Andreas Rüdig

Der Islamwissenschaftler

 Islamwissenschaftler beschäftigen sich mit der islamischen Kultur. Dazu gehört natürlich die Religion des Islam selbst. Die Literatur, Wissenschaft, Kunst, Geschichte und Lebensformen der islamischen Welt kommen hinzu. Der Islam breitete sich bekanntlich im 7. Jahrhundert von Arabiens bis nach Afrika und Asien aus; zeitweise gehörte auch der größte Teil Spaniens dazu. Heute reicht die islamische Welt von Marokko bis Indonesien. Der Koran, aber auch andere Schriften der klassischen Kultur - als Kulturwissenschaftler analysieren Islamwissenschaftler das Schriftgut. Die Geographie, das islamische Recht, die islamische Theologie, die islamische Mystik (Sufismus), die arabische Sprachwissenschaft und die klassische arabische Literatur kommen als Studienobjekte hinzu. Aber auch die arabische Gegenwart wird erforscht. Neben dem Arabischen beherrschen die Islamwissenschafter auch eine zweite Islamsprache, beispielsweise Türkisch oder Persisch.

"Papa, ich bin verliebt."
Das ist ja mal eine Neuigkeit. Der Sohnemann ist verliebt. Selbst mitten in der Pubertät, hat er jetzt das andere Geschlecht für sich erkannt.
"So? In wen denn?" Meine Neugierde läßt mich diese Frage stellen.
"In Hatice." Die Antwort kommt sofort. Hatice ist das Mädchen von nebenan. Ihre Familie kommt aus der Türkei. Mit den Verhältnissen in der Türkei kenne ich mich nun nicht mehr aus, kann also nichts dazu sagen. Da ich aber Islamwissenschaft studierte, fragt mich mein Sohn jetzt um Hilfe, wenn er Liebeskummer hat. Er fragt mich eigentlich immer, wenn er Liebeskummer hat. Und das ist oft so; schließlich hat er den Hang zu unerfüllten und unerfüllbaren Liebschaften. Wie eben die Liebe zu Damen aus fremden Kulturkreisen.
"Dem Islam sind asketische Züge fremd. Die Ehe gehört selbstverständlich zum Leben jedes Menschen und die Sexualität dient sowohl der Fortpflanzung als auch der sexuellen Erfüllung beider Partner; sie kann sogar ein `Vorgeschmack aufs Paradies' sein," berichtet beispielsweise der Schülerduden Sexualität.
"Laß es sein," kann ich meinem Sohn nur raten. "Hatice ist zu alt für dich. Sie ist ja schon 16 Jahre alt. Sie mag keine kleinen 12jährigen Jungen." - "Woher weißt du das?" - "Ich habe Hatices Papa gefragt." - "Papa," ruft in diesem Augenblick mein Sohn empört. "Wie konntest du nur!" - "Du weißt doch, daß ich mit ihm gut befreundet bin. Da ist es leicht für mich, ihn - von Mann zu Mann - zu fragen." Wirklich gut, daß ich so viel über fremde Kulturen weiß und taktvoll meinem Sohn bei seinen Liebesabenteuern helfen kann.

Ich weiß ja, wie er sich fühlt. Schließlich war ich ja in seinem Alter genauso wie er. In der Pubertät habe ich mich auch immer in die falschen Mädchen verliebt. Eine war doppelt so alt wie ich. Eine war Urlauberin aus Tasmanien. Eine dritte war Punkerin mit weißer Maus auf der Schulter und riesiger Sicherheitsnadel in der Nase - mein stockkonservativer Vater bekam bei ihrem Anblick einen Schwächeanfall.

Dann kamen die `60er Jahre. Die Blumenkinder bestimmten das Lebensgefühl der jungen Menschen. Und mich packte das Fernweh. Ich wollte die Welt kennenlernen. Meine geringen Erfahrungen mit Rauschmitteln verleiteten mich zu der Annahme, daß Indien mein Reiseziel sein. Also tanke ich meinen alten, gebrauchten VW - Käfer voll, setzte mich hinein und startete. Die Probleme begannen in den Alpen. Der Motor hatte Mühe, die Pässe heraufzukommen. Herunter ging es schneller. Wenn ich Glück hatte, funktionierten die Bremsen.

Italien konnte ich problemlos durchqueren und von dort aus nach Griechenland übersetzen. Die Türkei und Istanbul waren nicht mehr weit. Mein VW mußte sich diese alte Metropole zwischen Orient und Okzident wohl als Ziel ausgesucht haben. Auf jeden Fall versagte der Motor und regte sich nicht mehr. Der Wagen mußte in die Werkstatt. "Der Wagen ist in 3 Wochen fertig," behauptete der Mechaniker vollmundig und optimistisch. Aus den 3 Wochen wurden 3 Jahre. Bis nach Indien bin ich natürlich nicht gekommen; ich mußte ja auf mein Auto waren. Andere Leute haben einen Koffer in Berlin, in ein Auto in Istanbul.

Wovon ich gelebt habe? Anfangs von meinen Ersparnissen. Als die aufgebraucht waren, wurde ich zum Lebenskünstler. Ich war Kellner in Teestuben, Masseur in Türkischen Bädern, Fährmann auf dem Bosporus, Fremdenführer, Taxifahrer und Wasserpfeifenverkäufer auf dem Basar. So lernte ich das geheimnisvolle Leben des Morgenlandes kennen.

Auch wenn ich immer ein überzeugter Christ geblieben bin: Mir gefielen die Istanbuler Moscheen. Unter architektonischen und historischen Gesichtspunkten sind sie sehr interessant. Im Laufe der Zeit begann ich, mich für die lokale Kultur zu interessieren. Ich begann, die türkische Sprache zu lernen. Von meinen Trinkgeldern kaufte ich die ersten Bücher und schickte sie in die Heimat. Als der VW endlich fertig war, erreichte die Hippiebewegung in Deutschland gerade ihren Höhepunkt. Ich wollte das live miterleben. Also fuhr ich nach Hause. Das Interesse an dieser Religion namens Islam blieb.

Ich besuchte verschiedene Moscheen in meiner Heimatstadt. Ich besorgte mir theologische Fachliteratur, sowohl christliche wie auch islamische. Historische und landeskundliche Bücher kamen genauso wie Reisen nach Arabien. Bei meinem Marsch durch die Institutionen schrieb ich mich an der Niederrheinischen Universität ein. Der Titel meiner Doktorarbeit: "Die Geschichte des Sufismus auf Grönland". Das Thema der Habilitation: "Die Entwicklung des Moscheebaus auf den Faröer - Inseln unter besonderer Berücksichtigung der Handwerkskunst". Inzwischen arbeite ich am Lehrstuhl für Islamwissenschaft an der Niederrheinischen Universität zu Duisburg.

Jetzt wissen Sie auch, warum mich mein Sohn gerade um Rat gefragt hat.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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