Stefanie Mikus

Bis zum Abschied

Es gibt Zeiten im Leben, da rauschen alle Ereignisse an uns vorüber, als gingen sie uns nichts an. Und doch verändern sie uns, so nachhaltig, dass wir Jahre brauchen, um sie zu verstehen. So erging es Marianna Kamanitzkaja, im Laufe eines schicksalhaften Jahres.

 
Sie hatte sich an diesem Abend ihren Schmerz von der Seele gesungen. Nie zuvor war sie so kraftvoll und zerbrechlich zugleich gewesen. Was sie sang, war die reine Wahrheit, es war ihr Herz, welches von Kummer und Abschied sang. Peer, ihr Pianist, hatte sie an diesem Abend ungehalten gelobt, sie sei fantastisch gewesen. Und auch das Publikum feierte sie stürmisch. Dieser Abend war für ihre musikalische Karriere von Bedeutung, denn der Besitzer des Clubs gab ihr und Peer ein Engagement von Dauer. Was für ein Triumph und was für eine Qual!   Iljan war fort. Es fehlten seine wichtigsten Sachen in der Wohnung aber er hatte eine Nachricht hinterlassen, „Marianna, ich komme nicht zurück.“ Lautete diese. Sie war zurück gewichen, ihr Schlüssel zu Boden gefallen, ihre Unterlippe zitterte und ihre Augen füllten sich augenblicklich mit Tränen. Sie schrie und warf ihren Hinterkopf gegen die Wand, solange, bis alles ein dumpfes Gefühl von Schmerz war, in das sie eintauchte um darin zu ertrinken. Warum? Warum? Warum? Hämmerte es in ihrem Kopf. Marianna konnte sich nicht beruhigen, sie weinte ununterbrochen. Ihr Körper krampfte und sie schaffte es nicht, sich aufzurichten. Manchmal hielt sie sich am Türrahmen fest und dann ließ sie sich einfach zu Boden sinken und krümmte sich zusammen, wie ein Säugling.
 
Der Verlust, getränkt mit Selbstmitleid zog sie in ein rabenschwarzes Loch, aus dem es kein Entkommen gab. Manchmal schrie sie, dann wimmerte sie leise vor sich hin, doch am Abend trocknete sie ihre Tränen und sang, davon lebte sie schließlich. Und ihren Mann liebte sie, also warum war er nicht mehr da?
 
Iljan und Marianna waren seit ihrer Jugend zusammen gewesen, sie hatte ihn schon in der Schule kennen gelernt und sich augenblicklich in ihn verliebt. Sie waren füreinander die erste Liebe, die wahre Liebe. Davon hatte Marianna immer geträumt. Sie hatten die Schule beendet und waren ihren Neigungen gefolgt. Iljan zeichnete und Marianna sang. Zwei Künstler, unkonventionell, manchmal provokant, aber immer authentisch. Beide waren in ihren Talenten von Gott geküsst, so sagte man und wer es nicht glaubte, der konnte sich einfach selbst davon überzeugen.  
 
Sie zogen in die erste gemeinsame Wohnung, sie arbeiteten und sie liebten sich dort. Ihre kindliche Liebe war zu einer erwachsenen Liebe gereift und besaß ein festes Fundament. Er streichelte ihren Nacken und kitzelte ihren Fuß und sie massierte seinen Kopf und küsste seine Zehen. Sie kannten sich bis ins kleinste Detail und wussten alles voneinander.
 
Aber nein, alles konnte es nicht gewesen sein, denn Iljan war fort. Er hatte Gedanken von ihr fern gehalten, Gefühle versteckt, vor ihr! Es war zu schmerzhaft, als das sie es hätte anschauen können. Seinen Verrat an ihr. Marianna wusste, dass sie sein Fehlen nicht verkraften würde, sie spürte den Entschluss, zu sterben, vor Kummer. Sollte er doch sehen, was er ihr angetan hatte. Aber würde er es denn sehen? Iljan hatte alles mitgenommen, was ihm etwas bedeutet hatte. Nur sie nicht! Sie hatte ihm so unendlich vertraut, auf Schritt und Tritt in jedem Augenblick, mit jedem Atemzug. Zusammen hatten sie eins ergeben. Das hatte sie sich doch nicht nur eingebildet! Nachts lag sie in ihrem Bett und fragte sich verzweifelt, wo er war? Ob er an sie dachte, manchmal? Iljan konnte sie doch nicht einfach vergessen haben? Sie hatten zwölf Jahre zusammen verbracht! Marianna hatte noch nie einen anderen Mann geliebt als Iljan, nicht mal geküsst! Sie wusste nicht, ob sie je einen anderen Mann lieben könnte. Ihr Herz erschien ihr wie ein deformierter Klumpen, ohne Funktion. Es fühlte sich an, als sei eine Herde Elefanten darüber hinweg gelaufen.

Es fühlte sich an, als sei eine Herde Elefanten darüber hinweg gelaufen. Seit fast einer Woche war er fort und sie marterte sich mit Fragen, wieso es soweit kommen konnte und was denn bloß in ihn gefahren sei?   Er meldete sich nicht. Aber Marianna wartete, denn sie hatte sonst nichts, außer ihrer Hoffnung, dass er sich irgendwann besinnen würde. Ihre Hoffnung war unerschütterlich. Sie schlief bis spät in den Tag hinein und stand nur auf, um am Abend zu singen. Nach ihrem Auftritt trank sie ein Glas Champagner mit Peer und lehnte sich an den Freund. Marianna war eine schöne Frau, die nicht einsam hätte sein müssen, aber männliche Gesellschaft kam ihr nicht in den Sinn.
Schlief sie nicht, waren ihre Gedanken besessen von Iljan.
Iljan war alles, an was sie denken konnte.
 
Aus der Vernunft heraus beschloss sie, nach drei vergeblichen Monaten, ihre gemeinsame Wohnung zu kündigen. Allerdings gab sie sich kaum Mühe, eine neue Bleibe zu finden und damit sie nicht auf der Straße wohnen musste, bot Peer an, dass sie in seinem Gästezimmer wohnen könnte.
Marianne nahm es an, ohne jede Regung.
Sie hatte abgenommen, war blass und ihre Haare schienen dünner geworden zu sein. So gab es kaum noch eine Ähnlichkeit, zu dem hübschen, fröhlichen Mädchen, das sie einst gewesen war.
 
An einem Abend bemerkte Marianna im Publikum eine ungewöhnlich attraktive Frau, die sie mit ihren Blicken regelrecht taxierte. Was für eine infame Person, dachte Marianna und spürte sogleich, dass sie die Dame aus der zweiten Reihe nicht mochte. Sie sah aus, wie der leibhaftig gewordene arische Traum einer Super Frau, mit ihren kühlen Gesichtszügen und den hellen, blonden Haaren. Nach ihrem Auftritt setzte Marianna sich mit Peer an die Bar, um zu entspannen. Peer massierte ihr den Rücken und lobte ihr hübsches Aussehen. Sie lächelte, denn sich selbst konnte Marianna nicht mehr viel abgewinnen. Iljan hatte mit seinem Verschwinden zuviel von ihr genommen. „Sie sind also Marianna Kamanitzkaja!“
Marianna drehte sich um und musste feststellen, dass die Frau aus der zweiten Reihe vor ihr stand.
Sie war ganz und gar in einen dunklen Mantel gehüllt und das Rot ihrer Lippen war frisch und etwas zu kräftig für Mariannas Geschmack.
„Das ist richtig. Kennen wir uns?“
Die Frau war groß, größer als Marianna und sie war kräftiger, aber in Mariannas Zustand war das nichts Besonderes.
„Nein, wir nicht. Ich bin Katharina, ich lebe mit Iljan zusammen.“
Das war der Moment, mit dem sie immer gerechnet und den sie schrecklich gefürchtet hatte. Peer stand hinter ihr, als ihr Körper innerlich zusammen sackte.
Alles in ihr bebte und zitterte, wie damals, als sie seine Botschaft gelesen, aber nie verstanden hatte.
Wo ist er? Wo ist er? Klang es nun erneut in ihrem Kopf.
Katharina, diese Frau, war ihr egal, jedenfalls noch. Alle Gedanken drehten sich ausschließlich um Iljan.
Wo ist er?
„Er muss mit ihnen reden.“ Sagte sie.
Für Sekunden war die Welt stehen geblieben, doch nun drehte sie sich wieder.
Kein Zeichen von irgendeinem Gefühl in den Augen dieser Frau, dachte Marianna.
Diese Person lebt mit Iljan. Mit meinem Iljan!
 
Ihr ganzer Körper war schwer und mechanisch. Sie fühlte sich plump und war davon überzeugt, dass Katharina sie beobachtete und ihren Kontrollverlust bemerkte.
Endlich schaffte Marianna es, Katharina anzusehen und fragte gefasst, „ wo ist er denn?“
„Wir wohnen im Blumenviertel. Magnolien Weg.“ Marianna nickte stumm.
 
Es war nur eine halbe Stunde von hier, nicht weit. Er war die ganzen Wochen nicht weit gewesen. „Blumenviertel, soso. Er fand es dort schon immer schön.“ Sagte Marianna tonlos. Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf, aber keinen konnte sie fassen. Diese Frau hatte irgendetwas mit ihr vor, wegen Iljan, unfassbar. Warum war er nicht selbst zu ihr gekommen, was sollte das jetzt? Hätte er sie nicht einfach in Ruhe dahin dämmern lassen können?
  „Er will sie sehen. Gleich jetzt.“ Typisch Iljan, alles so wie er es sich in den Kopf gesetzt hat, dachte Marianna.
 Doch sie fühlte sich hilflos, gegenüber dieser Frau. Einerseits wollte sie ihn sofort sehen, andererseits fürchtete sie sich davor. Das Katharina dabei sein würde demotivierte sie. Peer griff nach ihrer Hand und sah sie eindringlich an. Seine Blicke deuteten an, dass sein Rat lauten würde, nicht zu gehen. Aber er schwieg. Marianna griff nach ihrer Jacke und verabschiedete sich von Peer. Gemeinsam verließen die ungleichen Frauen das Lokal.
...
 
 
Auszug aus der Erzählung: "Bis zum Abschied" /Stefanie MIkus
 Erhältlich bei Amazon und in jeder Buchhandlung 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Stefanie Mikus).
Der Beitrag wurde von Stefanie Mikus auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Stefanie Mikus als Lieblingsautorin markieren

Buch von Stefanie Mikus:

cover

Bis zum Abschied von Stefanie Mikus



Bis zum Abschied, erzählt die Geschichte einer Neuerfindung. Eine junge Frau löst sich aus der zerbrochenen Beziehung zu dem egozentrischen Maler Iljan Sie stürzt sich in ein emotionales Wagnis, um am Ende vor sich selbst zu bestehen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Leidenschaft" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Stefanie Mikus

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die nackte Wahrheit von Klaus-D. Heid (Leidenschaft)
Word Trade Center von Bea Busch (Satire)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen