweit fertig, nur die Designerarbeiten mussten noch beendet werden. Auf jeden Fall ist der Saal recht komfortabel: Trennwände aus Plexiglas, weich gepolsterte Sitze(in ausreichender Menge wohlgemerkt), ein Kiosk und ein Getränkemarkt mit Bar (von dem viele sofort Gebrauch gemacht haben). Sogar ein riesiger Bildschirm, auf dem die ganze Zeit ein Doku über unseren schönen Planeten gezeigt wurde. Aber Warten ist immer nervig, also steigerte unsere Nervosität auch langsam in die Höhe. Dazu kam noch die Sorge, dass am Zielort unser Freund mit dem Auto vergeblich auf uns wartete. Mein Mann versuchte, ihn per Handy zu erreichen, das klappte aber nicht. Da hat er bei seinen Eltern angerufen und Bescheid gesagt, dass unser Flug sich verspätet.
Eine Stunde später kam immer noch kein Aufruf zum Einchecken. In mir stieg ein leiser Verdacht, dass das alles viel länger dauern könnte. Als ich meinen Mann anschaute, wusste ich: er hat die gleiche Gedanke (ein seltener Moment der Einigung). Wie gerufen hörten wir eine Stimme im Lautsprecher: unser Flug wird wegen schlechten Wetterbedingungen um ...fünf Stunden verlegt. Um fünf!!! In diesem Moment habe ich verstanden – das war meine letzte Reise nach Russland. Nie wieder lasse ich mich dazu überreden. Und schon gar nicht im Frühling, wo das Wetter so instabil ist. Ok, das liegt in der Zukunft. Was mache ich aber jetzt. Es ist Nacht. Ich habe zwei müde und hungrige Kinder und einen schuldbewussten Mann dabei und muss die nächsten Stunden in dem Flughafen verbringen. Dann noch unser Freund, der drei Tausend Kilometer weiter noch länger auf uns warten muss. Schlimmer kann's nicht werden.
Immerhin blieb die Fluggesellschaft nicht untätig. Die wartende Passagiere (wir waren da nicht allein, noch ein Flug wurde verlegt) wurden erst mal in ein Restaurant (auf jeden Fall etwas ähnliches) geführt und haben warmes Essen bekommen. Das Restaurant sah schrecklich aus: schäbig und ungepflegt. Aber das Essen schmeckte nicht schlecht. Es gab Buchweizen oder Reis mit Ofenfrikadellen. Mediterranen Beigeschmack bekam unser Mitternachtssnack durch einen Italiener, der auf mir unbekannte Weise in unserer Mitte auftauchte. Er störte die stille gewöhnliche Ordnung dadurch, dass er ...nach Wasser verlangte. Da er kaum russisch sprach, verständigte er sich durch die Gesten. Der Gast aus dem Süden zeigte der Bedienung etwas, was sie als Schlucken verstanden hatte. Darauf sagte sie zu ihm: ja,ja, essen... Danach explodierte der temperamentvoller Italiener mit unübersetzbarem Gerede und orkanartiger Gestik, was nach meiner Meinung bedeutete: Ich kann nicht ständig essen, ich muss auch trinken. Die Bedienung zeigte sich ungerührt, aber der Italiener bekam sein Wasser. Dieses kleine Intermezzo und der anschließende heiße Tee haben die tief gesunkene Laune etwas gehoben. Alle waren erschöpft und, nachdem wir in den Wartesaal zurückgekehrt waren, haben sich zum Schlafen bequem gemacht. Ich und mein Mann haben uns beim Schlafen und Wachen abgewechselt. Die Kinder aber waren ganz wach und leider total gelangweilt. Nicht mal der neue Nintendo DS half dagegen.
Gut oder schlecht, aber die Zeit verging. Ich freute mich heimlich, als ich den Uhrzeiger langsam auf die erwartete Zahl zusteuern sah. Bald werden wir erlöst sein. Und dann erwarten uns liebende Menschen, leckeres Essen, heißes Bad und kuschelweiches Bett. Herrlich!
Pustekuchen! Als wir schon geglaubt haben, alles überstanden zu haben, rief uns die inzwischen vertraute Stimme aus dem Lautsprecher zusammen. Der Flug soll wieder verlegt werden, weil der störende Nebel sich immer noch nicht aufgelöst hatte. Und das um die ganzen achtzehn Stunden!!! Wir fliegen also mit dem gleichem Flug, aber ein Tag später. Das galt für beide verlegte Flüge.
Den nachfolgenden Kämpfen möchte ich nicht beschreiben, denn ich bin nicht imstande, sie in vollem Umfang zu schildern. Ich sage nur, der Diensthabende Beamte sprach mit den Leuten durch das Fenster, weil er, glaube ich, Angst hatte mit einer gebrochenen Nase daraus zu kommen. Die Menge tobte und das waren ca. hundert Menschen, die es an die gute deutsche Service gewöhnt waren, aber immer noch genug Russisch-Kenntnisse hatten, um ihre Gefühle kurz und kräftig zu äußern. Es wurde laut und lauter, aber es brachte nichts. Bis plötzlich mein Mann laut wurde (jetzt weiß ich, nach wem unsere Tochter geht). Er nahm die Züge in seine Hände und trennte die Menschen, die müde genug waren um nach nächstbesten Hotel zu fahren, von denen, die noch genug Luft in den Lungen hatten, um immer neue Bezeichnungen für den armen Beamten hinter dem Fenster zu finden. Da die erste Gruppe wesentlich größer war, begriffen die andere, dass sie verloren haben. Die Menge schlenderte müde unter den erstaunten Blicken der hiesigen Ordnungshüter zur Tür.
Anschließend wurde entschieden, dass die Leute an nahe liegende Hotels geschickt werden. Also brachen wir mitten in der Nacht in die unbekannte Stadt, in die unbekannte Hotels. Das erste, was wir draußen zu sehen bekamen, war eine riesige Pfütze genau vor den Stufen des Busses, in das wir einsteigen mussten. Die Kinder blieben unentschlossen davor stehen während die anderen, die an die Pfützen gewöhnt sind, die offene Tür stürmten. Als wir endlich im Bus saßen, kam der Aufruf – aussteigen! Warum? Die Leute müssen gezählt werden, damit auch alle ein Hotelzimmer bekommen. Das heißt, wieder aussteigen (draußen fing es langsam zu regnen) und einer nach der anderen wieder einsteigen. Wie es üblich ist, genau vor uns wurde der Bus voll. Zum Glück mussten wir im zweiten Bus nicht gezählt werden. Und da fuhren wir endlich los.
Der Busfahrer musste es sehr eilig haben, denn ich dachte, wir gehen gleich in die Luft. Dass wir nicht fliegen, konnte man nur daran erkennen, dass der Bus hüpfte, wie der Osterhase auf der Flucht vom bösen Wolf. Die Kinder waren so erschöpft, dass selbst das fröhliche Hüpfen des Busses sie nicht beim Schlafen stören konnte. Nach einer endlosen Fahrt kamen wir endlich an. In der Dunkelheit der Nacht haben wir nicht viel von der Umgebung mitbekommen. So eine wilde Fahrt weckte in mir große Furcht, dass das Hotel mich sehr an das Restaurant in dem Flughafen erinnern würde. Aber als ich erst mal drin war, verwandelte sich meine Müdigkeit in das Stauen. Wir befanden uns in einer kleinen Pension. Die halb runde Empfangshalle war in ein weiches Licht getaucht, große dunkle Fenster mit teurem Stoff schön dekoriert. Der Boden war kunstvoll gefliest. Das Ganze wurde mit dem prachtvollen Bar aus dunklem, poliertem Holz und einem großen Plasmabildschirm-Fernsehen abgerundet. Die Frau an der Rezeption war so nett, dass sie uns sofort die Schlüssel ausgehändigt hatte und uns auf unsere Zimmer schickte. Alles andere konnte warten. Die Zimmer waren sehr geräumig und gemütlich und nicht weniger prachtvoll. Das haben wir aber erst am Morgen richtig gesehen, jetzt interessierte uns nur noch das Bett.
Weil wir so spät angekommen waren, wurde das Frühstück um zwei Stunden verschoben. Nach fünf Stunden Schlaf in einem Bett sah die Welt gleich viel besser aus. Ich könnte noch fünf Stunden vertragen, aber wir wollten nicht die Geduld unserer lieben Gastgeber überstrapazieren. Vor allem, da die Müdigkeit verschwunden war, meldete sich der andere Instinkt – der Hunger. Und es roch so schön. Meine Nase hat sich – wie immer – nicht geirrt. Zum Frühstück gab es Brötchen, Butter, Käse, Wurst, Kartoffelpuffer und gebratene Würstchen. Aber am besten schmeckten die mit Bratäpfeln gefüllten Pfannkuchen. Der Kaffee schmeckte mir nicht so gut wie in Deutschland, aber trotzdem höchstwillkommen nach so einer Nacht wie diese.
Auf dem Rückweg zu unseren Zimmer haben wir noch eine schöne Entdeckung gemacht: aus dem großem Fenster im Treppenhaus sahen wir plötzlich das Meer – die Ostsee. Das passierte uns zum ersten Mal: wir waren am Meer und wussten nichts davon. Zeit hatten wir genug, also haben wir uns sofort für einen Spaziergang am Meer entschieden.
Der erste Eindruck von der Stadt war schockierend. Ich hatte das Gefühl, die Stadt musste gerade einen schweren Krieg überstanden haben. Riesige Schlaglöcher auf der Straße waren voll mit schmutzigem Wasser, die meisten Häuser stellten eine Ruine dar, eine Herde von verwilderten Hunden überquerte unseren Weg und wir ließen sie lieber vorbei. Im Zentrum gab es einen Basar. Ich konnte nicht genau feststellen, was da genau verkauft wurde. Den schönsten Fleck bildete aber der Blumenstand. Große Chrysanthemen, Gerberen und meine Lieblingsblumen, Tulpen, leuchteten buchstäblich aus dem Grau des Tages. Und Rosen in allen Farben, die populärsten Blumen Russlands, fehlten auch nicht. Eine Augenweide. Ich habe gedacht: Wenn die Menschen noch Blumen kaufen, dann sind sie noch nicht verloren.
Wir schlenderten an der Promenade vorbei und genossen den Meeresblick. Es war ungemütlich, aber das Meer ist bei jedem Wetter schön. Allerdings war das die einzige Sehenswürdigkeit, also kehrten wir zurück.
Die Zeit ging langsam, aber das störte uns nicht weiter. Nach dem sehr leckeren Mittagessen entspannten wir uns auf unserem Zimmer. Wer weiß, wie unser Abenteuer noch weitergeht. Dann war es soweit: unsere Sachen packen, anziehen und runter gehen. Solange wir auf den Bus warteten, haben wir uns noch ein Stück von dem selbst gebackenen Torte mit einer Tasse Kaffee erlaubt. Und dann ging es in die zweite Runde.
Hier beschleunigte sich plötzlich die Zeit. Wir wurden von den kleinen, Bussen abgeholt. Diesmal genoss ich die Fahrt und versuchte auch, ein wenig von der Stadt zu sehen. Das, was ich sah, stimmte mich eher traurig. Straßen in schlimmem Zustand (selbst die komfortable Busse konnten nicht die Unebenheiten der Straße ausgleichen), zerstörte Häuser, verrottete Gärten, betrübte Gesichter vorbei eilender Menschen. Ein Elendsbild.
An dem Flughafen haben wir entdeckt, dass es auch Straße ohne Pfützen gibt. Von einem der Mitarbeiter haben wir die Karten für`s ein Abendessen bekommen. Es ging wieder in das schäbige Restaurant, wo wir schon mal gegessen haben. Nach der luxuriösen Umgebung der Pension ist mir aber der Appetit vergangen. Die Buchweizen von Gestern mit einem Schnitzel und Kompott ließ ich stehen. Dann ging`s im Eiltempo zum einchecken.
Hier wurde uns noch einmal vor Augen geführt, dass das schöne Russland immer wieder für Überraschungen – nicht immer schöne – sorgt. Vor der Theke Stand eine lange Menschenschlange. Der Bildschirm oben teilte uns mit, dass unser Flug hier registriert werden kann. Die Zeit war knapp, die Menschen aufgeregt und nervös. Alle redeten durcheinander, lachten und scherzten. Dahinter steckte aber die Müdigkeit und versteckte Angst, dass wir möglicherweise noch eine dritte Runde brauchen werden. Ein Witz von meinem Mann hat das Publikum zum Lachen gebracht. Er hat gesagt, wenn der Flug noch einmal verschoben wird, können wir alle den nächsten Urlaub zusammen buchen. Wie seltsam, dachte ich, durch einen Zufall sind wir für einen Tag zusammengekommen und schon ist es da – das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dieses Gefühl hat auch nicht versagt, als wir nach zwanzig Minuten langweiligen Wartens endlich die Theke erreicht hatten und es sich herausstellte, dass unsere Tickets an diesem Fenster gar nicht registriert werden. Die Menschen schauten erst verwirrt auf den Bildschirm, dann auf den Mitarbeiter der Flughafen, der diese unglaubliche Nachricht überbracht hatte, dann wieder auf den Bildschirm. Dann explodierte die Menschenmenge gleichzeitig mit lautem Geschrei. Aus einzelnen Phrasen habe ich verstanden, dass die Schreiende erst über die sexuellen Neigungen des Mitarbeiters diskutiert haben, dann kam die Menge langsam zu seiner Verwandtschaft mütterlicherseits. Den Rest habe ich nicht gehört, denn mein Mann es für kluger hielt, zu einem anderem Fenster zu eilen.
Endlich waren die Papiere gecheckt, wir – durchgeleuchtet und in den schon fast heimisch wirkende Wartesaal eingelassen. Dann kam der Moment der Spannung. Die Durchsage über die Registrierung für unseren Flug wurde mit einem ohrenbetäubenden Applaus begrüßt. Die Leute jubelten, wie bei der Silvesterparty, was die andere Reisende total verblüfft hatte. Die Verblüffung wechselte zu Zweifel an unserem Verstand, als die Durchsage für den zweiten verspäteten Flug mit gleicher Begeisterung gefeiert wurde. Na ja, um das zu verstehen, müsste man einen Tag im Warte-Modus verbringen.
Immer noch ungläubig haben wir unsere Tickets registriert, sind in die Busse eingestiegen und zu dem Flugzeug gebracht. Ab jetzt lief alles mehr oder weniger wieder nach Plan. Drei Stunden Flug und wir waren endlich da. Wenn der Text noch einen Ton dabei haben könnte, würde ich jetzt ein Freudengeschrei auslassen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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