Matthias Lübbers

Die Schwarze Pyramide-Kapitel 2

Teil 2

  »Seid gegrüsst Fremde. Wenn ihr mir kein Harm zufügen wollt, wünsche ich euch einen guten Morgen«, rief der Reiter.
  »Wir wollen dir keinen Schaden zufügen und wünschen euch ebenfalls einen guten Morgen«, begrüßte ihn der Schildmeister. »Sucht ihr uns?«
  »Wenn ihr die Gefährten von meinem Grundherren Dimitrion seit, dann ja, Herr.«
Sie hörten auf zu speisen und schauten den Reiter an. Nur Ramloc ass weiter.
  »Und wer seid ihr?«
  »Mein Name ist Merthan, Marschall des Grundherren und geschickt worden um euch zu suchen und zu seinem Hof zu geleiten.«
  »Dann steige herab und teile das Frühstück mit uns. Dann kannst du uns erzählen wie du uns gefunden hast«, wurde er von Grayden eingeladen.
  »Ich danke euch.«
Merthan stieg ab und setzte sich zu ihnen, froh ,die gesuchten schnell gefunden zu haben. Ihm wurde von einem Nordmann ein würziges Stück Fleisch und Brot gereicht und nahm es dankend an. Zwischen den Bissen erzählte der Marschall was geschehen war.
  »Mein Herr erzählte mir, dass er nach Hilfe geschickt hätte und gab mir eine Beschreibung eures Aussehens und wo ich euch finden würde. Darüber war ich sehr verwundert, da mein Herr keine Boten oder Tauben ausgesandt hatte. Ich machte mich sogleich in der frühesten Stunde auf und siehe da, ihr seid wirklich hier. In den Ländereien geschehen merkwürdige Dinge. Tiere worden vergiftet aufgefunden, drei Kinder sind verschwunden und ein gar grausiger Mord trug sich zu.«
  »Dimitrion hat uns das im Aether gesagt aber von einem Mord war nicht die Rede«, sagte Shana.
  »Es geschah auch erst gestern.«
Der Marschall senkte den Kopf und schauderte sichtlich.
  »Mein Herr kann euch gewiss mehr erzählen, mich hat es zu meiner Schande an den Trog getrieben und musste mich, naja, ihr wisst schon. Verzeiht Herrin, Graanbergen ist eine kleine Gemeinde und wir haben nicht viel Erfahrung mit solchen Dingen. Seid ihr gar eine Aetherin?«
  »Nein, da muss ich dich enttäuschen. Ich bin nur eine einfache Bogenschützin.«
Shana hielt es für ratsam nicht allzu viel von sich preiszugeben. Merthan war wirklich enttäuscht und das sah man ihm auch an. Hatte er sich doch von seiner Kindheit an für Aethergeschichten interessiert. Ganz besonders angetan war er von den Besprechern, die Tiere und Kreaturen mit nur einem Wort der Macht zu Ruhe bringen konnten und angeblich in der Lage waren sich mit ihnen zu verständigen.
  »Wie heißt dein Dorf?«
Merthan sah ihn an und Grayden bemerkte, das sie sich noch nicht bekannt gemacht hatten und holte dies rasch nach.
  »Es heißt Graanbergen und liegt etwa vier Reitstunden von hier entfernt.«
Merthan zeigte mit dem Daumen in eine Richtung hinter ihm.
  »Dann sollten wir uns auf den Weg machen. Ich bin gespannt, was hier los ist.«
Grayden und die anderen standen auf. Merthan half ihnen das Lager abzubrechen und ritt der Gruppe mit Grayden an der Spitze voraus.
  »Könnt ihr mir sagen wie es zu den Vorfällen kam?«
Shana lenkte ihr Pferd neben das von Merthan, sodass der Marschall zwischen ihnen ritt. Er erzählte von der Vergiftung des Straban, dem Webersohn, der vor Angst in die Bergen geflüchtet war. Von der vergeblichen Suche nach den anderen Kinder, zwei Mädchen, und das wenige das er von dem Mord erfahren hatte.
So kamen sie gegen Mittag in Granbergen an.
Die Gemeinde war umringt von zahlreichen Äckern und Feldern. Überall blühten die Pflanzen und Hühner gackerten umher. Die Obstbäume trugen zahlreiche weiße, rote und gelbe Knospen und die Weiden blühten farbenprächtig übersät mit Löwenzahn und Kamille. Hier und da standen Strauchrosen und Hibiskussträucher am Wegesrand.
Doch die Stimmung im Dorf war eher bedrückt und das genaue Gegenteil angesichts der schönen Natur ringsherum: Es spielten nur wenige Kinder in den Gärten. Die Männer und Frauen waren misstrauisch und zurückhaltend gegenüber den Gefährten. Shana schaute sich sorgfältig um und sah überall das gleiche Bild. Die Gemeinde lag in einer großen Talmulde und da Ende lag am Fuß einer breiten Anhöhe auf der Dimitrions Hof lag. Merthan versicherte ihnen auf dem Weg dorthin, dass die Leute seit dem Verschwinden der Kinder so still und zurückhaltend waren. Ansonsten seien sie eine offene und freundliche Gemeinde die gern feierte und Gäste willkommen hieß.
Der Dorfpriester Birdan und Nirven der ältere Dorfheiler, warteten bei dem ansteigendem Weg auf Merthan. Sie begrüßten sich und Birdan ritt auf einem Muli während Magnus dem Dorfheiler sein Feren anbot. Erleichtert stieg Nirven auf und bedankte sich bei dem höflichem Nordmann. Nach einer knappen halben Stunde standen sie auf dem Hof und Shana pfiff anerkennend durch die Zähne.
  »Hübsches Plätzchen.«
  »Danke, Herrin«, sagte Merthan mit Stolz in der Brust und half ihr aus dem Sattel.
Sie wollte ihm sagen, das sie das allein schaffen könnte, fand es aber angenehm ein wenig hofiert zu werden. Das Geräusch sich nähernder Pferde hatte Magrun aus der Küche gelockt. Sie stand, die Hände an einem Tuch abwischend, vor der Küchentür und rief Hildrin zu, sie solle sofort den Herren holen gehen.
  »Das ist Magrun, die gute Seele des Hofs.«
Sie machte einen leichten Knicks, der für ihr Alter noch sehr gelungen war. Die Abenteurer nickten ihr zu, dann verschwand sie schon wieder in der Küche. Merthan rief derweil nach seinen Gehilfen und führte die Pferde in die Ställe. Nab und Valt kamen angelaufen und begrüßten die Neuankömmlinge. Danach beeilten sie sich mit der Versorgung der Reittiere. Die Gruppe ging auf das große Tor in der Mitte des Haupthauses zu das größer gebaut worden war und die Flügel um zwei zusätzliche Stockwerke überragte.
Der Hof war wie ein Hufeisen angelegt. Rechts befanden sich die Küche mit der Vorratskammer, dem Weinkeller und Räucherkammer. Dahinter schloss sich das einfache Gesindehaus an, das zweistöckig war und auf dem Dach ein Storchennest beherrbergte. Links vom Haupthaus lagen die Stallungen für die Pferde und die Straban gut voneinander getrennt. Darüber befand sich ein gewaltiger Heuboden.  Was vom Hof aus nicht ersichtlich war, zwischen dem Garten des Haupthauses und einer Schmiede, hatte Dimitrion den Übungsplatz anlegen lassen um nicht aus der Form zu kommen. Über dem Haupttor, aus Graanbirken meisterhaft gezimmert, thronte der Schädel eines Pferdes, das dem Glauben der Leute nach, böse Geister fernhalten sollte und der Bogen war mit allerlei Talismanen verziert worden. Genauso wie an jedem anderen Eingang des Hofes. Man konnte hinter den Stallungen eine Rinderherde und Straban sehen, die ruhig in der Sonne standen oder grasten.
Die rechte Seite des Tores wurde langsam von Valt aufgeschoben. Ein ohrenbetäubendes Quietschen ertönte und Shana kniff die Augen zusammen und zog die Schultern an.
  »Muss ich unbedingt wieder ölen«, versuchte sich der Gehilfe zu merken als er sich den Schweiß abwischte.
Hinter ihm trat Dimitrion aus dem Tor.
  »Willkommen meine Freunde. Ihr glaubt garnicht wie sehr ich mich freue euch wieder zu sehen.«
Mit offenen Armen empfing er seine Gefährten und umarmte sie alle herzlich. Sie klopften sich auf den Rücken und griffen sich zum Gruß an den Unterarmen.
  »Kommt rein und ruht euch aus.«
Dimitrion winkte sie zu sich, doch der Heiler und der Priester winkten ab.
Nirven antwortete: »Danke euch, Herr, aber wir werden nach Therben schauen und nachsehen wie es ihm geht.«
  »Dann stoßt nachher zu uns und berichtet mir.«
Dimitrion führte sie in das Kaminzimmer, in der Hildrin die Fenster geöffnet hatte. Frühlingsduft mischte sich mit dem Aroma von frisch gebrühtem Blattwasser als sie eintraten.
  »Bitte setzt euch doch. Legt die Beine hoch, eure Reise muss anstrengend gewesen sein, das Karge Land ist rau und trocken.“
Valt stellte ihnen Hocker mit dunkelrotem Leder bezogen hin, auf denen sie die Füße legen konnten und reichte ihnen allen einen Becher anregend duftendes Blattwasser. Wohlig seufzend trank Shana und so weit es die Etikette erlaubte, machte es sie sich auf dem Sofa bequem. Die anderen behielten ihre etwas steife Haltung bei, da sie nicht wussten inwieweit sich ihr ehemaliger Gefährte verändert haben mochte.
Dimitrion sah ihnen die Unsicherheit an und versicherte ihnen, dass sie sich wie immer verhalten könne und sich so wohl wie möglich fühlen sollten. Sie entspannten sich und waren sicher, dass der Halbelf immer noch ihr alter Freund und Kampfgefährte war.
Nachdem das Blattwasser seine Wirkung entfaltete fühlten sie sich angenehm gestärkt.
  »Wie ist es dir ergangen, hast du nicht die Tochter eines Mandarrn heiraten sollen?«, fragte Grayden.
  »Schon, aber der Mandarrn fiel einem Attentat zum Opfer und seine Familie flüchtete in den Süden. Angeblich lebt die Familie in Berrba an der Wolfsküste. Aber ich habe eine neue Gefährtin gefunden und bin sehr glücklich. Der Hof war zu Anfang von meinem Vorgänger nicht gut gepflegt worden, doch ich und die Hofleute haben alles wieder in den Griff bekommen wie ihr seht.«
  »Man könnt´ direkt neidisch werd´n, ´mit.«
Der Halbelf grinste freundlich. Der Zwerg hatte ihn von Anfang an nur mit diesem Kurznamen bedacht und zuerst hatte das entsetzlich genervt, doch mit der Zeit am Hof fehlte ihm die raue Geselligkeit und Humor eines Ramloc Stahlschlag. Der Zwerg flenzte sich in die dicken Kissen während Dimitrion fortfuhr: »Ich sah, dass auch die Gemeinde unter schweren Steuern lag und entlastete sie von unsinnigen Abgaben. Danach überzeugte ich sie, Straban zu züchten, denn das Fleisch und Gefieder lassen sich exzellent verarbeiten. Wenn die Herde in ein, zwei Jahren gewachsen ist können wir Handel betreiben und damit wird auch die Gemeinde weiter wachsen.«
  »Das sind gute Pläne. Du erwähntest eine Gefährtin?«, fragte Shana.
  »Hildrin, meine Magd. Ihr habt sie gesehen als sie das Zimmer verlassen hat. Sie ist tüchtig und hat ein gutes Wesen. Wir teilen das Bett seit geraumer Zeit, doch es hat lange gedauert, bis es so weit war.«
Von draußen hörte man Amseln, Stare und Kohlmeisen singen.
  »Doch es gab in letzter Zeit viele Probleme.«
Dimitrion schaute betroffen in seinen Becher. Kräuselnd stieg ihm der Wasserdampf entgegen.
  »Was für Probleme?«, fragte Grayden.
Ihr Gefährte erzählte mit belegter Stimme von den Vorfällen bis zu dem Punkt als vor wenigen Tagen die Geschwister verschwanden und das  Bauernpaar aufgefunden wurde.
  »Vor fünf Tagen kam wieder der Dorfpriester zu mir und erzählte mir von den Leuten, deren Töchter verschwunden sind und man hatte die Eltern in der Stube ihres Hofs gefunden. Sie waren schrecklich zugerichtet.«
Dimitrion holte tief Luft.
  »Sie waren kopfüber an den Kamin genagelt worden und die Eingeweide hingen bis auf den Boden herunter. Ihre Arme und Beine waren auf eine merkwürdige Weise verdreht und ihre leeren Augenhöhlen waren mit verfaulten Eiern ersetzt worden.«
Die Abenteurer sahen ihren Freund bestürzt an. Shana schluckte aufkommende Galle runter.
  »Fliegen krabbelten auf den Leichen herum. Das Blut war jedoch nicht geronnen und so tropfte es weiter herab. Es war ein furchtbarer Anblick.«
Die Gefährten erbleichten bei der Geschichte. Selbst Ramloc hörte auf zu trinken und schluckte mehrmals trocken.
  »Bei Cyrilla, wer tut so was?« fragte Shana mit leiser Stimme.
  »Wir haben kaum lesbare Spuren gefunden. Zuerst nahm ich an, dass irgendwelche Tiere den Webersohn gerissen hätten, doch die Bauern wurden eindeutig ermordet. Wir stehen vor einem Rätsel und es tut mir leid, dass wir uns nicht unter besseren Sternen wiedersehen. Werdet ihr mir helfen?«
  »Darauf kannste Gift nehm`n.«
  »Selbstverständlich stehen wir dir zur Seite«, sagte Grayden.
Magnus und Shana nickten zustimmend.
Es klopfte und alle schauten zur Tür.
  »Herein, Serrin.«
In der Tür erschien die Kräuterfrau. Sie trug einen Wollumhang der von eine güldenen Spange gehalten wurde. Die Spange hatte die Form eines Rades auf dem Namen, Zahlen und Runen eingraviert waren und hatte die Größe einer Frauenhand. Darunter eine rot bestickte Tunika, ebenfalls aus Wolle mit einer Kapuze und Sandalen an den zierlichen Füßen. Sie hatte schwarzes Haar, das grünlich zu schimmern schien wenn die Sonnenstrahlen darauf trafen. Grüne Augen mit lichten Wimpern, dazu rote, dünne Lippen und ein schmales Kinn zeichneten ihr Gesicht.
Sie trug einen breiten Gürtel an dem ein Jagdmesser wie das von Magnus angeschnallt war und einen Eichenknauf besaß. In der rechten Hand hielt sie einen mit zahlreichen Runen und Ornamenten versehenen Ebereschenstab, der am oberen Ende die Form eines Bären hatte und dessen Augen mit Gold eingesetzt waren. Sie war jung, doch von ihr ging eine tiefe Aura der Weisheit einer wesentlichen älteren Somnethoi aus. Die Spange verriet Shana ihren hohen Rang im Druidenzirkel.
  »Seid gegrüßt, Watar«, sagte die Druidin.
Das Wort bedeutete in der Druidensprache Wanderer.
  »Wir grüßen euch edle Somnethoi«, erwiderte Grayden mit ehrfürchtigem Neigen des Kopfes. Die anderen taten es ihm nach.
Dimitrion war verwundert über das imposante Erscheinungsbild der Kräuterfrau. Aus irgendeinem Grund kleidete sie sich nicht in normale Bluse und Hose. Das musste etwas bedeuten, vermutete er. Die Hohe Druidin lächelte als sie vor die Abenteurer trat und ihren Stab quer zur Decke hob. Leises Gemurmel erfüllte den Raum, welches überall zugleich erklang. Es roch nach verbranntem Holz. Dimitrion beobachtete Serrin und überlegte was der Grund für ihr Auftreten sein mochte. Da erloschen der Geruch und das Raunen so plötzlich wie es gekommen war und sie lächelte geheimnisvoll.
  »Gebt mir jeder von euch eine Strähne seines Haares«, verlangte sie und holte fünf kleine Holzkästchen aus dem Umhang und hielt jedem eine hin um die Strähne hinein zu legen.
  »Und jetzt: Spuckt drauf!«
Von der Macht der Frau beeindruckt taten sie wie ihnen geheißen und sie verschloss die Kästchen mit einem Wort der Macht bevor sie in ihrem Mantel verschwanden.
  »Habt keine Sorge, Watar. Diese Dinge werden mir helfen, euren Weg zu sehen. Danach vernichte ich die Kästchen, so dass euch nichts geschehen möge.«
Dimitrion vermutete, dass sie auf diese Weise versucht hatte heraus zu finden wohin der Webersohn verschwunden war und fragte sie danach.
  »Ja, das habe ich. Doch das Auguren waren verschwommen. Mir fehlten die wichtigsten Bestandteile für das Sehen und ich gebe zu, das ich euch noch nicht alles gesagt habe was ich über den Verbleib des Kindes weiß.«
Somnethoi hockte sich in einen Schneidersitz auf einen freien Hocker, wobei sie die Füße auf den Oberschenkeln ablegte. Ihren Stab legte sie quer über ihren Schoss. Der Bärenkopf zeigte auf die Abenteurer. Ramloc erwartete, dass auch dieser Kopf ihn hämisch anstarren würde, doch dem war nicht so.
  »Ich erfuhr nur, dass der Junge sich entfernt hatte. Weder seinen Ort noch ihn selbst konnten mir die Ströme zeigen. Meine Sicht wurde durch eine andere fremde Macht getrübt. Dennoch konnte ich die Strömung erkennen woher diese fremde Macht kam und spürte den trägen Zyklus eines Sumpfes wie er in meine Gedanken einzudringen versuchte um mich vergessen zu machen. Mit großer Kraft gelang es mir, nach zähem Ringen, mich aus der Umklammerung zu befreien. Kraftlos sank ich auf den Boden meines Zirkels. Mit letzter Kraft verschloss ich die Tür zum Aether und webte einen Schutzspruch. Ich erwachte nach stundenlangem Schlaf, war jedoch nicht ausgeruht und versank in Meditation bis eure Ankunft mich weckte.Nun bin ich wieder bei Kräften und werde euch auf eurem Weg helfen.«
Dimitrion war mehr als nur erstaunt. Seine Kräuterfrau war nicht nur eine Graanwaldschwester sondern darüber hinaus eine Hohe Druidin. Das musste er erstmal verdauen und holte sich Merthans Selbstgebranntem Beerenschnaps aus dem Wandschrank. Er goss jedem etwas davon in den Becher, Serrin lehnte ab.
  »Und was werden wir nun tun?«, fragte Magnus.
  »Nirven, mein Schüler, hat mir von dem bedauerlichen Vorfall des Bauernpärchens berichtet, deswegen werde ich mich auf den Weg zum Hof begeben.«
Dimitrion goss sich und Ramloc noch einen ein. Wenn Nirven ihr Schüler war, dann musste sie schon sehr alt sein. Und mächtig. Zu der Erkenntnis gelangte auch Shana und sie bekam Ehrfurcht vor Somnethoi. Ramloc störte das nicht im Geringsten, er genoss das wärmende Gefühl des Selbstgebranntem das sich von seinem Magen aus im Körper verteilte. Es klopfte wieder. Dimitrion öffnete die Tür und Hildrin sagte ihm, das im Saal das Abendbrot wartete. Er sah aus einem Fenster, das die Sonne zur Hälfte untergegangen war. Der Zauber musste länger gedauert haben wie sie alle dachten.
Serrin stand auf.
  »Ich gehe nun, Watar. Morgen Mittag werde ich wiederkommen.«
Dann verliess sie das Kaminzimmer und ging dann in Richtung des Bauernhofs, den sie untersuchen musste. Die Gefährten fanden sich im Speisesaal ein, doch sie aßen nur wenig und nur wenige Worte wurden ausgetauscht. Alle spürten einen unheimlichen Druck auf sich lasten, der auch nicht durch das gemeinsam Maharauchen verschwand. Sie wurden von Hildrin zu den Zimmern gebracht, wo sie alle sofort einschliefen.
Dimitrion grübelte über das gesagte nach. Doch seine Gedanken drehten sich im Kreis und so beschloss er ebenfalls sich zur Nachtruhe zu begeben. Seine Geliebte Hildrin spürte die Last auf ihrem Gefährten und sie ließ ihn ruhig schlafen.

Nach einer schlaflosen Nacht, erwartete sie Magrun mit einem herzhaften Frühstück.
  »Sollten wir uns das Bauernhaus nicht mal anschauen?“, fragte Magnus.
  »Wenn ihr euch das antun wollt und den Anblick vertragt, führe ich euch hin. Aber seid gewarnt, mich und Merthan hat die Grausamkeit der Tat sehr mitgenommen«, warnte Dimitrion.
  »Mag sein, dennoch könnten wir etwas nützliches herausfinden, was übersehen worden ist«, sagte Grayden.
Dimitrion seufzte.
  »Na schön. Der Bauernhof ist eine halbe Stunde entfernt.«
Merthan brachte die Feren in den Vorderhof.
  »Die Feren sind unruhig, Herr. Sollte ich nicht besser mitkommen?«
  »Du wirst hier gebraucht. Ist die Herde schon auf der Koppel?«
  »Ja, Herr. Die Vögel sind nicht besonders freundlich, heute hat ein Männchen nach mir gehackt. Ich dachte schon, er sei auch vergiftet worden, doch zum Glück war er nur schlecht gelaunt.«
  »Dann habe ein Auge auf sie, wir können uns den Verlust eines weiteren Straban nicht leisten. Wir werden zum Bauernhof reiten und uns noch mal umschauen. Wie geht es Therben?«
  »Er erholt sich langsam aber stetig. Der Heiler hat gestern seine Verbände gewechselt. Dabei sah ich seine Hand. Herr, sie sieht furchtbar entstellt aus.«
  »Es spricht für dich, dass du dir Sorgen machst. Therben wird weiterhin auf meinem Hof bleiben können. Das verspreche ich dir, Merthan.«
  »Danke, Herr.«
Mit diesen Worten trieben sie die Feren zu einem leichten Galopp an.
Hildrin stand in der Küchentür und sah ihnen mit Sorgenfalten hinterher.

Der Bauernhof roch nach Tod.
Dimitrion war im Begriff die Tür zu öffnen und warnte sie nochmals.
Grayden nickte und sie gingen in eine Stätte des Grauens.
Die Zimmer waren vollkommen zerstört worden. ?berall lagen Stofffetzen, zerbrochenes Holz, Geschirr und zerschellte Becher und Schalen herum. Es sah aus als hätte ein Sturm im Zimmer gewütet. Hier war der Leichengeruch nur zu erahnen, in der Stube wurde er schlimmer, doch die Leichen waren schon entfernt worden und er zog durch die geöffneten Fenster hinaus. Auf dem Boden gerann eine riesige Lache aus dunklem Blut. An der Wand konnte man die Stelle, an der die umgekehrte Kreuzigung statt gefunden hatte, deutlich sehen. Shana verzog angewidert das Gesicht.
  »Ich habe euch gewarnt. Und glaubt mir, vorgestern hat es schlimmer ausgesehen.«
Bei seinen Worten fingen sie an, stillschweigend das Zimmer zu untersuchen. Doch sie hatten kein Glück. Es fand sich nicht der geringste Hinweis auf die Mörder. Sie gingen nach draußen und alle schnappten nach Luft.
  »Furchtbar«, sagte Shana.
  »Etwas Größeres muss die Bauern getötet haben, wie hätten sie sie sonst kreuzigen können. Sie müssen außerdem große Kraft besitzen um sie hochzuheben«, sagte Grayden und schüttelte den Kopf.
  »Ich werd` hinter dem Haus nachschau´n.«
  »Ich komme mit dir«, sagte Dimitrion.
  »Dann nehme ich mir die Scheune und die Stallungen vor«, sagte Magnus
  »Shana und ich werden dir dabei helfen.«
Sie teilten sich auf. Doch auch diese Suche half nicht weiter und so gaben sie nach zwei Stunden auf und trafen sich bei den Pferden.
  »Wir haben nichts entdeckt.«
  »Doch, auch wenn`s nich` zu seh`n war«, sagte Ramloc.
  »Was meinst du?«, fragte Grayden.
  »Ich fass` mal zusamm`n: 1. Sie sind kräftig. 2. Sie hinterlass`n keine Spur`n, das heißt sie sind auch sehr geschickt. 3. hab`n sie die Kinder entführt während sie die Eltern getötet hab`n. 4. schlug`n sie nachts zu und das wiederum bedeutet sie könn`n nachts gut seh`n und 5. wurd` nix an Wert geklaut, das heißt sie hab`n genüg`nd oder brauch`n es nicht. Für mich ist klar, das die Bauern zur Abschreckung ungebracht wurd`n und die Kinder zu einem Ritualzweck entführt wurd`n.“
  »Ich bin äußerst beeindruckt, Ramloc Stahlschlag.«
  »Tja, ihr Mensch`n neigt immer wieder dazu, uns Zwerge zu unterschätz`n.«
  »Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wer die Kinder wohin zu welchem Ritual verschleppt hat«, folgerte Dimitrion.
  »Richtig. Unsere Gegner sin´ gefährlich, geschickt un´ wohl zu allem fähig. Doch wer sie sind, dabei kann uns sicherlich die Somnethoi weiter helf`n.«
  »Es ist schon weit nach Mittag und sie sagte, dass sie dann zurück sein würde. Lasst uns deswegen schnell zurück reiten. Je eher wir hier weg kommen desto besser.«
Auf dem Weg zurück ritten sie durch Graanbergen. Der Marktplatz wurde von einem fahrenden Händler besetzt, der seine Waren mit lauten Rufen feilbot. Er sah die Gruppe näher kommen und erkannte den weithin bekannten Halbelfen, der die Ländereien gekauft hatte und seltsame Vögel züchtete. Daraus schlussfolgerte er ein gutes Geschäft. Grayden und sein Gefährte ritten wieder an der Spitze und wurden von dem bunt gekleideten Händler bedrängt.
  »Ihr seid Dimitrion der Grundherr, nicht wahr? Lasst mich euch vorstellen. Ich bin Guntgar, der fahrende Händler. Meine Waren sind gut und die Preise günstig. Für euch mache ich sogar noch niedrigere Preise, Herr.«
Guntgar hatte das typische Plappermaul und den goldgierigen Blick wie jeder Händler und lächelte falsch.
  »Nein, danke Guntgar, wir haben keinen Bedarf.«
  »Aber Herr, ich habe ausgesuchte Seide, kostbare Kristalle, die Besten Schleifsteine die ihr je zu Gesicht bekommen werdet und das zu Preisen, die mich ruinieren.«
  »Ich sagte, Kein Bedarf«, antwortete Dimitrion scharf.
Der Händler verstand es wenn er nicht erwünscht war.
  »Nun gut, Herr. Ich sehe, dass sich hier kein Handel machen lässt«, sagte er betont beleidigt.
Er drehte sich um und murmelte weiter.
  »Genau wie in Jertantal. Diese Kindermorde sind nicht gut fürs Geschäft. Hoffentlich lässt sich wenigstens in Weitfelden etwas Umsatz machen. Sonst ist diese Handelsreise umsonst gewesen.«
Dimitrion wollte gerade weiterreiten als er das Geflüster des Händlers vernahm.
  »Guntgar?«
Der Händler drehte sich mit neuer Hoffnung um.
  »Ja, Herr, ich wusste ihr würdet euch doch noch richtig entscheiden. Meinem Angebot kann man nicht widerstehen. Was kann ich für euch tun?«
  »Ihr könntet mir sagen, was ihr gerade über das Jertantal sagtet.«
  »Oh. Dann wollt ihr doch nichts kaufen?«
  »Sag mir, was im Jertantal passiert ist und vielleicht überleg ich es mir.«
Guntgar überlegte.
  »Nun gut. Als ich letzte Woche meine überaus günstigen Waren anbot, traf ich, genau wie hier, auf eine düstere Mauer von Schweigen und Misstrauen. Ich erfuhr, dass im Dorf mehrere Kinder entführt wurden. Menschen wurden ermordet aufgefunden. Furchtbare Sache, Herr.« Guntgar machte eine kurze Pause. »Wollt ihr nun vielleicht etwas kaufen?«
  »Ich schicke dir jemanden vorbei.«
  »Danke, Herr. Vielen Dank, ich wünsche euch einen angenehmen Tag, Herr.«
Dimitrion wendete und sie ritten zum Hof hinauf.
  »In Jertantal sind ebenfalls Verschleppung und Mord passiert. Wer weiß wo sonst noch? Was zum Abgrund geht hier vor?«
  »Wir werden es bestimmt bald erfahren«, sagte der Schildmeister und deutete auf Somnethoi die beim Tor wartete.
Sie trug ihren Wollumhang geschlossen obwohl es sehr warm war.
  »Serrin, habt ihr etwas gesehen?«, fragte Dimitrion als sie abstiegen.
  »Das habe ich. Folgt mir.«
Sie banden die Feren an und folgten ihr zum nahen Waldrand.
Nach einer halben Stunde in der das Dickicht immer dichter und dunkler wurde, kamen sie an einer großen Eiche an. Darunter stand die Hütte der Druidin.
Es war ein mystischer Ort an dem sie lebte. Ihre Hütte war aus Lehm gebaut und mit zahlreichen Balken verstärkt. Das Dach war grün und mit einer Unzahl an Blättern bedeckt. Ein Obelisk stand in einem rätselhaften Kreis nur ein paar Schritte entfernt neben der Eiche. Er wurde von zwei kleineren flankiert und bildete innerhalb eines Kreises, der auf dem Boden aufgezeichnet war, ein Dreieck. Davor befand sich ein kniehoher hölzerner Altar auf dem sich armdicke und ebenso lange Kerzen befanden, die eine gelbliche Färbung besaßen. Serrin öffnete mit einem Wink ihres Bärenstabes die Hüttentür und sie traten ein. Eigentlich hatte Shana ein chaotisches Zimmer, voll gestopft mit Büchern, magischen Utensilien, Kräuterkisten und anderen Dingen erwartet. Doch die Stube war nur mit einem Tisch, zwei Stühlen, einem Schrank und einem Ofen ausgestattet. Sie war sechs Meter breit, acht Meter lang und etwas über zwei Meter hoch. An der Seite führte eine weitere Tür hinaus. Shana fiel auf, dass die Tür direkt in die Eiche führen müsste, wenn man sie öffnete. In einer Druidenhütte mochte das aber durchaus Sinn machen, dachte sie und sah sich weiter um. Sauber und gepflegt sah es hier aus; Kein einziges Staubkörnchen lag herum.
Auch die anderen waren über diesen Zustand erstaunt und sahen sich fragend um. Der Somnethoi fiel die Ruhe der Gruppe auf.
  »Ich wohne hier nur selten. Der Wald bietet alles was ich brauche.«
  »Und was macht ihr im Winter?«, fragte Ramloc. „«Schlaft ihr im Wipfel der Eiche?«
  »Nicht im Wipfel aber in der Eiche selbst«, antwortete Serrin amüsiert.
  »Das ich da nich` selbst drauf gekomm`n bin.«
Shana trat ihn unauffällig ans Knie.
  »Aua.«
Grayden hustete.
  »Dürfte ich euch fragen was ihr herausgefunden habt?«, fragte Dimitrion.
  »Dürft ihr. Ich untersuchte das Zimmer in dem die Bauern getötet wurden auf aetherischem Wege. Doch die fremde Kraft hat mich wieder aufgehalten und so konnte ich nur Schatten erkennen, die durchs Haus schlichen. Große Schatten mit glühenden Augen. Dann griff der Sumpf wieder nach mir, doch diesmal war ich vorbereitet.«
Serrin hob ruckartig die Arme und die goldenen Bärenaugen ihres Stabes fingen an zu leuchten.
  »Ich verteidigte mich und schlug ihn nieder.«
Sie reckte den Stab vor.
  »Dann verfolgte ich ihn in die Strömungen, in die er sich zu verkriechen suchte. Er war verletzt und hatte Angst.«
Serrin beugte sich dabei nach vorne und schaute über die Gruppe ins Nichts.
  »Doch er entkam mir.«
Sie lie? die Schultern hängen, die Bärenaugen erloschen.
Dann schaute sie auf und ein triumphierendes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
  »Doch er konnte seine Spuren nicht verwischen, dafür war der Sumpf zu schwach geworden ob seines Versteckspiels und ich fand heraus, dass er aus dem Süden kommt wo er seine Kräfte sammelt.«
Somnethoi zeigte mit der Linken Hand in den Süden.
  »Im Tempel von Talandra.«
Die Abenteurer sagten nichts.
  »Kennt ihr die Geschichte der Aetherin Talandra?«
  »Nur Bruchstücke«, gab Shana zu.
  »Sie hat vor dreihundert Jahren den damaligen König Darn getötet«, erinnerte sich Grayden.
  »Was nur die halbe Wahrheit ist«, vervollständigte Serrin.
  »Im Archiv fand ich ein Buch in dem die Geschichte stand«, fuhr Grayden fort, er versuchte sich zu erinnern und zu erzählen.
  »Auf der Jagd begegnete der junge König einer wunderschönen Frau und verliebte sich in sie. Doch er war schon verheiratet und hatte drei Kinder. Trotzdem bat er sie, als seine Geliebte, ihn in seinen Palast zu begleiten und mit ihm zu leben. Sie willigte unter der Bedingung ein, dass er alle Priester der Götter aus dem Königspalast warf und sie es nie wieder betreten dürfen und dass der König sich ihr in allen Fragen unterwirft. Die Verliebtheit des Königs kannte keine Grenzen und er versprach, die Bedingungen zu erfüllen. Nun wollte er wissen, in wen er sich verliebt habe und fragte sie nach ihrem Namen. Sie antwortete: Talandra. Was der König nicht wusste, war, das Talandra in der Alten Sprache Sturm, Wut und Schrei bedeutete. Im Palast angekommen, vertrieb sie die Frau und Kinder des Königs, sowie die Priester. Sie versuchten ihn zu warnen, doch sie lähmte sie und vertrieb sie aus dem Palast. Dem König waren die Hände gebunden, es wurde ihm klar wie viel Macht sie über ihn hatte und beschwört sie, seine Kinder am Leben zu lassen. Sie verschonte die Kinder und tötete die Königin. Darn versank in Gram und Trauer während die Kinder zum Primas der Cyrilla flüchteten. Dieser verfluchte den König seinen Palast nie mehr verlassen zu können. Doch die Gefolgsleute hielten zu ihrem König und nach einiger Zeit wurde ihm angesichts des Aethererwerks, angst und bange. Er flehte an der Grenze zu seinem Palast den Primas an, ihm zu verzeihen und schwört, Talandra zu verlassen und seine Kinder zurück zu holen.
Im Königspalast verfällt er der Aetherin wieder und mit einem Bann macht sie ihn zu einer willenlosen Puppe. Doch ihr wird deutlich, dass sie sich inzwischen in den König ebenfalls verliebt hat. Zwischen ihren Gefühlen hin- und hergerissen, gewinnt ihr Rachedurst die Oberhand. Und als der König Darn eines Morgens aufwacht steht der Palast in Flammen. Auf der Flucht stürzt Darn in die Speergruben und stirbt. Der Primas hatte den Mondorden zu Hilfe gerufen und sie nahmen Talandra gefangen als sie bitterlich weinend an einer Quelle kniete. Der Primas erfuhr, was sie geplant hatte und wie sie Darn mit ihren Kräften zu schwächen und zu vernichten suchte. Doch sie verliebte sich in den König und wurde krank vor Schmerz und Kummer. Der Primas fand keine Lüge, weder in ihren Worten noch in ihren Gedanken. Aber sie war eine Königsmörderin und er liess sie an den Quellfelsen binden. Dort soll sie bis zu ihrem Tod geweint und getrauert haben. Der Geschichte zufolge bildete sich der Sumpf aus ihren Tränen. Ihre Anhänger bauten Jahre danach ihr zu Ehren einen Tempel. Und zwar den größten in ganz Caranthan. Ihr Kult ging allerdings schon bald unter und der Tempel geriet in Vergessenheit und der Sumpf wurde von allen gemieden. Außer Verbrechern die dem Verlies entkommen konnten und sich dort versteckten, weil sich niemand in den Sumpf traute.«
Minutenlang schwiegen die Abenteurer.
  »Eine traurige Saga«, sagte Magnus.
  »Wohl war«, sagte Ramloc.
  »Aber was hat eine Geschichte von vor dreihundert Jahren mit den verschwundenen Kindern zu tun?«, fragte Shana.
  »Als die Kinder erwachsen waren und der älteste Sohn Gremnach die Erbfolge antrat, versuchte er den Tempel zu finden und zu zerstören um ihren Vater zu rächen. Sein jüngerer Bruder, Berlom, Hauptmann der Königlichen Garde und seine Schwester Darna, Aetherin der Cyrilla führten die Truppen in den Sumpf und nur Berlom kam zurück und bestieg den Thron.«
  »Ich versteh` immer noch nich` was das mit den Kindern zu tun hab`n soll.«
  »Bevor Talandra starb, brachte sie angeblich ein Kind zur Welt. Missgestaltet, doch unheimlich stark in der Aetherkunst. Es wurde von den Sumpfkreaturen aufgezogen und wird eines Tages wiedergeboren um sie führen und den Thron zu besteigen. Was natürlich nur Gerüchte sind, niemand hat dieses Kind je gesehen. Manche sagen, Talandras´ Kind war ein Sohn, andere sagen sie hätte eine Tochter gehabt. Sie war nur wenige Wochen mit König Darn zusammen und hätte also gar kein Kind von ihm in so kurzer Zeit gebären können. Unmöglich. Ich denke, dass Gerede ist nur eine Alpgeschichte um die Kinder zu erschrecken«, beendete Grayden die Saga.
  »Seid euch da nicht zu sicher, Schildmeister«, sagte die Somnethoi.
Ungläubig starrte Grayden sie an.
  »Ihr meint, Talandra hat wirklich ein Kind geboren?«
  »Das weiß ich nicht. Wer die Kinder entführt will sicher sein, das er das wiedergeborene Kind Talandras in seinen Händen hält. Mit ihm besitzt derjenige eine unglaubliche Quelle der Macht, die er sicherlich nicht zum Guten verwenden will. Aber um diese Macht zu erlangen, muss er ein Ritual durchführen. Sehr wahrscheinlich wenn die Gestirne in Bälde in der schwarzen Konstellation stehen. Ich werde den genauen Tag ausrechnen und ihn euch mitteilen. Vorsichtig solltet ihr auf jeden Fall sein, wenn ihr gen Süden reitet.«
  »Sind wir immer, Somnethoi«, sagte Ramloc und klopfte auf Holz.
  »Manche Gegner können nicht mit Schwert und Axt besiegt werden, Ramloc Stahlschlag.«
  »Was sollen wir eurer Meinung nach tun?« fragte Shana.
  »Reist zum Sumpf an der Mangrovenküste. Mehr kann ich euch nicht sagen, ich bin eine Druidin, keine Schwertschwingerin. Einen Schutztalisman werde ich euch allerdings mitgeben können.«

Die Curca war erschöpft und atmete heftig. Sie war nun schon Tage unterwegs, nur unterbrochen von kurzen Pausen. Ihre schwarz-gelb gefleckte Haut war trocken und sie hatte schrecklichen Hunger. Doch die Stimme trieb sie immer wieder an wenn sie ausruhen wollte. Und so sah sie die Hütte vor der Eiche leicht verschwommen als sie auf die Lichtung hopste. Die Tür öffnete sich und Somnethoi blickte suchend nach ihr umher. Die Kröte quakte und hüpfte weiter. Doch da traten noch mehr Menschen auf die Lichtung und sie alle sahen in ihre Richtung. So viel Aufmerksamkeit hatte die Curca schon lange nicht mehr bekommen und alle Erschöpfung vergessend, blähte sie sich auf und hüpfte stolz und laut quakend auf die Gruppe zu.
  »Ah, da bist du ja, Mörme«, rief Serrin und streckte den Stab aus.
Geschickt hüpfte die Kröte drauf und dann auf einen Baumstumpf.
Shana glaubte ein zufriedenes Grinsen auf dem drögen Krötengesicht zu erkennen und sie sah irgendwie aufgeblasen aus. War das nicht dieselbe Curca, die Magnus und sie an dem Tümpel gesehen hatten?    
  »Ist das eure Kröte?«
  »So ähnlich.«
Die Curca sprang in eine Pfütze die sich zwischen den Wurzeln der Eiche nach dem letzten Regen erhalten hatte. Mörme aalte sich in der Nässe und ihre Haut wurde wieder an schön schleimig, nachdem die Giftdrüsen wieder anfingen ihren natürlichen Schutz herzustellen. Sie fing sich ein paar Fliegen und Mücken und glotzte die Gruppe an.
  »DAS DA soll unser Schutztalisman sein?«, Magnus konnte es nicht fassen.
  »Ja, wieso? Stimmt etwas nicht?«
  »Nein, ganz und gar nicht.«
  »Vertraut nicht auf das was ihr seht, sondern was sie kann. Nicht wahr, Mörme?«
Sie quakte zustimmend. Ihre Erinnerung war nun vollständig verblasst und ihr menschlicher Charakter vergessen. Magnus lief ein Ekelschauer über den Rücken. Er kam mit vielen Tieren zurecht, doch alles was schleimig, schuppig oder auf zu vielen Beinen lief, konnte er nicht ausstehen. Und die mit den vielen Beinen hasste er bis aufs Blut.
  »Sie mag euch. Sie sieht euch die ganze Zeit schon an«, Serrin zwinkerte und lächelte.
  »Ich fühle mich geehrt.“
Jetzt stieg Übelkeit im Nordmann hoch.
Ramloc grinste, Grayden empfand Mitleid und Shana verkniff sich ein Lachen indem sie sich auf die Zunge biss. Nur Dimitrion blieb ernst.
  »Nun, da wir eine neue Gefährtin haben, können wir uns endlich aufmachen die Kinder zu befreien. Bevor noch mehr von ihren Eltern getrennt werden und ihre Mütter und Väter getötet.«
  »Der Grundherr hat Recht. Macht euch auf die Suche und bringt sie alle wohlbehalten zurück. Ich wünsche euch alles Gute.«
Sie verabschiedeten sich und verließen die Eichenlichtung. Mörme hüpfte mit weiten Hopsern neben ihnen her. Genauer, neben Magnus, der sie standhaft zu ignorieren versuchte, was aufgrund des häufigen Quakens neben ihm, schwierig war.

Der frühe Nachmittag war geprägt von einer angespannten Atmosphäre. Dimitrion überlegte wem er die Führung des Grundes anvertrauen konnte während er weg war. Grayden ging die Geschichte noch mal in Gedanken durch. Shana dachte über die Somnethoi nach und Ramloc war froh, bald wieder seine Axt schwingen zu können.
Auf dem Hof teilten sie sich auf. Dimitrion erklärte nach seinem verletzten Gehilfen zu schauen. Die anderen Gefährten gingen auf den Übungsplatz der ihnen von Merthan gezeigt wurde und Shana sah sich im Haus um. Mörme war sich einen Moment unschlüssig, niemand hatte sie beachtet, deshalb hüpfte sie weiter Magnus hinterher.
Therben war bei Bewusstsein und betete. Er bat die Göttin Cyrilla um die Gnade, seine Hand wieder zu heilen. Das Fleisch wuchs nur langsam nach und sie war von dem Straban so zerquetscht worden, dass nicht alle Knochen mehr richtig zusammen wuchsen. Seine Hand war verkrüppelt und der Herr würde ihn gewiss vom Hofe werfen, wenn er nicht mehr richtig arbeiten könne. Und somit konnte er kein Geld mehr verdienen um Lina zu ehelichen. Tränen der Wut und Enttäuschung liefen über seine Wangen. Warum nur? Warum nur hatte dieser dumme Junge den Vogel vergiftet? Warum ich? Therben war verzweifelt.
  »Heilige Cyrilla, bitte höre mich an.
   Deine Güte weit wie die See,
   Deine Liebe tief wie der Ozean.
   Bitte erhöre mein Gebet.
   Und gewähre Heilung und Liebe.
Ich möchte Lina nicht verlieren, bitte hilf mir. Heilige Cyrilla.«
Therben kniete vor einer Schale Wasser vor der er einen Strauß frisch gepflückter Pflanzen gelegt hatte. Kamille, blühenden Löwenzahn, Lavenda und Rosmarin waren ihm von Merthan gebracht worden; Eine Prise Salz hatte er von Hildrin aus der Küche bekommen und ins Wasser gegeben.
Dimitrion hörte Therbens Stimme und wartete bis er das Gebet zu Ende gesprochen hatte, dann klopfte er an und trat ein. Therben lag wieder auf dem Bett und hielt seine verletzte Hand. Er wollte aufstehen, doch sein Herr machte Zeichen, das er liegen bleiben möge.
  »Guten Tag, Herr.«
  »Hallo Therben. Wie geht es Dir?«
  »Immer besser Herr, meine Hand ist fast verheilt und Ende der Woche kann ich ganz sicher wieder arbeiten, Herr.«
Das war gelogen und Dimitrion wusste das. Therbens Hand würde verkrüppelt bleiben und er hatte Angst seine Anstellung zu verlieren.
  »Mach dir keine Sorgen, Therben. Dein Platz ist hier auf dem Hof, ob du eine versehrte Hand hast oder nicht. Ich werfe dich nicht weg und du wirst mit Lina eine große Familie haben können.«
Therben konnte kaum glauben, was er hörte.
  »Ihr…Ihr behaltet mich, Herr?«
  »Sagte ich das nicht gerade?«
Therben strahlte vor Glück.
  »Danke, Herr…Ich weiß gar nicht…«
  »Wir werden etwas finden was du tun kannst.«
Zaghaft wurde an die Tür geklopft.
  »Wer ist da?«, rief Therben.
  »Ich bin`s, Lina«, antwortete eine zarte Frauenstimme.
  »Na dann, will ich mal nicht weiter stören. Ich werde eine Weile verreisen und wenn ich zurück bin, will ich dich wieder gesund und munter sehen, klar?«
  »Natürlich, Herr.«
Dimitrion öffnete und Lina erschrak.
  »Mein Herr, ich wusste nicht…«
  »Geht rein, Therben wartet schon auf euch und ich glaube er hat eine gute Nachricht für euch.«
Dimitrion schob Lina in die Kammer und zog die Tür zu.
Hildrin winkte ihm vom Ende des Flurs zu. Dem Halbelfen war klar, dass der Frühling auch ihn gepackt hatte und winkte zurück. Dann wandte er sich in Richtung Keller. Unter der Treppe schien Licht hervor.

Shana lief ziellos im Haus herum. Sie wechselte ein paar Worte mit Magrun und Hildrin und erforschte das große Haus. In einem abgelegenen Seitengang entdeckte sie eine Treppe die zum Keller führte. Sie stieg herab und sah in einen dunklen Gang hinein. Shana sah an den Wänden Kerzen und zündete sie mit einem dafür bereitstehenden Lunter an.  So konnte sie sehen, dass der Gang aus dicken, braun-roten Steinen gemauert war und sie bequem aufrecht gehen konnte. Sie entdeckte eine Tür ohne Griff und fragte sich was der Halbelf wohl dahinter aufbewahrte. Sorgsam strich sie am Holzrahmen entlang, wenn die Tür keinen Griff hatte gab es bestimmt einen versteckten Schalter. Dimitrion würde es nicht merken, wenn sie einen Blick in sein Geheimzimmer warf, oder?
Es machte Klick als sie eine Erhebung im linken unteren Winkel des Türbogens fand und eindrückte. Die Tür schwang auf. Neugierig lugte sie in den Raum. Es war der Raum mit dem Kohlebecken und den Bücherregalen. Shana wusste, dass Dimitrion als Halbelf diverse Sprüche und Formeln beherrschte. Deshalb wunderte sie sich nicht über die Ausstattung. Hinter ihr räusperte sich der Halbelf absichtlich laut. Die Alchemistin dreht sich um.
  »Ich hätte wissen müssen, dass du mein Studienzimmer finden würdest.«
  »Es war keine Herausforderung. Du solltest dir eine bessere Absicherung einfallen lassen.«
  »Das brauche ich nicht. Die Bediensteten wagen es nicht im Geringsten meine Privaträume ohne persönliche Erlaubnis zu betreten.«
  »Man sollte sich nie zu sicher sein.«
  »Ich gebe mich geschlagen.« Dimitrion hob abwehrend die Hände hoch.
  »Welche Formeln hast du hier studiert?«, fragte sie wissbegierig.
  »Ich hatte nicht viel Zeit Neues zu lernen. Die Führung des Hofs und vom Dorf lassen nicht viel Zeit um sich dem wochenlangen Studieren von Formeln zu widmen. Nur meine eigenen konnte ich ein wenig üben und verfeinern.«
Sie sagte nichts und schaute sich weiter um.
  »Hast du kein Räucherwerk?«
  »Nur für die Kontaktwellen und ein paar Tränke. Ich habe doch eine Kräuterfrau die sich als Somnethoi zu erkennen gegeben hat. Davor wollte ich sie nicht auf meine Fährte bringen. Einer Aetherkundigen hätte ich bestimmt ständig Fragen nach meinem Volk, meinen Eltern und der Formeln der Elfen beantworten müssen. Kennst doch die Neugier der Menschen. Und Serrin kannte ich damals noch nicht genug um ihr in dieser Sache vertrauen zu können. Es war schon schwer genug die Dorfleute von der Strabanzucht zu überzeugen und ich hoffe das die Leute nicht anfangen doch noch schlecht über sie zu reden und Gerüchte zu streuen.«
  »Du meinst wegen der Vergiftung?«
Er nickte.
  »Hast du den Eltern nicht gesagt, dass der Vogel von ihrem Jungen aus Versehen vergiftet wurde?«
  »Nein. Ich wollte nicht, das sie das Gefühl erdrückte mir gegenüber eine Schuld einzubüßen.«
  »Du hast dich nicht geändert, Dimitrion, versuchst alles um bei anderen zu verhindern was dir widerfahren ist, nicht wahr?«
  »Schuldig im Sinne der Anklage. Komm, ich bin sicher, Magrun hat mal wieder zuviel gekocht und schickt Hildrin auf die Suche nach uns.«
Shana zuckte mit den Schultern und gemeinsam verliessen sie den Keller.

Ramloc feuerte Magnus an.
  »Los, pack ihn an ´n Schultern.«
Grayden und Magnus übten Pratak und standen sich in einer lauernden Haltung gegenüber. Das linke Bein nach vorne gestellt und leicht gebeugt, das rechte leicht versetzt um das Gleichgewicht halten zu können. Die Arme nahe am Körper und die Hände zu Abwehr oder Angriff offen gehalten, war das die traditionelle Kampfstellung.
Magnus griff blitzschnell an, täuschte einen Tritt mit rechts vor, setzte ab und hakte sich mit einer schnellen Drehung unter Graydens rechter Schulter. Mit der richtigen Technik und Geschwindigkeit, konnte die daraus entstehende Kraft den Schildmeister aushebeln und er flog über Magnus’ Schulter.
  »Jaa, gut so. Bleib dran.« Ramloc fieberte angespannt mit.
Doch Grayden rollte sich ab als Magnus sich auf ihn werfen und im Bodenkampf bezwingen wollte. Elegant stand er nach einer Schulterrolle wieder in Stellung und griff Magnus mit einer Reihe verschiedener Schläge an. Er reagierte zu langsam und Grayden griff seine Arme, trat ihm in den Unterleib, liess sich nach hinten fallen und zog den Nordmann dabei mit. Am Höhepunkt des Rollens stieß er ihn davon und Magnus konnte nicht mehr rechtzeitig einrollen und fiel der Länge nach auf den Bauch. Der Aufprall presste sämtliche Luft aus seinem Brustkorbund er klatschte dreimal mit der flachen Hand auf den Sand; Das Zeichen, dass er aufgab. Grayden hatte den Sport schon lange vor Magnus in veränderter Form bei seinem Orden erlernt, deshalb war er ihm an Erfahrung überlegen. Das sagte er ihm aber nicht als der ihn zu einem Probekampf überredet hatte. Grayden war zufrieden mit sich. Er hatte nichts verlernt. Der Schildmeister reichte Magnus die Hand und half ihm auf. Dann verneigten sie sich voreinander.
  »Schluss für heute, jedenfalls für mich.«
  »Ihr seid gut, Schildmeister«, sagte Magnus.
  »Für`n Mensch´n«, grummelte Ramloc.
  »Du musst mehr auf deine Abwehr achten«, sagte Grayden und trocknete den Schweiß und den Sand vom Oberkörper ab und warf sich die Trainingsjacke über die Schultern.
  »Ganz richtig. Ich werd´ ihm zeig’n wie das geht.«
Magnus rollte mit den Augen. Ramloc war zäh und flink, seine geringe Größe machte es schwer ihn zu erwischen.
Mörme hüpfte nahe neben ihn und sah dem Kampf von einer besseren Warte aus zu. Sie saß für Graydens Geschmack nah, zu nah für eine Giftkröte. Er schaute unsicher auf sie runter und wusste nicht, was Somnethoi damit bezwecken mochte ihnen eine Curca als Talisman zu geben. Und wie sollte das ablaufen: Sie hochhalten um einen Feuerball abzuwehren?, das kam nicht in Frage. Was nützt es einem dem Spruch auszuweichen, wenn man stundenlang gelähmt war. In einem Kampf war jede Sekunde wichtig und man wäre dem Feind wehrlos ausgeliefert.
Die Curca schaute hoch und zog schwerfällig ihre Lider zusammen.
Grayden war zu müde um weiter darüber nachzudenken und tätschelte sie gedankenverloren. Das gefiel ihr. Ruckartig zog er seinen Arm zurück und erwartete umzufallen, doch nichts geschah. Mörme war beleidigt. Der Schildmeister konnte sich bewegen. War es möglich, dass die Curca entscheiden konnte, wen sie vergiftete? Er nahm sich vor, Shana danach zu fragen. Sie wusste bestimmt die Antwort. Grayden zog sich an und ging ins Haupthaus. Da kamen ihm die Bogenschützin und der Halbelf schon entgegen.
  »Shana, kann eine Curca entscheiden ob sie giftig ist oder nicht?«
  »Wie meinst du das?«
  »Als ich vorhin die Kröte streichelte, wurde ich nicht von ihrem Gift gelähmt.«
  »Du hast eine Curca gestreichelt?«
  »Ja.«
  »Und sagst, du warst nicht paralysiert?«
  »Genau.«
Shana glaubte ihm nicht, das sah er ihr an.
  »Schon gut. Vergiss, dass ich gefragt habe.«
Er drehte sich um und ging zum Brunnen um den Dreck abzuwaschen. Shana und Dimitrion schauten ihm nach. Sie sah Dimitrion fragend an, der schüttelte den Kopf. Dann holten sie die anderen. Am Abendtisch unterhielten sie sich über die Dinge die ihnen widerfahren waren.
Dimitrion erzählte ihnen von den Umständen und Widrigkeiten als Grundherr und wie sein Vorgänger die Menschen behandelt hatte. Er erzählte von der Jagd im Kargen Land wo sie die Straban fingen und seine Pläne für die Zucht, den die Sitten und Bräuche des Dorfes und von Hildrin. Er musste mehrmals bei einer Geburt und der anschließenden Waschung dabei sein. Es gab ein Winterfest, bei dem er den Kindern im Dorf eine Geschichte zu erzählen hatte. Dies alles dient dazu, das Band zwischen den einfachen Leuten und dem Grundherrn zu stärken.
Sie hörten ihm zu ohne eine Frage zu stellen. Dann waren sie an der Reihe und Magnus und der Zwerg überschlugen sich bei den bildhaften Darstellung ihrer Kämpfe, den furchtbaren Monstern und grässlichen Bestien die sie besiegt hatten. Grayden und Shana eröffneten ihm, dass auch sie zusammen gefunden hätten. Der Haöbelf hörte stumm zu, wie es seine Freunde getan hatten als er von seinen Erlebnissen erzählte.
Der Abend brach herein und sie gingen ins Kaminzimmer um ihm bei einem Glas Maha von den Boroschvorr zu berichten. Hildrin klopfte und Dimitrion nahm sie bei der Hand um sie ihnen vorzustellen.

Als sie auf Feren den Hof am nächsten Tag verließen, war ihr erstes Ziel den Bergseepass in der Gebirgskette von Konkoros zu überqueren. Sie hatten sich mit allem ausgerüstet was sie brauchten und obwohl sie nicht wussten was sie im Sumpf oder dem Tempel erwartete, waren sie guten Mutes in ein oder zwei Monaten zurück zu sein. Aus den Vorratskammern nahmen sie Pelze, Decken, Feuersteine, Pökelfleisch, Zwieback, Waffenöl und weitere Sachen mit, die sie auf dem langen Weg gebrauchen würden. Dimitrion übertrug Merthan die Führung des Landes und verabschiedete sich von Hildrin, die versuchte ihre Tränen zurückzuhalten. Magrun nahm sie in den Arm und wünschte ihnen allen eine baldige Rückkehr.
Mörme hüpfte neben ihnen her als sie in Richtung Berge aufbrachen, doch ihr war bald klar, dass sie nicht mithalten können würde und mit einem gewaltigen Satz sprang sie hinter Magnus auf sein Feren. Es scheute kurz, doch er konnte es beruhigen und die Curca schien sehr zufrieden zu sein. Dimitrion leitete die Abenteurer im Südwesten seines Landes in den Graanwald.
  »Dort kannst du die Schneise sehen, die wir bereisen müssen. Die Graanberger schlagen sie im jeden Frühjahr wieder frei. Dieses Jahr sind sie nicht weit gekommen, also machen wir den Rest. Dann können die Händler und wir hindurch.«
 Der Ton des Halbelfen machte Magnus hellhörig.
  »Sollte doch kein Problem sein, oder?«
  »Nun, der Efeu, die anderen Rankenpflanzen und Parasiten werden uns ein wenig aufhalten und es wird allerdings seine Zeit dauern bis wir die Baumgrenze erreicht haben um den Pass betreten können.«
  »Von wie viel Zeit sprichst du?« wollte Grayden wissen.
  »Schätze mal eine Woche oder mehr bis wir durch sind. Die Graanberger schaffen das in vier, fünf Tagen aber sie hacken auch mit mehreren Dutzend Männern die Pflanzen beiseite.«
  »Die Arbeit wird uns warm halten«, rief Magnus.
Und ihm wurde warm. Im dichten Wald war der Boden noch an vielen Stellen gefroren und das blühende Blätterdach ließ nicht viel Sonne durch. Schon früh am Tag mussten sie die Fackeln benutzen um etwas sehen zu können. Tiere huschten verängstigt zur Seite wenn sie ihnen zu nahe kamen. Am Ende des zweiten Tages trafen sie auf das Ende der geschlagenen Schneise. Vor ihnen ging der Weg in ein Gestrüpp über, das Monate Zeit hatte vom letzten Herbst über den Monat des Morphion und den ersten Frühlingswochen zu wachsen. Dornenäste, verschlungene Ranken und zentimeterdicke Äste versperrten ihnen den Weg.
  »Zu früh gefreut.«
  »Dann lasst uns mit der Gart’narbeit kein´ Zeit verlier´n.«
Ramloc sprang ab und fing an die Pflanzen mit seiner Axt weg zu hacken.
  »Wir teilen uns am besten in zwei Gruppen auf. Eine hackt und die andere ruht sich aus. Was haltet ihr davon?«
  »Nich’ lang red’n. Mach’n.«
Magnus zog sein Schwert und stellte sich an Ramlocs Seite. Grayden und Dimitrion bildeten die zweite Gruppe und Shana kümmerte sich um die Feren.
Der erste Wechsel fand nach vier Stunden statt und schweißgebadet ließen sich Magnus und Ramloc auf einen umgestürzten Baumstamm fallen. Shana reichte ihnen Tücher zum Abtrocknen. Keiner von ihnen konnte sich bei der Kälte eine Erkältung, geschweige denn eine Lungenentzündung, leisten. Vorsorglich bereitete sie einen Kräutertrank zu, der dies verhindern solle. Mörme hopste herbei und beobachtete interessiert den Vorgang. Wenn die Alchemistin die einzelnen Kräuter aus ihren Utensilien nahm und zerrieb, quakte sie zustimmend. Das amüsierte Shana. Die Mixtur bestand aus Lindenblüte, Blutwurz, Birke und Helmkraut. Dies füllte sie in ausgehöhlte kleine Wizbeln, die nur zwei Finger dick waren, hinein und gab sie ihnen zu essen. Unschlüssig hielten alle die lila-roten, scharf schmeckenden Stücke in der Hand. Keiner traute sich da hineinzubeißen und sie stemmte die Hände in die Hüfte.
  »Stellt euch nicht so an. Oder wollt ihr krank werden? So starke Kerle wie ihr, lasst euch doch nicht von einer Wizbel Angst einjagen?«
Die Männer schauten sich unsicher an.
  »Na los. Runter damit.«
Shana wedelte mit ihren Händen auffordernd rauf und runter.
Grayden zuckte mit den Schultern und biss eine Hälfte ab. Ganz langsam zerkaute er sieund schluckte.
  »Geht so. Hast aber auch schon besseres gekocht.«
Ein kleiner Stein flog ihm an die Stirn. Die anderen bissen ebenfalls hinein.
  »Köstlich.«
  »Unbeschreiblich.«
  »Geradezu königlich.«
Ihre Mienen sprachen Bände. Gespielt beleidigt drehte sich die Alkemistin um und fing an ihre Utensilien zu verstauen. Da fiel ihr ein was Grayden sie vor ein paar Tagen gefragt hatte und beugte sich zu der still sitzenden Kröte herunter und schaute sie direkt an.
Mörme schaute zurück und neigte den Kopf.
  »Kannst du vergiften wen du willst?«
Die Curca antwortete nicht und Shana überlegte ob sie das Risiko eingehen soll. Sie beschloss es zu tun und tippte Mörme kurz mit dem Zeigefinger an. Mörme quakte fragend. Shana wackelte mit den Fingern.
Magnus stiess Ramloc in die Rippen und deutete mit dem Kopf auf Shana. Wieder so eine merkwürdige Sache die die Alchemistin machte und die er nicht verstand.
  »Wer solche Wizb’ln macht, redet auch mit Kröt’n«, war seine Meinung.
   »Stimmt.«
Auch er fand das schlüssig. Er nahm einen Schlauch aus einer Satteltasche  und spülte den Geschmack mit Wein hinunter. Magnus hielt ihn Ramloc hin und der Zwerg nahm einen großen Schluck. Die Bogenschützin indes konnte immer noch ihre Finger bewegen. Curcas waren zweifellos giftig und doch war Shana nicht von dem Gift gelähmt worden. Das konnte sie sich nicht erklären und grübelte darüber nach während Mörme weg hopste.Die Kröte scheint einige Geheimnisse zu verbergen, fand sie.
Es war inzwischen so dunkel geworden, sodass Grayden und Dimitrion selbst mit den Fackeln immer weniger sehen konnten wohin sie schlugen und so beschlossen sie für heute aufzuhören. Außerdem wurde das Gestrüpp dichter und verworrener. Mit frischen Kräften würden sie entschieden weiterkommen. Sie machten ein Lagerfeuer und brieten Fleisch und kochten eine Suppe die Shana zubereitet hatte.
Alle, bis auf die Alkemistin, waren erschöpft vom stundenlangen Hacken und Schlagen. Mit den verbliebenen Kräften säuberten und schleiften sie ihre Waffen und ölten sie für den nächsten Tag gut ein.
  »Ich werde die Nacht Wache halten«, schlug Shana vor.
  »Du kannst nicht die ganze Zeit über wach bleiben, wenn du müde wirst dann weck mich«, sagte Grayden nachdrücklich.
  »In Ordnung, dann legt euch mal hin, jede Minute stärkt euch mehr.«
Er warf ihr noch einen Blick zu um ihr klar zu machen, dass sie ihn wirklich zur Ablösung wecken würde bevor er nach wenigen Minuten eingeschlafen war. Bald hörte sie nur noch Atemgeräusche und ein leichtes Zwergenschnarchen.
Der Dunkelheit nach zu urteilen, mochte es bereits Mitternacht sein aber Shana sah ein Loch in der Blätterdecke und versuchte Sternenkonstellationen oder einen der Monde zu erspähen. Der Himmel war mit dicken Wolken behangen und so gab sie es auf und beschäftigte sich lieber mit ihrer Umgebung. Sie waren gut vorangekommen, einige hundert Meter schätzte sie. Aber durch den ganzen Graanwald hindurch mochten durchaus zwei Wochen vergehen. Danach bräuchten sie mindestens zwei Tage um ihre Kräfte zu erholen, vielleicht drei. Shana machte nicht den Fehler die Kraft der Natur zu unterschätzen und dachte darüber nach, wie sie sich schneller durchschlagen könnten. Sie konnte ihre Feuerkugeln benutzen um das Holz weg zu brennen. Doch dabei mochte der Wald in Brand gesetzt werden, also war das keine durchführbare Möglichkeit. Oder sie nutzte die Säurekugeln. Doch sie konnte stolpern und ihr Ziel verfehlen und die Säure traf vielleicht einen der Gruppe oder verätzte gesunde Bäume, die sich nie wieder davon erholen würden. Nein, schloss Shana das konnte sie auch nicht riskieren. Außerdem hatte sie nur ein paar Stück und in den Bergen, das wusste sie, gab es nicht die notwendigen Zutaten um gleich wieder neue herzustellen und ihre Waffen waren oft eine Alternative zu Schwert oder Bogen.
Mörme kam angehüpft. Sie sah, dass bis auf die Frau alle schliefen und setzte sich neben sie. Um zu zeigen, dass sie wieder da war, quakte sie leise. Die Frau schaute zu ihr hinunter. Shana war wegen der Grübelei müde geworden und gähnte. Sie wurde sehr müde und streckte sich. Die Augen schienen ihr zuzufallen und sie holte eine rotfarbene Nuss aus einem winzigen Beutel und sie biss ein Stück davon ab. Die Lacanuss war Bestandteil für kräftigende Tränke und Tinkturen. Pur und nicht zerrieben, war ihre Wirkung wesentlich höher und Shana fühlte wie die Nuss sie immer mehr stärkte. Sie musste den Männern Zeit geben zu schlafen, sie selbst konnte das am Tag nachholen, entschied sie. Und so verbrachte sie mit Mörme den Rest der Nacht. Doch nach drei Stunden war die Wirkung der Nuss verflogen und ein zweites Mal an einem Tag wäre gefährlich gewesen. Sie wickelte sich die Decke um die Schultern und die Wärme lullte sie ein.
Mörme sah der schlafenden Frau zu als langsam sie an den Baumstamm hinter ihr sank. Die Kröte hüpfte auf den Stamm neben Shanas Gesicht. Wenn alle schliefen, dann blieb sie wach um ihre neuen Freunde zu beschützen. Als der Morgen graute hörte die Curca ein Rascheln rechts von der Stelle wo Grayden schlief. Sie hüpfte von ihrem Platz und zu dem Schildmeister herüber. Ein Knacken ertönte aus dem Dickicht und die Curca zögerte nicht eine Sekunde und spie einen dicken Batzen Schleim darauf zu. Sie traf, ein schmerzerfülltes Zischen entfernte sich, bis sie ein dumpfes Geräusch hörte. Zufrieden hopste sie wieder auf den Baumstamm und hielt mit hoch gerecktem Kopf Wache über ihre Gruppe. Ganz besonders über Magnus.
Grayden erwachte als erster und er bemerkte die eingeschlafene Shana in ihrer Decke liegen. Daneben Mörme, die ihn ansah.
  »Na toll«, murmelte er verschlafen.
Er stand auf um sich zu erleichtern und zündete ein neues Feuer an, das in der Nacht erloschen war, weil Shana kein Holz nachgelegt hatte. Knisternd entzündeten sich die Zweige und er legte dickere Zweige und Äste nach bis ein ordentliches Feuer prasselte. Dann spießte er die restlichen Stücke Fleisch auf und hielt sie neben den Suppentopf in die Glut. Mit der Zeit wachten auch Magnus und Shana auf. Der Nordmann erledigte ebenfalls sein Geschäft und Grayden sprach seine Gefährtin an, warum sie ihn nicht geweckt habe. Wenn sie in der Nacht von Raubtieren oder Wegelagerern überfallen geworden wären, hätten sie kaum eine Chance zur Gegenwehr gehabt.
  »Wir könnten tot sein, Shana.«
  »Es tut mir leid. Ihr braucht eure ganze Kraft um uns durch den Wald zu schlagen. Deshalb ließ ich dich schlafen. Ich habe eigens eine Lacanuß gegessen um wach zu bleiben«, versuchte sie ihm klar zu machen.
  »Das ist zwar verständnisvoll von dir, Shana aber du hättest mich wecken sollen. Schlafen hätte ich am tagsüber gekonnt.«
Mörme hüpfte vor ihn und quakte ihn laut an. Grayden war verblüfft über das Benehmen der Kröte. Magnus kam zurück.
  »Ich glaube, dass solltet ihr euch ansehen, Freunde.«
  »Was denn?«
  »Schau’s dir an, Schildmeister«, sagte er nur und wies in das Gebüsch.
Grayden sah nacheinander Shana, Mörme und Magnus an. Er stand mit einem Seufzer auf und folgte dem Nordmann in den Wald. In einigen Metern Entfernung lag eine Geganaja; Diese Schlangen waren wahre Monstren. Aufgerichtet standen sie höher als ein Mensch und ihre ledrigen Falthäute hatte eine Spannweite von fast zwei Metern. Ihre Zähne konnten eine Länge von zwanzig Zentimetern erreichen und die Geganaja brauchte gar nicht giftig sein, es genügte wenn sie ihrer Beute einfach verwundete. Dann legt sie ihre Häute um das Opfer und genau wie Spinnen verflüssigte ein Sekret die Organe und sie saugte es leer.
Diese Schlange, schätzte er, hatte eine Länge von sieben Metern und eine bräunliche Schuppenfarbe die mit Zackenmustern in Rot und Gelb überzogen war. Ihr riesiger Schädel war zur Hälfte bis zum Knochen freigelegt. Die Wundränder sahen geschmolzen aus und zischten immer noch leise. Es bildeten sich auch immer noch kleine Blasen, weil das Fleisch weiterhin aufgelöst wurde.
  »Bei Cyrilla, was kann so einer Schlange den Schädel wegätzen?«, fragte Magnus ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
  »Ich weiß es nicht. Kein Tier das ich kenne, kann so eine scharfe Säure spucken.«
Der Schildmeister liess seinen Blick ratlos über den Kadaver gleiten. Magnus hockte sich hin und berührte die Schlangenhaut, die Neugier war stärker als seine Abneigung geschuppten Tieren gegenüber. Sie fühlte sich glatt an.
  »Wir können froh sein, dass sie tot ist. Wenn sie uns beim Schlafen überrascht hätte, dann wären wir ziemlich chancenlos gewesen.
Es knirschte hinter ihnen und ein verschlafener Zwerg stolperte zu ihnen herüber.
  »Bei den heilig’n Schmied’n…was´n das für`n Viech?«
  »Noch nie von einer Geganaja gehört? Eines der heiligen Tiere Konkoros?«, fragte Grayden. »Sie leben gerne in dunklen und feuchten Gegenden, zum Beispiel dem Graanwald.«
  »Ist sie giftig?«, fragte Ramloc.
  »Nein.«
  »Und wer hat sie erledigt?«
  »Magnus fand sie eben. Da war sie aber schon tot. Hoffentlich vergibt uns der Erdgott. Am Feuer werden wir beten und eine Gabe opfern um ihn milde zu stimmen.«
  »Auf jed’n Fall ist das Viech tot und wir könn’n weiter die Schneise frei hack’n«, sagte er und ging hinter einen Baum und ein Plätschern durchbrach die allgemeine Stille.
Magnus stellte sich vor Grayden und zeigte auf die Schlange.
  »Ob es noch mehr von denen gibt?«
  »Ich glaube, die Geganajas sind Einzelgänger und beherrschen ein großes Revier. Einer weiteren werden wir wohl nicht begegnen«, sagte Shana die inzwischen nachgekommen war.
  »Wir haben heute Nacht wahrlich unter dem Schutz von Cyrilla geschlafen.«
Ramloc kam hinter dem Baum hervor und schnallte seine Hose fest während er auf die Schlange zuging.
  »Könnt’ man gut gebrauch’n die Haut, findet ihr nich´?«
  »Auf Dimitrions Hof haben wir genügend aufgestockt und die Pferde sind schon ausgelastet. In den Bergen werden sie viele Pausen brauchen. Außerdem wärmt die Schlangenhaut nicht sehr gut.«
  »Hmm. Gut’s Argument, Schildmeister«, meinte der Zwerg. Er spuckte einmal aus und stapfte zur Schneise zurück. »Jetz’ brauch’ ich erstmal was zum beiss’n. Wie schmeckt Schlange?«
  »Vergiss es, die Säure hat das Fleisch ungenießbar gemacht. Nur um deine Neugier zu stillen: Schlange schmeckt ungefähr wie Hühnchen, hat eine etwas feinere Struktur und ist leicht zu kauen.«
  »Woher weißt´n das?«
  »Weil ich schon mal Schlange gegessen habe. Du kannst dir die Spieße von gestern schnappen aber lass uns was übrig, wir haben auch noch Hunger.«
Am Feuer bemerkten sie ein mäßiges Brennen in den Armen und Shana reichte ihnen eine Salbe mit der sie sich einreiben sollten um die Muskeln geschmeidig zu halten.
  »Ich habe mir überlegt ob es eine andere Möglichkeit gibt den Wald zu durchqueren.«
  »Und?«
  »Leider fiel mir nichts ein.«
  »Aber vielleicht mir«, warf Dimitrion ein.
  »Was schlägst du vor?«
  »Ich brenne ihn einfach weg. Wenn wir zeitig die brennenden Äste wegschlagen, sollte es wesentlich einfacher sein und es wird keinen Brand geben weil es noch zu kalt und feucht ist.«
  »Kling gut. Mit genügend Wachsamkeit dürfte nichts Schlimmes passieren. Dann machen wir uns gleich mal an die Arbeit.«
Der Halbelf stellte sich in sicherer Entfernung vor das Schneisengestrüpp und schaute geradeaus ins Nichts. Er hob die rechte Hand mit dem Rücken nach oben bis auf Brusthöhe. Dann bewegten sich die Lippen lautlos und von seiner Brust breitete sich ein helles, unnatürliches Glühen aus. Zuerst war da nur ein gelber Funkenstern, der aber immer größer wurde und bei den Schultern angelangt, wechselte es zu einem tiefen Rot über. Das Glühen wanderte zu der Handfläche des Halbelfen und er winkelte sie an und formte eine Kralle. Es wurde immer heller, ging durch den Handrücken und Dimitrion formte die Energie des Aethers.
  »FlammenBall.«
Damit schoss eine kopfgroße Feuerkugel aus seiner Handfläche davon. Das Gestrüpp barst auseinander wie ein hoch geworfener Haufen Papier und von dem gebrannten Loch aus knisterte das Holz kreisförmig davon.
Grayden und die anderen zogen die Waffen und trennten die Äste ab.
Auf diese Weise drangen sie sehr viel angenehmer und weiter in den Graanwald vor. Dimitrion wiederholte seinen Feuerspruch noch mehrere Male bis er sich erholen musste. Shana führte die Feren hinter ihnen her und Mörme saß alleine auf Magnus Feren, das gehorsam seinem Besitzer hinterher trottete. Als sich Dimitrion erholte, machten die anderen noch eine ganze Weile weiter bis sie aufhörten.
Die Renegatin rührte wieder eine Kräutertinktur an, die alle anstandslos tranken. Dimitrion dagegen kaute nur auf einer Wurzel um neue Kraft zu schöpfen.
  »In drei Tagen haben wir den Wald hinter uns, wenn uns nichts dazwischen kommt«, sagte er kauend.
  »Hältst du solange durch?«, fragte Grayden.
  »Denke schon. Der Feuerspruch ist mir schon immer leicht gefallen.«
  »Wenn es dir irgendwann nicht mehr leicht fallen sollte, sage es uns. Dann machen wir es wieder nach der alten Methode. Jetzt können wir auch wieder Wachen einteilen. Du kannst dich ganz ausruhen und wir halten wie üblich unsere Reihenfolge ein, oder?«
Mörme quakte auch und keiner wunderte sich mehr über die Kröte, die gut verstand was vor sich ging.
In der Nacht wurde allen nacheinander klar, dass die Curca keinen Schlaf zu benötigen schien, denn jedes Mal bei der Ablösung war sie wach und setzte sich zu dem Wachenden. Grayden und Ramloc beachteten sie wenig bis gar nicht während Magnus angespannt versuchte, ihre schmachtenden Krötenaugen zu ignorieren. Shana dagegen war froh, den Sonnenaufgang mit jemand teilen zu können. Von allen in der Gruppe verstand sie am meisten wie intelligent die Curca sein mochte. Ferner schwirrten seit ihrer Zeit des gemeinsamen Reisens viel weniger Insekten umher. Nach dem Sonnenaufgang bereiteten sie und Mörme wieder die Wizbeln zur Stärkung vor. Unterdessen bereiteten sich die anderen vor, den Ablauf des gestrigen Tages zu wiederholen.
Als sie gegen Abend fertig waren, zeigte Dimitrion erste Anzeichen aetherischer Erschöpfung. Sein Blick wurde glasig und die Hände zitterten leicht. Der Halbelf verfügte nicht über die gesamte Kraft eines normalen Elfen, seine menschliche Seite zeigte ihm seine Grenzen auf. Reinblütige konnten tagelang den Aether nutzen, wie sie es für ihre Zeremonien taten. Letztendlich half ihnen das nicht, der fast vollständigen Ausrottung zu entgehen, die mit dem letzten Krieg der Elfen gegen eine unbekannte Rasse aus dem Westen, einherging.
Dimitrion wickelte sich stärker in seine Decke ein und war nach kurzer Zeit eingeschlafen während Grayden und die anderen noch ihre Waffen säuberten.
  »Morgen gönnen wir ihm etwas Ruhe und schlagen die Schneise, ohne seinen Aether zu nutzen, weiter aus. In den Bergen wird es ihm schwerer fallen Kraft zu schöpfen und wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns.«
Magnus und Ramloc stimmten ihm zu.
Sie hatten jedoch Glück und das Gestrüpp wurde in den höheren Lagen leichter zu zertrennen, da sie sich der Baumgrenze genähert hatten. Grayden hoffte, dass sie in zwei Tagen endlich aus dem verwachsenen Graanwald heraus kommen würden. Mit geringfügiger Kraft brauchten sie nur noch die letzten Parasitenranken aus dem Weg zu schaffen. Vor ihnen breitete sich eine mäßige Geröllwüste aus, die den Berg umsäumte und nur noch gelegentlich von Sträuchern oder hartnäckigen Tannen durchzogen war. Hier war der Schnee schon geschmolzen und nur noch sehr wenige Eiszapfen tropften von Steinen und Felsen. Das Schmelzwasser führte zu einer Übertretung eines nahe gelegenen Bergbaches und führte frisches, klares Wasser mit sich. Sie wuschen sich und labten sich am erfrischenden Nass. Die Luft war merklich kühler geworden und so warfen sie sich die Pelzumhänge über die eingeölten Rüstungen und ritten schweigend voran. Mörme war das Bergklima zu kalt und Shana räumte ihr eine Satteltasche frei und füllte sie mit dickem Pelz aus in der sich die Curca wohlfühlte.
Der Pass war gut ausgebaut, auch wenn hier und da große Steine den Weg versperrten. Im Laufe des Tages nahm die Schneedecke zu und weite Flächen schimmerten weiß im Sonnenlicht. Einige robuste Pflanzen wuchsen noch hier und Shana nutzte die Möglichkeit seltenere Kräuter zu pflücken, die sie gut gebrauchen konnte, sei es zur Stärkung oder Heilung. Mörme dagegen bewegte sich immer weniger und am darauf folgenden Tag war sie steif in ihrer Satteltasche in Winterstarre verfallen.
Magnus erleichterte das den Aufstieg immens.
Doch sie hatte schon lange verstanden, dass ihre Hingebung nicht erwidert wurde und hielt sich mehr bei Shana auf. Den Graanwald sahen sie weit unter sich im Nebel. Doch der Bergsee lag noch weit vor ihnen und sie verschwendeten keine Zeit mit langwierigen Betrachtungen. Vermummt saßen sie am Lagerfeuer des vorüber gegangenen Tages und aßen einen von Shanas Eintöpfen. Dazu hatten Magnus und Ramloc fünf Schneehasen erlegt, die brutzelnd über dem Feuer brieten. Hier oben war vom Graanwald nichts mehr zu sehen und sie führten die Pferde an den Zügeln weiter und sie wärmten die Tiere mit den letzten Decken so gut sie konnten.
Der nächste Tag begann mit dunkelgrauem Nebelschwaden, die so dicht waren, dass sie den Weg fast nicht erkennen konnten. Es war mühselig und anstrengend den ganzen Vormittag und Mittag auf seinen Vordermann und die glatten Steine zu achten und sie banden sich alle an ein Seil um sich nicht zu verlieren. Gegen Nachmittag passierten sie dann eine Klamm, danach eine steil aufragende Felsformation. Dahinter ging es zu einem Plateau, das dreißig Meter breit und ebenso lang war. Es war zum Norden und Westen hin offen und bot eine weite Aussicht auf den Bergsee, der noch zugefroren war. Der westliche Rand ging in den weiteren Weg über und am man sah Reste von Lagerfeuern.
  »Keine Sorge. Sin´ schon Monate alt. Wahrscheinlich von den letzt´n die hier en´lang gewandert sin´ und die Aussicht genoss´n hab´n«, sagte er zu Grayden als er sich der Gruppe wieder bei der Betrachtung des Tals zuwandte.
  »Im südlichen Teil gibt es eine geräumige Höhle in der wir Rast machen können. Sie wird oft von den Händlern aufgesucht bevor sie weiterreisen. Sie haben sie mit einem Tor versehen, damit sich kein Bär oder anderes Tier darin zum Winterschlaf einquartiert.«
Dimitrion wies auf den massiven Holzverschlag im Süden hin.
  »Dann lasst uns für heute Rast machen und morgen weiterreisen.«
Grayden ging voraus und rüttelte am Balken der das Tor verschloss. Der war jedoch eingefroren und Grayden zog sein Schwert um ihn aus dem Eis zu brechen, was ihm nach mehreren Hieben auch gelang. Quietschend und knarzend schob er das Tor auf, das sich nur schwer öffnen ließ. Eissplitter und Schnee rieselten auf sie herab als sie in die Höhle eintraten. Dimitrion nahm eine Fackel aus einer Wandhalterung und zündete sie mit einem Feuerzauber an.
Die Höhle bot mindestens fünfzig Menschen Platz und war in verschiedene Ebenen behauen und mit Holzgängen versehen worden, damit man nicht direkt auf dem kalten und frostigen Boden schlafen musste. Sie holten ihre Pferde herein und zündeten sogleich ein größeres Feuer an um sich aufzuwärmen. Sorgsam schlossen sie das Tor hinter sich wieder zu. Der Schein der immer größer werdenden Flammen zeichnete auf den zerrissenen Felswänden bizarre Muster und beleuchtete Wandmalereien, die Bären, Wölfe und andere Tiere der Berge darstellten. Sie waren kunstvoll in unterschiedlichen Brauntönen gefertigt und Shana bewunderte sie lange und aufmerksam.
Langsam füllte die Wärme die große Höhle und sie zogen ihre Pelzumhänge aus. Da sie in diesen Höhen nicht nach frischem Fleisch auf die Jagd gehen konnten, aßen sie Pökelfleisch und Zwieback mit den Resten des Eintopfs zusammen. Als der Topf anfing zu blubbern, holte Shana Mörme aus ihrer Satteltasche und legte sie nahe ans Feuer. Interessiert schauten sie der Curca dabei zu wie sie langsam aus der Starre erwachte und sich schwerfällig bewegte. Die Wärme tat ihr sichtlich gut.
Grayden reichte die Amphore mit Maha herum und jeder nahm einen Schluck. Entspannt durch Wärme von außen und innen lehnten sie sich zurück. Durch das Holztor geschützt brauchten sie keine Wachen einteilen und Shana erzählte ihm, dass sie inzwischen seine Vermutung teilte, die Curca könne entscheiden wann sie giftigen Schleim spuckte und wann nicht.
  »Jetzt glaubst du mir also?«
  »Ja. Vorher wusste ich das nicht. Curcas sind immer giftig, nur Mörme scheint diese ungewöhnliche Fähigkeit zu haben. Das liegt bestimmt daran, dass sie eine Familiar der Somnethoi ist.«
  »Möglich ist alles«, sagte Grayden und nahm Shana in den Arm. Dann deutete er mit dem Finger auf Mörme. »Sie hat bestimmt auch die Schlange erledigt.«
Mehrere Minuten starrten sie gemeinsam ins prasselnde Lagerfeuer.
  »Es tut mir leid das ich eingeschlafen bin.«
  »Schon gut, kann jedem mal passieren. Mörme hat doch aufgepasst. Nicht wahr, Mörme?«
Die Curca blinzelte als ihr Name fiel und sie schaute zu dem Paar herüber. Sie quakte fragend.
  »Siehst du? Sie versteht uns.«
In seiner Annahme bestätigt drückte er seine Geliebte fest an sich und sie küssten sich. Zwei verstoßene Herzen die in einer Zeit des Krieges und der Zerstörung zueinander gefunden hatten. Sie dösten mit der Zeit alle nacheinander ein und die Nacht verlief ohne Störungen, bis auf einen starken Wind der gegen frühen Morgen einsetzte. Ramloc war als erster wach und schaute nach draußen. Ein Wolfsrudel hatte sich unter dem Felsvorhang gesammelt. Noch schliefen alle von ihnen und Ramloc weckte seine Gefährten leise um die Wölfe nicht auf die Höhle aufmerksam zu machen.
  »Wie viele?«, fragteGrayden.
  »Zehn Bergwölfe. Durch´n Winter werd´n sie hungrig sein. Verdamm´ hungrig und aggressiv. Noch schlummern sie.«
  »Wenn wir Glück haben hört der Wind bald auf und sie ziehen weiter«, sagte Shana.
  »Und wenn nicht? Wir sollten sie von dem Tor verjagen. Mit brennenden Holzscheiten können wir sie vielleicht so weit erschrecken, dass sie das Weite suchen.«
Magnus hatte keine Angst vor Wölfen, immerhin hatte er bei seiner Prüfung zum Mann mit vierzehn Jahren, den großen Menskslaktr getötet, der seinen Clan bedroht hatte. Doch dies war keine Mannbarkeitsprüfung und sie mussten wichtigere Dinge im Süden erledigen.
  »Der Wind könnte noch tagelang wehen und wir wären solange eingeschlossen«, gab Dimitrion zu bedenken. »Und wir haben nicht die Zeit uns den Pomp des Wartens zu gönnen, wie eine Gräfin auf den Nachmittagskakao.«
  »Gut, ich denke auch, wir sollten sie so schnell wie möglich verjagen und dann machen das wir weiterkommen«, beendete Grayden.
Sie nahmen jeder zwei brennende oder glühende Scheite und gingen leise zum Tor. Shana beruhigte die Feren, die die Witterung der Wölfe aufgenommen und begonnen hatten aufgeregt umherzutänzeln. Doch die Tiere wurden schnell unruhiger und ihre Augen weiteten sich angstvoll. Mörme sprang vor sie und ein lang gezogenes Quaken kam von ihr. Die Feren wurden wieder ruhiger und hörten auf an den Zügeln zu ziehen. Shana streichelte die Tiere und redete behutsam auf sie ein während sie sich fragte wie die Curca das geschafft hatte. Den Männern allein war das Wie egal, nur das die Feren ruhig blieben zählte für sie. Ramloc versuchte das Tor so leise zu öffnen wie möglich, ohne das ein Geräusch die Wölfe hochfahren liess. Es war bis zur Hälfte schon offen als es anfing zu knarzen und er hielt inne. Angespannt schauten sie auf das Rudel hinaus.
Das Ohr eines nahe schlafenden Wolfes richtete sich auf. Doch bevor er vollends wach wurde, zeigte Magnus auf das Leitwolfpärchen und sie warfen die Scheite mit lautem Gebrüll auf sie. Ruckartig schossen die Wölfe in die Höhe als der Leitwolf schmerzlich getroffen, auffuhr und andere ebenfalls jaulten. Er rannte unter gequältem Heulen in Richtung Klamm davon. Das Rudel folgte ihm rennend hinterher und schon bald hörten sie das Jaulen und Heulen nicht mehr. Schnell packten die Abenteurer ihre Sachen und zogen weiter zum Bergsee hinunter. Vorher schlossen sie wieder das Tor, falls sie auf dem Rückweg hier rasten wollten.
Vom Plateau aus führte ein steiniger Weg herab. Zu ihrer Linken stiegen
spitze Felsen empor die in der Sonne glitzerten. Die oberen Hälften waren allesamt mit einer dicken Schneedecke überzogen und kleine Wolken trieben zwischen ihnen umher. Nach einer Stunde, in der das Gefälle des Pfades seichter wurde, waren sie auf der Höhe des Bergsees angelangt.
Am Ufer schlug ihnen der kalte Wind ins Gesicht und sie zogen ihre Mäntel bis über die Nasen. Die freien Stellen prickelten nach nur wenigen Minuten und röteten sich zusehends. Mörme war wieder in der Satteltasche und in Starre gefallen. Dampf bildete sich vor den Nüstern der Feren bei jedem Ausatmen. Dimitrion ritt neben Grayden.
  »Gegen Mittag liegt der See hinter uns, dann kommt eine Schlucht in der wir vor dem Wind geschützt sind«, rief er über den stark zugenommenen Wind hinweg.
Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden habe. Sie ritten so schnell sie die Feren antreiben konnten und nach drei Stunden war das Ende des Sees erreicht. Der Pfad führte sie in eine tiefe Schlucht, dessen Wände zerklüftet waren. Hervor stehende Felsen waren mit großen Eiszapfen behangen und alle hofften, dass keiner von ihnen herunterfallen würde. Langsam trabten sie den gewundenen Weg entlang. Die Schlucht war an die hundert Meter tief aber nur vierzig Meter breit. Sie endete nach fünfhundert Metern in eine enge Stelle und in Hüfthöhe von Schnee und Eis verschlossen war. Dieses Hindernis zog bis in die nächste Schlucht hinein.
Grayden schaute an den Wänden empor um festzustellen ob sie eine Lawine auslösen würden wenn sie durch den Schnee stampfen. Doch die Felsvorhänge waren frei und sie hatten keine andere Wahl. Dimitrion stellte sich auf einmal vor sie und webte wieder einen Feuerspruch. Bevor auch nur irgendjemand etwas sagen konnte, war der Schnee geschmolzen und verdampfte. Nachdem der Dampf sich aufgelöst hatte, ritten sie weiter zur nächsten Schlucht. Diese fiel in mäßigem Gefälle zum Ende hin ab und war auch nur halb so lang wie die erste. Danach kamen sie auf ein weiteres Plateau, das zum Süden in eine Klippe mündete und an dessen Grund ein Bach plätscherte. Grayden trat einen Kiesel los und schätzte die Tiefe. Nach kurzer Zeit platschte der Stein auf und der Schildmeister wusste, dass es zwischen fünfzig und sechzig Meter sein mochten. Die Wände glitzerten feucht und waren mit Blaumoos bewachsen. Das Plateau ging in einen schmalen Pfad über, an dessen Ende eine steinerne Brücke über den tiefer liegenden Bach führte. Zum Schutz gab es eine anderthalb Meter hohe Brüstung. Die Steine waren alt aber griffig, sodass keine Gefahr bestand auszurutschen. Drüben bestiegen sie wieder die Feren und ritten etliche Stunden den Pfad entlang der sanft nach unten auf eine weite Ebene führte. Auch hier glitzerten Schneeflächen und blendeten die Augen der Abenteurer. Die Tiere brauchten eine Rast und eine Stunde später führten sie sie weiter den Pass hinab. Schon gegen Abend hatten sie das Gebiet hinter sich gebracht und mit jedem Schritt wurde es wärmer. Nun gab es nur noch unzählige kleine Rinnsale aus Schmelzwasser.
Der Boden wechselte sich großflächig mit Geröll und Grasflächen ab, die wiederum bald mit einzelnen Tannen gesprenkelt waren. Der Süden der Gebirgskette fiel wesentlich flacher ab als die Nordseite und sie konnten schon von weitem das üppige Blätterdach eines weiteren Waldes sehen. Dazu Bergziegen, die munter umher sprangen und die Gruppe bekam die Chance ihre Vorräte an Fleisch großzügig aufzufüllen. An der Baumgrenze wuchsen andere Bäume als im Graanwald. Hier hatten sie dünnere Stämme und Äste. Ihre Blätter waren handbreit, dicklich und mit Zacken versehen. Andere ähnelten Sträuchern dessen Blätter wie Spiralen geformt waren und gelbe Tropfen an den Spitzen herab hingen. Insekten blieben daran kleben und sie beobachteten wie sich die Blätter um ihre Opfer wickelten. Neugierig öffnete Shana solch eine Spirale und auf der Innenseite hafteten nur noch Reste der Insekten. Überrascht öffnete sie noch eine und drinnen sah sie das selbe. Daraus folgerte sie, dass diese Pflanzen nicht viel von Licht und Wasser hielten. Nein, sie fraßen Fleisch wie Tiere oder Menschen. Shana war fasziniert. So etwas hatte sie noch nie gesehen oder gar davon gehört. Fleischfressende Pflanzen. Sie nahm ein Bogen Pergament und mit einem Kohlestift skizzierte sie den Strauch und alle Einzelheiten. Grayden kannte dieses Verhalten und alle saßen ab. Die Bogenschützin und Alkemistin war von dieser Entdeckung vollkommen gefangen. Angezogen von Shanas Aura hopste Mörme herbei. Sie schnappte nach einem Fluginsekt, spuckte es aber wieder aus und strich sich angewidert mit ihren Füßen über die Zunge. Shana nahm das ausgespuckte Insekt mit spitzen Fingern und hielt sie an einen der
gelben Tropfen. Blitzschnell kringelten sich die Blätter zusammen und schlossen das Opfer ein. Aufgeregt wiederholte sie den Versuch mit Insekten vom Boden und schrieb sich alle Einzelheiten genauestens auf. In der Zwischenzeit hatten die anderen das Lagerfeuer entfacht und Magnus und Dimitrion zogen los um etwas Essbares zu erlegen. Sie kamen nahezu gleichzeitig mit Shana zum Lager zurück. Ohne auf die anderen oder gar auf Grayden zu achten blätterte sie in ihren Aufzeichnungen herum. Ab und zu warf sie einen Blick auf die fleischfressenden Pflanzen oder tippte sich mit dem Stift gedankenverloren an ihr Kinn, das hinterliess Kohlestrichmuster und Grayden warnte die anderen, die ihr Lachen hinter vorgehaltener Hand verkniffen. Mit jedem Mal zeichnete sich mehr und mehr auf ihrem Kinn ein dunkler Bart ab. Ramloc konnte es als erster nicht mehr zurück halten und die anderen fielen in das ansteckende Lachen mit ein. Mit großen und doch abwesenden Augen schaute sie die anderen der Reihe nach an.
  »Was gibt es denn so lustiges?«, fragte sie unwissend.
  »Nichts, Nichts. Ähm, wir sind nur so froh endlich über den Berg zu sein. Wortwitz von Ramloc«, konnte Magnus mühsam hervor bringen.
  »Ah ja. Muss ich wohl verpasst haben als er das sagte.«
Sprachs und fing an genauso lachen zu müssen.
Sie lachten alle, die einen wegen Shana und Shana wegen der anderen.
Als es verebbte, lauschte sie gespannt den Lauten der Nachttiere. Sie klangen anders, die Luft war mit mehr Summen und zirpenden Geräuschen erfüllt. Zusätzlich war sie feuchter und roch unbestimmt anders, fand Shana. Sie versuchte ihre Eindrücke so gut es ging in Worte zu fassen. Als sie aufhörte war nur noch Grayden wach, der die erste Wache innehatte und sie freundlich anlächelte. Er hatte zwar mitgelacht, aber die Gedankenverlorenheit die sich bei ihr einstellte wenn sie neue Pflanzen, Kräutermixturen oder Tiere entdeckte, war Teil seiner Verbundenheit mit ihr und winkte sie zu sich herüber.
  »Wohl viele Entdeckungen gemacht?«
  »Oh ja. Diese Pflanzen sind äußerst interessant. Hast du gesehen wie sie die Fliegen fangen und sie verdauen?«
Wenn Shana anfing über Neu entdecktes zu reden, fiel sie in einen
begeisterten Wortschwall dem man nur schwer folgen konnte. Er hörte dennoch aufmerksam zu. Dann wies er auf sein Kinn. Shana verstand nicht worauf er hinaus wollte und schaute fragend. Grayden strich mit dem Daumen über ihren Kunstbart und zeigte ihr den gefärbten Finger.
  »Deshalb habt ihr also gelacht?«
Das wird sie mir tagelang nicht verzeihen, das wusste er. Doch das Lachen war so ansteckend das er nicht anders konnte als mitzulachen. Verkniffen zuckte er mit den Schultern und versuchte einen entschuldigenden Blick aufzusetzen. Manchmal half das.
  »Du solltest dir vielleicht etwas ausdenken den Stift mit Pergament oder ähnlichem zu umhüllen«, schlug er hilfreich vor.
Shana wollte ihm erst nicht verzeihen, doch der Vorschlag war gut und sie riss ein dickes Blatt ab, wickelte den Stift ein und probierte ob sie so schreiben könne. Sie probierte verschiedene Blätter aus und es funktionierte tatsächlich. Die Idee Graydens gefiel ihr und sie verzieh ihm, allerdings nur in Gedanken. Nach außen hielt sie ihre ablehnende Haltung aufrecht als sie ihm zum Schlafen demonstrativ den Rücken zu drehte.
Doch bis zur Ablösung von Grayden durch Magnus beschäftigte sie sich mit ihren Entdeckungen. Bei ihrer morgendlichen Wache blieb sie in unmittelbarer Nähe des Lagers und erforschte ihre Umgebung und machte sich weitere Notizen. Die nachtaktiven Tiere zogen sich zurück um Platz für die Tagjäger zu machen. Das Summen setzte wieder ein. Und vielfältige andere Geräusche. Auch auf dem weiteren Weg untersuchte sie alles was ihr neu erschien. Shana dachte sich einen Namen für diese Art von Natur aus und nach einiger Zeit nannte sie es „Djungel“. Nach einem alten Wort der Alkemie, das verwirrt, durcheinander oder auch wild gemischt bedeutete. Äußerst zufrieden mit sich selbst, schrieb sie den Namen in ihr Buch. Wenn
sie in eine Stadt kämen, in dem ein Versammlungshaus ihres Alkemiezweigs
stand, musste sie diese Entdeckungen auf ihren Namen einschreiben lassen, so war es Brauch und verhinderte, die meiste Zeit über, Streitigkeiten um
die Einträge.  

Während sie am darauf folgenden Tag weiterritten, trafen sie mehrmals auf Moore und ausgedehnte Weiher die mit dunkelgrünen Algen durchwuchert waren. Schilf und hohe Gräser umsäumten die schemenhaften Ufer, was es  erleichterte sie zu umgehen. Sie sahen gefleckte Katzen, manche klein andere so groß, dass sie ihnen gefährlich werden konnten. Die Tiere hatten kein Interesse an den Fremden die da durch ihr Revier ritten, sondern beäugten sie nur langweilig oder flüchteten vor ihnen. Angesichts der größeren Räuber war das allen recht. Manche waren ausgesprochen neugierig. Eine Zeit lang folgte ihnen eine pelzige, schwarze Kreatur, die Shana an einen kurzbeinigen Luchs erinnerte. Es kam beim Lagern sogar bis auf wenige Meter heran, um mit aufgerichtetem Körper aufgeregt in der Luft zu schnüffeln. Es reckte den Kopf hier hin und dort hin, fast so als suche es was. Danach umkreiste es die Gruppe und entdeckte Mörme. Unerschrocken schlich sich das Wesen heran um auch die Curca zu beschnüffeln, die dem Wesen keine Beachtung schenkte. Als Ramloc laut rülpste erschreckte es sich und kletterte auf einen Baum, von wo es sie weiterhin betrachtete. Shana schätzte es auf einen Meter Länge, mit seinem buschigen Schwanz vielleicht anderthalb Meter. Es hatte eine Art von dreieckigem Gesicht mit listigen Augen, einer kleinen Nase mit langen Schnurrhaaren und spitzen Ohren. Mücken schwirrten herum und Mörme fraß sich satt während sie hinter Shana hockte. Sie war äußerst zufrieden mit den dicken, summenden Insekten, die sie zu fressen bekam.
  »Diese feuchte Luft geht mir auf die Nerv´n. Wann komm´n wir endlich hier raus?«, fragte Ramloc Dimitrion.
  »Noch einen Tag, dann müssten wir die Rila-Tundra erreicht haben. Serrin hat inzwischen bestimmt den Tag errechnet an dem die Gestirne in der dunklen Konstellation stehen. Ich werde sie fragen.«
  »Dann lasst uns hier kurz rasten«, sagte Grayden.
Mit diesen Worten bereitete Dimitrion den Kontakt vor. Anders wie der Boroschvorrschamane benutzte er keine überflüssigen Gesten oder Singsang. Der Halbelf streute lediglich ein purpurnes Pulver in das Feuer und sprach drei Worte der Macht. Sie warteten auf eine Reaktion von Somnethoi und schon bald zeigte sich ihr Gesicht in einem farbigen Funkenlicht.
  »Seid gegrüßt, ehrenwerte Somnethoi.«
  »Auch ich grüße euch, Watar. Wie kann ich euch helfen?«, fragte sie mit einer Stimme, die verriet, das sie von etwas anderem abgelenkt wurde.
  »Wir haben uns gefragt, ob ihr die Zeit der Konstellation schon herausgefunden habt.«
  »Das habe ich und sie wird in 23 Tagen stattfinden, wenn Karanthar und Segnum in einer Reihe stehen und die Sonne verfinstern.«
  »In wenigen Tagen werden wir den Mangrovensumpf erreicht haben. Doch wie finden wir den Tempel? Der Sumpf wird es uns nicht einfacher machen eine versunkene Ruine zu finden, die seit Jahrhunderten keiner mehr gesehen hat«, gab Dimitrion mit einem Blick in die Runde zu bedenken.
Daran hatte keiner gedacht. Ein Sumpf ist gefährliches Gebiet in dem man schneller starb als einem lieb sein konnte und sie hatten keine Karte geschweige denn einen Führer.
  »Ich kann euch bei dem Weg durch den Sumpf leider nicht beistehen, Watar. Er wird immer stärker je näher die Sonnenfinsternis rückt und wehrt meine Versuche ab ihn zu durchdringen.«
  »Ist nicht das erste Mal, dass wir auf uns allein gestellt sind, ehrenwerte Somnethoi. Wir werden einen Weg zum Tempel und den Entführern finden«, warf Grayden ein.
  »Ihr wisst nicht was euch dort erwartet und seid nicht verzagt eure Lebensfäden für ein paar Kinder zu riskieren?«
  »Falls die Legende von Talandras´ Kind war ist, steht uns allen schlimmeres bevor als nur entführte Kinder und eine Hand voll getöteter Eltern, Somnethoi.«
  »Ihr sprecht wahr, Schildmeister. Eure Herzen sollen nicht verzagen und eure Schwerter niemals stumpf werden, mögen die Götter euch beschützen.«
Ihr Gesicht im Funkenschein verblasste.
  »Warum hat keiner an´ne Karte gedacht?«, fragte Ramloc vorwurfsvoll.
  »Weil es keine Karte gibt. Höchstwahrscheinlich nicht«, mutmasste Magnus.
  »Richtig«, fügte Dimitrion hinzu.
  »Für den Basilisken haben wir keine Karte gebraucht um ihn zur Strecke zu bringen und den Wald der Illusionen konnten wir auch unbeschadet hinter uns lassen«, erinnerte Grayden den Zwerg.
Er dachte, es wäre besser sie aufzumuntern statt ihnen die schlechten Aussichten vorzuhalten
  »Den Basilisk´n zu find´n war auch nich´ schwer. Immer nur den Statu´n lang.«
Ramloc hackte ruckartig mit einer Hand in eine unbestimmte Richtung.
  »Und einer fehlt ein Ohr seit du es ihr abgeschlagen hast. Der arme Kerl«, sagte Shana mitfühlend.
  »Dafür lebt er, oder nich´?«, verteidigte er sich  mit gekreuzten Armen. »Immer noch besser als ´ne Ewigkei´ als Vogelklo zu dien´n.«
Dimitrion und Magnus stimmten ihm mit belustigter Miene zu.
  »Schon gut, du hast gewonnen. Das der steinerne Fluch nach dem Tod des Basilisken aufhörte zu wirken, konnte keiner von uns ahnen. Wie ich euch erzählte, haben sich geflüchtete Räuber und Rebellen in den Sümpfen niedergelassen. Vielleicht sind sie für alles verantwortlich.«, sagte Grayden.
  »Allerdings können normale Räuber nachts nicht sehen. Sie können es nicht gewesen sein«, widerlegte Dimitrion die Vermutungen Graydens.
  »Verkleidet um zufällige Beobachter zu täuschen oder um eine falsche Spur zu legen und die Ängste der Bauern zu schüren.«
  »Auch möglich. Wir sollten uns so gut wie möglich vorbereiten, meine Freunde. Seid immer wachsam und haltet eure Schwerter bereit.«
  »Wohl wahr«, sagte Magnus grübelnd als er mit der Spitze seines Schwertes im Boden stocherte.
  »Lasst uns doch erstmal aus dem Dschungel kommen, dann sehen wir weiter«, sagte Shana und betonte ihr Wortfindung besonders.
Müde deckte sie sich zu und sah in den Ästen eines nahen Baumes die glitzernden Augen des Luchsartigen Wesens auf sie herabstarren. Sie vermutete, dass es ihnen nichts tun würde und wahrscheinlich auch nicht konnte, so klein und neugierig wie es war.
Als sie sich morgens erleichtern wollte, sie konnte nicht weiter warten, hörte sie Geraschel und Geklirre aus den Satteltaschen. Es klang als ob darin jemand wühlte und etwas Bestimmtes suchte. Langsam schlich sie näher und riss die Tasche blitzschnell auf. Das Luchswesen starrte sie überrascht an. Dann fauchte es abwehrend und mit mehreren kleinen Beuteln in seinen Krallen, sprang es hervor und flüchtete in den Wald. Sie weckte Grayden und erzählte ihm, dass ihre Heilkräuter von dem Wesen gestohlen worden waren.
  »Dann pflück´ dir halt `n paar neue«, kam Ramloc dem Schildmeister zuvor.
  »In dieser Gegend kenne ich mich nicht aus, was den Gebrauch hiesiger Kräuter angeht. Siehst du hier außerdem irgendwo einen Kräuterhändler?«
Ohne eine Art von Heilkraut weiter zu ziehen, war das unvernünftigste was sie auf ihrem Weg in einen Sumpf, machen konnten. So schnell es ging folgten sie den Spuren des Luchsartigen Tieres aus dem Dschungel hinaus. Sie endeten an einem felsigen Strand und sie konnten es in westlicher Richtung über die Steine hinweg hopsen sehen. Es floh direkt auf eine sehr große Fischerhütte hinzu und kroch in einen Tunnel darunter. Sie standen unschlüssig da, nicht wissend wie sie der flinken Kreatur folgen sollten. Das Meer brandete ruhig auf den Strand und die salzige Luft roch angenehm. Magnus und Ramloc genossen die Sicht auf das weite Meer vor ihnen. Möwen fingen Fische aus dem Wasser, Krebse krabbelten auf den glitschigen Felsen herum. Ein kleiner Steg führte auf das Meer hinaus und an dessen Ende schaukelte ein übergroßes Fischerboot in den Wellen.
  »Und nun?«, fragte Magnus. »In seinen Bau können wir ihm wohl schlecht folgen.«
  »Es muss einen Weg geben wie ich meine Kräuter wieder bekomme.«
  »Klopfen wir mal an der Hütte, vielleicht haben wir da mehr Glück.« Grayden zeigte auf die mit Meersalz verkrustete Holztür und begann darauf zuzugehen. Sie näherten sich von der Seite auf der ein langes Gestänge stand, auf dem Fische und grüne, breite Fäden hingen. Der Geruch des getrockneten Fisches vermischte sich mit der salzigen Luft des Meeres und der Fäden. An der Tür hing eine Muschelkette. Ein Sack mit Korallen baumelte im leichten Wind herum und ein leichter Wind liess sie gegen die Holzwand baumeln. Sie wunderten sich über die enorme Größe des Holzbaus. Grayden wollte gerade klopfen als die massive Tür aufschwang und ein riesiger Schatten im Rahmen sichtbar wurde.
  »Wer seid ihr?«, dröhnte ihnen eine tiefe Stimme entgegen. »Und was wollt ihr von Zemmgin?«
Sie traten erschrocken zurück als der Schatten ins Sonnenlicht trat.
Er war an die drei Meter groß und seine Proportionen waren unpassend.
Arme länger als sie normalerweise sein müssten, ein muskulöser, dicker Bauch war unter einer dünnen Schafwollweste zu sehen und seine Füße steckten in hohen Ledersandalen. Doch das auffälligste war jedoch sein einziges faustgroßes, himmelsblaue Auge, das dort saß wo bei einem Menschen der Nasenrücken in die Stirn überging. In seiner rechten Hand hielt er eine gewaltige Bartaxt. Damit konnte er  alles und jeden mühelos in Hälften hacken.
Der Steg knarrte protestierend als er sich vor ihnen aufbaute.
Alle waren wegen der unerwarteten Bewegung mit dem Zyklopen vor Ehrfurcht erstarrt und vermochten sich kaum zu rühren. Sie richteten ihre Augen auf die imposante Erscheinung. Shana überwand als erste der Gruppe ihr Erstaunen und hob ihren Kopf um zu ihm aufzusehen.
  »Wir wollen euch nichts tun und wir hegen keinen Groll gegen euch, Herr Semgin?«
Der Zyklop hob eine Augenbraue bevor er ruhig antwortete.
  »Zemmgin«, korrigierte er sie belehrend. »Und wer mögt ihr wohl sein?«
Shana drehte sich halb um und stellte sie ihnen nacheinander vor.
  »Das ist Ramloc, ein Zwerg. Grayden vom Karanthar-Mondorden , Magnus, ein Nordmann und Dimitrion. Ein Grundherr auf der anderen Seite der Berge und ich bin Shana, Alkemistin. Verzeiht wenn ihr euch gestört fühlt aber wir suchen etwas.«
  »Was sucht ein Menschenhäuflein bei Zemmgin dem Fischer?«
  »Mir wurden meine Heilkräuter gestohlen. Von einem kleinen, schwarzen Luchs. Es rannte in einen Tunnel unter eurer Hütte. Kennt ihr es vielleicht, Herr Zemmgin?«
Der Zyklop war der förmlichen Nennung seines Namens amüsiert und ein breites, zufriedenes Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht.
  »Wer sagt mir, dass IHR mich nicht berauben wollt?«, stellte er eine unerwartete Gegenfrage mit der Shana nicht gerechnet hatte.
  »Nun…«
Sie wusste nicht wie sie angemessen antworten sollte.
Da sprang Dimitrion ein und stellte sich an ihre Seite.
  »Wer würde es wagen einem so großen und starken Zyklopen es schon wagen seines Hab und Gut zu erleichtern? Wir sind nur klein und unbedeutend in eurem Schatten, Herr Zemmgin.«
Kunstvoll verneigte sich der Halbelf.
  »Ihr glaubt, dass ihr mich mit so einem Gewäsch einlullen könnt, weil ich ein Zyklop bin und in der Wildnis lebe, nicht wahr?«
Dimitrion begriff das der Zyklop wesentlich schlauer war als man von ihnen erzählte. Er versuchte es deshalb mit Ehrlichkeit. Auch wenn die Axt die Zemmgin von der Schulter nahm und sich drauf lehnte, ihn sichtlich einschüchterte.
  »Dann lasst mich ehrlich zu euch sein.«
  »Sicher, Sicher. Ehrlichkeit ist eine Tugend, nicht wahr?«
  »Wir suchen wirklich nur ein luchsartiges Wesen, dass unserer Heilerin die notwendigen Kräuter heute Morgen geraubt hat.«
  »Und ihr habt gesehen wie es dann in den Tunnel unter meinem Haus geflüchtet ist«
  »Richtig, Herr Zemmgin.«
  »Zemmgin, einfach nur Zemmgin.«
  »Wie ihr möchtet, Zemmgin. Kennt ihr diesen Luchs?«
  »Es ist kein Luchs und ja ich kenne ihn.«
  »Da haben wir wohl unverschämtes Glück.«
  »Er ist ein Bintu und er ist mein Haustier.«
Shana kannte kein Tier mit solch einem Namen aber nun hatte sie wieder einen neuen Eintrag für ihre Aufzeichnungen zu machen.
  »Un´ er is´ ´ne räuberische Elster«, rief Ramloc von unten herauf.
Seine Hand ruhte auf dem Knauf der Axt.
  »Ich weiß welche Beutel und welche Kräuter er mir genommen hat. Wenn ihr ihn ruft, dann beweise ich es euch.«
Aus der Hütte hörten sie plötzlich ein unterdrücktes und krankes Husten. Der Zyklop zögerte und man sah ihm an das er sich unbehaglich fühlte. Er sah Shana nicht mehr direkt an sondern wich ihr und den anderen aus. Ihr kam eine Idee.
  »Wenn ich an der Küste leben würde, weit weg von der nächsten Siedlung und dem Heiler, und wenn ich wüsste, dass die Menschen mich jagen würden wenn ich in ihr Dorf gehen würde?«, sinnierte sie.
Zemmgin wurde Rot, sie lag also richtig aber noch wollte der Zyklop nichts zugeben und versuchte unbeteiligt drein zu schauen. Keiner sagte ein Wort. Die Wellen schlugen in beruhigendem Rhythmus an den Strand und brachen sich an den zerklüfteten Felsen.
  »Und wenn ich wissen würde, dass sich im Dschungel eine Gruppe mit einem Heiler aufhält…«, fuhr sie in einem verschwörerischen Ton fort und sah zu dem Zyklopen hoch.
Zemmgin wurde es immer unangenehmer und mit einem tiefen Seufzer, das wie ein Ochsengrunzen klang, versuchte er ein weiteres Stöhnen aus der Hütte zu überdecken.
  »Ihr seid eine Heilerin?«
  »Ja und ich könnte euch vielleicht helfen, wenn ihr mich lasst und mir meine Kräuter zurückgebt, Zemmgin.«
  »Dann seid bitte meine Gäste.« bat der Fischer sie mit einladender Geste in seine Hütte und trat beiseite.
Shana, Dimitrion und Grayden betraten die Zyklopenhütte. Der Nordmann blieb mit Ramloc in einigen Metern davor stehen. Ihre steinernen Gesichter zeigten Ablehnung und Magnus hasserfüllten Augen sprachen Bände.
  »Was ist los mit euch?«, fragte der Schildmeister sie.
  »Das weißt du nicht?«
  »Er kann´s nich´ wiss´n«, sagte Ramloc. »Du hast es ihm noch nie erzählt.«
Grayden schaute Magnus fragend an.
  »Jetzt sagt schon was euch bedrückt. Zemmgin ist nur ein Zyklop, der Hilfe braucht.«
  »Genau das ist es ja. Er ist ein Zyklop. Die Schande der Fjorderde. Sie und wir Nordmänner kämpfen um die nördlichen Inseln schon seit Jahrzehnten. Sie rauben und brandschatzen unsere Dörfer, töten Frauen, die Gesegneten und Kinder, hinterlassen nur Asche und Zerstörung. Sie sind das einzige Volk das wir nie besiegen konnten. Deshalb weiß ausser den Zwergen niemand von dem endlosen Krieg zwischen uns. Wir bekämpfen sie wo wir sie treffen und ihr wollt dem Zyklopen auch noch helfen.«
Magnus Stimme wurde mit jedem Wort zorniger.
  »Und wir Zwerge unterstütz´n sie dabei.«
Grayden verstand.
  »Der hier lebt aber nicht im Norden sondern hier im Süden, als Fischer und er ist allein, das seht ihr doch. Wir brauchen diese Kräuter dringend für unsere Reise.«
Seine Versuche sie zu überzeugen gingen jedoch ins Leere, das sah er an ihren weiterhin ablehnenden Haltungen
  »Nun gut, dann bleibt hier und passt auf das uns niemand in den Rücken fällt, in Ordnung?«
Grayden bekam nur ein Grummeln als Antwort als er sich der Hütte zuwandte. Drinnen sah er Shana an einem Bett sitzen und jemanden abhorchen. Zemmgin stand unruhig daneben.
  »Eure Freunde kommen nicht?«
  »Nein, sie bewachen das Haus falls wir Ärger bekommen sollten«, antwortete Grayden ausweichend.
  »Ich war auch einer von den Zyklopen im Norden, doch ich habe nie getötet. Ich und meine Vrouw waren immer friedliebend aber unser Anführer war ein blutrünstiges Monster und überfiel immer wieder diese kleinen Menschen.« Dabei hielt er die Hand in Bauchhöhe.  »Oft wurden wir verspottet und ausgelacht, weil wir nicht kämpfen wollten.«
Seine Stimme klang traurig und war von Heimweh geprägt.
Grayden schaute zu Shana, die im Halbdunkel nach einer Fackel griff und sie anzündete. Da sah er das im Bett ein Zyklopenmädchen lag. Eingehüllt in einer dicken Decke, schwitzte sie und murmelte leise im Fieberwahn vor sich hin. Die Alkemistin fühlte an ihrer Stirn und ihren Handgelenken, legte ihren Kopf auf die Brust des Mädchens und fühlte ihren Körper ab. Grayden wusste nicht ob er von Hilfe sein konnte und führte das Gespräch mit Zemmgin fort.
  »Ihr seit also hier in den Süden gezogen, um der Schmach eurer Gefolgsleute zu entgehen und ein neues Leben anzufangen.«
  »Wir wurden mit Steinen und glühenden Holzscheiten aus unserer Gemeinschaft davon gejagt. Meine Vrouw wurde am Kopf getroffen. Sie starb bei der Geburt, nur Monate nach unserer Ankunft hier. Und jetzt ist Gesren auch krank. Bitte versteht mich, sie ist alles was ich noch habe. Als mir Bintu eine Gruppe im Wald zeigte, die anscheinend einen Heiler dabeihatte, schickte ich ihn los um die Kräuter zu stehlen. Es tut mir leid aber ich traute mich nicht euch um Hilfe zu bitten. Der Nordmann und der Zwerg hätten mich bestimmt angegriffen.«
Shana hörte mit ihrer Untersuchung auf und kam zu ihnen herüber.
  »Eure Tochter hat eine schwere Entzündung und Fieber. Mit meinen Kräutern kann ich sie sicher heilen.«
Zemmgin nickte und ging in einen Nebenraum der Hütte und sie hörten ihn einige leise Worte murmeln, dann kam er mit den Beuteln und Säckchen zurück. Hinter ihm schlich der Bintu ins Zimmer und hüpfte auf einen Sims über Gesrens Bett. Er gab ihr die Utensilien und sie überprüfte den Inhalt sorgfältig. Zufrieden nahm sie verschiedene Kräuter heraus und bat um heißes Wasser. Grayden trat neben sie als der Zyklop Feuer in den Kamin legte und einen Topf aufsetzte.
  »Und du kannst sie wirklich heilen?«, fragte der Schildmeister zweifelnd als er neben ihr hockte.
  »Mit einem Tee und Wadenwickeln sollte das kein Problem sein. In ein paar Tagen kann sie wieder aufstehen und rumtollen. Wenn die Anatomie der Zyklopen unserer ähnelt, da bin ich sicher«, fügte sie hinzu.
Sie fertigte eine Salbe an die sie auf ein Stofftuch auftrug und Gesren um die Waden wickelte. Dann hob sie den Kopf der kleinen Zyklopin an und gab ihr von dem Tee zu trinken. Widerwillig trank sie den bitteren Tee und erst als sie alles getrunken hatte, legte Shana ihren Kopf zurück auf das Kissen.
  »Bis heute Abend ist das Fieber gesunken und morgen dürfte es ihr schon sehr viel besser gehen. Ihr müsst die nächsten drei Morgen eurer Tochter einen Tee aus diesen Kräutern geben und die Wickel wechseln, dann wird sie bald wieder gesund und munter sein.«
Die nervöse Anspannung fiel von Zemmgin ab und dankbar verbeugte er sich vor Shana, die diese Geste erwiderte. Der Bintu keckerte und streifte um Shanas Beine.
  »Bintu ist euch auch dankbar. Ihr habt bestimmt Hunger, ich koche euch das Leckerste was ich euch bieten kann«, bot er an und klatschte so heftig in die Hände das ihnen die Ohren weh taten.
  »Das Angebot nehmen wir gerne an«, sagte Dimitrion der die ganze Zeit über, schweigend an der Wand gelehnt, zugesehen hatte.
Zemmgin summte gutgelaunt als er aus dem Zimmer nebenan einen Humrun holte, der so groß wie ein Zwerg war und gewaltige Scheren besaß.
  »Den habe ich heute Morgen ganz früh gefangen. Ein Prachtbursche.«
Stolz hielt er das Krustentier in die Höhe und legte es in das kochende Wasser, warf auch Gemüse und etwas grünes, längliches mit hinein, das er  Algen nannte. Grayden ging derweil nach draußen um nach seinen Gefährten zu sehen. Sie standen auf dem Steg mit unbewegter Miene und starrten zur Hütte herüber. Er versuchte nochmals sie von der Friedfertigkeit Zemmgins zu überzeugen, doch die beiden blieben stur und unnachgiebig. Deshalb gab es der Schildmeister auf und brachte ihnen eine der Humrunscheren. Sie zögerten zuerst, aber der Hunger gewann und sie verschlungen die Schere hastig. In der Hütte sah Shana nach Gesren und stellte fest, dass ihr Fieber schon zurückging, da Dimitrion den Heilungsprozess mit einem leichten Spruch unterstützt hatte. Mittlerweile war es Mittag geworden. Die Ebbe zog das Wasser mit sich und auf dem Strand blieben Algen, Muscheln und unvorsichtige Fische liegen, die sogleich Opfer der Krabben wurden.
Gesättigt lehnten sich Shana, Grayden und Dimitrion in ihren Holzstühlen zurück. Zemmgin hatte nicht zu viel versprochen, der Humrun war köstlich zart und das Gemüse und die salzigen Algen rundeten den Geschmack vorzüglich ab.
  »Kennt ihr den Mangrovensumpf den es hier geben soll?«
fragte Grayden etwas später.
  »Schon. Dort gibt es für mich nicht viel zu holen, deshalb habe ich den Sumpf nur wenig erkundet. Warum fragt ihr?«
  »Wir suchen den Tempel der Talandra.«
Zemmgins Auge blinzelte ungläubig und er lehnte sich auf den Tisch, der
knirschend wegen des Gewichts protestierte.
  »Seit ihr ganz sicher das ihr zum Tempel wollt?«
  »Wir müssen. Es hat Tote gegeben und eine Somnethoi sagte uns, dass wir den Tempel finden müssen um diesem blutigem Treiben ein Ende zu setzen. Irgendjemand sucht das wiedergeborene Kind Talandras um es an die Spitze einer Armee zu stellen und den Thron zu stürzen«, sagte Grayden.
  »Von einem wiedergeborenen Kind habe ich nichts gehört«, Zemmgin zögerte. »Aber Bintu hat mir von Schatten in der Nacht berichtet, die er noch nie im Wald gesehen hat. Sie sprangen von Baum zu Baum und hatten glühend roten Augen. Ich tat es als Einbildung ab, doch nun seh´ ich das er Recht gehabt hat.«
Bei den letzten Worten hüpfte der Bintu auf den Tisch. Dann erzeugte er ein Geräusch, dass eine Mischung aus Fauchen und Trillern war.
  »Er scheint diese Schatten nicht zu mögen«, bemerkte Shana.
  »Nein. Leider habe ich diese Wesen nicht selbst gesehen und Bintu kennt sie auch nicht. Wenn er in der Nähe von ihnen wäre, dann schätze ich, würde er sie an ihrem Geruch erkennen. Das ist aber auch schon alles was ich euch sagen kann. Aber ich habe von den Ausflügen in den Sumpf eine Karte angefertigt, die ihr euch abzeichnen könnt.«
  »Eine Karte ist genau was wir brauchen«, sagte Grayden und Dimitrion nickte zustimmend. »Früher oder später treffen wir sowieso auf diese Wesen. Bis dahin bleiben wir wachsam.«
Zemmgin entnahm aus einem Regal eine, für Zyklopen, kleine Karte heraus und reichte sie dem Schildmeister. In seinen Armen ragte sie auf beiden Seiten einen halben Meter hinaus.
  »Das könnte seine Zeit dauern, bis wir die abgezeichnet haben«, sagte Grayden schief lächelnd.
  »Bis morgen früh sollte ich es geschafft haben«, Shana klang zuversichtlich.
  »Wir schlagen draußen das Lager auf. Fang am besten sofort an, Shana. Ich werde den Sturköpfen sagen, dass wir bis morgen hier bleiben.«
  »Ich kann euch etwas Pergament geben«, schlug Zemmgin vor.
  »Danke, dass ist sehr freundlich von dir«, bedankte sich Shana.
  »Ist das mindeste was ich für euch tun kann. Ohne euch...würde Gesren…«
  »Keine Sorge, sie ist bald wieder auf den Beinen-«
  »Komm, Shana je eher wir anfangen desto eher sind wir fertig«, sagte Dimitrion ungeduldig und breitete die Karte auf dem Tisch aus.

Mit übernächtigten Augen trat Shana auf den Steg hinaus. Sie streckte sich und betrachtete die aufgegangene Sonne. Die Arbeit war abgeschlossen und nun besaßen sie eine sehr genaue Kopie der Sumpfkarte. Zemmgin hatte untertrieben als er behauptet hatte nicht viel von dem Mangrovensumpf erkundet zu haben. Aus seiner Sicht mochte es wirklich wenig gewesen sein, doch aus der eines Menschen hatte er über die Hälfte des Sumpfes verzeichnet. Seine Schrift war zwar hakelig und krumm doch für Shana war sie durchaus lesbar.
Die anderen waren schon lange wach und Grayden übte mit Dimtrion Schwerttechniken am Felsenstrand. Als sie näherkam, hörten sie auf.
  »Ich bin fertig.«
Sie war zu müde um mehr zu sagen und reichte Grayden das Pergament während sie unverhalten gähnte. Er entrollte es und sah die Küstenlinie in der Nähe der Hütte bis weit in den Sumpf hinein. Im Süden hörte sie mit einer Markierung auf, die einen großen Fluss bezeichnete und im Westen und Norden den Übergang zu festem Land und sogar ein Stück der Grenze zum Herzogtum Rymera. Erstaunt folgte Grayden den Linien und Markierungen die der Zyklop für Stellen ungiftiger Wasserquellen und festen Wegen verwendet hatte.
  »Und wie geht es dem Zyklopenmädchen?«, wollte Dimitrion wissen.
  »Ich habe ihr neue Wickel und einen Tee gemacht.«
  »Leg dich hin. Bis Mittag kannst du dich noch ausruhen, dann machen wir uns auf den Weg«, sagte Grayden.
  »Ist gut.«
Shana benutzte die Decken ihres Geliebten und war nach wenigen Atemzügen auch schon eingeschlafen.
  »Verdammt gute Arbeit«, lobte Dimitrion.
  »Sehr gut sogar, jetzt wissen wir zumindest wo wir nicht mehr suchen müssen.«
Magnus und Ramloc kamen triumphierend mit erlegten Hühnern aus dem Dschungel zurück.
  »Was ist das?«, fragte Dimitrion.
  »Keine Ahnung, es sieht aus wie Sumpfhuhn, findet ihr nicht?«
  »Hoff´ntlich schmeckt´s auch so.«
Ramloc und Magnus waren immer noch zurückhaltend gegenüber ihrem Aufenthalt in der Nähe eines Zyklopen. Doch sie hielten sich mit weiteren Abfälligkeiten zurück. Zemmgin kam zu ihnen gestampft und versuchte ihnen klar zu machen, dass er keiner der nördlichen Zyklopen sei.
Zu Anfang war die Unterhaltung schleppend. Mit dem Aufstieg der Sonne jedoch schaffte er es Magnus und Ramloc zu überzeugen. Grayden sah Magnus dem Zyklopen ein gebratenes Huhn reichen und deutete es als ein sehr gutes Zeichen. Zemmgin wollte Magnus und Ramloc seine Tochter vorstellen um auch die letzten Vorbehalte wegzuräumen und bat sie in seine
Fischerhütte.
Mit einem leisen Seufzer setzte sich Grayden neben seine Geliebte während Mörme ihm Gesellschaft leistete. Gegen Mittag wachte Shana auf und sah immer noch müde aus. Er hatte indessen ihren weiteren Weg durchdacht und kam zu dem Schluss, dass sie in nur einem Tag den Mangrovensumpf erreichen konnten. Die beiden gingen in die Hütte und er teilte den anderen mit wann sie im Sumpf ankommen würden, wenn sie sich gleich auf den Weg machen.
Hinter ihm sagte Zemmgin leise: »Gesren geht es schon viel besser. Sie schwitzt nicht mehr und hat in den Morgenstunden angefangen friedlicher zu schlafen.«
  »Das ist gut. Shana schaust du noch einmal nach ihr? Danach können wir aufbrechen«, sagte Grayden.
Shana kochte den letzten Tee und rührte noch eine Salbe an, die für fünf Tage reichte, damit konnte sie sicher sein, dass die Zyklopin auch wirklich gesund werden würde, wenn sie fort waren. Gesren war wach und schaute Shana aus müden Augen an. Zemmgin kniete sich ans Bett und streichelte ihr über den Kopf.
  »Das ist Shana, sie hat dich geheilt.«
  »Sie ist immer noch sehr schwach, sie braucht Ruhe. Schlaf weiter Gesren, bald bist du wieder gesund.«
Damit stand Shana auf und Gesren schlief wieder ein.
  »Kocht ihr noch jeden Morgen einen Tee wie ich es euch gezeigt habe. Wenn der Beutel leer ist, sollte sie wieder aufstehen können.«
  »Wie kann ich euren Dienst wiedergutmachen?«
  »Die Karte reicht uns vollkommen. Aber jetzt muss ich los, ich wünsche dir und Gesren alles Gute, Zemmgin.«
  »Seid vorsichtig, Heilerin.«
Shana wandte sich zum Gehen und als sie davon ritten schaute er ihnen noch kurz hinterher. Die Gischt war heute stärker und die Wellen brachen in hohen Wogen über den Felsen zusammen. Der Wind war frisch und salzig. Im Laufe des restlichen Tages wich der Geröllstrand einem festeren Boden, durchwachsen mit Grasflächen und Schilf und gegen Abend rasteten sie bei den ersten Anzeichen der immer feuchter werdenden Erde. In der Ferne konnten sie gegen Abend, mehrere Totenlichter über dem Moor schweben sehen. Shana suchte in der Nähe nach einem Menhirkraut um der Gruppe einen Willen stärkenden Trank zuzubereiten, der sie immun gegen die Versprechungen der Totenlichter machte. Die Lichter sind die Seelen von Toten die sich in einem Moor oder Sumpf verirrt hatten und dort verhungert oder ertrunken waren. Die Geister tauschten eine fremde Seele gegen ihren Seelenfrieden ein und die neue Seele versuchte dies ebenso. Der Kreislauf begann somit immer wieder von neuem.
  »Die meisten Totenlichtern können nur innerhalb eines kleinen Radius ihres Sterbeortes nach einer neuen Seele suchen. Und das sind nur ein paar Meter. Wenn wir sie umgehen, sollten wir also keine Probleme mit ihnen bekommen«, klärte Shana auf.
Dennoch mörserte sie das Menhirkraut und stellte es beiseite, damit es seine volle Kraft entwickeln konnte. Ein seltsamer Geruch kam aus dem Mörser, der Mörme nicht das Geringste ausmachte.
  »Muss das so stinken?« wagte sich Magnus vor.
Shana schaute kurz hoch und sagte nur: »Ja. Muss es.“
Damit war die Sache erledigt. Sie mischte eine gelbe Blüte unter das Menhirkraut und der Geruch schlug in eine säuerliche Richtung, die zwar auch nicht angenehm aber immer noch besser zu vertragen war als vorher.
  »Morgen trinkt ihr das als erstes, ich will kein Risiko mit den Lichtern eingehen.«
  »Schmeckt das so wie es riecht?«, fragte Magnus nach.
  »Spül´s mit `nem Schluck hiervon runter, Kies´l.«
Ramloc nahm einen tiefen Schluck seines Bieres und Magnus stand ihm in nichts nach.
  »Was glaubt ihr, wird uns im Sumpf erwarten?«, kam die Frage von Magnus nach einigen weiteren Schlucken.
  »Auf jed´n Fall schon mal Tot´nlichter.«
  »Jeder Schritt muss sorgfältig getan werden, deshalb werden wir die Pferde führen. Keiner von uns soll schließlich in irgendeinem Sumpfloch untergehen. Abgesehen davon gibt es in so einem großen Sumpf  Krokodile, Hygrons, Totenlichter und was es sonst noch kreucht und fleucht. Wir werden aufmerksam und unsere Schwerter immer bereithalten um gewappnet zu sein. Was auch immer uns begegnen wird.«
Graydens Antwort war nicht zufrieden stellend, doch er stellte keine weiteren Fragen sondern nahm einen letzten Schluck und drehte sich zur Seite.
  »Ich weiß nur, das ich dies´n verdammt´n Sumpf nicht lang´ aushalte. Ich kann ihn schon bis hierhin riech´n. Und diese Insekte´n verkriech´n sich bestimmt in mein´m Bart.«
Ramloc strich den erwähnten Bart glatt und zog seine prächtige Axt, ölte sie ein, dann wetzte er sie liebevoll.
  »Magnus Frage war nicht ganz unbegründet, Grayden. Wer weiß mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben werden. Diese Wesen haben weite Wege zurückgelegt um ihre Opfer zu fangen. Es könnte durchaus sein, dass Talandras Anhänger Dutzende bis Hunderte sein mögen. Und was werden wir dann machen?«, gab Dimitrion zu bedenken.
Auf Graydens Gesicht machte sich nachdenkliche Anspannung breit als er über diese Möglichkeit nachdachte. Ramloc hörte auf seine Axt zu wetzen.
  »Du willst doch wohl nich´ aufgeb´n bevor wir überhaupt den Tempel gefund´n hab´n `mit, oder zieht´s dich heim zu deiner Hold´n?«, feixte der Zwerg seinen Freund.
  »Keineswegs. Ich wollte damit nur sagen, dass wir auf mehr achten müssen als nur auf Krokodile und Totenlichter.«
  »Jetzt macht euch nicht verrückt bevor wir den Tempel gefunden haben. Es könnten auch nur wenige sein, die das ganze angezettelt haben.«
Shana rührte derweil wieder einige Kräuter in dem Mörser.
  »Wir können nur siegen wenn der Sieg schon in unseren Köpfen und Herzen gewonnen ist«, sagte Grayden.
  »Was meinst du?«, fragte Ramloc.
  »Ich meine, dass wir verloren haben wenn wir uns vor dem Unbekannten fürchten, bevor wir überhaupt anfangen zu kämpfen. Einfacher gesagt, geben wir dem Blarrk nicht unsere Schwerter in die Klauen.«
  »Ah, jetzt versteh´ ich.«
Ramloc reichte Grayden den Bierkrug und wollte ihn Shana geben, doch sie lehnte ab. Sie und Dimitrion warfen eine Prise Salz in die acht Himmelsrichtungen um sie vor dämonischen Mächten zu schützen.
  »Nur für alle Fälle«, erklärte er als er sich wieder setzte.
Danach saßen sie noch eine Weile schweigend am Feuer. Die Nacht war erfüllt von Summen und Schwirren geflügelter Insekten, Quaken von Fröschen und dem Blubbern kleinerer Moortümpel. Ein grünlicher Nebel zog auf, als Segnum Karanthar auf seinem Weg am Sternenhimmel folgte und die Totenlichter verblassten in seinem Dunst zu schleierhaften, leuchtenden Punkten. In der Nacht als Ramloc Wache hielt, stiegen mehrere von ihnen in nächster Nähe aus dem Moor. Der Zwerg beobachtete wie sie hin und her schwebten, dann jedoch wurden sie von der Lebenskraft der Gruppe angezogen. Es waren drei Totenlichter, eins leuchtete hellblau, fast weiß und war im Durchmesser etwa drei Hand breit. Die anderen zwei waren um die Hälfte kleiner und von grünlich-weißer Farbe. Sie gaben ein angenehmes Summen von sich, wie eine liebgewonnene Melodie die man bei der Arbeit vor sich hin summt.
Ramloc erhob sich von seinem Platz und fasste seine Axt fester. In einigen Metern Entfernung blieben die Lichter auf der Stelle stehen und bewegten sich nur wenig.
  »Wenn ihr glaubt, ihr könnt mich hol´n, dann versuch´s nur. Meine Axt wart´t auf euch.«
Shana, die in dieser Nacht nicht besonders tief schlafen konnte, erwachte als sie den Zwerg reden hörte. Sie stand mit der Decke um die Schultern gewickelt auf und ging zu ihm. Die Lichter begannen zu zittern, sie wollten sich die Seelen holen, die da so leichtfertig im Moor schliefen, doch sie konnten nicht weiter. Ihre Reichweite war begrenzt und sie schwebten unsicher an dieser Grenze herum. Nicht weit von ihnen war die Erlösung und sie konnten sie nicht erreichen. Das Summen wurde lauter, harmonischer und ihre kreisenden Bewegungen hatten etwas Hypnotisches an sich.
  »Sie versuchen uns anzulocken«, sagte Shana ruhig.
  »Du meinst sie könn´n nich´ bis zu uns komm´n?«
  »Genau. Die Kraft die sie an ihren Ort bindet ist zu stark. Siehst du wie sie versuchen uns einzulullen?«
Bei den letzten Worten deutete sie mit dem Kopf auf die Totenlichter, die eine Art Lufttanz aufführten und ein angenehmen Summgesang angestimmt hatten. Selbst mit kleinen Farbwechseln versuchten sie diese neuen Seelen zu sich zu holen.
  »Eig´ntlich recht hübsch anzuseh´n.«
er hatte inzwischen seine Axt in die Ellenbogen gelegt.
  »Das bezwecken die Lichter ja. Täuschung ist ihr Weg aus ihrem unseligen Dasein und dafür tun sie alles was sie können.«
Shana gähnte leicht, nun war sie nicht mehr müde und setzte sich zu dem Zwerg.
  »Der große von ihnen ist bestimmt schon seit Jahrhunderten hier gefangen, wenn das stimmt, was ich über Farbe und Größe gehört habe. Die kleineren schliessen sich ihm deswegen an. Sie hoffen schneller erlöst zu werden wenn sie einem erfahrenem Totenlicht folgen obwohl sie Gefahr laufen von ihm aufgesogen zu werden«, redete Shana vor sich hin.
  »Sin´ garnich´ mal so dumm, die klein´n«, grinste er und spielte damit auf seine eigene Größe an.
  »Uns sollte nichts passieren, wenn wir ihnen nicht zu nahe kommen. Das Salz schützt uns zusätzlich.«
Shana sah dem Tanz der Totenlichter zu.
Der Große versuchte mit seinen schönsten Farben zu beeindrucken und die kleinen ahmten ihn nach. Aber auch seine kunstvollsten Kreise konnten diese Seelen, die vor ihm saßen, nicht dazu bringen zu ihm zu kommen. Auf einer ganz tiefen Ebene seines astralen Bewußtseins ärgerte er sich. Und über die zwei kleinen die ihm alles nachmachten. Jede Nacht folgten sie ihm und jede Nacht versuchte er sie zu verscheuchen. Und mit einem Mal blähte er sich zu doppelter Größe auf und leuchtete in reinstem Weiß.
  »Was hatt´er denn?«
  »Ich weiß nicht. Sieh mal, die kleinen ziehen sich zurück.«
Die grünen Lichter bemerkten die Aura des Großen und wussten, wenn sie nicht aufpassten, würden sie von ihm verschlungen werden. Und mit einer blitzschnellen Bewegung war der Große über einem der Kleinen und zog ihn in sich hinein. Die kleine Kugel zitterte als ihr Astralenergie in dem hellen Licht aufging und die letzte Chance auf Erlösung löste sich in Nichts auf. Als das große Licht alles aufgesaugt hatte, verharrte sie befriedigt in einem Meter Höhe über dem Moor und wiegte sich leicht hin und her.
  »Sie verzehren sich gegenseitig«, sagte Shana erstaunt.
Ramloc schaute dem Ganzen nur gebannt zu.
Das letzte grün-weiße Totenlicht schwebte weitab immer wieder vor und zurück, unsicher was nun passieren würde. Die Große schwebte in entgegen gesetzter Richtung davon und die kleine näherte sich dem Lager um die Seelen wieder anzulocken. Darauf hatte die Große nur gewartet und mit unglaublicher Geschwindigkeit schoss sie heran bevor die kleine Kugel reagieren konnte und stülpte sich über sie. Shana glaubte in diesem Moment ein trauriges Wimmern zu hören, war sich allerdings nicht ganz sicher. Schneller als die erste, verschwand die zweite in dem Großen strahlendem Totenlicht. Auch sie würde nun nie mehr erlöst werden.
  »Haste so was schon mal geseh´n?«
Kopfschüttelnd verneinte sie. Das verbliebene Totenlicht schrumpfte ein wenig, doch insgesamt war sie nun um einiges größer als vorher und sie schien wesentlich heller zu leuchten. Innen war sie weiß und nach außen hin bläulich und die schwach schimmernde Korona war mit hellem Grün durchzogen. Sie schwebte lange auf der Stelle hoch und runter. Als ob sie nicht wüsste was sie nun machen solle. Dann entschied sie sich die Seelen weswegen sie hierher gezogen wurde wieder zu umgarnen. Diesmal war ihr Farbspiel noch trickreicher und überraschte mit flinkem Wechsel von verschiedenen Summtönen.
  »Unglaublich«, murmelte Shana. Sie nahm eine größere Prise Salz und streute es kreisförmig um das Lager. »Wenn es durch das Absorbieren der zwei kleineren stärker geworden ist, dann kann es sein dass sie jetzt näher an uns heran kommen könnte.«
Das Totenlicht kam auch bis auf vier Meter heran und Shana hörte eines der Feren unruhig schnauben. Shana mischte das Salz mit Kreide und trat vorsichtig aus dem Kreis heraus.
  »Was haste´ denn nun vor?«
Shana schritt langsam dem schwebenden Licht entgegen und stopfte ein kleines Blasrohr von ihrem Gürtel mit dem Gemisch. Das Totenlicht summte lauter, endlich hatten ihre Lockversuche gefruchtet. Gleich würde sie die Seele aufsaugen, die sich ihr näherte. Ihr Jahrhunderte langes Warten würde endlich belohnt werden. Doch die Seele blieb kurz vor ihr stehen. Shana hob das Blasrohr und mit einem tiefen Atemzug blies sie dem Totenlicht das Gemisch entgegen. Als es das Licht traf, zischte es wie Feuer das mit Wasser besprenkelt wird und kleine Rauchfahnen stiegen empor. Das Totenlicht fing leicht zu zittern an. Ihre Substanz löste sich in kleinen Tropfen von ihr ab und fiel platschend auf den Boden. Sie konnte sich nicht bewegen und so schmolz sie in der Luft erstarrt dahin. Shana und Ramloc verfolgten die Auflösung mit großen Augen. Langsam wurde die Kugel immer kleiner und schließlich sank sie herab als sie nur noch faustgroß war und sich in der weißlich-trüben Pfütze auflöste. Mit einem letzten Blubbern verschwand sie darin und das Zischen hörte nach Sekunden auf. Zurück blieb eine Kreide-Salz-Lache die zögernd vom Boden aufgesogen wurde.     »Irgendwie traurig,oder?«
  »Warum?«, fragte Shana leicht verwirrt zurück.
  »Naja, wenn ich in diesem Moor sterb’n würde und als Tot’nlicht versuch’n müsste andere einzufang’n um Fried’n zu find’n, würde ich es auch nich’ woll’n das mich jemand einfach so auflöst.“
  »Wahrscheinlich heißt es deswegen: Willst du´s lang im Leben treiben,
musst du nur zuhause bleiben.«
  »Aus dem Grund kenn´n die meist´n Mensch n auch nich´ viel von dieser Welt.« Er machte eine weit ausholende Bewegung. »Dabei strotzt
die Welt nur so vor unentdeckt´n Wundern.«
   »Vor unentdeckten Schätzen, meinst du wohl.«
Der Zwerg konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
Shana war nicht imstande eine tief schürfende Unterhaltung über die weißen Flecken auf Caranthans Karte zu führen.
  »Wenn nicht sie, dann könnten wir schon bald an ihrer Stelle sein. Und ich habe keine Lust Hunderte von Jahren in einem stinkigen Moor mein Unwesen zu treiben. Du etwa?«
  »Nein. Natürlich nich’! Ich will an dem Fuße meines Heimatberg’s begrab’n werd’n, da wo ich hin gehör’.«
Shana nahm einen Anflug von Sehnsucht in der Stimme ihres Kampfgefährten wahr, doch entschloß sich nicht weiter in den Zwerg einzudringen, wenn er nicht von selbst weitersprechen würde. Und Ramloc beliess es auch dabei.
  »Wenn du übernimmst, leg’ ich mich noch `n Stündch’n hin.«
Shana nickte und legte ein paar Zweige ins Feuer um den Tee zu kochen den sie am Abend zuvor vorbereitet hatte. Mit dem heller werdenden Tageslicht verschwanden auch die Totenlichter im Moor und als die Sonne vollends aufgegangen war, sah sie kein einziges mehr herum schweben.
Sie folgten dem Weg, den Zemmgin auf der Karte markiert hatte. Es ging in Südwestlicher Richtung tief in den Sumpf hinein. Das Moor wich mehr und mehr einem übel riechendem Land, mit großen Wasserflächen und aufsteigenden Gasblasen, die ploppend aufplatzten und einen Geruch von faulen Eiern im Sumpf verbreiteten. Vereinzelt standen verkrüppelte Bäume mit kahlen Ästen auf festerem Boden. Ein Zeichen, dass sie dort rasten konnten. Nebelbänke raubten ihnen am Morgen oft die Sicht und die Insekten umschwirrten sie wild. Bei einer frühen Rast rieb Shana eine säuerliche Paste auf die freien Hautflächen ihrer Freunde und verteilte sie ebenso auf die Feren, die ganz besonders von den Mücken heimgesucht wurden. Die Paste half sehr gut und die Insekten liessen sie in Ruhe. Die einzig Unzufriedene war Mörme, die sich quakend über die ausstehenden Leckereien lauthals beschwerte.
Mit jedem Schritt wurde das Wasser dunkler und dreckiger. Grayden schätzte, dass ihr Vorräte nur noch vier oder fünf Tage reichten, dann würden sie das Sumpfwasser filtern müssen und hoffen, dass niemand einer Krankheit zum Opfer fiel. Deswegen steckten sie von Anfang an, ihren Weg in den Sumpf mit aetherischen Markierungen ab, die von Dimitrion versiegelt wurden. Am ersten Abend vertrieb Shana zwei weitere Totenlichter, die ihnen gefährlich nahe kamen. Der zweite Tag wurde von einer großen Nebelbank beherrscht, die sich auch nicht durch die Sonnenstrahlen auflöste. Khalsa war nur undeutlich durch die Nebelschwaden zu erkennen und ihre Gemüter wurden drückend.
Sie fanden auch keine Bäume mehr und sie mussten das Gebiet mit Holzstangen abtasten, bevor sie Rast machten konnten. Die Feren liessen immer mehr die Köpfe hängen und trabten lustlos an den Zügeln hinterher. Der Nebel wurde Stunde um Stunde dicker und Grayden beschloss, dass sich alle anseilen sollten, damit sie sich nicht verlieren würden.
Und genau das geschah als sie eine Pause machten um sich zu erleichtern.
Magnus fühlte einen Ruck und gab Dimitrion ein vereinbartes Zeichen. Zusammen folgten sie dem Seil bis zum Rand eines brackigen Tümpels in dem Ramloc bis zu seinen Oberschenkeln bereits versunken war. Sein Gesicht war überdeckt mit etwas Insektenartigem und er riss wild daran herum.
  »Was ist das für ein Vieh?«, rief Magnus als er hineinwatete.
Er zog seine Wurfaxt, packte das Insekte an einer Stelle unterhalb des Kopfes und drückte zu. Ramloc wirbelte herum, stinkendes Wasser spritzte umher als sie gemeinsam umfielen und dann wälzten sich die beiden im seichten Wasser.
  »Halt still!«
Ramloc versuchte weniger zu zappeln. Blutige Schrammen waren in seinem Nacken zu sehen wo ihn das Insekt gestochen hatte. Magnus holte aus und trennte den Kopf des Käfers ab. Schlaff fiel der Körper ab und landete mit klatschendem Geräusch im Brackwasser. Angewidert zog er den Kopf des Insekts vom Gesicht und warf ihn weit von sich. Sein grimmige Miene war zerfurcht von den stacheligen Beinen und mehrere kleine Rinnsale Blut liefen ihm in den Bart. Wütend stapfte er ans Ufer und Magnus trat den toten Körper von sich. Aus der entfernten Nebelbank klang erst ein Klatschen und dann ertönte ein Grollen, das sich ihnen näherte. Entschlossen zogen sie ihre Waffen. Flache Wellen schwappten heran als sich ein Schatten aus dem Nebel schälte und sie hörten das klackende Schnappen von Mandibeln.
  »Ich hasse Insekt’n«, spie Ramloc aus und stellte sich auf seine Kampfposition.
Es war ein Sumpfhygron, das im Nebel sichtbar wurde. Diese Art war kleiner als die Stachelhygrons im Kargen Land, ungepanzert mit dicker Haut versehen, somit leichter zu verwunden, doch ihre Greifzangen waren ungleich schärfer und sie besaßen ein Doppelpaar davon an ihrem Schädel sitzen. Und eben diese fingen an wütend zu zittern als der Hygron sie sah und mit weiten Schritten durch das Wasser auf sie zuraste, sodass hohe Fontänen entstanden.
Dimitrion wirkte einen Feuerball und warf ihn auf den Käfer, doch dieser wich aus und der Feuerball verschwand leise zischend im Nebel. Unzufrieden zückte der Halbelf seinen Rabenschnabel und stellte sich ebenfalls in den aufgestellten Halbkreis. Die Taktik bestand darin, ein großes Tier in die Mitte zu locken, so dass sie die Flanken angreifen konnten. Dabei spielte Grayden den unbewaffneten Köder. Links von ihm standen Magnus und der Halbelf und rechts von ihm Ramloc und Shana. Die Seiten zogen sich etwas zurück und Grayden trat dem Hygron einige Schritte entgegen und dann zurück damit er sich nicht ein anderes Ziel suchte. Es klappte, das Sumpfhygron hatte nur Augen für Grayden und stürmte auf ihn zu. Als es an Magnus vorbei rannte, schlossen sie den Kreis und griffen an. Ramloc war der erste der einen Treffer landen konnte. Mit einem wilden Sprung dem man ihm nicht zugetraut hätte, sprang er mit ausgeholter Axt hoch und rammte sie tief hinter die Vorderläufe in das Insektenfleisch. Blut spritzte hoch und weit als er sie herauszog. Die Kreatur drehte sich ihm zu, doch Shana jagte ihm von der anderen Seite einen Pfeil in den Kopf. Es trippelte hin und her, unsicher wen es angreifen sollte. Bevor es sich entscheiden konnte, wuchs hinter ihm urplötzlich eine Ranke hervor, schlang sich um seinen Hinterteil und nagelte es an den Boden. Das Sumpfhygron schrie ängstlich auf und zappelte mit seinen zwei vorderen Beinpaaren herum. Magnus nutzte die Chance und warf seine zwei Äxte, die an der dicken Haut jedoch wirkungslos abprallten. Shana schoss weitere Pfeile dem Hygron in die Beine und es knickte zur Seite ein, gleichzeitig näherte sich Dimitrion mit gehobenem Rabenschnabel. Eine Wasserfontäne spritzte ihm entgegen und nahm ihm die Sicht. So konnte er den herumschwingenden Mandibeln nicht mehr rechtzeitig ausweichen und fiel zu Boden. Es befreite sich mit einem heftigen Ruck seines buckeligen Oberkörpers von der Ranke und klackte bedrohlich mit seinen Zangen.
Inzwischen hatte Grayden sein Schwert gezogen und rannte auf den Hygron zu um ihn zu enthaupten und den Kampf zu beenden. Gleichzeitig mit seinen Gefährten schlug er zu. Sie trennten ihm die Beine ab und schmatzend fuhren ihre Klingen unter dem dünnen Panzer in das Fleisch. Es konnte nur noch im Kreis krabbeln und schnappte immer wieder mit seinen Greifzangen nach seinen Angreifern. Grayden machte dem ein Ende, holte weit aus und mit einem kräftigen Schwung köpfte er den Sumpfhygron. Der Kopf klatschte ins Wasser und eine Schwall Blut ergoss sich in den Tümpel und färbte ihn dunkel. Der Rest des Körpers zappelte noch und blieb dann mit einem letzten Zucken im Wasser liegen. Auch von ihm rann das zähe Blut herab.
Dimitrion erhob sich, gestützt von Shana und bei den Feren versorgte sie sofort die Kratzer von Ramloc. Hier im Sumpf konnte er leicht Wundfieber bekommen und die Wärme und die schwirrenden Blutsauger machten ihr die Arbeit auch nicht leichter. Keuchend setzten sich hin. Da sie kein Holz fanden, konnten sie auch kein Feuer machen und die Dämmerung brach früh über sie herein. Nur Dimitrion hatte vorgesorgt und legte ovale Steine, die Lapis Khalsaris gennant wurden, weil sie mit der Leuchtkraft Khalsas erfüllt waren, in vier Himmelsrichtungen. Ein leichter Bogen hellgrünen Schimmers legte sich in einem Halbbogen über sie und machte die Düsternis erträglicher. In dem matten Licht konnten sie ihre Waffen reinigen und wetzen.
Eine leichte, dunkelgrüne Lederhose, in hellem Braun gefärbte und gesteppte Weste dazu eine kurze Panzerjacke. Die dreckige Kleidung wollte er auswaschen, doch dann überlegte er es sich anders und warf sie in den Sumpf. Das Licht der Steine malte gespenstische Züge auf ihre Gesichter und Magnus fing an Grimassen zu schneiden, über die sie nach ein paar Minuten lachen mussten. Die Spannung des Kampfes fiel von ihnen ab und nun, deutlich besser gelaunt, stopfte Grayden eine Mahapfeife. Sie hatte den nützlichen Effekt, dass sie die Mücken vertrieb, die von der abgewaschenen Paste Shanas nicht mehr zurückgehalten wurden. Nach einer unruhigen Nacht in der Shana sieben Totenlichter vertrieb, trafen sie am Vormittag auf eine Ruine.
Sie stand auf einem Hügel, der sich mehrere Meter aus dem Sumpf erhob und war mit allerlei Grünzeug überwuchert. Durch ein verfallenes Steintor traten sie auf den Vorhof eines alten militärischen Vorpostens. Die Mauern waren schon vor langer Zeit eingefallen und große Lücken taten sich in der rechteckigen Schutzmauer auf. Der Hof war mit zahllosen Pfützen bedeckt. Zu ihrer Rechten standen die Überreste der Wachstube, die noch in gutem Zustand war. Sie banden die Pferde an einen knorrigen Baum und erkundeten die Ruine.
Vor ihnen erhob sich ein gut erhaltener Turm etwa zwanzig Meter in die Höhe, seine Zinnen waren schon abgebrochen und lagen zerstreut im Hof herum. Seine Breite betrug ebenfalls zwanzig Meter, weswegen er nicht komplett zusammen gestürzt war. Nur einige Steine fehlten hier und da. Neben dem Wachturm standen noch zwei weitere Gebäude, doch sie waren bereits vor Jahrzehnten eingestürzt und mit dichten Flechten überzogen. Ein alter Brunnen schien noch intakt zu sein und so versuchte Grayden den Eimer hoch zu kurbeln. Das Gewicht verriet ihm, dass es noch Wasser im Brunnen gab. Er roch daran und goss ein wenig auf den Boden. Es sah sauber aus, doch der Schein konnte täuschen und so goss er den Eimer in die Tränke. Die Feren löschten ihren Durst und so konnten sich die Abenteurer sicher sein, dass sie das Wasser ebenfalls trinken konnten. Es schmeckte herrlich frisch und belebte ihre müden Geister. Hier in der Ruine fühlten sie sich das erste Mal sicher seit sie den Sumpf betreten hatten. Es kam Shana allerdings seltsam vor das sie keine Überbleibsel der einstigen Bewohner fanden.
Während die anderen Holz aus der Wachstube holten das neben dem Kamin gelegen hatte, suchte sie weiter in der Ruine nach Hinweisen was hier passiert war und zu wem der Posten gehört hatte. Sie nahm sich vor den Turm zu untersuchen und hielt eine notdürftige Fackel hinein. Spinnweben und zertrümmerte Möbel füllten die Sicht im Fackelschein. Links von ihr führte eine Steintreppe auf das nächste Geschoss hinauf. Da sie hier unten nichts von Interesse fand, stieg sie kurzerhand die Stufen empor. Die Tür der nächsten Ebene hing nur noch in den verrosteten Angeln und knarrte stark als sie zur Seite geschoben wurde. Shana stand in einem Schlafraum. Zehn verfallene Betten waren kreisförmig angeordnet worden. Vor den Betten standen kleine Truhen die für einige persönliche Sachen der Soldaten verwendet wurden, vermutete Shana. Sie zündete eine Fackel in einer mit Spinnweben eingehüllten Wandhalterung an und mit dem Licht das durch die wenigen Fenster fiel, konnte sie gut in den Raum sehen.
An den Wänden standen noch vier große vermoderte Schränke, die ihren Inhalt schon vor langer Zeit über den Boden verteilt hatten als sie gewaltsam aufgerissen geworden waren. Die Türen lagen auf dem Boden und Shana konnte Reste von Schmutz verdreckten Stiefeln erkennen. Leider war in keinem Schrank etwas zu finden und so machte sich Shana daran die Betttruhen zu untersuchen. Die ersten vier waren leer und der fünfte barg nur ein altes brüchiges Tuch. Nummer sechs war verrottet. Doch in der siebten fand Shana ein Tagebuch. Behutsam pustete sie den Staub vom Band und wischte die Spinnweben weg. Das Leder war alt und an den Ecken war es mit einem Metall eingefasst, dass aber nur noch aus Rost bestand und beim Anfassen unter den Fingern zerbröselte. Das Schloss allerdings zeigte keine Spuren und war unversehrt. Shana stutzte. Es hatte keinen einzigen Kratzer und besaß auch kein vorhandenes Schlüsselloch wo normalerweise eines zu sein hatte. Dort war nur ein Juwel von der Größe einer Fingerkuppe eingefasst und reflektierte ein unwirklich leuchtendes grün-rotes Licht.
Shana fuhr mit ihrem Finger darüber, doch es tat sich nichts. Sie überlegte es den anderen zu zeigen und steckte das Buch in ihren Umhang bevor sie die letzten zwei Truhen untersuchte. Die achte war fest verschlossen und die letzte war leer. Dennoch war sie ob ihres Fundes gut gelaunt und sie wollte auch nicht länger in diesem Zimmer bleiben, die Fliegen summten nervend um sie herum. Sie zeigte das Buch den anderen, doch nur Dimitrion und Mörme fanden es bemerkenswert. Grayden hielt es für ein normales Kriegstagebuch, wie es viele Soldaten führten um sich von Langeweile oder Ärger mit Kameraden und Vorgesetzten abzulenken. Dimitrion untersuchte das Juwel genauer. Er legte es zwischen sich und versuchte einen Spruch zu weben, der es öffnen sollte. Doch es blieb geschlossen.
Grayden sagte: »Vermutlich reagiert es nur auf ein bestimmtes Kennwort. Und das dürfte nur der inzwischen verblichene Besitzer kennen.«
  »Aber das ist nur eine Vermutung«, sagte Shana.
  »Ich wette, dass du es nicht schaffst es zu öffnen.«
  »Um was wetten wir?«
  »Hmm, mal überlegen, zwei Kupferlinge?«
  »Angenommen.«
Mit Eifer versuchte sie das Buch zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Auch Dimitrion versuchte es immer wieder und scheiterte ebenso. Nach einer Stunde gaben sie auf und Shana funkelte Grayden an, der seinerseits siegessicher lächelte. Doch sie hatte das Buch gefunden und gab sich nicht damit zufrieden, es ungeöffnet in einer abgelegenen Sumpfruine zurück zu lassen. Also grübelte sie weiter. Sie nahm eine ihrer Säurekugeln und setzte sich mit dem Buch und Dimitrion abseits hin, dann ritzte sie die Kugel an und tröpfelte ein wenig von der Säure auf den Juwel. Erst tat sich nichts, dann knackte das Juwel und ein Riss zog sich quer durch ihn hindurch. Ein weiteres Knacken und er brach auseinander. Mit einem breitem Stein wischte sie die Splitter beiseite.
  »Es war nur Glas« sagte Dimitrion verwundert.
Freudestrahlend ging Shana zu Grayden herüber und hielt ihm die geöffnete Hand hin. Murrend liess er die Münzen in ihre Hand fallen.
  »Zeigst du uns wenigstens deinen wertvollen Fund?«
  »Natürlich darfst du einen kleinen Blick hineinwerfen. Aber nur einen kleinen.«
Sie deutete mit Daumen und Zeigefinger eine entsprechende Geste an.
Überschwänglich breitete Shana das Buch vor sich aus. Die anderen rückten neugierig zusammen. Die Seiten waren kaum zerfallen, lediglich die Ecken waren vor Nässe verschimmelt und die Schrift immer noch erkennbar. Verwundert blätterte Shana die Seiten um, doch es war eine fremde Sprache in der das Buch geschrieben war und es gab auch keine Zeichnungen darin. Unzufrieden knallte sie das Buch nach einigen Minuten wieder zu. Grayden jedoch lächelte weiter; Es erfror als er die Rauchsäulen sah die aus den zerbrochenen Splittern aufstiegen. Die anderen bemerkten seinen Gesichtsausdruck und folgten seinem Blick. Erschrocken wichen sie zurück. Ein fauliger Gestank wehte zu ihnen herüber während sich die Rauchsäulen in den Himmel hinauf schraubten und vage Gestalt annahmen.
  »Das war’s dann mit der Ruh´«, maulte Ramloc und schwang gemächlich seine Axt.
Aus den Rauchsäulen formte sich zuerst ein schuppiger Schwanz heraus der nach oben hin dicker wurde. Die Bauchschuppen waren grellgelb und zackenförmig. Der Schwanz ging in eine bleiche Frauenbrust über die skelettartige Furchen liefen. An den Armen prangten dreifingerige Klauen die übermässig lang waren und scharf funkelten. Der Rauch bildete die hässlichen Knochenschädel mit Reißzähnen und leeren Augenhöhlen. Der rechte Kopf war der einer bizarr verformten Schlange deren Gesicht nach vorne gestreckt war und aus ihrem Maul zischelte eine dreifach gespaltene Zunge, die wild umher wirbelte. In der Mitte bildete die Rauchsäule ein weiteres Monstrum mit einem wunderschönem, von rabenschwarzen Haaren umwehtem Frauengesicht mit vollen und roten Lippen. Ihre Augen blitzten verführerisch. Die drei Schlangenleiber wanden sich unruhig auf dem Boden. Bis sie die Abenteurer sahen und sich aufrichteten. Der Schlangenkopf zischte wütend und der Knochenschädel grollte tief. Die Frau stieß ein herablassendes Lachen aus und ihre Oberkörper zuckten angriffslustig nach Grayden und den anderen.
Die Kampfgefährten bildeten ihren erprobten Halbkreis, nur spielte Grayden diesmal nicht den Köder.
  »Was zum Abgrund ist das?«, Magnus fragte ungläubig in den Kreis.
Die Antwort gab das Monster selbst. Der Frauenkopf sprach mit einer schrillen und hohen Stimme.
  »Wir sind die Schlangenfrauen von Morta’Rakh, kleiner Mensch.«
Ihre Stimme schmerzte in den Ohren. Arrogant bäumten sich die Schlangenfrauen vor ihnen auf. Dann griffen sie an.
Der Schlangenkopf versuchte mit einem Hieb des Schwanzes Ramloc und Magnus von den Füßen zu fegen. Magnus sprang hoch während Ramloc dem Hieb auswich indem er wegrollte und sich sofort wieder in Position stellte. Grimmig ging er zum Gegenangriff über und seine Axt schlitzte die Schlange einen Meter lang blutig auf. Magnus hackte von oben auf die Schuppen ein, doch die waren zu dick um verletzt zu werden. Der Schlangenschädel schnellte vor um Ramloc zu schnappen und wieder brachte sich der Zwerg mit einer Rolle in Sicherheit.
Währenddessen stieß die Schlangenfrau einen schrillen und schmerzhaften Schrei aus, der Grayden und Shana dazu zwang sich die Ohren zuzuhalten. Die Frau sah die dadurch entstandene Lücke in ihrer Abwehr und holte mit dem Schwanz aus. Grayden schubste Shana weg und schaltete den Schild an. Mit einem silbernen Schimmer spann sich an seinem linken Unterarm der Mondschild auf, hinter dem Grayden die Füße in den Boden stemmte. Der Schwanz prallte mit unglaublicher Wucht auf den Schild, doch Grayden blieb wehrhaft stehen. Wütend schrie die Schlangenfrau ihn mit tobenden Gebrüll an, dann schlängelte sie nach links und senkte ihren Oberkörper herab. Shana hatte Schutz hinter Mauerresten gesucht und zielte auf die Gegnerin. Als sie für einen Moment stillhielt, liess sie den Pfeil von der Sehne schnellen. Ein schmatzendes Geräusch erklang als er in das linke Auge der Schlangenfrau eindrang. Schreiend bäumte sie sich auf und versuchte den Pfeil herauszuziehen. Grayden stach auf den unteren Teil des schuppigen Schwanzes ein, doch auch er konnte sie nicht durchdringen und er prallte mit einem Zittern zurück. Inzwischen hatte die Schlange den Pfeil in der Hand, die Reste ihres Auges klebten von der Spitze herab.
  »Dafür fresse ich dich vor den Augen deiner Leute auf«, schrie sie Shana entgegen und stürmte auf die Bogenschützin zu.
Diese nahm eine Nebelkugel und warf sie auf den Boden. Zischend stieg der Nebel auf und verdeckte Shanas Rückzug. Rasend vor Zorn stieß die Schlangenfrau hinein, doch die Bogenschützin hatte sich schon mit flinken Schritten entfernt als die Schlange mit aller Wucht gegen eine Mauer prallte. Wieder schrie sie wütend vor Schmerz auf und dickflüssiges Blut rann von ihrem Kopf herunter und wo es den Boden traf, stieg ein fauliger Geruch auf. Ihre Arroganz war verflogen als sie versuchte sich zurück zu ziehen.
Dimitrion stand dem Knochenschädel gegenüber und wartete auf den Angriff seines Gegners. Doch der bewegte sich nur hin und her ohne auch nur ein einziges Anzeichen zu geben wann es angreifen wollte. Unsicher wechselte Dimitrion seine Position um sich ihm anzupassen. Als er einen halben Schritt gemacht hatte, griff es an. Es täuschte einen Schlag mit seinem Schwanz an um dann über Dimitrions rechte Seite seine Abwehr zu umgehen. Fast hätte es das auch geschafft, Dimitrion benutzte sein Rabenschnabel zum Blocken und so prallte der Schädel dröhnend ab. Der Halbelf trieb den Rabenschnabel an dem Unterkiefer vorbei in die Schulter des Monsters. Überrascht von der Verwundung keuchte es auf und drehte sich weg. Dabei hieb es mit seiner linken Klaue nach ihm und riss ihm eine blutige Furche in den Schwertarm. Verletzt trennten sich die Gegner voneinander um die entstandenen Schwächen des jeweiligen Gegenübers auszuloten. Blut floss von ihren Armen, Dimitrion aus dem rechten und dem Knochenschädel quoll der schwarz-rote Lebenssaft aus der Schulter hervor.
Magnus und Ramloc hatten dem Schlangenschädel inzwischen stark zugesetzt und es blutete aus mehreren Wunden seiner schwachen Bauchschuppen. Gerade wich es einem Axthieb Ramlocs aus um seinerseits nah an den Nordmann zu kommen und ihn zu beißen. Das Gift troff von seinen langen Reißzähnen, doch Magnus rammte seinen Schulterschutz, den Eiswolfschädel, in das Maul der Kreatur. Knackend brach der rechte Giftzahn ab. Sie verhakte sich an dem Wolfsschädel und versuchte mit wildem Schütteln sich zu befreien. Mit aller Kraft hob sie ihren Körper und damit gleichzeitig Magnus in die Höhe. Zappelnd hing der Nordmann in der Luft und versuchte sich zu befreien. Er rammte seine Stiefel in das widerliche Spiegelbild einer Frauenbrust und trieb dem Monster die Luft aus ihren Lungen. Krampfend versuchte sie nach Luft zu schnappen als Magnus sich aus ihrem Biss befreite und zu Boden fiel. Ramloc sah seinen Freund fallen doch machen konnte er nichts. Aus vier Metern Höhe prallte Magnus auf den Schwanz des Schlangenmonsters und rollte auf den Boden.
  »All’s in Ordnung?«
Ramloc half Magnus auf die Beine.
Mit keuchenden Atemzügen antwortete er: »Mir geht’s gut, doch sie ist nur noch eine zahnlose Großmutter.«
  »Dafür wirst du leiden«, schrie die Schlange.
  »Ich zieh dir noch den anderen Zahn, du hässliches Vieh.«
Die Schlange wirbelte hin und her und sie mussten aufpassen nicht durch Zufall doch noch getroffen zu werden. Der Schlangenschädel heulte schmerzhaft, sie war ihrer besten Waffe beraubt und das sollten diese Menschen büßen, schwor sie sich. Sie zog sich an eine verfallene Mauer zurück und Magnus und Ramloc folgten ihr. Sie versuchte mit übertriebenem Schauspiel eine größere Verwundung vorzutäuschen als sie wirklich hatte und heulte und zischelte laut auf. Dann tat sie so als würde sie durch eine Mauerlücke in den Sumpf fallen und rollte über die Steine nach hinten. Siegessicher stürmten Ramloc und Magnus hinterher, bereit ihr den Rest zu geben. Doch als sie die Lücke erreicht hatten war von ihr keine Spur zu sehen. Luftblasen platzten auf und die beiden Kämpfer sprangen hinterher um dem Monster den Rest zu geben.
Grayden rammte dem Frauenschädel den Mondschild ins Gesicht, doch sie duckte sich und kam damit in die Reichweite von Shanas Kurzschwertern. Kraftvoll rammte sie eines davon in das verbliebene Auge der Schlangenfrau und eine Blutfontäne spritzte aus der Wunde als Shana das Schwert herauszog. Das Monstrum schrie verbittert auf. Wieder mussten Grayden und Shana sich die Ohren zuhalten und diesmal war der Schrei so laut, dass auch der Rest der Gruppe mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Ohren zu schützen versuchte. Selbst die Steine der Ruine fingen an zu beben. Magnus und Ramloc waren derweil wieder in den Hof getreten, da sie keine Spur des Monstrums gefunden hatten und vermuteten, das es geflohen war.
Dimitrion sank auf ein Knie herab und hielt in einem schwachen Versuch sich zu schützen, seine Waffe aufrecht. Hinter dem Zwerg und dem Nordmann schlich sich ihre Feindin heran, sie brauchte noch nicht mal leise dabei zu sein und ein hinterhältiges Grinsen verunzierte ihre bizarre Schnauze. Jetzt würde sie zubeißen und dem Leben des Zwergs ein schmerzliches Ende bereiten. Nur noch wenige Meter trennten sie von ihrem Opfer und sie holte zum Angriff aus. Fauchend schnappte sie und biss zu. Ramloc bemerkte die Schlange zu spät, seine Rüstung wurde von dem kräftigen Biss eingedrückt, doch die Basiliskenrüstung hielt stand. Ramlocs Axt fiel zu Boden als sie sich mit ihrem zappelnden Opfer erhob. Mit gezielten Faustschlägen hieb der Zwerg auf die Schlange ein, die ihren Unterkiefer ausrenkte um ihn im Ganzen zu verschlingen.
  »Ich werd’ dir nich’ gut bekomm’n«, schrie Ramloc und er stach ihr mit einem klauenartigen Griff ins Maul und riss mit verbissenen Ausdruck ihre Zunge heraus.
Ihre Augen weiteten sich ungläubig als die Muskeln und Sehnen rissen und ihr Rachen sich gurgelnd mit Blut füllte. Verzweifelt spuckte sie Ramloc aus und trennte sich die Zunge komplett ab während der Zwerg in hohem Bogen durch die Luft flog und platschend im Sumpf landete.
  »Har Har«, lachte er sie spöttisch aus. »Ich sagt´ doch, ich werd’ dir nich’ gut bekomm’.“
Die Schlange wand sich mit wütendem Zischen und Fauchen auf dem Boden herum, ihr Schwanz zuckte unkontrolliert herum. Magnus griff sein Schwert fester und rammte es ihr durch die ganze Breite des Schlangenschwanzes. Mit einem Knirschen klemmte er es zwischen den Steinen ein und er zog seine Wurfäxte und lief auf ihren Kopf zu, der in einer immer größer werdenden Blutlache lag. Wimmernd hielt sie sich ihre Schnauze, noch nie hatte ihr jemand solche Schmerzen zugefügt und ihre Sicht verschwamm in einem Schleier aus Blut. Magnus sprang auf ihren Oberkörper und hackte ihr die Klauenhände ab. Dann hieb er erst mit der rechten in ihren Hals und dann schlug er mit der linken zu. Abwechselnd trieb er ihr die Äxte immer tiefer ins Fleisch. Ein letzter Schlag und sie war enthauptet.
Dimitrion hockte sich derweil hinter einem knorrigen Baum und versuchte seine schmerzenden Ohren zu ignorieren. Sie bluteten.
Der Knochenschädel schnellte immer wieder nach vorne und versuchte ihn mit einem Schwanzschlag zu erledigen. Dann hob er einen Mauerstein und warf ihn nach Dimitrion. Dieser duckte sich und der Stein zerschellte an dem Baum.
  »Los komm raus und kämpfe, du Feigling.«
  »Kannst du haben«, rief er zurück und er entging einem weiteren Schwanzhieb mit einer Vorwärtsrolle. Dann legte er seine rechte Hand auf die Bauchschuppen und sagte: »FeuersPest«
Seine Hand war auf einmal in Feuer getaucht und wie brennendes Öl breitete es sich auf den Schuppen aus. Der Gestank von verbrennendem Fleisch erfüllte die Luft, als die Flammen immer mehr an dem Schwanz entlang wanderten. Von Panik erfüllt stieß der Knochenschädel ein verzweifeltes Grollen aus. Die Flammen hatten nach wenigen Sekunden den skelettartigen Oberkörper erreicht. Dunkler Qualm stieg in den Himmel und es zuckte vor Schmerzen. Dimitrion packte seine Waffe und zielte auf den Körper. Er holte weit aus und trennte den Oberkörper zur Hälfte ab. Kreischend schrie der Knochenschädel auf, es wusste dass sein Ende nur einen Hieb entfernt war. Dimitrion schaute es direkt in die leeren Augenhöhlen. Er sah nur ein Sumpfmonster, das wahrscheinlich schon viele Menschen vor ihm getötet hatte und er empfand kein Bedauern als er mit dem letzten Schlag das Rückgrat durchtrennte und es ein letztes Mal fauchte. Mit lautem Wummern fiel der Rest des Schwanzes auf den Boden. Dimitrion sprang zurück um nicht überrollt zu werden, dann wandte er sich zu Grayden und Shana herum.
Die letzte Schlangenfrau war in eine Ecke der Ruine zurück gewichen und bedeckte ihre blutenden Augen mit dem linken Arm. Verzweifelt schlug sie mit dem Schwanz ungezielt nach ihren Angreifern.
  »Grayden, lass mich es erledigen«, rief Shana, der Schildmeister nickte und ging drei Schritt zurück.
  »Was hast du vor?«, fragte er sie als er mit ihr auf gleicher Höhe war.
  »Wart’s ab,«
Sie nahm eines der kleinen Lederbeutelchen von ihrem Gürtel nahm, ritzte es mit ihrem Schwert an und warf es auf die Schlangenfrau. Gelber Dunst umhüllte das Monster. Es wurde immer langsamer und ihr Schwanz hörte auf zu schlagen.
  »Ich kann mich nicht mehr bewegen«, rief die Schlangenfrau verwirrt als die Lähmung immer mehr ihren Körper erfasste.
Nach wenigen Augenblicken fiel sie steif zur Seite. Selbst das Blut hörte auf zu fließen und ihr Mund war in einem stummen Schrei erstarrt.
Erschöpft liessen die Abenteurer ihre Waffen sinken und schauten sich gegenseitig an.
  »Alles in Ordung bei euch?«, rief Dimitrion zu Grayden und Shana.
  »Bestens und bei euch, Magnus?«
  »Das Drecksvieh is’ erledigt«, posaunte Ramloc stolz.
  »Du bist auch ein harter Brocken, Kurzer. Kein Wunder, dass sie dich wieder ausgespuckt hat.«
Magnus lachte.
  »Auf jed’n Fall blieb ich ihr nich’ im Halse steck’n.«
Grayden winkte sie zum Feuer und sie liessen sich kraftlos auf den Boden plumpsen. Der Schildmeister schaute über die Schulter zu der paralysierten Schlangenfrau.
  »Wie lange hält die Wirkung an?«
  »Einen normalen Menschen etwa vier Stunden. Bei so einer Kreatur allerdings kann ich es dir nicht sagen. Wir sollten sie vorsichtshalber fesseln und zwar sehr fest.«
  »Warum wolltest du sie eigentlich nur lähmen?«
  »Ganz einfach.« Shana schaute in die Runde. »Sie kann uns vielleicht sagen wo der Tempel ist.«
Daran hatte keiner von ihnen gedacht aber sie hatten auch um ihr Leben kämpfen müssen.
  »Gute Idee.«
Grayden liess seine Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen. Sie ergriff seine Hand und drückte sie gefühlvoll.
  »Natürlich«, kam die saloppe Antwort, bei der sie ihn anlächelte.
  »Ich kümmere mich um sie«, sagte Dimitrion und begab sich zu der Gelähmten.
Er wirkte einen Spruch und unsichtbare Seile drückten dem Monster die Arme zusammen. Dimitrion winkte Ramloc und Magnus zu sich und mit einem echten Seil banden sie sie an dem knorrigen Hofbaum fest. 
  »Das Vieh ist verdammt schwer. Werden deine Sprüche es auch wirklich halten können?«
Dimitrion hob als Antwort nur beleidigt eine Augenbraue.
  »Schon gut, schon gut. Man wird ja wohl mal fragen dürfen«, wehrte Magnus mit erhobenen Händen den Blick des Halbelfen ab.
  »Verdammter Sumpf.« Ramloc spuckte aus. »Hier gibt’s noch nich’ mal was vernünftig´s zu Ess’n«, sagte er schlecht gelaunt und hungrig, dann stampfte er missmutig zum Lager.
Ihr Vorrat beinhaltete noch Pökelfleisch und Zwieback. Geschmacklos aber relativ sättigend. Nach nur einem Bissen verzog Ramloc das Gesicht.
  »Nach `nem anständig’m Kampf brauch’ ich was vernünftig´s zu beiss’n«,
Er säuberte seine Axt und stand murmelnd auf.
  »Was hast du vor?«, fragte Magnus. »Falls du jagen willst, komm’ ich mit. Nicht das du uns verloren gehst.«
  »Is’ mir Recht«“
Es war inzwischen früher Nachmittag und ein leichter Nebelschleier begrenzte ihre Sicht. Dimitrion setzte eine Marka und begleitete die beiden ebenfalls.
  »Ich begleite euch, falls ihr noch etwas Gesellschaft vertragen könnt.«
Ramloc und Magnus winkten ihn rüber und mit einem Nicken in Graydens Richtung machten sie sich auf die Jagd. Mörme schaute die beiden an und hüpfte davon um sich ein paar Fliegen zu fangen. Shana und Grayden waren allein in der Ruine. Ausserhalb der Ruine wob Dimitrion einen Sucherspruch. Seine Sicht wechselte langsam in ein Rot-Blau über. Lebendige Wesen hoben sich rotglühend von dem blauen Schein unbelebter Dinge ab und erleichterte die Jagd in solch einer Umgebung erheblich. Er führte sie zu einem Sumpfkaiman, der eine etwas zähe aber leckere Mahlzeit abgeben würde. Eine knappe Stunde später kehrten sie zur Ruine zurück und sahen Grayden und Shana nebeneinander sitzend am Lagerfeuer. Sie beobachteten die gefangene Schlangenfrau die immer noch paralysiert war. Dabei bekam das Opfer immer noch alles in seiner Umgebung mit und sie hörte die Abenteurer lachend in den Hof zurückkehren. Grayden schaute auf.
  »Na, was habt ihr erlegt?«
Magnus drehte sich und der Kaiman fiel von den Schultern.
  »Mhm, Reptil«, Shanas Stimme klang zweifelnd.
  »Was bess’res gab’s nich’«, erwiderte Ramloc und zerlegte das Tier.
Kurze Zeit später brutzelten ansehnliche Stücke Fleisch über dem Feuer. Shana schaute immer wieder zur Schlangenfrau hinüber um sicher zugehen, dass sie ihnen nicht gefährlich werden würde. Doch das Monster bewegte keinen Muskel. Die Wirkung hielt nun schon drei Stunden an und Shana war sicher, dass sie bald aufhören müsste und sie die Gefangene befragen konnten. Doch zuerst probierte sie das Fleisch, zögernd kaute sie und es schmeckte irgendwie nach Huhn, fand sie. Im Laufe der Mahlzeit bemerkte sie eine Bewegung der Schlangenfrau und sie sagte es Grayden.
  »Dann können wir sie ja bald aushorchen. Wann hört die Paralyse endgültig auf?«
  »Wenn das Opfer die ersten Muskelbewegungen machen kann, nur noch eine halbe Stunde. Ob sie sich bewegen möchte ist eine andere Frage, die Muskeln sind verhärtet und jede Bewegung schmerzt höllisch«, erklärte sie.
  »Das ist gut, dann kann sie nicht abhauen«, warf Magnus ein.
Nach dem Essen säuberten,wetzten und ölten ihre Waffen. Als sich die Schlangenfrau mehr und mehr in ihren Fesseln wand, stellten sie sich vor sie und fingen an sie zu befragen.
  »Na, tut’s weh?«, höhnte Ramloc.
 Sie hatte versucht sich zu bewegen und stöhnte vor den daraus resultierenden Schmerzen. Wütend verzog sie ihren Mund.
  »Lasst mich frei, ihr erbärmlichen Menschen«, zischte sie.
  »Was weißt du über den Tempel in den Sümpfen?«, fragte Grayden.
Ihr Kopf zuckte in seine Richtung.
  »Warum sollte ich euch etwas verraten, Menschling?«
  »Ganz einfach. Vielleicht lassen wir dich frei, wenn du uns die Wahrheit sagst. Doch falls du lügen solltest…«
Eine gespaltene Zunge tauchte in ihrem verzerrten Mund auf und Speichel tropfte auf den Boden.
  »Ihr verlangt von mir, dass ich euch glaube, obwohl ihr meine Schwestern getötet und mich geblendet habt. Pah.« Sie spuckte aus. »Eher sterbe ich als euch etwas zu sagen.«
  »Das kannst du haben.«
Grayden zog betont langsam sein Schwert aus der Scheide.
Der Kopf der Schlangenfrau zuckte wieder als sie das Geräusch der herausziehenden Klinge wahrnahm und sie leckte sich unruhig die gesprungenen Lippen. Der Schildmeister trat vor und hielt ihr das Schwert an die Kehle. Die Schlangenfrau erstarrte und hielt den Atem an.
  »Wenn ihr mich tötet, Menschling erfahrt ihr gar nichts und ihr werdet im Sumpf verrotten«, presste sie zwischen den Lippen hervor.
  »Dann bist du also nicht bereit uns zu helfen.«
Es war eigentlich keine Frage, die er stellte, eher eine Feststellung.
Grayden trieb die Klinge ein Stück weit in ihr Fleisch. Ein Rinnsal Blut lief ihre Kehle hinab. Sie versuchte den Kopf zurückzuziehen, doch der Baum verhinderte es.
  »Nun, hast du uns etwas zu sagen?«
  »Fresst Dreck, Menschling.«
Ihre Stimme klang nicht so fest wie sie wollte und Grayden spürte ihre Angst. Er drehte die Klinge um die Wunde zu erweitern und mehr Blut sprudelte hervor. Ängstlich sog sie die Luft ein, dann gab sie nach.
  »Schon gut, Menschling. Hört auf, ich sage euch was ihr wissen wollt.«
Grayden zog das Schwert zurück, doch hielt es nur Zentimeter vor ihrer Kehle in der Luft. Shana kam Grayden zuvor.
  »Wer oder was bist du?«
Grayden schaute Shana fragend an. Unsicher zögerte das Monster. In den letzten dreihundert Jahren hatten ihre Opfer sie nie gefragt, wer sie waren, nur das Fleisch und ihr Blut zählten für die Schlangenfrau.
  »Wir sind die Schlangenfrauen von Morta’Rakh.«
  »Berichtigung: Ihr wart die Schlangenfrauen«, spottete Magnus.
Shana wischt seine Bemerkung mit der Hand beiseite. Die Schlangenfrau zischte ihn wütend an. Ihr Schwanz zitterte leicht. Shana stellte schnell eine Frage um sie abzulenken: »Wie heißt du?«
Die Schlangenfrau gab keine Antwort. Grayden drückte wieder die Klinge in ihre Kehle.
  »Antworte!«
Nach einem Moment öffnete sie den Mund, schloss ihn, dann sagte
sie: »Ich bin Ghrithia, die Schöne. Und meine Schwestern waren Verija, die Hinterlistige und Zhequia, die Sorgenreiche.«
Stolz hob sie ihren Kopf, dann zuckte sie wegen der Schmerzen.
  »Und was macht ihr in diesem Sumpf? Hierher verirrt sich doch kaum ein Mensch, den ihr, nun ja, was auch immer ihr auch mit euren Opfern gemacht habt.«
  »Fressen. Wir fressen euch Menschlinge. Fleisch gibt uns Kraft zum Leben.« Sie grinste dämonisch. »Wir wurden als Strafe hierher verbannt, damit wir immer Hunger leiden. An den Kristall des Buches gebunden, können wir diese Ruine nie verlassen. Ihr seid für Jahrzehnte die einzigen gewesen, die wir hätten fressen können.«, ergänzte sie tonlos.
  »Gibt es eine Möglichkeit den Bann zu brechen?«, wollte Shana in Erfahrung bringen.
Grayden gefiel die Richtung nicht, in die das Verhör lief und er zog Shana zur Seite.
  »Was soll das? Willst du mit ihr Tee trinken? Freundschaft schliessen? Sie haben uns angegriffen und hätten uns gefressen, womöglich bei lebendigem Leibe und du willst sie befreien?«
Shana flüsterte: »Wenn wir ihr entgegen kommen, ist es doch viel wahrscheinlicher, dass sie uns hilft als wenn wir ihr nicht helfen und dann enden wir irgendwo als Moorleiche.«
  »Wir haben ihre Schwestern getötet und du glaubst sie wird uns helfen?  Egal ob wir sie von dem Bann befreien. Falls das überhaupt möglich ist.« Seine Stimme wurde mit jedem Wort härter.
Irrte Shana sich oder war Grayden aggressiver geworden?
  »Lass es uns wenigstens versuchen. Manchmal ist es einfach einen Bann zu brechen. Vertraue mir. Wenn es keine Möglichkeit gibt, können wir es immer noch auf deine Weise versuchen. In Ordnung?«
Grayden wusste nicht was er entgegnen sollte, dann liess er die Schultern hängen und rieb seine Augen.
  »In Ordnung aber wenn ich den Eindruck kriege, dass sie uns reinlegen will, werde ich einschreiten.«
  »Das ist gerecht.«
Damit war es besiegelt und sie gingen zu den wartenden Freunden zurück. Er steckte das Schwert mit einem schwermütigen Seufzer zurück in die Scheide und verschränkte die Arme.
  »Du hast Glück«, sagte er mit Blick auf Shana. »Sag uns ob und wie der Bann dem du unterliegst, gebrochen werden kann.« 
Jetzt sahen ihn die anderen merkwürdig an. Auch die Schlangenfrau konnte nicht so recht glauben, was sie da hörte, dennoch glaubte sie in seiner Stimme die Wahrheit zu hören und sie entschloss, trotz ihres Hasses, den Menschlingen zu glauben.
  »Meine Schwestern und ich wurden von einer mächtigen Aetherin verwandelt. Wir fanden sie eines Tages an einen Felsen gebunden. Wir beobachteten sie aus einem Gebüsch heraus und die ganze Zeit weinte und jammerte sie herum. Dann gingen wir zu ihr und fingen an sie zu triezen und verspotten, wie wir es immer machten wenn jemand an den Pranger gestellt wurde. Mit rotgeäderten Augen schaute sie uns an und nie werde ich ihren Blick vergessen. Er war erfüllt von tiefer Traurigkeit und Hass auf mich und meine Schwestern. Sie hörte auf zu weinen, als wir sie mit Dreck und Getier bewarfen, dann wurde ihr Blick kalt wie Eis und sie fing an, einen Aetherspruch zu weben. In unserem gehässigen Tun bemerkten wir zu spät, dass sie eine Aetherin war. Und als ihre Stimme immer höher und lauter wurde, bemerkten wir wen wir da quälten. Doch es war zu spät, ihr Spruch war gewirkt und wir wurden von Bauchschmerzen zu Boden geworfen. Uns wurde schlecht und wir liefen weg.
Zuhause verkrochen wir uns in die Betten und sagten unseren Eltern, dass es uns nicht gut gehe.« Die Schlangenfrau machte eine Pause. Sie sah beschämt aus. Dann erzählte sie das Ende ihrer Geschichte: »Es wurde jeden Tag schlimmer, die Bauchschmerzen, eine Haut wurde bleich und mein einst blondes Haar wurde schwarz wie die Nacht. Ich und meine Schwestern wurden immer dünner und dann wuchsen uns Schuppen. Wir versteckten uns im Wald weil wir ohnehin aus der Stadt verjagt worden wären, die abergläubigen Menschen hätten uns in einem wilden Mob gejagt und verbrannt. Wir gingen zu der Zauberin zurück um sie zu zwingen den Spruch aufzuheben, doch sie war schon fast tot. Zuerst bettelten und flehten wir sie an und als sie nichts tat, bedrohten wir sie, sie loszuschneiden und in das Moor zu schmeissen. Da wirkte sie noch einen Spruch und das letzte an das ich mich damals erinnern konnte, war der Sog in den Kristall und den Geruch des Sumpfes. Seitdem sind wir hier. Drei Jahrhunderte leben wir in diesem Loch.«
Sie schwieg nach ihrer Erzählung und die Abenteurer starrten ihre Gefangene lange an, nicht wissend was sie sagen sollten. Magnus kratzte sich am Kopf. Ramloc kraulte schon die ganze Zeit an seinem Bart herum. Ratlos schauten Grayden und Dimitrion zu Shana herüber. Diese war jedoch noch mit den Gedanken bei der Geschichte der Schlangenfrau. Hatte sie es verdient, dass ihr geholfen wurde, bei dem was die Schwestern getan hatten? Shana entschied für sich: Wenn auch nicht für die Schlangenfrau sondern wegen den verirrten Menschen die hier in dem Sumpf starben und sterben werden wenn sie ihr weiterhin erlaubten unter dem Bann zu existieren. Leben wollte Sie das nicht nennen, was die Schlangenfrauen machten.
  »Und was machen wir jetzt?«, fragte Grayden.
Shana antwortete nicht sofort. Sie kniete sich zu Grithia herunter und fragte sie: »Du und deine Schwestern haben wahrlich eine Strafe verdient für das was ihr der schwangeren Frau angetan habt.«
Grithia starrte sie aus leeren Augenhöhlen an.
  »Wir wussten nicht, dass sie schwanger war«, gab sie ehrlich und überrascht zu.
  »Ich sage: Töten wir sie einfach. Den Tempel finden wir auch so, früher oder später«, rief Magnus zornig.
Ramloc stimmte ihm mit einem überschwänglichen Nicken zu.
Shana fuhr ungeachtet der Unterbrechung fort: »Doch finde ich, dass ihr genug gebüßt habt und wir euch zum Wohle euer Selbst und weiteren möglichen Verirrten, euch erlösen sollten.«
Grayden bemühte sich seine Unbehagen nicht zu zeigen. Shana hatte ein gutes Herz, selbst diesem Monstrum brachte sie Mitleid entgegen obwohl die Schlangenfrauen sie ohne zu zögern getötet hätten.
Die Schlangenfrau wusste nicht was sie erwidern sollte, immerhin war es immer noch möglich, dass ihre Gefährten ihr Mitgefühl nicht teilten und ihr kurzerhand den Kopf abhackten.
  »Kennt ihr die Bedingungen eures Bannes, Grithia?«, fragte Dimitrion, dessen Interesse geweckt war.
Hier konnte er wieder neue magische Erkenntnisse erlangen um das Wesen des Aethers besser zu verstehen. Grithias Kopf drehte sich zu ihm und er empfand ein gewisses Maß an Abscheu, Neugier war jedoch die stärkere Kraft und er überwand sich sie zu betrachten.
  »Nein, wenn ich es wissen würde, glaubt ihr nicht, dass ich es schon längst versucht hätte?«
  »Ein Bann kann nie von dem Gebannten gebrochen werden, ihr wärt vermutlich gescheitert.«
  »Woher soll ich das wissen? Als wir hierher verbannt wurden war ich noch ein Kind. Wie meine Schwestern und hier sind wir aufgewachsen.«
  »Verstehe. Nun ich werde euch und diese Ruine gründlich examinieren, Grithia. Keine Sorge, ich werde euch nicht weh tun.«
  »Wie überaus nett von euch.«
  »Höre ich da etwa Spott in eurer Stimme?«
  »Ihr habt mich geschlagen und gefesselt, wie sollte ich euch Widerstand leisten können?«
Er winkte seine Gefährten zu sich und sie zogen sich ans Lagerfeuer zurück.
  »Ich kann nicht glauben, dass ihr diesem Monstrum helfen wollt.«
Magnus Stimme war hart wie Eisen, als er seine Abneigung zum Ausdruck brachte. Ramloc ging es ebenso. Shana erzählte ihnen, was sie Grayden gesagt hatte. Mürrisch sahen die beiden sie an und mit verkniffenem Gesicht stimmten sie ihr letztendlich zu. Wenn auch widerwillig.
  »Und wie willst du ihr helfen, Dimitrion?«
  »Ein Bannspruch braucht so etwas wie einen Anker in der materiellen Welt um zu wirken und den Gefangenen zu halten. Deshalb werde ich sie«, er zeigte auf Grithia, »und die Ruine einer aetherischen Examinierung unterziehen, der Anker wird sicherlich irgendwo hier zu finden sein.«
  »Bist du dir sicher?«
Die Antwort war wieder nur ein missbilligender Ausdruck an den Zweifeln des Nordmanns.
  »Wo sollen wir anfangen?«, fragte Grayden. »Wie sieht so ein Anker denn überhaupt aus?“
Dimitrion überlegte, er wollte seine Gefährten nicht entmutigen.
  »Es könnte alles Mögliche sein. Zum Beispiel, dieser Stein hier oder einer der Äste des Baumes. Wie ich schon sagte, muss ich alles untersuchen um das herausfinden zu können.«
  »Das kann `ne Weile dauern.«
Ramloc warf übel gelaunt einen Holzspan ins Feuer.
  »Sicher nicht länger als einen halben Tag«, sagte der Halbelf zuversichtlich.
Der Abend war inzwischen über sie gekommen und das grünliche Leuchten des Sumpfes ging in das Dunkel der Nacht über. Schwer und feucht hing die Luft in der Ruine. Keine Sterne waren zu sehen, der Himmel war mit dicken Wolken behangen. Selbst die Monde dahinter waren kaum zu erkennen und so war die Dunkelheit fast mit den Händen greifbar. Sie rückten alle näher ans Feuer.
  »Hoffentlich hattest du mit deiner Vermutung Recht, sonst haben wir
nur Zeit mit ihr verschwendet anstatt weiter den Tempel zu suchen.«
  »Selbst wenn nicht, kann sie keine weiteren Menschen mehr töten, dass ist doch was. Findest du nicht?«
Ihre Gutmütigkeit konnte ihn manchmal zur Verzweiflung treiben.
  »Das ist wenigstens ein triftiger Grund.« Grayden gab es auf, er liebte Shana viel zu sehr um ihr auf lange Sicht nicht zuzustimmen.
Er nahm sie in die Arme und küsste sie.
Als Magnus Wache hatte, ging er zu der Schlangenfrau rüber. Er sah auf dieses widerwärtige Wesen herab und sein Mund füllte sich mit bitterem Geschmack. Nach mehreren, langen Atemzügen die er brauchte um sich zu beruhigen, stiess er Grithia mit dem Fuß an.
  »Wach auf, Monster«, sagte er leise aber bedrohlich.
Sie hob den Kopf. Sie war schwach, sie hätte schon längst wieder in dem Kristall zurück gemusst um sich zu erholen.
  »Was wollt ihr?«
  »Pschsch.« Magnus hielt den Finger an die Lippen. »Nicht so laut, Monster. Wenn mir deine Antworten gefallen, lasse ich dich leben, wenn nicht…«
Seine rechte Hand fuhr über den Griff einer Wurfaxt.
  »Was wollt ihr?«
  »Weißt du wirklich wo der Tempel ist?“«
Grithia hatte mal einiger ihrer Opfer sagen hören, dass der Tempel in südwestlicher Richtung läge aber da sie nie dort gewesen ist, wusste sie nicht ob das auch stimmte. Doch dieser Mensch würde nicht zögern sie zu töten wenn sie ihm das sagte.
  »Er liegt in südwestlicher Richtung.«
  »Und wann kann man ihn erreichen?«
  »Vielleicht zwei oder drei Tage von hier entfernt. Das kann ich euch aber nicht mit Gewissheit sagen.«
  »Warum nicht?«
  »Weil ich an den Kristall gebunden bin und ich nicht von hier fort kann.«
  »Und wie wollt ihr dann wissen, wo er sich dann befindet?«, bohrte Magnus weiter.
Grithia überlegte kurz.
  »Ich spüre seine aetherische Kraft.“ log sie in der Hoffnung Magnus täuschen zu können. Und sie konnte gut lügen.
  »Soso.“ sagte er und entspannte sich ein wenig. „Wenn du gelogen hast, Schlange, schwör ich dir bei meinem Blute, dass ich dir die schlimmsten Qualen zufügen werde, die du je gehabt hast. Wenn du mich und meine Freunde in Irre führst, wirst du erleben, das es schlimmere Dinge als den Tod gibt.«
Er drehte sich einfach um und ging.
Hass erfüllte die Gedanken Grithias: Wenn ich frei bin, dann zeige ich dir die schlimmsten Qualen, kleiner Mensch.
Sie beobachtete den Nordmann und stellte sich vor wie er schreien würde und genoss die imaginären Folterbilder die sich in ihrem Kopf abzeichneten. Doch erst musste sie frei sein und dann konnte sie ihm ihre Demütigung heimzahlen. Zufrieden lehnte sie den Kopf an den Baum und wartete auf das Erwachen der Menschengruppe. Sie hatte zu dieser einen Frau Vertrauen gehabt und hätte ihnen gesagt was sie wusste, doch nun…
Shana löste Magnus ab und sie schaute nach nur wenigen Minuten zur Schlangenfrau herüber und nahm einen Spieß kalten Fleisches, den sie ihr anbot.
  »Du bist bestimmt hungrig.«
Versuchten die Menschen sie mit einem Wechselspiel von Bedrohung und Entgegenkommen, in die Irre zu führen?
  »Ein wenig, ich kann mich nur in dem Kristall erholen.«
Sie gab eine Schwachstelle preis und ging ein Risiko ein, doch die Frau hatte sie davor bewahrt getötet zu werden. Grithia war unsicher was sie tun oder was sie glauben sollte.
  »Wir haben nur dieses kalte Fleisch und Zwieback. Vielleicht möchtest du aber auch Pökelfleisch?«
Shana hielt ihr den Spieß hin. Zögernd biss Grithia ab und als sich ihr Magen bemerkbar machte, verschlang sie den ganzen Spieß.
  »Ein wenig war wohl untertrieben, Möchtest du noch mehr?«
Sie lächelte aufmunternd.
Grithias Magen fühlte sich an wie eine leere Grube und sie nickte.
Shana holte einen zweiten Spieß und drei Scheiben des Pökelfleischs.
Mörme hatte die gestrige Gefangennahme nicht mitbekommen, da sie in diesem Paradies die fettesten Fliegen und Mücken fangen konnte die sie sich je erträumt hatte. Als sie nun Shanas Aktivitäten mitbekam, wurde sie neugierig und hüpfte ihr mit großen Hopsern hinterher. Grithia aß alles auf und hätte sicherlich noch mehr verspeisen können, doch Shana wollte nicht allzu viel von ihren Vorräten abgeben. Die Schlangenfrau entspannte sichtlich und ihre Miene verriet, dass es ihr besser ging.
  »Wie geht es dir jetzt?«
  »Besser, viel besser, Menschling.«
  »Shana, nicht Menschling.«
  »Shana«, zischte Grithia.
  »Was hat es mit dem Kristall auf sich, du sagtest du könntest dich nur in ihm erholen?«
  »Ja, der Kristall ist Gefängnis und Zuhause zugleich.«
  »Dann könnte das Geheimnis des Banns doch in dem Kristall zu finden sein«, vermutete Shana und rieb sich ihr Kinn.
  »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Warum wollt ihr das tun, Shana?« fragte sie zurückhaltend und neugierig zugleich.
Shana tat einfach, was ihr richtig erschien. Sie fragte dabei nicht ob es einen Gewinn brachte oder einer landläufigen Meinung entsprach, nicht auf die Regeln und Gesetze der Gesellschaft zu achten. Shana hörte auf das, was ihr Herz sagte obwohl sie wusste, dass sie das schon oft genug in Schwierigkeiten gebracht hatte. Aber so war sie nun einmal und sie war glücklich so zu sein.
  »Nun«, sagte sie schließlich, »so haben wir doch alle etwas gewon­nen, oder nicht? Wir helfen dir und du hilfst uns, so einfach ist das.«
Shana war sehr zuversichtlich.
  »Nur wenige Menschen, denken so wie ihr, Shana. Ihr könntet mich doch aber ganz einfach töten, wenn ich euch gesagt habe, wo der Tempel liegt.«
  »Das heißt dann wohl, dass du wir uns vertrauen müssen. Stimmt’s?«
Shana lächelte immer noch. Auch wenn Grithia es nicht sah.
Die Schlangenfrau wiegte ihren Kopf hin und her. Dann hielt sie inne
und sagte: »Ihr habt wohl recht.«
  »Schön. Wenn alle wach sind, fangen wir an.«
Grithia war verblüfft. Erst die Bedrohung des Mannes und nun die Aussicht auf Rettung. Vielleicht war es möglich, dass diese Frau nichts von dem Mann wusste, dass er ihr gedroht hatte? Sie beschloss es zu glauben, da sie den Sumpf und die Ruine schon lange kannte. Mörme schaute die Schlangenfrau die ganze Zeit an und gab keinen Laut von sich. Auch nicht, nach dem sie alle wach waren, gefrühstückt hatten und zu der Schlangenfrau herüber gingen. Magnus blieb einige Schritte hinter ihnen und sah Grithia aus dunklen Augen an. Da sie kein Augenlicht mehr besaß, schien es als würde sie den Nordmann ignorieren.
  »Dann wollen wir mal«, eröffnete Dimitrion.
Er führte die Hände zusammen, sodass sich die Fingerspitzen berührten und hielt sie in Bauchhöhe. Für diesen Spruch musste er sich gut konzentrieren. Den Spruch den er weben wollte, gab ihm eine ähnliche Sicht wie die, die er benutzt hatte um den Sumpfkaiman zu finden. Nur jetzt zeigte er die aetherische Struktur der Dinge, ob beweglich oder unbeweglich. Alles Ding’ lebt, sei es Fleisch oder Fels, hatte er in einem Buch gelesen. Dimitrion wurde nicht der Luxus zuteil, an der neu gegründeten Akademie des Aethers zu lernen, das wollte er auch nicht. Er lernte aus der Erfahrung und dem Handeln, nicht aus dem stupiden Auswendiglernen trockener Bücherpassagen der unerfahrenen Menschen oder dem fast ausgestorbenem Wissen seiner Rasse. Dimitrion besaß als Halbelf einen natürlichen Zugang zum Aether und seinen Wellen, es fiel ihm leicht in diese Welt hineinzutauchen und sie zu erkennen und zu formen.
Und dies nutzte er jetzt als sich seine Sicht verdunkelte. Es war, als senkte sich die finsterste Nacht über seine Augen. Doch nur kurz, dann entstand ein goldweißes Licht in einem Stern und unbeschreibliche Farben strahlten auf ihn ein. Er musste sich sehr konzentrieren, dies war der gefährlichste Augenblick. Wenn er die Wellen völlig über sich stürzen liess, würde sein Gehirn förmlich vor Licht zerbersten. Schweißtropfen rollten von seiner Stirn herunter als er leise sprechend vor der gefesselten Grithia stand. Grayden stellte sich hinter Dimitrion um ihn aufzufangen, was er schon erlebt hatte. Doch der Halbelf hielt dem Ansturm der Wellen stand und die Flut die auf seinen Geist eindrang wurde schwächer. Das Licht ebbte ab und hinterliess eine Fülle verschiedener Farben. Alles um ihn herum leuchtete aus der innersten Ebene der Aetherwellen. Es war unbeschreiblich schön und er drehte den Kopf um seine Umgebung zu betrachten. Die anderen sahen seine seltsamen goldweißen Augen, die mit Farbsträhnen durchzogen waren.
Er lächelte und sah die ungetrübte Wahrheit überall. Dieser knorrige Baum dort war alt, sehr alt und er leuchtete in einem fahlen Grün und in seinem Inneren pulsierte noch ein Rest güldener Lebenskraft, die hinauf in seine Äste lief. Die Steine der Mauer bildeten eine rotgoldene Zickzackstruktur überdeckt mit den goldenen Fäden der Flechten und Moose. Das Wasser in den Pfützen hatte eine hellblaue Färbung und wogte sich in einem stillen Rhythmus, den nur er sehen konnte. Seine Freunde besaßen jeder eine ihm eigene Farbe, Rhythmus und Wellenstruktur. Grayden war in einen Kokon von Gelb und Orange bis zu einem feinen, hellen Braun gehüllt, der über seiner materiellen Gestalt lag, mit einem wabernden sandgelben Mittelpunkt.
Shanas Kokon hatte die Farbe von Wasser, wogend zwischen blau, Blättergrün und dann wieder farblosem Weiß. Jetzt merkte er, dass er nicht mehr lange diesen Spruch aufrechterhalten könne. Hinter seiner Stirn begannen die Farben ihn mit Stichen zu schmerzen und er versuchte Grithia anzuschauen. Von ihrem eitergelben und braunschwarzen, missgestaltetem Kokon verlief eine dünne und in sich verdrehte Nichtleuchtende Spur. Dimitrion wand den Kopf um dem Faden zu folgen der vor
einem Mauerstein nahe dem Lagerfeuer endete. Er wagte es, sich einige Schritte darauf hinzubewegen und erkannte eine wage viereckige Form in denselben Nichtleuchten wie die Schlangenfrau. Grayden bewegte sich mit ihm. Immer darauf bedacht ihn aufzufangen und sah wie sein Freund auf das Buch deutete, dass Shana im Turm gefunden hatte. Er verstand und sagte: »Du hast es gefunden, es ist das Buch aus dem Turm.«
Doch der nahm nur einen seltsamen Ton wahr, mit dem ihn der Kokon von Grayden erfüllte. Die Kopfschmerzen wurden stärker und die Sicht verschwamm undeutlich, er würde gleich den Spruch aufheben müssen, das war ihm klar, doch er wollte noch Ramloc und Magnus in diesem Licht sehen und versuchte sich umzudrehen. Er sah noch einen Flecken Weiß in Grithias Kokon, dann wurden die Schmerzen übermächtig und er beendete die Magie. Die Farben verschwanden und das Dunkel kehrte
nach einem letzten aufblitzendem Farbklecks, zurück. Dann sah er wieder normal während eine unsägliche Schwäche sich in ihm ausbreitete und fiel ohnmächtig rückwärts. Grayden war rechtzeitig da und liess ihn, mit Hilfe von Magnus, langsam zu Boden gleiten.

Der Halbelf erwachte mit einem leeren Kopf und er fand die materielle Sicht als fade und nichtssagend. Er richtete sich auf.
  »Na? Endlich wach?«, fragte ihn jemand von der Seite.
Er konnte die Stimme nicht einordnen und erinnerte sich, dass sie dem Schildmeister Grayden gehörte und lächelte schwach.
  »Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Du lagst über einen Tag ohne ein einziges Anzeichen von Leben da. Nur dein ganz schwacher Atem hat verraten, dass du nicht tot warst. Wir hatten alle Angst um dich.«
Das war eine Frauenstimme von der anderen Seite. Nur langsam kehrte seine Erinnerung an diese Welt zurück und er legte sich wieder hin.
  »Ruh` dich noch aus. Hier trink das.«
Ein Becher wurde an seine Lippen gehalten und er nahm einen würzig-süßen Geruch wahr. Der erste Schluck brannte in seiner trockenen Kehle, doch dann machte sich sein Durst bemerkbar und hastig schluckte er das Getränk herunter.
  »Langsam, Dimitrion, Langsam.«
Mit einem Seufzer glitt er in einen wirren Schlaf über, mit Träumen aus Farbe, Licht und Bildern. Als er wieder aufwachte, dämmerte es bereits und hungrig aber erholt, erhob er sich. Er roch Fleisch über dem Feuer braten und griff sich einen Spieß.
  »Da scheint jemand endlich von´n Tot’n auferstand’n zu sein«, spottete Ramloc kameradschaftlich.
Dimitrion hob die Hand um zu zeigen, dass er verstanden habe.
  »Alles wieder in Ordnung?«, fragte Shana.
  »Denke schon. Wie lange war ich weg?«
  »Einen ganzen Tag.«
Dimitrion rieb sich über die Stirn. Er erinnerte sich, auf etwas gezeigt zu haben.
  »Habt ihr den Anker gefunden?«
  »Ja, es ist das Buch und nicht der Kristall, wie ich dachte. Wir müssen uns beeilen. Grithia verfällt zusehends, weil wir sie nicht in den Kristall
zurückschicken können ohne vorher in Erfahrung zu bringen wo der Tempel liegt. Hast du ihn vielleicht gesehen?«, fragte sie hoffnungsvoll.
  »Ja.«
Ihm dämmerte, im letzten Augenblick bevor er ohnmächtig wurde, einen breiten, giftgrünen und purpurnen Streifen am Horizont gesehen zu haben.
  »Im Südwesten habe ich etwas erkennen können, das könnte er gewesen sein«, sagte er mit geschlossenen Augen um seine Erinnerung aufzufrischen.
  »Dann brauchen wir das Monster ja nicht mehr, oder?«, rief Magnus
mordlustig, sodass Grithia ihn auch hören konnte.
Shana wurde wütend und drehte sich ruckartig zu dem Nordmann.
  »Was ist denn mit dir los, verdammt noch mal?«
  »Ständig geiferst du nach ihrem Tod wie ein aufgehetzter Pöbel.«
In ihr stieg trotz der Fortschritte, eine heiße Wut auf Magnus hoch. Er schaute sie an. Ihr Wutausbruch kam völlig überraschend und ihm blieben die Worte im Halse stecken.
  »Zuerst Zemmgin, der uns wirklich nichts getan hat und jetzt die Schlangenfrau. Ich gebe zu, sie hat uns töten und fressen wollen. Aber sie will uns helfen wenn wir ihr helfen. Damit wir den Tempel und somit die Kinder finden. Geht das in deinen Dickschädel rein oder nicht, Magnus?«
Sie war zornesrot angelaufen und stemmte die Hände in die Hüfte.  
  »Wenn du irgendjemanden oder etwas töten willst, dann geh’ in den Sumpf und jag’ ein paar Krokodile.«
Magnus stotterte herum, auf der Suche nach einer Antwort oder einer angemessenen Erwiderung. Nach dem er mehrmals den Mund geöffnet und wieder geschlossen hatte, liess er einfach die Schultern hängen. In der Ruine war es schlagartig still geworden. Shanas Herz pochte laut in ihrer Brust und sie atmete schnell. Sekunden vergingen. Magnus stand auf und ging an Shana vorbei. Auf gleicher Höhe warf er ihr einen kurzen Blick zu, doch sie starrte nur geradeaus. Ramloc folgte ihm. Minutenlang sagte niemand etwas, dann ergriff Grayden das Wort: »Shana, Liebste, beruhige dich.«
Seine Stimme war sanft und schmeichelnd.
Er musste sich wiederholen, bevor sie reagierte. Langsam ebbte ihr Zorn ab, ihre Hände zitterten als Grayden sie umarmte.
  »Es ist die Ruine«, rief Grithia. »Sie verändert euch, macht euch angreifbar für eure Schwächen.«
Shana beruhigte sich, ihr Atem ging langsamer und ihr Herz schlug ruhiger. Sie hob den Kopf von Graydens Schulter an die sie sich gelehnt hatte und atmete tief durch. Auch er hatte schon angefangen zu spüren, dass sie die Wahrheit sagte, denn er hatte die Schlangenfrau bei dem Verhör mehr bedroht als er es eigentlich vorgehabt hatte.
  »Magnus ist kein Mörder, nur kampfsüchtig«, sagte Grayden über die Schulter hinweg.
  »Warum spricht er dann ständig davon mich zu töten?«
  »Er ist kein Mörder«, beharrte Grayden. »Er ist jung und unerfahren.«
  »Dann könnt ihr ihm…«
  »Es reicht. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Dimitrion kannst du mit dem Buch etwas anfangen?«
Graydens Ungeduld wuchs, sie mussten sich beeilen.
  »Denke schon. Allerdings werde ich Zeit für einen Spruch brauchen, mit dem ich die Schrift entziffern kann.«
  »Dann mache dich sofort daran.«
Dimitrion nickte und begann in dem Buch zu blättern. Irgendwo darin befand sich der Schlüssel um endlich weiter zu kommen. Grihthia lehnte
sich schwach an den Baum als Grayden zu ihr ging.
  »Wie lange hältst du noch durch?«
  »Ein paar Stunden, dann bin zu erschöpft um aus eigener Kraft in den Kristall zurück zu kehren.«
Sie fühlte sich ausgehöhlt und hatte Schmerzen. Das Atmen fiel ihr immer schwerer.
  »Gut. Du hast uns geholfen, also werden wir dir helfen.«
  »Die Schrift ist Alt-Biran«, rief sie kraftlos zu Dimitrion rüber. »Ihr müsst es von hinten nach vorne lesen.«
Dimitrion kam mit dem aufgeschlagenen Buch herüber. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. Als er das Buch mit der magischen Sicht betrachtet hatte, war es von einem schwarzen Nebel umgeben gewesen. Aber das half ihm nicht weiter. Er stand auf und wandelte im Hof herum. Wenn er spazierte, konnte er besser denken. Immer wieder streifte sein Blick das Buch. Dann mit einem Mal fiel es ihm ein.
Das Buch.
Er musste das Buch zerstören, es war das kostbarste was die Schlangenfrauen besaßen, es hielt sie am Leben. Die Lösung war so einfach.
 
 

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Matthias Lübbers).
Der Beitrag wurde von Matthias Lübbers auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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