Olga Walter

Reise nach.. Rußland. Teil II. Winterurlaub auf Russisch

Das erste, was wir bei der Landung gesehen haben, waren die Berge von Schnee. So viel Schnee haben die Kinder noch nie gesehen. Wir stiegen schnell in die Busse ein und wurden zum Flughafen-Gebäude gebracht. Das schönste dabei war - keine Passkontrolle. Direkt am Ausgang erwartete uns schon unser Freund. Die Freude kann ich gar nicht beschreiben. Wir haben uns umarmt und plötzlich hatte ich das Gefühl, die vergangenen fünfzehn Jahre sind verschwunden. Einfach unglaublich, wie relativ die Zeit ist. Dann landete ich mit einem Plumps wieder in der Realität. Zuerst mussten wir ziemlich lange auf unser Gepäck warten. Als die Taschen endlich da waren, stellte sich heraus, dass die Eingangstür verschlossen war. Ich überlegte: Wurden wir, die Gäste der Stadt, von der Außenwelt auf diese Weise geschützt oder die Außenwelt von uns? Meine Gedanken wurden aber rasch unterbrochen, einige Gäste fingen an, sich laut zu beschweren. Die einzige Mitarbeiterin des Flughafens, die weit und breit zu sehen war, blieb aber absolut unberührt. Ihre Kollegin hätte die Schlüssel, sie kommt gleich.  Die Menge wirkte bedrohlich, was man den Menschen eigentlich nicht übel nehmen könnte. Dann aber erschien die erwartete Kollegin und übermüdete und mürrische Menschenmenge strömte nach draußen. Als wir draußen waren, blieben die Kinder erstaunt stehen. Es war vier Uhr morgens. Auf dem Platz vor dem Flughafen standen riesige Tannenbäume, die mit einer dicken Schicht Schnee wie mit einem Pelz zugedeckt wurden. Die wunderschöne Schneelandschaft war in weiches Licht der Straßenlaternen getaucht und glitzerte wie Diamantenstaub. Es war recht kalt, -15°, aber die Kälte war trocken und deshalb sogar angenehm erfrischend. Es war so schön und so vertraut, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Aber die Müdigkeit ließ sich merken. Wir verstauten unsere Taschen ins Auto und fuhren los. Vor uns lagen noch drei Hundert Kilometer über die Straßen, die jeden Extremsportler   vor Begeisterung  jubeln lassen würden. Die Kinder waren erschöpft und sind recht schnell eingeschlafen. Ich beobachtete aus dem Fenster, wie die zugeschneiten Felder, die in der Dunkelheit endlos zu sein schienen, majestätisch vorbeischwammen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr mir das alles in den letzten Jahren gefehlt hatte. Wir konnten nur relativ langsam fahren (nicht über 80 kmh), da die Straße mit Schnee und Eis bedeckt war. Ich hatte genug Zeit, um die Landschaft auch bis ins letzte Detail zu studieren. Bald wurde es hell. Wir fuhren zuerst über eine Ebene: Felder und Wald wechselten sich. Als wir über eine Brücke gefahren sind, habe ich unten einen total zugefrorenen Fluss gesehen. Und überall lag Schnee wie eine weiße glatte Decke. Nach zwei Stunden Fahrt sahen wir die Berge. Es war ein atemberaubendes Bild. Ich habe schon Pyrenäen und Alpen gesehen, aber so eine Schönheit kann man nur im Uralgebirge sehen. Uralgebirge bilden eine natürliche Grenze zwischen Europa und Asien. Sie ziehen sich von Norden nach Süden und werden in drei Regionen geteilt: Nordural, Mittelural und Südural. Unser Ziel lag im Südural, der schönste Teil des Massivs. Die würdevolle Schönheit dieses Bergmassivs ist streng und prachtvoll zugleich. Uralte Berge, kristallreine Seen und hohe Tannen, die seit Mittelalter in der Schiffsbau benutzt wurden; das alles ist der Ural. Und die alten Sagen... Die haben mich schon als Kind in ihre Bahn gezogen. Ich kannte sie auswendig. Aber das ist schon eine andere Geschichte. Die Straße schlängelte sich  über die Berge. Der Verkehr war beachtlich zugenommen seit ich hier letztes Mal war. Wir mussten dauernd LKWs überholen. Über den Straßenzustand schreibe ich lieber in einem anderen Kapitel, da es ziemlich viel Platz beanspruchen wird. Nach einer Kurve befanden wir uns plötzlich über einen Tal zwischen zwei Bergen. Er sah wie eine riesige Schüssel aus. An einer Seite habe ich ein kleines Städtchen entdeckt. Von oben sah es wie aus Legosteinen gebaut aus. Es schmiegte sich harmonisch an die Bergseiten und war total verschneit. Dann war es hinter einer anderen Kurve wieder verschwunden. Es wurde langsam hell, und meine Müdigkeit war von der Aufregung und Freude besiegt. Ich schaute aus dem Fenster und entdeckte bekannte Landschaften, die ich schon fast vergessen habe. Die vier Stunden Fahrt sind wie im Fluge vorbeigegangen und dann waren wir endlich da. Während der ersten Tage mussten wir noch mit unserem Zeitgefühl kämpfen. Die Uhr wurde einfach um vier Stunden vorgestellt, aber mit der inneren Uhr ließ sich nicht so einfach umgehen. Also dauerte es etwa drei Tage bis wir uns eingewöhnt haben.  Die Kinder würden am liebsten ganz nach draußen umziehen. Mein Mann war auch nah dran. Und Opa ließ sich auch von der allgemeinen Aufregung anstecken. Also verbrachten die vier praktisch den ganzen Tag draußen. Das Wetter war himmlisch: Temperaturen um -6° und Sonne ohne Ende. Davon können wir hier nur träumen. Und von der Unterhaltung an der frischen Luft gab es schließlich auch mehr als genug: Schlitten, Schlittschuhe, Ski… Und noch dazu wurde eine ganze Familie von Schneemännern erschaffen. Und, da ich und meine Schwiegermama eher ruhige Typen sind, haben wir uns entspannt und sorgten dafür, dass hungrige Kinder und Männer auch genug zu essen bekämen, wenn sie sich mal dazu entschlossen haben, kurz nach Hause zu kommen. Eine Art von der Unterhaltung muss ich noch gesondert erwähnen. Das ist der so genannte „Tübing“. Man rutscht dabei von einer riesigen Rutsche (Länge ca. 200m) auf den großen aufblasbaren Reifen. Beim ersten Mal haben ich und die Kinder erst mal misstrauisch nach unten geguckt. Die Rutsche sah bedrohend aus. Ich entschied mich dagegen runterzufahren. Die Kinder blieben unentschlossen: einerseits, die Rutsche lockte mit Spaß ohne Ende, andererseits…sie war ziemlich hoch. Die Rutschbahn „bestand“ aus fünf Stufen. Erst ging rasant runter, dann - fast flach weiter, um hinterher wieder steil nach unten zu schlittern. Am Ende gleitete man noch lange über die Schneedecke. Danach hackte man den Reifen an den Aufzug und wurde ganz bequem nach oben befördert. Danach ging der Spaß weiter. Die Reifen wurden stundenweise ausgeliehen. Also da standen wir fünf (inklusive Opa) und trauten uns nicht. Nach langem Überlegen sind wir zum Schluss gekommen, dass mein Mann als Pionier nach unten geschickt wird. Dann ging’s los. Schweigend schauten wir zu, wie er schnell nach unten gleitete und dann sich bei dem Aufzug einhackte. Als unser Papa wieder nach oben gezogen wurde, sah er wie ein Kind aus, der gerade sein erstes Fahrrad geschenkt bekommen hatte. Und dann passierte ein Wunder: unsere ältere Tochter, die sonst sehr zurückhaltend ist, wollte zuerst runter rutschen. Und die Jüngere, die in jedes Abenteuer Hals über Kopf stürzt, war unsicher. Unmöglich! Auf jeden Fall ging es zuerst paarweise runter, also mit inzwischen erfahrenem Papa. Schon beim ersten Mal, denke ich, hat die ganze Stadt (und die ist nicht klein, ca. 200 000 Einwohner) von unserem Besuch erfahren. Es wurde gekreischt aus vollem Hals. Nach dem dritten Rutsch habe ich mir ernsthafte Sorgen um die Stimmbänder der Kinder gemacht. Nach dem fünften habe ich mich damit abgefunden. Ich selbst wollte doch nicht rutschen, es war mir zu viel des Guten. Aber es hat so viel Spaß gemacht, alle andere zu beobachten. Selbst Opa war mit Begeisterung dabei. So verbrachten wir die erste Woche, mit schönem Wetter, viel Unterhaltung und frischer Luft. Das erste Wochenende stand ins Haus. Dieses Wochenende war etwas ganz besonderes, weil wir es bei unseren Freunden verbringen wollten. Sie wohnen in einer Nachbarsstadt, ca. 150 km von unserem Zielort entfernt. In dieser Stadt habe ich früher, vor meinem Umzug nach Deutschland, gewohnt, hier haben wir uns mit meinem Mann kennen gelernt und geheiratet. Eine Stadt voller Erinnerungen. Und diese Erinnerungen konnten wir mit unseren Freunden teilen. Wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit. Sie waren auch die Trauzeugen bei unserer Hochzeit. Ein schönes Bonus fürs wunderbare Wochenende.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Olga Walter).
Der Beitrag wurde von Olga Walter auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Olga Walter als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

GedankenWelt von Eleonore Görges



92 Gedichte und 20 Farbfotos.

Gedichte, die die Herzen berühren, die unter die Haut gehen. Die Autorin befaßt sich mit allen Lebensbereichen und packt mit viel Gefühl auch kritische Themen an. Gedichte, wie sie nur das Leben schreibt!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Olga Walter

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Großmütter von Olga Walter (Autobiografisches)
"Schlüsselerlebnis" von Christa Astl (Wahre Geschichten)
Die Zauberblume von Joachim Garcorz (Fantasy)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen