Nadja Rossow

Chrystelle, Engel der Nacht

 

Chrystelle, Engel der Nacht

 

Das Jahr 1830, es war tiefste Nacht, eine schwarze, schemenhafte Gestalt glitt hektisch von Haus zu Haus, mied jeden Lichtkegel, der von den Laternen zu Boden fiel.

Schnee tauchte die Landschaft in eisige, weiße Reinheit, einzig die verwischten Spuren von

einem Dutzend Hufen unterbrachen das Bild.

Scharren, Schnauben und Wiehern hallte durch die Straßen, die Truppen des Inquisitors waren ihr also wirklich bis nach Rumänien gefolgt. Diese Hetzjagd war über die halbe Welt gegangen, sie hatte in dieser Zeit kaum mehr als zwei Tage am Stück gehabt um sich zu erholen, bevor die Heere der katholischen Kirche sie wieder entdeckten und die Hatz weiter ging. Sie atmete erleichtert auf, als sich die Geräusche von erschöpften Pferden entfernten, als ihre Ohren endlich einzig die Ruhe wahrnahmen, ließ sie sich an einer Tavernenwand hinabgleiten. Sie war unglaublich müde, sodass sie fast auf der Stelle in die süße Traumwelt gezogen wurde. Eine verhängnisvolle Leichtsinnigkeit bei solchen Temperaturen.

„Junge Dame, so wacht doch auf!“ Ein junger Mann, in einen schweren, bodenlangen Wollmantel gehüllt, drückte immer wieder leicht mit seinem Fuß gegen das zusammengekauerte Bündel. Sein Hund, der im Morgengrauen einem Wolf ähnelte, schnupperte interessiert an dem Mädchen. „Lyfer, komm her und hilf mir!“ Ein blasser Mann mit langen, seidig schwarzen Haaren, die einen starken Kontrast zu seinen grünen Augen bildeten, trat ungeduldig heran. „Xeron, lass sie liegen, es wird hell. Wir müssen zurück.“ Doch Xeron blickte nur trotzig und hob das Mädchen auf seine Arme, Lyfer zischte missbilligend und murmelte etwas Unverständliches in seiner Muttersprache.

Sie stapften langsam durch den knietiefen Schnee, diese Ecke von Rumänien lebte praktisch noch in einem früheren Jahrhundert, jeder Fremde wurde mit Misstrauen und Hass begrüßt und mit strengen, raubtierartigen Augen beobachtet. Hätten sie das Mädchen nicht gefunden, hätten die Dorfbewohner sich ihrer angenommen, was sicher nicht positiv für sie ausgegangen wäre. Endlich waren sie an der Ruine einer Windmühle angekommen, Xeron merkte, wie Lyfer abfällig schnaubte, ihm sagte diese Unterkunft gar nicht zu. Lyfer stammte aus aristokratischen Kreisen, für ihn war die Ruine nicht mehr als ein Rattenloch.

Die Türe öffnete sich knarrend, auf dem Boden lag die Leiche einer Frau mittleren Alters, zwei rote Punkte an ihrem Hals unterbrachen die sonst makellose weiße Haut. Lyfer blickte auf die Frau, darauf taxierte er Xeron mit seinem Blick „Gib mir das Mädchen, ich lege sie auf mein Nachtlager, du packst gefälligst das da auf dem Boden weg, bevor uns die Ratten hier Gesellschaft leisten und ein Festmahl halten!“ Xeron errötete leicht und legte Lyfer vorsichtig den dünnen Leib in die Arme, um darauf Lyfers Aufforderung nachzukommen. Der hagere, jedoch trotz allem körperlich starke Lyfer trug das Mädchen mit Leichtigkeit zu seinem Bett.

Langsam und behutsam ließ er sie von seinem Armen gleiten, ihr Umhang war dreckig und blutverschmiert, er schüttelte nur mit dem Kopf und zog ihr das unliebsame Stück Stoff aus.

Unter dem Umhang kam ein weißes Hemd und eine enge Lederhose zum Vorschein, an ihrem Gürtel war ein Dolch befestigt, eine weise Entscheidung, eine Waffe bei sich zu tragen in solch einer abgelegenen Gegend. Sie wirkte entkräftet, ihre Muskeln waren straff und gut ausgeprägt, jedoch gab es kein Gramm Fett zu viel an ihrem Leib. Lyfer hörte ihr Blut unmöglich laut pochen, ihre Kehle wirkte so verführerisch. Langsam beugte er sich über sie, seine spitzen Eckzähne waren kurz davor, die Haut an ihrem Hals zu durchstoßen, als er ein Räuspern aus der Türe wahrnahm.

Xeron funkelte ihn an „Überleg gut, was du tust… schau sie wacht auf!“

Lyfer wich zurück und blickte auf das Mädchen herab, ihre Augen wirkten fast schwarz, erst jetzt bemerkten die Männer zahlreiche Blessuren in ihrem Gesicht.

Ein blaues Auge und eine geschwollene Lippe sprachen für sich. Sie wirkte verängstigt und gejagt, Xeron schaute sie fest an.

„Guten Morgen junge Dame, ich bin Xeron, das ist Lyfer, wir haben euch halb erfroren neben der Taverne gefunden und mit hierher genommen. Ihr kommt nicht aus dieser Gegend nicht wahr?“ Sie schüttelte leicht den Kopf und begann mit leiser Stimme zu sprechen.

„Mein Name ist Chrystelle, ich komme aus Rom.“ Lyfer zog eine seiner fein geschwungenen Augenbrauen hinauf „Der Inquisitor?“ Chrystelle nickte leicht und strich sich sanft über das Brandmal welches ihre Hand zierte. Xeron griff blitzschnell nach ihrer Hand und besah sich das Mal „Eine Söldnerin und Hexe also?“ Chrystelle blickte unsicher „Um ehrlich zu sein, eine Söldnerin… gut möglich, aber keine Hexe! Sie sagen, ich habe einen Pakt mit dem Teufel, warum auch immer…“

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