Werner Kistler
Die Stalkerin
Am Nachmittag zeigte das Thermometer immer noch über fünfunddreißig Grad im Schatten an. Soeben verließ ich die Straßenbahn und ein heißer, schwüler Wind schlug mir in das Gesicht. Noch zehn Minuten Fußweg und dann freute ich mich auf eine kühle Dusche.
Das kleine Auto, es fiel mir sofort auf, weil es so verbotswidrig gegen die Fahrtrichtung, an dieser gefährlichen Kreuzung stand. Kein Einheimischer parkte dort so sein Fahrzeug.
Mit zügigen Schritten näherte ich mich dem Auto und plötzlich öffnete sich die Fahrertür und eine blonde, schlanke, junge Dame entstieg dem kleinen Gefährt. Typisch Frau dachte ich noch so und stellte fest, dass die Fahrerin auf meine Bürgersteigseite zusteuerte. Um den Hals trug sie an einem langen Bande, einen ziemlich teuren Fotoapparat. Bestimmt suchte sie eine bestimmte Lokalität? An dieser Stelle werde ich bestimmt einmal pro Woche, nach dieser Adresse gefragt, obwohl die Touristen praktisch davor standen.
Sie fragte mich aber nicht, sondern lächelte mich aufreizend an. Selbstverständlich lächelte ich zurück. Aber bestimmt meinte sie eine Person, die vielleicht hinter mir her schritt?
An dieser Kreuzung musste ich immmer nach rechts abbiegen. Sie folgte mir und lief in einer horizontalen Linie neben mir, mitten über die Dorfstraße. Gleich würde der Bus kommen, dachte ich noch, aber heute kam das Gefährt wohl später.
Fünfzig Meter vor unserer Haustür, bog sie in eine Garagenstraße ein und ich schenkte ihr keinen Blick mehr. Warum auch? Sie konnte meine Tochter sein und ich erwartete meine Familie zuhause. Seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet und stolzer Vater einer sechzehnjährigen Tochter, näherte ich mich nun heimatlichen Gefilden. Die kleine Treppe, musste ich in umgekehrter Richtung wieder hochschreiten. Dabei erschrak ich. Die Verfolgerin lichtete mich von der Garagenstraße ab. War sie eine Agentin, oder schickte sie ein Detektivbüro? Aber ich hatte nichts angestellt und vergaß die ganze Situation. Bis zum nächsten Mittwochnachmittag. Ihr Auto stand gegen die Fahrtrichtung. Es schüttete aus Eimern uind eine Person in einem Kleinwagen, trat rhytmisch auf die Fußbremse. Wahrscheinlich stand mein Schatten wieder an der Stelle und wartete auf mich. So erlebte ich jeden Mitwochnachmittag ihren Auftritt und wunderte mich warum diese Person mich immer am Mittwochnachmittag belästigte? Eines Tage fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Richtig! Vor Monaten besuchte ich meine Augenärztin und im Vorzimmer befand sich eine weibliche Sprechstundenhilfe. Außer mir wartete niemand im Wartezimmer und die Hilfe begann plötzlich mit mir zu plaudern an. Ich erfuhr, dass die Frau heute ihren ersten Tag in der Praxis verbrachte und eine gewisse Panik empfand. Mittleidig tröstete ich die Dame und zollte ihr für die Zukunft Mut. Natürlich ohne einen Hintergedanken. Die Dame empfand allerdings wohl anders dabei.
Heute, wieder ein Mittwoch, stolzierte die Person vor mir her und ich empfand, sie hatte heute wirklich nicht sehr viel an. Besonders um die Hüfte, tat ein wenig Stoff mehr, bestimmt einen größeren Gefallen. In der Angst, dieDame könnte eine Tat vortäuschen, wechselte ich lieber die Straßenseite. Wenn sie sich die Kleider zerriß und mich kratzte, kam ich in Erklärungsnot. Deshalb suchte ich lieber einen größeren Abstand zu ihr.
Danach sah ich sie etliche Wochen nicht und vergaß das Mädchen mit dem Vaterkomplex völlig.
In Gedanken zog ich wieder an den bekannten Häusern vorbei als ich plötzlich ein lautes Motorengeräusch vernahm. Bestimmt fuhren Jugendliche wieder mit ihrem Auto durch die Straßen und fühlten sich wie Schumacher auf der Piste. Das Geräusch vernahm ich direkt hinter mir und wenn ich nicht instinktiv umgesehen hätte, läge ich jetzt unter dieser Mühle, die halb über den Bürgwersteig raste. Nur ein beherzter Sprung in eine Berberritzenhecke, rettete mir das Leben. Jetzt lag ich völlig krotesk in der Hecke und der Wagen donnerte ganz knapp an mir vorbei. Dabei erblickte ich trotz zahlreicher Stacheln ihr Gesicht. Mein Schatten wollte mich wirklich umnieten und ich kannte nicht einmal ihren Namen. Sollte ich die
Ärztin um Hilfe bitten? Aber ich hielt es für besser, die Sache flach zuhalten und ich nehme jetzt einen anderen Weg. Aber manchmal frage ich mich, was macht die Dame im Winter bei Eis und Schnee. Kühlt sie dann ab?
Werner Kistler
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2008.
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